Roderich Kiesewetter fordert erneut Angriffe auf Russland und meint, das „Gesülze von Friedensverhandlungen muss aufhören“. Der Vizepräsident des Bundestages, Omid Nouripour, springt dem CDU-Politiker bei. Die Radikalisierung im Parlament nimmt ihren Lauf. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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Russische Drohnen sollen angeblich in den polnischen Luftraum eingedrungen sein. So berichten es Medien. Was auch immer geschehen ist: Jeder auch nur halbwegs vernünftige Politiker sollte erkennen, dass die derzeitige Situation zwischen Russland und der NATO einem Pulverfass gleicht. Verantwortungsvolle Politik heißt in dieser Situation: Das diplomatische Gespräch suchen, verbal abrüsten und dafür sorgen, dass Europa nicht noch einmal – und dann vermutlich zum letzten Mal! – in Schutt und Trümmer gelegt wird. Anders gesagt: Wer hier als Politiker auch noch Benzin ins Feuer gießt, setzt das Leben von Millionen von Menschen aufs Spiel.
Doch es gibt sie, die Hardliner der deutschen Russlandpolitik. Sie sitzen im Bundestag, und ihre Äußerungen lassen tief blicken.
Solidaritätsbekundungen sind fehlplatziert. Endlich mit Konsequenz und Härte antworten! Gesülze von Friedensverhandlungen muss aufhören. Es muss jetzt Taurus und massive mil. Unterstützung für die Ukraine erfolgen, denn Russland nährt sich durch unsere Schwäche. Russland und CRINK muss gestoppt werden! Die Ukraine so ausstatten, dass sie die Russen zurückdrängen kann inkl. Angriffe auf militärisch relevante Ziele in Russland. Unser Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung werden [sic] von Russland ausgetestet und sind [sic] massiv in Gefahr.
Das sind die Worte von Kiesewetter, veröffentlicht in einem Tweet auf der Plattform X. Sie sind Abbild einer Politik, die einen falschen Weg eingeschlagen hat und Gefahr läuft, einen Krieg zwischen NATO und Russland mit herbeizuführen. Denn: Was passiert, wenn die Ukraine mit noch mehr Waffen ausgerüstet wird und verstärkt zu Angriffen auf Russland übergeht? Erfolgt dann die Kapitulation Russlands? Jeder weiß: Die Eskalationsdominanz liegt bei Russland. Dem Prinzip der Reziprozität gemäß wird Russland auf die Angriffe noch härter reagieren. Und darauf müsste, folgt man der Logik Kiesewetters, auch die Ukraine mit der NATO in der Hinterhand ebenfalls weiter eskalieren. Der Weg in die nukleare Katastrophe ist vorgezeichnet.
Dass deutsche Politiker bereit sind, ihr Land samt der Gesellschaft einer solchen Gefahr auszusetzen, zeigt: Feindbilddenken in seinen extremen Ausprägungen führt über kurz oder lang zu einem Wahnsinn, der ganze Gesellschaften ins Verderben zu reißen droht.
Wo ist die Vernunft?
Omid Nouripour, immerhin der Vizepräsident des Bundestages, widerspricht den Aussagen Kiesewetters nicht etwa, nein, er retweetet den Tweet des CDU-Politikers und unterstreicht ihn mit den Worten:
Sehr richtig, lieber Kollege. Setzen wir es gemeinsam durch. Nicht nur hier, sondern auch im Parlament. Auf @GrueneBundestag ist Verlass.
Ob Nouripour sich hier auf die Taurus-Lieferungen oder worauf auch immer bezieht, ist unklar. Klar hingegen ist: Der Grünen-Politiker tritt der Forderung nach einem Angriff auf Russland nicht entgegen.
Klar wird aber noch etwas anderes. Im Bundestag findet eine Radikalisierung statt. Wo einst Geschichtsbewusstsein, Diplomatie, Zurückhaltung und das Friedensgebot des Grundgesetzes hochgehalten wurden, breitet sich Militarismus aus. Eine Billion Euro für Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit? Weite Teile des Parlaments ziehen mit. Unter diesem Klima dürfen dann auch deutsche Politiker Angriffe auf Russland fordern. Diese neue Normalität in der deutschen Politik trägt die Saat des Destruktiven in sich.
Titelbild: Screenshot, Deutscher Bundestag, youtube.com/watch?v=g6a34IElqMo