Ein Leben für die Miete – wenn die Würde des Alters unter Finanzierungsvorbehalt steht

Ein Leben für die Miete – wenn die Würde des Alters unter Finanzierungsvorbehalt steht

Ein Leben für die Miete – wenn die Würde des Alters unter Finanzierungsvorbehalt steht

Detlef Koch
Ein Artikel von Detlef Koch

Immer mehr ältere Menschen geraten in Deutschland durch steigende Wohnkosten unter Druck. Die aktuellsten verfügbaren Daten zeigen, dass im Jahr 2024 etwa 13,8 Prozent der Mieterhaushalte in Deutschland als durch Wohnkosten überbelastet galten, das heißt, sie gaben mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aus. Für Haushalte, in denen die Hauptperson 65 Jahre oder älter ist, liegen keine separat ausgewiesenen neuesten Zahlen vor. 2016 mussten allerdings fast zwei Drittel der älteren Mieterhaushalte mindestens 30 Prozent ihres Budgets fürs Wohnen aufbringen. Es ist wahrscheinlich, dass ältere Mieter weiterhin überdurchschnittlich betroffen sind. Von Detlef Koch.

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Vor 20 Jahren traf das nur auf rund jeden fünften solcher Haushalte zu. Berücksichtigt man auch Seniorenhaushalte mit einer Wohnkostenquote zwischen 30 und 40 Prozent, so mussten 2016 fast zwei Drittel der älteren Mieterhaushalte mindestens 30 Prozent ihres Budgets fürs Wohnen aufbringen. Diese Entwicklung bricht mit gängigen Altersbildern vom sorgenfreien Rentnerdasein – und macht deutlich: Wohnkosten sind für viele Senioren zur Armutsfalle geworden.

Die Realität zeigt sich auch in eindrücklichen Einzelbeispielen. Etwa die alleinlebende Rentnerin, die nach dem Tod ihres Mannes mit einer kleinen Witwenrente auskommen muss: Ihre Mietwohnung, jahrzehntelang Heimat, wird plötzlich kaum mehr bezahlbar. Ohne nennenswerte Einkommensperspektive bleibt solchen Menschen oft nur, den privaten Konsum drastisch einzuschränken, um Miete und Nebenkosten noch stemmen zu können. Fragen wie „Wie soll ich im Alter wohnen – und was bleibt mir zum Leben?“ drängen sich auf. Die folgende Analyse zeigt, dass diese Wohnkrise im Alter kein individuelles Schicksal, sondern Symptom eines strukturellen Problems ist.

Der stille Druck: Wohnkosten als Armutsbeschleuniger im Alter

Mit dem Eintritt ins Rentenalter sinken die Einkommen, doch die Wohnkosten kennen seit Jahren nur eine Richtung: steil nach oben. Zwischen 2005 und 2017 stiegen die Angebotsmieten um knapp 29 Prozent, während die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge der gesetzlichen Rentenversicherung lediglich um 20 Prozent zunahmen. Diese Schere führt dazu, dass ein wachsender Anteil der über 65-Jährigen Schwierigkeiten hat, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Die Armutsgefährdungsquote Älterer nimmt seit Jahren zu – und liegt mittlerweile bundesweit bei rund 17 Prozent (2024) mit deutlich höherem Risiko für Frauen. In der Altersgruppe 65+ sind Frauen häufiger armutsgefährdet als Männer (21,6 Prozent vs. 16,3 Prozent), was an familienbedingten Erwerbsunterbrechungen und mehr Teilzeitarbeit im Lebensverlauf liegt. Besonders gefährdet sind auch ältere Menschen mit Migrationshintergrund, die oft geringere Rentenansprüche haben.

Ein zentraler Faktor ist der Unterschied zwischen Mietern und Eigentümern im Alter. Während viele Senioren mit Wohneigentum mietfrei oder mit überschaubaren Wohnkosten leben, tragen ältere Mieterhaushalte eine deutlich höhere Belastung. 2016 gaben Senioren-Haushalte, die zur Miete wohnen, im Schnitt rund 35 Prozent ihres Einkommens für Wohnkosten aus – weitaus mehr als vergleichbare Paare, die es auf etwa 30 Prozent brachten. Fast 38 Prozent der älteren Mieterhaushalte waren sogar über die 40-Prozent-Schwelle hinaus belastet. Demgegenüber lag der Anteil überbelasteter Eigentümerhaushalte im Alter – etwa wenn noch Kredite abzuzahlen waren – bei lediglich rund 5 Prozent. Alleinlebende Rentner sind besonders verwundbar: Ihre Fixkosten treffen auf ein einzelnes schmales Einkommen, sodass selbst geringe Mietsteigerungen zu finanzieller Überforderung und im schlimmsten Fall zum Verlust der Wohnung führen können. So bleibt vielen Betroffenen kaum Spielraum, da sie im Alter nur begrenzte Möglichkeiten haben, ihr Einkommen zu erhöhen. Die Wohnkosten wirken hier wie ein stiller sozialer Druck, der bestehende Ungleichheiten im Alter weiter verschärft.

Politische Versäumnisse: Warum das Problem nicht kleiner wird

Dass Wohnkosten im Alter zur Armutsgefahr werden, ist kein Naturphänomen – es ist das Resultat dissozialer politischer Entscheidungen und mitgefühlsbefreiter Unterlassungen. Ein erstes großes Versäumnis ist der drastische Rückgang des sozialen Wohnungsbestands. Zwischen 2006 und 2019 schrumpfte die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland von etwas über zwei Millionen auf rund eine Million – ein Verlust von fast der Hälfte in gut einem Jahrzehnt. Und der Abwärtstrend hält an: Ende 2023 gab es bundesweit nur noch etwa 1,07 Millionen Sozialwohnungen, erneut rund 15.300 weniger als im Vorjahr. Geplante Neubauziele wurden weit verfehlt; 2023 wurden lediglich knapp 50.000 neue Sozialwohnungen gefördert – obwohl die Bundesregierung ursprünglich 100.000 pro Jahr versprochen hatte. Zugleich fallen jedes Jahr zehntausende Wohnungen aus der Mietpreisbindung, weil die Sozialbindung zeitlich befristet ist. Dieser Schwund an Sozialwohnungen führt dazu, dass heute nur noch rund 2,7 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes in Deutschland sozial gebunden sind – ein verschwindend geringer Anteil im Vergleich zu Nachbarländern.

Eine weitere politische Niedertracht ist die unzureichende Mietregulierung und Wohngeldpolitik. Zwar wurde Anfang 2023 mit der Wohngeld-Plus-Reform der Kreis der Berechtigten für Wohngeld deutlich ausgeweitet und der Zuschuss auf durchschnittlich 297 € im Monat erhöht. Doch diese Entlastung verpufft schnell, wenn die Mieten ungebremst weiter steigen dürfen. Direktzuschüsse wie das Wohngeld besitzen nur begrenzte Wirkung, solange sie nicht mit der Mietpreis-Entwicklung Schritt halten. Das Kernproblem – hohe Mieten – wird damit nicht an der Wurzel gepackt, sondern nur temporär abgemildert.

Gleichzeitig erweist sich die Mietpreisbremse der Bundesregierung als weitgehend zahnlos. In vielen Städten werden die gesetzlichen Vorgaben durch unsolidarische Menschen ignoriert oder umgangen. Der Mieterverein Hamburg stellte fest, dass in über 90 Prozent der 2023/24 untersuchten Fälle Vermieter die Mietpreisbremse missachteten – die verlangten Mieten lagen im Schnitt 56 Prozent über der zulässigen Obergrenze. Trotz Verlängerung der Regelung sind die Schlupflöcher groß (Neubauten, möblierte Vermietung etc.) und die Durchsetzung liegt faktisch bei den Mietern selbst. Solange hier keine konsequentere Regulierung erfolgt, bleiben insbesondere ärmere Seniorenhaushalte praktisch ungeschützt vor überhöhten Mietforderungen.

Nicht zuletzt haben fehlgeleitete Privatisierungen und eine marktorientierte Wohnungsbaupolitik die heutige Misere mitverursacht. In den 1990er- und 2000er-Jahren verkauften viele Kommunen aus Finanznot massenhaft kommunale Wohnungen an private Investoren. Allein die Stadt Berlin veräußerte rund 100.000 ehemals landeseigene Wohnungen an internationale Investmentgesellschaften; Dresden gab 2006 gar seinen kompletten städtischen Bestand von 48.000 Wohnungen an einen US-Fonds ab. Diese Verkäufe spülten kurzfristig Geld in die Kassen, entzogen den Städten aber dauerhaft steuerbare Mietwohnungsbestände. Hinzu kommt, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem renditeorientierte Projekte gefördert wurden. Luxussanierungen und hochpreisige Neubauten in Innenstadtlagen mögen Investoreninteressen bedienen, tragen aber wenig zur Entspannung der Lage einkommensschwacher Älterer bei. Sozialer Wohnungsbau wurde dagegen chronisch vernachlässigt. So kommt es, dass Deutschland trotz wachsenden Bedarfs bislang keinen glaubwürdigen Plan für bezahlbaren Wohnraum im Alter hat – ein politisches Versagen, das die Wohnkrise für Senioren weiter verschärft.

Internationale Perspektive: Warum es auch anders geht

Andere Länder zeigen, dass wohnungspolitische Weichenstellungen die Situation alter Menschen deutlich beeinflussen können. Ein Blick nach Europa offenbart Alternativen zum neoliberalen deutschen Sonderweg. Die Niederlande, Österreich oder Dänemark etwa verfügen über einen ausgeprägten Sektor sozialer Mietwohnungen – dort machen Sozialwohnungen teils über 20 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes aus. In den Niederlanden unterliegen sogar rund 30 bis 40 Prozent aller Mietwohnungen strenger Preisbindung, was breiten Bevölkerungsschichten zugutekommt. Österreich – insbesondere Wien – gilt als Vorzeigebeispiel: In der Hauptstadt leben fast zwei Drittel der Einwohner in irgendeiner Form von gefördertem oder kommunalem Wohnraum. Diese Wohnungen befinden sich nicht nur am Stadtrand, sondern oft in begehrten Lagen mit guter Infrastruktur. Der soziale Wohnbau wird dort als integraler Teil der Stadtentwicklung begriffen, nicht als Nischenlösung für Härtefälle. Das Ergebnis: Bezahlbarer Wohnraum ist in Wien für viele selbstverständlich, und ältere Menschen profitieren von lebenslang moderaten Mieten in Gemeindebauten oder Genossenschaftswohnungen.

Die Auswirkungen spiegeln sich in den Belastungsquoten. Während in Deutschland 2024 etwa 12 Prozent der Gesamtbevölkerung mehr als 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen aufbringen müssen (über dem EU-Schnitt von 8,2 Prozent), liegen vergleichbare Quoten in Ländern mit starkem sozialem Wohnungssektor deutlich niedriger. In Frankreich, Italien oder Österreich beträgt der Anteil der überbelasteten Bevölkerung nur zwischen 4 und 7 Prozent – trotz ähnlicher demografischer Entwicklungen. Besonders deutlich wird der Unterschied bei armutsgefährdeten Senioren: In Deutschland tragen rund 43,9 Prozent der älteren Menschen mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze eine Wohnkostenüberlastung. In Griechenland ist die Lage mit 86 Prozent in dieser Gruppe zwar noch dramatischer, doch Länder wie Italien oder Österreich verzeichnen hier vergleichsweise geringe Überbelastungsraten im einstelligen Prozentbereich. Das heißt, Armut im Alter führt dort deutlich seltener automatisch in eine Mietnotlage. Der Unterschied liegt in politischen Maßnahmen: Höhere Rentenzuschüsse für Wohnkosten (Mietbeihilfen) und vor allem ein größeres Angebot an dauerhaft preisgebundenem Wohnraum schützen vulnerablere Gruppen besser.

Ein Beispiel: In Wien wird seit Jahrzehnten eine Mietpreispolitik praktiziert, die günstige Mieten strukturell verankert. Neben rund 220.000 Gemeindewohnungen (im Eigentum der Stadt) gibt es zehntausende Genossenschaftswohnungen, die durch Förderungen preiswert gehalten werden. Dadurch bleiben Wohnkosten auch für Menschen mit geringer Rente tragbar, und die Stadt spart indirekt Sozialausgaben, weil weniger Senioren auf Sozialhilfe für Miete angewiesen sind. Die Niederlande haben traditionell ebenfalls einen hohen sozialen Wohnungsanteil, betrieben durch Wohnungsgesellschaften mit Gemeinwohlauftrag. Allerdings zeigt sich dort aktuell, dass auch ein großer Sozialwohnungssektor unter Druck gerät, wenn Neubau stockt – die Wartelisten sind lang, was als Warnung zu verstehen ist, dass stetige Investitionen nötig sind. Skandinavische Länder wiederum kombinieren moderate Mietzuschüsse mit steuerlichen Entlastungen für Ältere (z.B. Abschaffung der Immobiliensteuer für Rentner in Dänemark) und investieren in Barrierefreiheit, damit Senioren länger selbstbestimmt Zuhause wohnen können.

Insgesamt belegen diese internationalen Erfahrungen: Es geht auch ganz ohne Verachtung für arme Menschen, wenn politischer Wille, Herzensbildung und entsprechende Prioritäten vorhanden sind. Wo sozialer Wohnungsbau kein Schattendasein fristet, sondern ein erheblicher Sektor ist, wo Mietpreisbindungen strikt umgesetzt werden und wo der Sozialstaat Wohnen als Teil der Daseinsvorsorge betrachtet, dort haben es ältere Menschen deutlich leichter, ihren Lebensabend ohne Wohnungsnot in Würde zu verbringen.

Alternativen: Was ließe sich strukturell ändern?

Angesichts der skizzierten Probleme drängt sich die Frage auf, welche strukturellen Änderungen notwendig wären, um Altersarmut im Wohnungsmarkt wirksam zu bekämpfen. Die gute Nachricht: Zahlreiche Konzepte liegen auf dem Tisch – von gemeinwohlorientierter Wohnungspolitik bis hin zu Reformideen im Sozialstaat. Einige zentrale Ansatzpunkte:

Gemeinwohlorientierte Wohnpolitik

  • Ausbau nicht-profitorientierter Wohnungsangebote: Ein wesentliches Element ist die Stärkung von Wohnungsbaugenossenschaften. Hier sind Mieter zugleich Mitglieder und damit Mitentscheider; Gewinne fließen zurück in Modernisierung und Neubau. Solche Genossenschaften gibt es in Deutschland seit über 100 Jahren – nun gilt es, ihre Rolle auszuweiten und Neugründungen zu fördern. Gemeinwohlorientierte Ansätze gewinnen bereits an Bedeutung, etwa durch Initiativen wie das Mietshäuser-Syndikat. Dieses Modell entzieht Immobilien dem spekulativen Markt, indem Mieter gemeinsam mit Unterstützern Häuser kaufen und langfristig zu Kostenmieten bewirtschaften. Der Staat könnte solche Projekte verstärkt fördern, z.B. durch zinsgünstige Kredite oder Zuschüsse.
  • Kommunale Bodenfonds und Erbbaurecht: Ein weiterer Hebel liegt im Boden selbst. Kommunen könnten Grundstücke gezielt dem Markt entziehen, indem sie öffentliche Bodenfonds aufbauen. Diese erwerben Grundstücke oder behalten eigene Flächen in öffentlicher Hand und vergeben sie per Erbbaurecht günstig an gemeinnützige Bauträger. So wird sichergestellt, dass auf diesen Flächen dauerhaft bezahlbare Wohnungen entstehen, weil keine spekulativen Bodenpreise in die Mieten eingerechnet werden müssen. Einige Städte (z.B. Hamburg mit seinem Bodenfonds) gehen bereits in diese Richtung, doch es bräuchte ein flächendeckendes Umdenken: Boden als Gemeingut behandeln, wo immer es sozialen Zwecken dient.
  • Neue Finanzierungsmodelle mit Bürgerbeteiligung: Um mehr sozialen Wohnraum zu schaffen, müssen auch innovative Geldquellen mobilisiert werden. Denkbar sind Bürgerfonds oder Wohnanleihen der öffentlichen Hand. Dabei können Bürger ihr Erspartes gezielt in Wohnbauprojekte investieren, mit einer bescheidenen Rendite, aber hohem sozialen Nutzen. Solche Social Impact Bonds könnten z.B. von Städten ausgegeben werden, zweckgebunden für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Dadurch würde die Finanzierung breiter gestreut und das Thema Wohnen stärker in der Zivilgesellschaft verankert. Erste Pilotprojekte und Crowdfunding-Aktionen in diesem Bereich zeigen, dass grundsätzlich Bereitschaft der Bevölkerung vorhanden ist, für bezahlbares Wohnen zu engagieren – wenn transparente Strukturen Vertrauen schaffen.

All diese Ansätze eint, dass sie Wohnen als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge begreifen. Während Deutschland lange vor allem auf private Investoren und klassische Sozialwohnungsförderung setzte, rücken nun Alternativen ins Blickfeld, die Gewinnerzielung nicht ins Zentrum stellen. Dabei kann man durchaus von europäischen Nachbarn lernen: Städte wie Wien zeigen, dass eine konsequente gemeinwohlorientierte Wohnpolitik nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist – weil sie soziale Folgekosten senkt und stabile Nachbarschaften schafft.

Sozialstaat neu denken: Wohnen als Teil der Alterssicherung

Neben der Wohnungsbau- und Mietpolitik muss auch der Sozialstaat besser auf die Wohnprobleme älterer Menschen zugeschnitten werden. Ein Ansatz wäre die Einführung einer allgemeinen Sockelrente, also einer garantierten Grundrente oberhalb der Grundsicherung, die allen Rentnern gezahlt wird. Diese könnte mit einem automatischen Wohnkostenzuschuss kombiniert werden, anstatt auf ein kompliziertes Antragswesen beim Wohngeld zu setzen. Die Idee dahinter: Kein Senior sollte aufgrund fixer Wohnkosten unter ein menschenwürdiges Mindesteinkommen fallen. Eine steuerfinanzierte Sockelrente mit Wohnanteil würde die verschämte Armut reduzieren – jene geschätzten rund 60 Prozent der Berechtigten, die aus Scham gar keine Grundsicherung beantragen. Natürlich wäre das eine große finanzielle und politische Herausforderung, doch es würde Altersarmut präventiv abfedern, bevor sie entsteht.

Ein weiterer Baustein ist eine altersgerechte Mietobergrenze im Sozialrecht. Zwar übernehmen Kommunen im Rahmen der Grundsicherung „angemessene“ Unterkunftskosten für Bedürftige, doch die Angemessenheitsgrenzen zwingen viele Ältere in günstigere Wohnungen oder Umzüge, wenn ihre langjährige Wohnung etwas teurer ist. Hier könnte man bei Menschen im Rentenalter großzügigere Maßstäbe ansetzen. Eine Schutzklausel für über 65-Jährige könnte verhindern, dass Senioren ihre vertraute Umgebung verlassen müssen, nur weil die Miete ein paar Euro über dem Richtwert liegt. Insbesondere in Großstädten, wo Ersatzwohnraum schwer zu finden ist, würde eine solche Regel viel Leid und Gesundheitsrisiken (durch Vereinsamung oder Stress) ersparen. Norwegen beispielsweise kennt spezielle Wohnzuschüsse für Rentner, die über die normalen Sozialleistungen hinausgehen, um genau diese Kontinuität des Wohnens im Alter sicherzustellen (ein Modell, das eine nähere Betrachtung verdient).

Schließlich muss Wohnen viel stärker Teil der Rentendebatte werden. Bisher wird Altersarmut meist abstrakt in Euro und statistischen Quoten diskutiert. Doch die Rentenpolitik darf die Lebenshaltungskosten – und hier vor allem die Miete – nicht ausklammern. Mietenpolitik ist Rentenpolitik. Sinkende Rentenniveaus lassen sich nicht isoliert betrachten, wenn zugleich Wohnkosten explodieren. Jede Rentenanpassung wird von Mietsteigerungen teilweise wieder aufgezehrt. Umgekehrt bedeutet ein erfolgreicher Kampf gegen Mietwucher und Wohnungsnot eine enorme Entlastung für kleine Renten. Politik könnte prüfen, ob z.B. ein Teil der Rentenanpassungen regional unterschiedlich erfolgen sollte (Stichwort „Mietindex-Rente“), um den unterschiedlichen Wohnkosten Rechnung zu tragen. Auch die Idee, Wohneigentumsbildung stärker für Geringverdiener zu fördern (damit mehr Menschen im Alter mietfrei wohnen), gehört in diesen Kontext. Hier sind kreative Lösungen gefragt, die Brücken schlagen zwischen Wohnungs-, Renten- und Sozialpolitik.

Schlussbetrachtung: Altersarmut im Wohnungsmarkt – ein Symptom politischer Prioritäten

Die wachsende Altersarmut in Deutschlands Wohnungsmarkt ist kein unvermeidliches Schicksal, sondern das Ergebnis jahrelanger politischer Prioritätensetzungen – oder eben Unterlassungen. Wenn hunderttausende Senioren einen Großteil ihrer schmalen Rente für die Miete opfern müssen, dann zeigt sich darin, was unseren Politikern die Würde im Alter wert ist – nichts. Bislang wurde wirtschaftliches Wachstum, digitale Infrastruktur oder Energiewende weit höher auf die Agenda gehoben als das unspektakuläre Thema bezahlbarer Seniorenwohnraum. Doch die Wohnkrise im Alter ist kein temporäres „Marktversagen“, das sich von selbst korrigiert, sondern Ausdruck eines fehlenden Gestaltungswillen und mangelnder Weitsicht.

Die aktuelle Lage führt uns vor Augen, dass eine politische Kehrtwende nötig ist. Altersarmut ist keine private Tragödie Einzelner, sondern eine systemische Herausforderung, der mit strukturellen Lösungen begegnet werden muss. Es geht um politischen Willen: Mehr öffentliches Bauen, striktere Mietpreisbindung, bessere Absicherung armer Älterer – all das kostet Geld und Mühe, ja. Aber es entscheidet auch darüber, ob wir als Gesellschaft unseren älteren Mitbürgern ein Leben in Sicherheit und Würde ermöglichen. Deutschland hat viele ambitionierte Pläne – für Digitalisierung, für Klimaschutz, für militärische Ausstattung. Doch es hat bislang keinen glaubwürdigen Plan für bezahlbaren Wohnraum im Alter. Dieser Plan jedoch wäre dringend nötig, denn die Frage lautet nicht nur: „Wie sollen alte Menschen wohnen?“, sondern vor allem: „Was ist uns ihre Würde wert?“

Anhang: Tabelle:

Meine verwendeten Quellen: Statistisches Bundesamt, Eurostat, DIW Berlin, Der Paritätische Wohlfahrtsverband, Bundeszentrale für politische Bildung, Stadt Wien, Statista.

Titelbild: Aleutie / Shutterstock