Stimmen aus Afrika: Der Sahel strebt nach Souveränität

Stimmen aus Afrika: Der Sahel strebt nach Souveränität

Stimmen aus Afrika: Der Sahel strebt nach Souveränität

Ein Artikel von: Redaktion

Der Jahrestag der Gründung der Allianz der Sahelstaaten ist ein Anlass, den Mut und die Weitsicht der Menschen in der Sahelzone zu würdigen. Es ist wichtig, über die gängigen Narrative von „Putsch-Ländern“ hinauszuschauen und die Umstände zu verstehen, die zu diesem entscheidenden Moment geführt haben. Diese Allianz ist nicht nur ein Militärbündnis, sondern ein politisches Projekt, ein kühner Versuch, einen neuen Weg zu gehen, der auf Panafrikanismus, endogener Entwicklung und einer entschiedenen antiimperialistischen Haltung basiert. Von Mikaela Nhondo Erskog.

Am 16. September begingen die Menschen in Burkina Faso, Mali und Niger den zweiten Jahrestag der Allianz der Sahelstaaten (Alliance des États du Sahel, AES), die 2023 durch die Liptako-Gourma-Charta gegründet wurde.

Dies ist nicht nur ein Datum im Kalender, sondern die Feier des erneuten Kampfes um Souveränität in einer Region, die lange Zeit unter dem französischen Neokolonialismus und gescheiterten westlichen Sicherheitsstrategien gelitten hat. In der gesamten Sahelzone fanden Solidaritätsaktionen statt.

Jahrzehntelang ist der Sahel ein Paradebeispiel für neokoloniale Ausbeutung gewesen. Die „Flaggenunabhängigkeit“[*] der 1960er-Jahre war nur eine Fassade für die fortgesetzte französische Vorherrschaft, die durch den CFA-Franc (Franc de la Communauté financière africaine) und ein Netz von Verteidigungspakten aufrechterhalten wurde. So gewährte etwa das Abkommen mit Niger aus dem Jahr 1961 Frankreich die Kontrolle über militärische Einrichtungen und strategische Ressourcen wie Uran und französischen Unternehmen Steuerbefreiungen.

Dieses System höhlte die fiskalische Souveränität der Region aus und führte zu katastrophaler Unterentwicklung, Armut und einer Sicherheitskrise, die durch genau die Mächte verschärft wurde, die behaupteten, sie lösen zu wollen.

Die Zahlen sind düster: Im Jahr 2023 betrug das Pro-Kopf-BIP des Niger nur 560 US-Dollar, fast die Hälfte der Bevölkerung lebte in Armut. Seine Nachbarländer sind mit ähnlichen Realitäten konfrontiert. Dies ist die direkte Folge eines Systems, das auf Ausplünderung ausgelegt ist. Französische Bergbauunternehmen haben jahrelang das Uran und Gold der Region ausgebeutet und dabei nur sehr wenig zurückgelassen. Im Jahr 2010 erhielt Niger zum Beispiel nur 13 Prozent des gesamten Exportwertes seines eigenen Urans.

Diese wirtschaftliche Ausbeutung ist untrennbar mit der Sicherheitskrise verbunden. Die Intervention der NATO in Libyen im Jahr 2011 löste einen Strom von Waffen und Extremisten in der gesamten Region aus. Nachfolgende Militäreinsätze unter französischer Führung wie die „Operation Barkhane“ erwiesen sich als kontraproduktiv, da die terroristischen Aktivitäten unter ihrer Kontrolle sprunghaft anstiegen – die Zahl der Todesopfer stieg innerhalb von fünfzehn Jahren um 2.860 Prozent.

Für die Menschen in der Sahelzone war die Schlussfolgerung unausweichlich: Der Fuchs bewachte den Hühnerstall.

Aus diesem Schmelztiegel aus gescheiterten Staaten, ausländischer Einmischung und Frustration der Bevölkerung entstand die Allianz der Sahelstaaten.

Die Eingriffe des Militärs in Mali (2020), Burkina Faso (2022) und Niger (2023) waren keine typischen Machtübernahmen einer selbstsüchtigen Elite. Sie waren, wie Philippe Toyo Noudjnoume von der West African Peoples’ Organization sie bezeichnet hat, „militärische Interventionen für die Souveränität”.

Angeführt von einer neuen Generation junger, patriotischer Offiziere wie Ibrahim Traoré aus Burkina Faso und Assimi Goïta aus Mali, wurden diese Bewegungen durch Massenmobilisierungen einer Bevölkerung angeheizt, die der alten Ordnung überdrüssig war.

Die Szenen der Massendemonstrationen auf den Straßen von Bamako, Ouagadougou und Niamey nach dem Sturz der vom Westen unterstützten Regierungen waren ein eindrucksvoller Beleg für den tief verwurzelten Wunsch nach Veränderung.

Mehr noch, die Massen gingen nicht einfach nur auf die Straße, um blindlings eine neue Regierung zu unterstützen. Nehmen wir den Fall Niger: Während die Militärführer – die in erster Linie durch den unveränderten schlechten Schutz und die schlechte Bezahlung während der Kämpfe an der Front gegen terroristische Übergriffe, die oft mit mutmaßlicher französischer Unterstützung in Verbindung gebracht wurden – dazu gezwungen waren, waren es die Basisorganisationen, die den Ruf nach Ausweisung der französischen Militär- und Diplomatenkräfte anführten und die französischen Militärstützpunkte und die Botschaft belagerten.

Dies waren nicht einfach anti-französische Revolten, sondern eine tiefgreifende Ablehnung eines Systems, das den Menschen in der Sahelzone zu lange ihre Würde und ihr Recht auf Selbstbestimmung verweigert hatte.

Die AES ist daher nicht nur ein Militärbündnis, sondern ein politisches Projekt, ein kühner Versuch, einen neuen Weg zu gehen, der auf Panafrikanismus, endogener Entwicklung und einer entschiedenen antiimperialistischen Haltung basiert.

In den zwei Jahren ihres Bestehens hat die AES bedeutende Fortschritte erzielt. Die Ausweisung französischer Truppen aus allen drei Mitgliedstaaten war ein historischer Schlag gegen den französischen Neokolonialismus in Afrika[**].

Die Gründung der Konföderation der Sahelstaaten am 6. Juli 2024 hat das Bündnis weiter gefestigt, eine gemeinsame Streitmacht führt bereits Übungen durch. Und die Präsidenten der drei Länder vertiefen die Sicherheitsbeziehungen, wie die Militärtreffen in Russland im Juli und August 2025 gezeigt haben.

Die Pläne für einen einheitlichen Pass, einen neuen, aus inländischen Steuern finanzierten Investitionsfonds und schließlich eine gemeinsame Währung schreiten voran.

An der Wirtschaftsfront unternimmt die AES konkrete Schritte, um die Kontrolle über ihr Schicksal zurückzugewinnen. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch, Ressourcen für wichtige Bergbau-, Energie- und Infrastrukturprojekte zu bündeln.

In einem bedeutenden Schritt in Richtung Energiesouveränität unterzeichnete die russische Rosatom im Juni/Juli 2025 mit allen drei Mitgliedern Rahmenvereinbarungen über die friedliche Nutzung der Kernenergie zur Entwicklung eines „vertikal integrierten regionalen Kernbrennstoffkreislaufs – von den Minen in Niger bis zu den Reaktoren in Burkina Faso und Mali”.

Dies ergänzt die nationalen Bemühungen in der Allianz. Sie umfassen eine ganze Reihe bilateraler Abkommen mit neuen Partnern und neue nationale Entwicklungsinitiativen, die eine Vielzahl von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bereichen abdecken.

Mali und Burkina Faso haben 2023 neue Bergbaugesetze verabschiedet, um die staatliche Beteiligung zu erhöhen und Steuerbefreiungen aus der neokolonialen Ära zu beseitigen. Niger hat eine umfassende Prüfung bestehender Bergbauverträge mit dem Ziel eingeleitet, sie zu gerechteren Bedingungen neu zu verhandeln.

Diese konkreten Maßnahmen gehen einher mit einem Vorstoß zur ideologischen Erneuerung.

Burkina Faso lässt den Geist von Thomas Sankara wieder aufleben, indem es sich massiv für die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln einsetzt, nationale Freiwilligenprogramme zum Bau von Bewässerungsdämmen mobilisiert, die erste Tomatenverarbeitungsanlage des Landes geschaffen hat, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern, und eine landesweite Kampagne zur Wiederaufforstung startet (dabei wurden am 21. Juni 2025 innerhalb einer Stunde fünf Millionen Bäume gepflanzt).

Mali fördert in seinem neuen nationalen Entwicklungsplan das Konzept des Maliden kura oder des „neuen malischen Menschen“ – eines patriotischen, verantwortungsbewussten und arbeitsamen Bürgers, der sich für die nationale Souveränität einsetzt.

Diese parallelen Bemühungen materieller und ideologischer Natur weben ein neues Banner für die Region, symbolisiert durch die AES-Flagge. Auf ihr sind die drei Nationen zu einer Einheit verbunden, vor dem Hintergrund der panafrikanischen Farben Rot, Gold und Grün, mit dem alten Baobab (Affenbrotbaum) im Zentrum. Damit haben die Menschen der Sahelzone das Banner der Souveränität ausgebreitet und gewinnen jeden Tag durch den täglichen Kampf für den Aufbau eines kohärenten regionalen Projekts ihre Würde zurück.

Die anstehenden Herausforderungen sind nach wie vor immens. Die Volkswirtschaften der AES-Länder bleiben stark vom Export von Rohstoffen abhängig, wodurch sie anfällig für die Schwankungen des Weltmarktes sind. Die Sicherheitslage verbessert sich zwar in einigen Bereichen, bleibt aber weiterhin prekär. Und die imperialistischen Kräfte sind nicht untätig.

Sich jedoch ausschließlich auf diese Herausforderungen zu konzentrieren, würde den Blick für das Gesamtbild der Geschichte verstellen. Die Menschen in der Sahelzone warten nicht auf einen Retter. Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand.

Der Jahrestag der AES war ein Anlass, ihren Mut und ihre Weitsicht zu würdigen. Er erinnert daran, was Thomas Sankara, der große Revolutionär aus Burkina Faso, einmal gesagt hat – eine Aussage, die Traoré oft zitiert: „Ein Sklave, der nicht in der Lage ist, die Verantwortung für seine eigene Rebellion zu übernehmen, hat kein Recht auf Mitleid.“

Die Menschen in der Sahelzone haben ihre Rebellion selbst in die Hand genommen.

Der Beitrag ist auf Englisch bei Peoples Dispatch erschienen und wurde von Marta Andujo übersetzt.

Über die Autorin: Mikaela Nhondo Erskog ist Pädagogin und Forscherin am Tricontinental: Institute for Social Research

Titelbild: Flagge der AES – Public domain


[«*] „Flag independence“: Dieser Begriff wird im Zusammenhang mit afrikanischen Ländern verwendet, die ihre Unabhängigkeit von europäischen Kolonialmächten erlangten und zwar ihre eigenen Flaggen und nominelle Unabhängigkeit haben, aber aufgrund fortbestehender äußerer Einflüsse und Einmischungen in der tatsächlichen Ausübung von Souveränität und Selbstbestimmung eingeschränkt sind.

[«**] Im März 2024 beendete die Regierung des Niger mit sofortiger Wirkung auch die militärische Zusammenarbeit mit den USA, mehr als 1.000 US-Soldaten wurden abgezogen. Ebenfalls aufgekündigt hat sie die europäische „Polizei-Aufbaumission EUCAP Sahel“.

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