Druck auf Charlie Kirk?

Druck auf Charlie Kirk?

Druck auf Charlie Kirk?

Maike Gosch
Ein Artikel von: Maike Gosch

Die öffentliche Ermordung des jungen rechtskonservativen US-amerikanischen Aktivisten Charlie Kirk lässt weiterhin die Wellen der Empörung hoch schlagen. Auch in Deutschland, wo Kirk weiten Teilen der Bevölkerung vor seinem Tod eher unbekannt war, löst das schreckliche Ereignis harte Debatten und starke Gefühle aus. So erhielt die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali wegen ihrer Moderation zur Ermordung von Kirk offenbar zahlreiche Hassnachrichten und Todesdrohungen und erklärte daraufhin eine „Onlinepause“ (siehe hierzu einen Kommentar von Tobias Riegel). Washington-Korrespondent Elmar Theveßen (ebenfalls ZDF) muss jetzt vielleicht sogar um sein Visum fürchten, nachdem er mit falschen Aussagen über Charlie Kirk den ehemaligen US-Botschafter Richard Grenell erzürnt hat. Obwohl der mutmaßliche Täter, der 22-jährige Tyler Robinson, inzwischen festgenommen wurde und inzwischen auch eine detaillierte Anklageschrift veröffentlicht wurde, lassen die Spekulationen über die Hintergründe und die Bedeutung der Tat nicht nach. Einen interessanten Aspekt zu Charlie Kirk und seiner Beziehung zu Israel hat kürzlich das US-amerikanische unabhängige Magazin The Grayzone hinzugefügt. Von Maike Gosch.

Wie The Grayzone berichtet, habe ein Trump-Vertrauter und langjähriger Freund von Charlie Kirk ihnen erzählt, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu Charlie Kirk Anfang des Jahres eine sehr große Summe Geld zur Unterstützung seiner riesigen Studenten-Organisation „Turning Point USA“ (TPUSA) angeboten hatte, die Kirk jedoch ablehnte. Außerdem soll Kirk eine telefonische Einladung Netanjahus zu einem Israel-Besuch abgelehnt haben. Weiter berichtet The Grayzone:

In den Wochen vor seiner Ermordung am 10. September hatte Kirk den israelischen Regierungschef zu verachten begonnen und ihn als „Tyrannen“ (im Original „bully“, Anm. d. Red.) betrachtet, so die Quelle. Kirk war angewidert von dem, was er innerhalb der Trump-Regierung beobachtete, wo Netanjahu versuchte, die Personalentscheidungen des Präsidenten persönlich zu diktieren und israelische Vermögenswerte wie die milliardenschwere Spenderin Miriam Adelson als Waffe einsetzte, um das Weiße Haus fest unter seiner Kontrolle zu halten.“

Kirk äußerte sich auch in verschiedenen Interviews kritisch gegenüber Israel. So stellte er bereits am 23. Oktober 2023 die Darstellung der Ereignisse des 7. Oktobers 2023 durch die israelische Regierung in Frage (ca. Minute 28:00). Er äußerte sich auch kritisch zur Rolle von Jeffrey Epstein. Auch gegenüber der rechtskonservativen Kommentatorin Megyn Kelly und dem Influencer Ben Shapiro beschwerte er sich über die Einengung der Meinungsfreiheit in Bezug auf Israel und forderte eine offenere Debatte.

Im Juli diesen Jahres organisierte Kirks Organisation „Turning Point USA“ den sogenannten „Student Action Summit“ und lud unter anderem den moderat israelkritischen Tucker Carlson und den sehr israelkritischen jüdischen Komiker und Podcaster Dave Smith zu Debatten über die US-amerikanische Außenpolitik ein, in denen natürlich auch die Gegenseite ihre Standpunkte darlegen durfte. Diese Auswahl traf auf viel öffentliche Kritik, löste aber wohl hinter den Kulissen auch erheblichen Druck auf Kirk aus. Der Informant der Grayzone beschreibt die Reaktionen folgendermaßen:

Nach dem Gespräch wurde Kirk mit wütenden SMS und Anrufen von Netanjahus wohlhabenden Verbündeten in den USA bombardiert, darunter viele, die TPUSA finanziell unterstützt hatten. Laut seinem langjährigen Freund behandelten die zionistischen Spender Kirk mit offener Verachtung und forderten ihn im Grunde genommen auf, sich wieder anzupassen.

Ihm wurde gesagt, was er nicht tun durfte, und das machte ihn wahnsinnig‘, erinnert sich Kirks Freund. Der konservative Jugendführer war nicht nur von der feindseligen Art der Interaktionen befremdet, sondern war auch „verängstigt“ durch die Gegenreaktion.“

Wie die christlich-konservative politische Kommentatorin Candace Owens, eine enge Freundin und Kollegin von Charlie Kirk, in einem inzwischen über sieben Millionen mal angesehenen Video berichtete, wusste sie aus Gesprächen mit Kirk und Menschen in seinem Umfeld, dass er dabei war, eine kritischere Haltung zur israelischen Regierung zu entwickeln und die Freiheit für sich in Anspruch nehmen wollte, frei darüber sprechen und urteilen zu dürfen, was sich auch in seiner Sprecher-Auswahl bei dem „Student Action Summit“ zeigte. Daraufhin, so Owens, habe es massiven Druck seitens der israelnahen Geldgeber von Kirks Organisation „Turning Point USA“ auf Charlie Kirk gegeben. Sie zitiert Freunde und Bekannte von Kirk, die die Ablehnung der Einladung Netanjahus durch Kirk bestätigen. Sie berichtet auch von einem großen Druck, unter dem Kirk in den letzten Wochen seines Lebens gestanden habe, weil ihn viele Unterstützer und Sponsoren von seinen leicht kritischen Äußerungen abbringen wollten und mit dem Entzug von Geldmitteln drohten.

Warum sind diese Informationen relevant, und warum sind sie so umstritten?

Dazu muss man wissen, dass es eine wichtige und einflussreiche religiöse Strömung in den USA unter Republikanern gibt, die sogenannten „Evangelical Christians“, nicht zu verwechseln mit Protestanten in Deutschland. Diese wiederum sind eng verbunden mit „Christian Zionism“, einer Überzeugung, dass die Gründung des modernen Israels eine biblische Prophezeiung erfüllt und den Weg für die Wiederkunft Jesu Christi ebnet. Diese Lehre, die besagt, dass Gott das Land dem jüdischen Volk versprochen hat, schafft für Christen eine vermeintliche religiöse Pflicht, Israel bedingungslos zu unterstützen.

Dieser religiösen Richtung gehörte Charlie Kirk an. Sie ist auch ein wichtiger Baustein der starken und unkritischen Unterstützung der israelischen Position und Politik durch viele Republikaner in den USA. Charlie Kirk war mit seiner Studentenorganisation und seiner Medientätigkeit mit der „Charlie Kirk Show“ von Anfang an ein wichtiger und einflussreicher Fürsprecher Israels bei jungen Konservativen in den USA. Es gab zwar vereinzelt den Vorwurf, er habe antisemitische Aussagen getätigt, aber er selbst verstand sich als Verteidiger und Freund Israels und wies diese Vorwürfe vehement zurück.

Nach seinem Tod betrauerte ihn Israels Premierminister Benjamin Netanjahu auch als „einen mutigen Freund Israels“, der „sich für die jüdisch-christliche Zivilisation stark gemacht hat“. Bereits 24 Stunden nach seinem Tod tauchte ein großes Wandbild zu Ehren Kirks in Israel auf, das den Verstorbenen mit Engelsflügeln zeigt, um ihn, wie der Künstler es formuliert, als „Kämpfer für die jüdisch-christliche Allianz und die Wahrheit“ zu ehren. Israelische Soldaten verbreiteten auch Bilder auf Social Media mit Raketen, die mit Charlie Kirks Namen beschriftet waren und über dem Gazastreifen abgefeuert werden sollten. Charlie Kirk sah sich also selbst als Freund und Unterstützer Israels und wurde auch von der israelischen Öffentlichkeit und Regierung so wahrgenommen.

Warum dann die berichteten starken Spannungen mit Netanjahu selbst und US-amerikanischen jüdischen Organisationen und Personen über seine Haltung in den letzten Wochen vor seinem Tod? Was wäre die Bedeutung einer sich verstärkenden kritischen Haltung Charlie Kirks gegenüber Israel in den USA gewesen, wenn diese Berichte richtig sind?

Dazu muss man wissen, dass die Unterstützung Israels in den USA stark sinkt. Selbst unter Anhängern der Republikaner ist die Unterstützung im Zeitraum 2022 bis 2025 von 27 Prozent, die eine negative Einstellung dem Land gegenüber haben, auf 37 Prozent gestiegen. Bei den Jüngeren (Alter 18 – 49 Jahre) ist der Anteil der Bürger sogar von 35 Prozent auf 50 Prozent gestiegen. Das heißt, Israel ist dabei, auch die Unterstützung eines Großteils der konservativen Jugend in den USA zu „verlieren“. Und Charlie Kirks Organisation „Turning Point USA“ war eine der wichtigsten Organisationen für konservative junge Menschen in den USA mit einem gewaltigen Einfluss. Hinzu kommt, dass Charlie Kirk ein Freund und Vertrauter von US-Präsident Donald Trump ist. Die Zweifel, die er geäußert hat, teilt er zudem mit einigen anderen in Trumps Umfeld, wie The Grayzone schreibt:

Laut Kirks langjährigem Freund verbreitete sich Kirks Abneigung gegen Netanjahu und die Israel-Lobby innerhalb von Trumps innerem Kreis. Tatsächlich, so sagten sie, habe der Präsident selbst Angst vor Netanjahus Zorn gehabt und die Konsequenzen gefürchtet, die eine Missachtung seiner Wünsche nach sich ziehen könnte.“

Es ist also plausibel, dass eine Kehrtwende von Charlie Kirk in dieser Frage für die Außenpolitik Israels eine große Bedeutung gehabt hätte und eine große Gefahr für die massive militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung Israels durch die USA für die Zukunft bedeutet hätte. Das erklärt vielleicht, warum ein rechtskonservativer Unterstützer Israels, nur weil er kritische Fragen stellte, einem so starken Gegenwind ausgesetzt gewesen sein soll.

Diese Überlegungen bedeuten natürlich nicht, dass Israel hinter dem Attentat an Charlie Kirk steckt, aber sie werfen ein interessantes Licht auf die Verwerfungen und Entwicklungen in der US-amerikanischen Rechten und zeigen, dass die politische Landschaft in den USA (wie bei uns) weitaus komplexer und dynamischer ist, als sie durch eine reine „Rechts-links-Brille“ zu erkennen ist.

Titelbild: Sua Sponte Photography / Shutterstock

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