Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) muss ein ausgewogenes und vielfältiges Programm bieten – sonst kann der Rundfunkbeitrag unter bestimmten Umständen verfassungswidrig sein. Das hat nun das Bundesverwaltungsgericht in einem interessanten Urteil festgestellt. Von Tobias Riegel.
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Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein ausreichend ausgewogenes und vielfältiges Gesamtprogramm bietet, kann der Rundfunkbeitrag verfassungswidrig sein. Es gebe dafür aber hohe Hürden. Nun muss sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erneut mit dem Fall befassen. So urteilte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am Mittwoch (Urt. v. 15.10.2025, Az. 6 C 5.24), wie Medien berichten.
„Wenn das Gesamtprogrammangebot Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt“
Das Gericht schränkt diese Aussage in einer Pressemitteilung zu dem Urteil folgendermaßen ein:
„Die Erhebung des Rundfunkbeitrags steht erst dann mit Verfassungsrecht nicht mehr in Einklang, wenn das Gesamtprogrammangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.“
Hintergrund: Eine Klägerin hatte sich laut der Presseerklärung des Gerichts gegen ihre Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags für die Monate Oktober 2021 bis März 2022 gewandt. Sie mache geltend, ihr stehe ein Leistungsverweigerungsrecht zu, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein vielfältiges und ausgewogenes Programm biete und er der vorherrschenden staatlichen Meinungsmacht als Erfüllungsgehilfe diene. Damit fehle es an einem individuellen Vorteil, der die Beitragspflicht rechtfertige. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte laut BVerwG sein Berufungsurteil darauf gestützt, dass der die Erhebung des Rundfunkbeitrags rechtfertigende Vorteil allein in der individuellen Möglichkeit liege, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen zu können. Auf die Frage, ob strukturelle Defizite bei der Erfüllung des Funktionsauftrags vorlägen, komme es daher nicht an. Der Klägerin stehe die Möglichkeit einer Programmbeschwerde offen.
Diesem Standpunkt hält das Urteil der BVerwG nun entgegen, dass es aber sehr wohl an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Beitragspflicht des § 2 Abs. 1 RBStV fehle, „wenn das Gesamtprogrammangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich“ missachte.
„Evidente und regelmäßige Defizite“
Die Schwelle für eine Verletzung dieses „Äquivalenzgebots“ sei jedoch hoch, so das BVerwG. Sie müsse dem weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung einer Beitragspflicht Rechnung tragen und setze daher ein grobes Missverhältnis zwischen Abgabenlast und Programmqualität voraus. Zudem sei es schwierig festzustellen, ob die gebotene Abbildung der Meinungsvielfalt und deren ausgewogene Darstellung im Gesamtprogrammangebot tatsächlich gelingt.
Außerdem sei der grundrechtlich verbürgten Programmfreiheit Rechnung zu tragen, so das Gericht. Diese berechtige und verpflichte die Rundfunkanstalten, die sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen – ergebenden Anforderungen an die Erfüllung des Rundfunkauftrags „eigenverantwortlich sicherzustellen und anhand anerkannter Maßstäbe zu bestimmen, was der Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt“. Das BVerwG ergänzt in seiner Pressemitteilung:
„Vor diesem Hintergrund ist die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags erst dann in Frage gestellt, wenn das aus Hörfunk, Fernsehen und Telemedien bestehende mediale Gesamtangebot aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter über einen längeren Zeitraum evidente und regelmäßige Defizite hinsichtlich der gegenständlichen und meinungsmäßigen Vielfalt erkennen lässt.“
Weitere Details und Infos finden sich in der Presseerklärung des Gerichts und in den in diesem Text verlinkten Artikeln.
„Hohe Hürden“
Dass die „Tagesschau“ des ÖRR nun etwa in diesem Artikel besonders die „hohen Hürden“ betont, die das Gericht gegenüber Klagen gegen den Rundfunkbeitrag errichtet habe, sollte nicht verwundern. Wie es vor den Gerichten nun weitergehen könnte, beschreibt die Süddeutsche Zeitung:
„Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren deshalb an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) zurückverwiesen, dem nun eine spektakuläre Beweisaufnahme bevorsteht, wahrscheinlich unter Beteiligung einer Heerschar wissenschaftliche Gutachter: Ist das öffentlich-rechtliche Angebot noch vielfältig, ausgewogen, staatsfern? Oder bleibt es unterhalb der verfassungsrechtlichen Schwelle, die eine Beitragspflicht rechtfertigt?“
Unausgewogenheit des ÖRR ist offensichtlich
Die vom BVerwG formulierten Hürden sind aber nicht unüberwindlich, darum kann das Urteil auch Anlass für vorsichtigen Optimismus sein: So sollte etwa die gerichtliche Bedingung, dass „ein grobes Missverhältnis zwischen Abgabenlast und Programmqualität“ vorausgesetzt werden müsse, eigentlich zu belegen sein: Die bei vielen Themen praktizierte schamlose Unausgewogenheit im ÖRR ist meiner Meinung nach nicht zu leugnen. Die „Programmqualität“ ist entsprechend oft als geradezu unterirdisch zu bezeichnen.
Eine weitere Voraussetzung, die das Gericht formuliert, ist die Beweisführung, dass das „Gesamtprogrammangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt“.
Auch diese Beweisführung sollte (zumindest theoretisch) allemal möglich sein, denn die Verfehlung der Vielfalt durch das ÖRR-Programm ist in meinen Augen eine offensichtliche Tatsache: Extreme Beispiele dafür wären (unter vielen anderen Themenbereichen!) die Kampagnen zur Corona-Politik und die aktuelle Meinungsmache für die Militarisierung der Gesellschaft. Diese Defizite sind meiner Meinung nach auch „evident“ und „regelmäßig“.
Titelbild: Shutterstock / nitpicker