Nach dem Bundeswehr-Comic „Ben dient Deutschland“ folgt die Realität: Schüler „Bentik darf den Mund halten“

Nach dem Bundeswehr-Comic „Ben dient Deutschland“ folgt die Realität: Schüler „Bentik darf den Mund halten“

Nach dem Bundeswehr-Comic „Ben dient Deutschland“ folgt die Realität: Schüler „Bentik darf den Mund halten“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Nach dem Besuch eines Jugendoffiziers am Angell-Gymnasium in Freiburg sieht sich ein ehemaliger Schüler mit einer Anzeige wegen Beleidigung konfrontiert. Laut Medienberichten hat die zuständige Staatsanwaltschaft sogar bereits Anklage erhoben. Der Grund: Der 18-jährige „Bentik“, der zur Zeit des Besuchs des Jugendoffiziers noch Schüler an dem ehrwürdigen Gymnasiums war, hat sich Kritik erlaubt, die großen Unmut auf sich gezogen hat und von strafrechtlicher Relevanz sein soll. Eine Bundeswehr, die an die Schulen geht, und bundeswehrkritische Schüler? Das passt offensichtlich nicht zusammen. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Es war im vergangenen Jahr. Da hat die Öffentlichkeit erfahren: „Ben dient Deutschland“. So lautet nämlich der Titel eines von der Bundeswehr veröffentlichten Comics. In dem Comic ist dargestellt, wie ein Teenager überlegt, zur Bundeswehr zu gehen. Am Ende der Überlegungen steht die Entscheidung: Auf zur Bundeswehr! Und am Ende der Geschichte steht der fertig ausgebildete Soldat Ben, der seinen Dienst leistet. Eines der letzten Bilder zeigt einen Kasernenhof – in Litauen.

Im Comic, das ist aus propagandistischer Sicht interessant, wird Kritik nicht ausgeblendet. Eine Diskussion wird sichtbar über den Sinn der Entscheidung, die Argumente dafür und dagegen. Auch Kriegsverbrechen werden thematisiert, genauso wie Kritik am US-Militär. Ben wird gezeichnet als junger Mann, der sich seine eigenen Gedanken macht. Gewiss: Am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf.

Soweit die Comic-Welt. Nun zur Realität. Dort wird – zugespitzt – aus „Ben dient Deutschland“ „der Schüler Bentik darf den Mund nicht aufmachen“.

Den Fall breiter publik gemacht hat die Informationsstelle gegen Militarisierung (IMI). In einer Veröffentlichung unter Berufung auf den Instagram-Kanal des Nachrichtenblogs jugend.info heißt es, ein Schüler des Angell-Gymnasiums in Freiburg habe ein Meme veröffentlicht, das Unmut auf sich gezogen habe.

Das auf Instagram gepostete Meme stellt einen Jugendoffizier dar, der mit einem Gewehr vor einer Schulklasse steht, im Hintergrund befindet sich auf einem Bildschirm das Motto des Vortrags, welchen der Jugendoffizier vor der Klasse gehalten hat („Demokratie verteidigen – aber wie?“), sowie eine Pointe im Sinne eines vermeintlichen Zitats des Offiziers, welches heißt: „Also Kinder, wer von euch würde gerne an der Ostfront sterben?“, heißt es in der IMI-Veröffentlichung.

Nun sieht sich „Bentik“ einer Anzeige ausgesetzt – und einer Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft. Die linke Zeitung junge Welt spricht mit beißender Ironie vom „Wehrkraftzersetzer des Tages“.

Zunächst wurde berichtet, dass die Bundeswehr selbst „Bentik“ angezeigt haben soll. Laut den Recherchen des Journalisten Norbert Häring und der Berliner Zeitung ist dies jedoch nicht der Fall. Stattdessen habe der Jugendoffizier selbst Anzeige erstattet.

Der genaue Grund liegt im Vagen.

In den sozialen Medien wurde ein Meme verbreitet, das stilisiert einen gesichtslosen Angehörigen der Bundeswehr zeigt, der scheinbar in einem Klassensaal steht. An der Wand ist zu lesen: „Demokratie verteidigen – aber wie?“ Und darunter steht: „Also Kinder, wer von euch würde gerne an der Ostfront sterben?“

Die Berliner Zeitung schreibt:

Wie die Staatsanwaltschaft Freiburg auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilt, wurde die Anzeige nicht von der Bundeswehr als Institution, sondern von dem betroffenen Offizier persönlich gestellt. Der Vorwurf: Der Schüler habe nach einer Veranstaltung des Offiziers an der Schule zwei Fotos bearbeitet und verbreitet. Diese Darstellungen, so die Staatsanwaltschaft, unterstellten dem Offizier „persönliche Verbindungen zur nationalsozialistischen Organisation SS“ sowie eine „verfassungswidrige, menschenverachtende Grundeinstellung“.

Wie diese „Fotos“ aber konkret aussehen, ist öffentlich nicht bekannt.

Nun ist natürlich etwa eine Verbreitung von verfassungswidrigen Symbolen oder eine „verfassungswidrige, menschverachtende Grundeinstellung usw. nicht schönzureden. Insgesamt aber mutet der Vorfall dennoch grotesk an. Und die Frage darf gestellt werden:

Schießt „das Militär“ etwa mit Kanonen auf Spatzen?

Dass Jugendoffiziere der Bundeswehr überhaupt in Schulen gehen, ist schon schlimm genug. Dass nach einem solchen Besuch auch noch ein juristisches Nachspiel zu bestaunen ist, verweist auf ein grundlegendes Problem. Emotionen liegen blank. Bundeswehrkritische Schüler, die aus guten Gründen mit den Besuchen von Jugendoffizieren ein Problem haben, überdrehen möglicherweise ihre Kritik – dass aber dann am Ende Teenager, noch halbe Kinder, sich mit einem Strafverfahren konfrontiert sehen, lässt tief blicken.

Willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag‘ ich dir den Schädel ein – das wird hoffentlich nicht das neue Rekrutierungsmotto.

Müssen sich Schüler nun nach diesem Vorfall davor fürchten, Auftritten von Jugendoffizieren an Schulen mit kritischen Gedanken zu begegnen? Müssen Schülern nun, bevor sie den Mund aufmachen, den Anwalt ihres Vertrauens konsultieren, um sicherzugehen, dass geäußerte Kritik nicht die „harten Kerle“ von der Truppe beleidigt oder, aus welchen Gründen auch immer, juristische Folgen nach sich ziehen wird?

Das Portal Perspektive hat ein Interview mit „Bentik“ veröffentlich – von „SS-Symbolen“ ist dort nicht die Rede.

Wie auch immer im Detail das Geschehen um „Bentik“ einzuordnen ist: Nach diesem Vorfall müssten alle Schulen, die ihren pädagogischen Auftrag ernst nehmen, der Bundeswehr den Zutritt verweigern. Laut der IMI sei vonseiten des Gymnasiums „Druck“ auf den Schüler ausgeübt worden.

Die Bildungsdefizite auch an den Schulen sind leider allgegenwärtig. Ob den Lehrern an unseren Schulen der Name „Kantorek“ noch etwas sagt?

Kantorek heißt die Figur des Lehrers in Erich Maria Remarques großartigem Werk „Im Westen nichts Neues“. Anstatt seine Schüler vor den Schrecken des Krieges zu warnen, stachelt Kantorek die Schüler auf und versucht, ihre Kriegsbegeisterung zu wecken. Im Buch heißt es:

Man kann Kantorek natürlich nicht damit in Zusammenhang bringen; – wo bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle überzeugt waren, auf eine für sie bequeme Weise das Beste zu tun. Darin liegt aber gerade für uns ihr Bankrott. Sie sollten uns Achtzehnjährigen Vermittler und Führer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. (…) Mit dem Begriff der Autorität, dessen Träger sie waren, verbanden sich in unseren Gedanken größere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrümmerte diese Überzeugung. Wir mußten erkennen, daß unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm stürzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten. Während sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende; – während sie den Dienst am Staate als das Größte bezeichneten, wußten wir bereits, daß die Todesangst stärker ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge – alle diese Ausdrücke waren ihnen ja so leicht zur Hand –, wir liebten unsere Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; – aber wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir sahen, daß nichts von ihrer Welt übrig blieb.

Eindringlich kommt hier das Versagen der Bildungsinstitution Schule zum Vorschein. Das war damals – zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Lange ist es her. Vielleicht lässt sich dieses Verhalten noch dadurch entschuldigen, dass es damals schwieriger war, an kritische Informationen zu gelangen und Propaganda selbst zu dekonstruieren. Heute kann diese Entschuldigung aber nicht mehr gelten.

Die Erfahrung zeigt: Obwohl kritische Informationen zum politischen Großprojekt Kriegstüchtigkeit nur einen Mausklick entfernt sind, herrscht auch aufseiten so mancher Lehrerschaft oft eine große Ignoranz, ja, ein regelrechter Unwillen vor, die bequemen Erzählungen, wie sie „Tagesschau“ und Co. bieten, wahrlich kritisch zu hinterfragen.

Am Ende öffnen Schulleiter oder Direktoren für Jugendoffiziere die Türen der Schule und unterliegen wahrscheinlich selbst manche der propagandistischen Erzählung einer politisch herbeihalluzinierten „Zeitenwende“.

Wo ist der Verstand, wo ist das Rückgrat aufseiten der Lehrerschaft? Wo sind die Lehrer, die bundeswehrkritischen Schülern zur Seite stehen? Oder stehen in den Klassenräumen heute wieder nur Kantoreks?

Titelbild: Serhii Yevdokymov/shutterstock.com

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!