Der geplante Mega-Verkauf von Auslandsvermögen des russischen Ölkonzerns Lukoil im Wert von 22 Milliarden US-Dollar an das Schweizer Unternehmen Gunvor ist durch US-Sanktionen in letzter Minute geplatzt. Nun tickt die Uhr: Bis zum 21. November muss das Unternehmen einen Käufer finden, bevor die Sanktionen sein internationales Geschäft komplett lahmlegen. Weltweit kämpfen Staaten und Konzerne um die billigen Überreste des Lukoil-Imperiums, während in Europa (besonders Bulgarien und Finnland) die Angst vor einem akuten Versorgungsengpass im Winter wächst. Die spannende Frage ist: Gelingt die Rettung durch andere internationale Käufer oder übernimmt der Rivale Rosneft die zerschlagene Lukoil? Eine Analyse von Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.
Nachdem die USA Sanktionen gegen die beiden größten russischen Ölkonzerne Lukoil und Rosneft verhängt haben, blockierte Washington – das global agierende Energiehandelsunternehmen Gunvor mit Schweizer Sitz als „Kreml-Marionette“ bezeichnend – auch den geplanten Verkauf von Lukoil-Auslandsvermögen an Gunvor. Diese Entscheidung könnte dem russischen Ölunternehmen einen Verlust von bis zu 14 Milliarden Euro zufügen. Sie hat Gerüchte über eine mögliche Übernahme der „angeschlagenen“ Lukoil durch den ebenfalls sanktionierten Ölriesen Rosneft wieder aufleben lassen. Ein solches Vorhaben von Rosneft-Chef Igor Setschin, einem engen Vertrauten von Präsident Wladimir Putin, wurde vom russischen Präsidenten in der Vergangenheit jedoch mehrfach blockiert.
Die beiden Unternehmen Lukoil und Rosneft sind für etwa die Hälfte der gesamten russischen Ölexporte von täglich 5,1 Millionen Barrel verantwortlich. Lukoil allein sichert rund zwei Prozent der globalen Ölproduktion. Doch auch mehrere internationale Akteure des Energiesektors zeigen starkes Interesse an den nun wieder zum Verkauf stehenden ausländischen Vermögenswerten von Lukoil. Dem Unternehmen bleibt nur noch Zeit bis zum 21. November, um sein über Jahrzehnte aufgebautes internationales Geschäft zu verkaufen oder abzuschreiben, bevor die US-Sanktionen vollumfänglich greifen.
Gleichzeitig suchen einige europäische Länder verzweifelt nach Lösungen, um ihre Abhängigkeit von dem sanktionierten Unternehmen zu beenden und die Versorgungssicherheit im Winter zu gewährleisten.
Der beabsichtigte Mega-Deal
Gunvor zog sein 22-Milliarden-Dollar-Angebot für den Kauf der internationalen Vermögenswerte von Lukoil zurück, nachdem die Vereinigten Staaten beschlossen hatten, das Geschäft zu blockieren. Das US-Finanzministerium erklärte in einem Post auf der Plattform X (ehemals Twitter), es werde dem Schweizer Handelsunternehmen keine Genehmigung zur Verwaltung der Lukoil-Vermögenswerte erteilen, „solange Putin seine sinnlosen Morde“ in der Ukraine fortsetze. Das Ministerium bezeichnete Gunvor, das von einem engen Verbündeten des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegründet wurde, der sich aber später vom Land zu distanzieren versuchte, als „Kreml-Marionette“.
Lukoil begann mit der Suche nach Käufern für seine internationalen Vermögenswerte – einschließlich seiner US-Aktivitäten –, nachdem die Regierung von Donald Trump im Oktober umfassende Sanktionen gegen den russischen Ölriesen verhängt hatte. Diese Maßnahmen, die auch die vom Kreml kontrollierte Rosneft betreffen, haben Washingtons Druck auf Putin zur Beendigung des Krieges in der Ukraine verstärkt.
Die Erklärung des US-Finanzministeriums zu Gunvor ist der jüngste Schritt in Washingtons Strategie, die Kanäle für russische Ölexporte zu unterbrechen, die weiterhin eine zentrale Finanzierungsquelle für Moskaus Militäroperationen darstellen. Lukoil erwog nach der Verhängung der US-Sanktionen den Verkauf ausländischer Vermögenswerte im Wert von 22 Milliarden US-Dollar in Europa und im Nahen Osten.
Mit dem Rückzug droht ein Geschäft von kaum fassbarer Größe zu scheitern. Der Wert des internationalen Geschäfts von Lukoil beträgt 22 Milliarden US-Dollar, mehr als das Dreifache des Eigenkapitals von Gunvor. Durch das Geschäft hätte Gunvor sich schlagartig von einem der größten Ölhandelsunternehmen der Welt in einen riesigen, integrierten Ölindustrie-Koloss verwandeln können. Das zum Verkauf stehende Paket enthielt alles, was zur globalen Ölmarkt-Dominanz notwendig war: Raffinerien in wichtigen europäischen Häfen, enorme Produktionskapazitäten und ein Tankstellennetz, das einen Großteil der Welt umspannt. Das Unternehmen hätte damit eine Ölförderkapazität von rund 440.000 Barrel pro Tag hinzugewonnen – was in etwa der gesamten Tagesproduktion Ecuadors entspricht.
Das mit Gunvor geplante Geschäft hätte die Raffinerien des Unternehmens in Rumänien und Bulgarien, sein Tankstellennetz in den Vereinigten Staaten und Europa sowie Öl- und Gasfelder im Nahen Osten, in Zentralasien und Afrika umfasst.
Lukoils globales Imperium
Lukoil, Russlands größtes privates Ölunternehmen, verfügt weltweit über ein Netz von rund 5.000 Tankstellen, wovon Hunderte in der EU betrieben werden, so in Belgien, Finnland, den baltischen Ländern und auf dem Balkan. Darüber hinaus betreibt Lukoil ein Netz von etwa 200 Tankstellen und damit verbundene Einzelhandelsgeschäfte (Convenience Stores) in den Vereinigten Staaten. Es betreibt riesige Raffinerien in Rumänien und Bulgarien – Neftochim Burgas, die größte Raffinerie auf dem Balkan, sowie Petrotel in Rumänien – und hält eine 45-prozentige Beteiligung an einer niederländischen Kraftstoffverarbeitungsanlage. Das größte ausländische Vermögen von Lukoil ist ein Ölfeld im Irak, eines der größten der Welt, an dem das Unternehmen eine 75-prozentige Beteiligung hält.
Die Raffinerie in Burgas deckt mehr als zwei Drittel des bulgarischen Kraftstoffbedarfs, während die rumänische Petrotel-Raffinerie etwa ein Drittel der Raffineriekapazität des Landes ausmacht. Lukoil ist aber auch in Zentralasien präsent. In Usbekistan hält es beispielsweise zusammen mit Uzbekneftegaz den Kandym-Gasverarbeitungskomplex. Dies ist jedoch nicht das einzige Projekt von Lukoil im Gasproduktions- und Verarbeitungssektor des Landes, ganz zu schweigen vom ausgedehnten Tankstellennetz des Unternehmens.
Gunvor wehrt sich gegen Vorwürfe
Als Reaktion auf die Mitteilung des US-Finanzministeriums nannte Gunvor die Behauptungen über das Unternehmen als im Grunde fehlerhaft und falsch. Das Unternehmen betonte, dass es in seinen Geschäften mit Russland „offen und transparent“ gehandelt habe und sich in den letzten „mehr als zehn Jahren bemüht habe, sich von Russland zu distanzieren“. Zuvor hatte Gunvor kontinuierlich mit den für die US-Sanktionen zuständigen Behörden verhandelt, um die Genehmigung für das Geschäft zu erhalten. Offenbar waren dies nicht die erfolgreichsten Verhandlungen des Unternehmens seit seiner Gründung.
Die Schweizer Gunvor wurde in den 1990er-Jahren von dem Unternehmer Torbjörn Törnqvist gemeinsam mit Gennadi Timtschenko, einem der engsten Verbündeten Putins, gegründet.
Die entschlossene Haltung der USA hat die früheren russischen Verbindungen von Gunvor wieder ans Licht gebracht. Der Schatten der Vergangenheit hat das Unternehmen nun wieder eingeholt. Törnqvist hatte zuvor gerade erklärt, das Geschäft hätte einen Bruch mit der Verwaltung der Lukoil-Vermögenswerte unter russischem Einfluss bedeutet. Das US-Finanzministerium behauptete bereits 2014, dass Putin Beteiligungen an Gunvor habe. Nach dem Anschluss der Krim an Russland wurde Timtschenko mit US-Sanktionen belegt und verkaufte seine Anteile an dem Unternehmen an Törnqvist, der bis heute Geschäftsführer (CEO) ist. Vertreter von Gunvor behaupten, dass Timtschenko seit dem Verkauf seiner Anteile „keine Verbindung“ mehr zu dem Unternehmen habe.
Es sieht so aus, als würde die gigantische Transaktion im Wert von 22 Milliarden Dollar, die die Landkarte des globalen Ölmarktes neu gezeichnet hätte, nicht zustande kommen. Was wird nun aus der Ölversorgung und dem Schicksal von Lukoil?
Mit dem Rückzug von Gunvor stehen die internationalen Beteiligungen von Lukoil wieder zum Verkauf. Eine Frage ist, ob es einen anderen Käufer gibt, der ein Angebot abgeben kann, ohne den Zorn Washingtons befürchten zu müssen. Die andere ist, welche Auswirkungen der Rückzug auf die Versorgung hat. Dies ist besonders relevant, wenn die US-amerikanischen, britischen und europäischen Behörden die Genehmigung für die Abwicklung der noch laufenden Transaktionen der Lukoil-Gruppe nicht verlängern.
Es überrascht daher nicht, dass das Interesse an den ausländischen Vermögenswerten von Lukoil in der Hoffnung auf günstige Konditionen groß ist. Wie die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg es ausdrückt, ist von Europa über Zentralasien bis zum Nahen Osten der Kampf um das Vermögen von Lukoil entbrannt.
Beispiele für Interessenten und Maßnahmen
Während das Lukoil-Imperium zerfällt, hoffen Regierungen und Partner, die ausländischen Vermögenswerte des Unternehmens zu niedrigen Preisen zu erwerben. Das staatliche Unternehmen Kasachstans KazMunayGas soll Berichten zufolge ein Angebot für die Vermögenswerte von Lukoil in dem Land vorbereiten. Lukoil hält neben Eni, Shell, Chevron und KazMunayGas eine Beteiligung an Karachaganak in Kasachstan, einem der weltweit größten Öl- und Gaskondensatfelder. Nach Angaben des kasachischen Energieministeriums werden die Projektteilnehmer unter Berücksichtigung der Sanktionen über eine neue Partnerschaft entscheiden.
Shell, eines der weltweit größten Mineralöl- und Erdgasunternehmen mit Sitz in London, interessiert sich für die Tiefseeblöcke von Lukoil in Ghana und Nigeria. In Ägypten hält Lukoil drei Konzessionen [Anm. Red.: Genehmigung einer Behörde für eine gewerbliche Tätigkeit] und hat die Regierung über Pläne für einen möglichen Verkauf der Vermögenswerte informiert. Unterdessen hat die moldauische Regierung Verhandlungen über die Verstaatlichung der Infrastruktur von Lukoil am Flughafen Chișinău aufgenommen.
Das russische Unternehmen steht vor einem ernsten Dilemma. Der Verkauf könnte zur Einfrierung von Einnahmen führen, während das Warten zur Verstaatlichung bestimmter Vermögenswerte führen kann.
Sorgen in Europa
Die betroffenen Regierungen in Europa und im Nahen Osten sind bestrebt, die ausländischen Vermögenswerte von Lukoil zu erhalten. Bulgarien und Rumänien führen Gespräche mit dem US-Finanzministerium, um den Betrieb der größten Ölraffinerie in Burgas zu erhalten und die Kontrolle darüber zu erlangen. Bisher ist es jedoch nur Ungarn – und Deutschland für die Raffinerie in Schwedt – gelungen, eine Ausnahmeregelung von den Sanktionen zu erhalten.
Nach der Ankündigung der Sanktionen, die am 21. November in Kraft treten, verfügt Bulgarien nur noch über Benzinvorräte für einen Monat, was in Sofia angesichts der Kraftstoffversorgung vor dem Winter Besorgnis ausgelöst hat. Nach Angaben der Bulgarischen Staatlichen Reserveagentur verfügt das Land über Dieselvorräte für 50 Tage und Benzin für 35 Tage. Lukoil betreibt die Ölraffinerie in Burgas, ein Schlüsselelement des ausländischen Geschäftsimperiums des Unternehmens, sowie Hunderte von Tankstellen. Sollte sich die Krise weiter zuspitzen, droht Bulgarien ein Regierungssturz.
Daher wollen Bulgarien und Rumänien erreichen, dass die russischen Ölraffinerien von den Sanktionen ausgenommen werden. Zu diesem Zweck neigen sowohl Sofia als auch Bukarest dazu, das deutsche Modell zu kopieren und die Kontrolle über die Raffinerien durch den Staat zu übernehmen. Nach bulgarischen Vorstellungen könnte der Staat die Raffinerie sogar verkaufen, und Lukoil würde den Erlös erst nach Aufhebung der Sanktionen erhalten. Die moldauischen Behörden verhandeln unterdessen auch mit Lukoil über den Kauf eines Kraftstofflagers für den Flughafen Chișinău.
Auch in Finnland verursachen die Sanktionen vorübergehende Versorgungsprobleme. Die hundertprozentige Lukoil-Tochter Teboil verfügt über 430 Tankstellen, was etwa einem Fünftel der 2.250 Tankstellen des nordischen Landes entspricht. Laut der finnischen Tageszeitung Helsingin Sanomat (HS) gehen der Tankstellenkette Teboil die Kraftstoffe aus, was dazu führt, dass an einigen Stationen bereits bestimmte Kraftstoffarten vergriffen sind.
Dies ist das erste EU-Land, in dem Tankstellen schließen müssen, da die US-Sanktionen den Betrieb der Muttergesellschaft behindern. Die finnische Finanzaufsichtsbehörde erklärte im Oktober, dass Banken und andere finnische Institutionen, die ihrer Regulierung unterliegen, bei Geschäften mit Lukoil und den direkt oder indirekt im Besitz befindlichen Unternehmen vorsichtig vorgehen müssen.
Bedrohung durch „Höhere Gewalt“
Lukoil hatte zuvor „höhere Gewalt“ (vis maior) auf einem irakischen Ölfeld erklärt, was mit dem Ausfall der Produktion des als Kronjuwel des Unternehmens geltenden Vorkommens droht. Das West-Qurna-2-Feld ist eines der größten Ölfelder der Welt und liefert derzeit täglich etwa 480.000 Barrel, fast neun Prozent der gesamten irakischen Produktion. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass Lukoil am 7. November seine ausländischen Mitarbeiter entlassen und nur russische und irakische Fachkräfte behalten habe.
Der Irak ist lediglich ein Beispiel für die weitreichenden Sanktionsfolgen. Viele Partnerunternehmen haben ihre Zahlungen an Lukoil eingestellt, bis das Verbot aufgehoben oder eine Lösung gefunden ist. Die Gefahr besteht, dass zahlreiche weitere Auslandstöchter in den Zustand der „Höheren Gewalt“ abrutschen. Der russische Ölriese muss unverzüglich handeln, da die ab dem 21. November wirksamen Sanktionen seine internationale Marktpräsenz komplett unterbinden könnten.
Titelbild: Koshiro K / Shutterstock
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