Das Iran-Abkommen in der amerikanischen Politik
Hier folgt die neue Kolumne von Professor Norman Birnbaum, unten als Word- und hier als PDF-Datei [70 KB]. Er skizziert die Einstellung zum Iran-Abkommen und weist auf die großen Kampagnen hin, die gegen das Abkommen gefahren werden. Es wird massiver Druck auf Senatoren und Abgeordnete des Repräsentantenhauses ausgeübt. Siehe dazu auch eine aktuelle Meldung bei Zeit-online: „Atomabkommen: Republikaner wollen geschlossen gegen Atomabkommen stimmen“. Norman Birnbaum ist verhalten optimistisch, dass das dagegen zu erwartende Veto des Präsidenten Obama standhält und nicht überstimmt wird. – Wir danken Norman Birnbaum für seinen interessanten Text und wie immer Carsten Weikamp für die auch vom Autor geschätzte Übersetzung. Albrecht Müller.
Das Iran-Abkommen in der amerikanischen Politik
von Norman Birnbaum, Washington, 13. August 2015
Ein abgedroschenes Klischee besagt, dass Diplomaten Menschen sind, die für ihr Land lügen. Der sehr intelligente deutsche Botschafter in den USA, Peter Wittig, und sein nicht weniger intelligenter Gesandter, Philipp Ackermann, haben eine noch schwierigere Aufgabe. Sie sprechen mit Mitgliedern des US-Kongresses über das Abkommen mit dem Iran und versuchen ihren Gesprächspartnern zu vermitteln, was viele von ihnen nicht anerkennen können oder wollen. Sie erklären nämlich, dass Deutschland und die EU das Abkommen für das Optimum halten, das unter den aktuellen Umständen möglich ist, und dass eine Ablehnung im Kongress das Ende der Zusammenarbeit mit der EU (und auch mit China und Russland) in dieser Sache bedeuten würde. Sie weisen den Kongress darauf hin, dass die Öffentlichkeit in der EU und insbesondere in der Bundesrepublik sich nicht daran gebunden fühlt, den USA zu folgen, wenn diese den eigenen Präsidenten zurückweist und die Krise im Nahen Osten verschärft.
Präsident Obama, gerade im wohlverdienten 14-tägigen Urlaub auf Martha’s Vineyard, der Insel vor Massachusetts, hat unermüdlich und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen versucht, die Nation davon zu überzeugen, dass das Abkommen ein Schritt hin zur Befriedung im Nahen Osten ist. Aktuell werden große Summen für politische Kampagnen, viele davon verzerrt, gegen das Abkommen ausgegeben. Die Öffentlichkeit ist schlecht informiert und viele hören dem Präsidenten nicht zu. Es kann also gut zu einer Ablehnung des Abkommens im Kongress kommen. In dem Fall wird der Präsident sein Veto gegen den entsprechenden Kongress-Beschluss einlegen und abwarten, wie der unvermeidliche Versuch ausgehen wird, sein Veto für nichtig zu erklären. Dazu bedürfte es einer Zweidrittel-Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat. Das Weiße Haus glaubt im Moment, dass ausreichend Senatoren das Veto unterstützen werden (37 Stimmen sind nötig), um die Opposition zu überstimmen. Genauso zuversichtlich ist man, im Repräsentantenhaus ausreichend demokratische Stimmen zu haben, um das Veto aufrecht zu erhalten.
Die Opposition ist eine zusammenhangslose Front sehr verschiedener ideologischer und politischer Blöcke, die sich die am weitesten verbreiteten Geisteshaltungen im Hinblick auf die Außenpolitik zunutze machen: Angst und Unwissenheit. Viele der Anführer der einzelnen Blöcke sind alles andere als unwissend, sie sind im Gegenteil genauso zynisch wie die Koalition, die die aktuelle Phase des Zerfalls im Nahen Osten eingeleitet haben mit der Invasion Afghanistans und des Irak 2002. Der Präsident hat darauf hingewiesen, dass in viele Fällen die Gegner des Abkommens mit dem Iran genau die Gruppen und Personen sind, die die Verantwortung für das Chaos im Nahen Osten tragen.
Es geht dabei nicht allein um Geopolitik. Der ursprüngliche Aspekt des Widerstands gegen das Abkommen ist die prinzipielle Einstellung der Republikaner, alles zu verneinen, was der Präsident vorschlägt. Das ist die zur Strategie erhobene Taktik der Republikaner im Hinblick auf innen- und außenpolitische Themen, seit der Präsident im Januar 2009 ins Amt eingezogen ist. Als der republikanische Präsidentschaftskandidat Romney den Präsidenten 2012 anrief, um die Niederlage anzuerkennen und dem Amtsinhaber zum Sieg zu gratulieren, war seine Botschaft alles andere als vornehm. Er sagte dem Präsidenten, er habe ihm erfolgreich seine Wähler in Cleveland abgejagt, der größten Stadt in Ohio. Die Botschaft war eindeutig: Da er mit Hilfe einer großen Mehrheit von Afroamerikanern und Latinos gewählt worden sei, kann er nicht damit rechnen, von der weißen Mehrheit als legitim anerkannt zu werden. Und in der Tat reagieren 30% der Bürger positiv auf skeptische und hasserfüllte Aussagen über den Präsidenten. Das ist in vieler Hinsicht der Startpunkt im politischen Diskurs. Die republikanischen Präsidentschaftskandidaten sind sich einig in ihrer obsessiven Wiederholung der Anschuldigung, der Präsident sei schwach. Dass weder sie selbst noch ihre Kinder im Militär gedient haben, stört sie nicht. Zukünftige Historiker, die sich mit der amerikanischen Kultur des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert befassen, werden die Frage stellen müssen, was es mit diesem einzigartigen Kult militärischer Macht bei denen auf sich hat, die selbst nie gedient haben. Die innenpolitische Komponente dieses Komplexes ist die öffentliche Toleranz, häufig Unterstützung der Gewalt weißer Polizisten in afroamerikanischen und Latino-Gemeinden. Die nüchterne Distanz des Präsidenten von dieser Symptomatik bestätigt für viele jedenfalls die Überzeugung, dass er irgendwie ein Fremdling ist.
Es gibt eine Verbindung zwischen diesen innenpolitischen Prozessen und der Fortführung des American Empire. Die Konföderation plante, Zentralamerika und die Karibik zu erobern und in eine große Sklavenplantage zu verwandeln. Weiße Südstaatler sind besonders eifrige Befürworter des amerikanischen Imperialismus in seinen vielen Ausprägungen. Gerade seit sie im weißen Süden vorherrschend geworden sind, nachdem die Demokraten den Afroamerikanern Bürger- und Wahlrechte verschafft hatten, verstehen sich die Republikaner als die Partei der globalen US-Hegemonie. Sie haben die Entscheidung des Präsidenten, eine große Zahl von Truppen aus Afghanistan und dem Irak abzuziehen, und seine Weigerung, Bodentruppen in den Irak und nach Syrien zu entsenden, als Beweis für seine Schwäche, gar Sympathie für den muslimischen Protest ausgelegt. Seine Weigerung, den Iran und dessen Volk zu dämonisieren, bringt seine Kritiker in Rage.
Der Präsident hat die Öffentlichkeit gebeten, darüber nachzudenken, warum es für alle Probleme eine militärische Lösung geben soll, und ist dabei häufig von seinen eigenen Militärbefehlshabern unterstützt worden. Die haben klar gemacht, dass sie aus unterschiedlichsten Gründen dagegen sind, im Iran militärisch zu intervenieren. Sie befürchten unsichere militärische Folgen und sind intelligent genug, zu fragen, was danach folgt, politisch betrachtet, selbst, wenn die USA den Iran verwüsten würden. Der Präsident konnte sich in der Diskussion über das Abkommen auf ihre Unterstützung verlassen, häufig ganz explizit. Eine Gruppe angesehener pensionierter Diplomaten sowie Nachrichtendienst- und Militäroffiziere haben sich gerade erst für das Abkommen ausgesprochen. Es erfährt auch große Unterstützung von vielen Naturwissenschaftlern und auch den reflektierteren Unternehmern. Als der Präsident das Abkommen in einer kraftvollen Rede an der American University verteidigte, erinnerte er daran, dass genau dort am 10. Juni 1963 Präsident John F. Kennedy zu einem Waffenstillstand im Kalten Krieg aufgerufen und einen Vorschlag präsentiert hatte, aus dem dann als erster Schritt ein Vertrag zum Verbot von Atomtests in der Atmosphäre wurde.
Die Partei der globalen amerikanischen Hegemonie besteht zum Teil aus berechnenden Eliten und zum Teil aus ungebildeten Primitiven, ein bisschen wie der reiche republikanische Präsidentschaftskandidat Trump. Seine Außenpolitik besteht aus Äußerungen darüber, wie er Arabern, Chinesen, Europäern, Iranern, Lateinamerikanern und Russen – und überhaupt, dem Rest der Welt – befehlen würde, zu tun, was er verlangt. Das Spektakel ist offensichtlich absurd – aber es hat seine Wurzeln in einer Vorstellung amerikanischer Omnipotenz, die noch weit und tief in unserer Kultur verwurzelt ist. Das führt Gruppen zusammen, die so unterschiedlich sind wie die universitätsgebildeten und weitgereisten Eliten, die Foreign Affairs lesen und sich zwischen Forschungszentren, Regierung, Militär, Medien und den Universitäten hin und her bewegen, und ihre provinziellen Mitbürger. Obama selbst gehörte seit seiner Wahl zum Senator 2004 zu dieser Gruppe. Es ist hilfreich, sich daran zu erinnern, dass er die Präsidentschaftswahl 2008 mit dem Versprechen gewonnen hat, die Kriege in Afghanistan und im Irak zu beenden. Als Präsident hat er mit der enormen Trägheit der Kriegsführungsmaschinerie zu kämpfen, mit den akkumulierten ökonomischen und politischen Interessen des imperialistischen Projekts. Es kommen auch Erinnerungen an das Schicksal der Kennedys und Martin Luther Kings hoch.
Einige Dinge, die er gemacht oder zugelassen hat, sind so schlimm wie die Taten seines direkten Vorgängers, des zweiten Bush: Ausweitung der Überwachung von Bürgern Zuhause und im Ausland, Entführungen und außergerichtliche Tötungen eigener und fremder Staatsbürger, die des “Terrors” (einer immer weiter und dadurch immer unbrauchbar werdenden Kategorie) beschuldigt wurden, die aktive und passive Unterstützung widerlicher Regimes. Er hat jedoch, unterstützt von kritischen Elementen in der demokratischen Partei und in der außenpolitischen Elite, hin und wieder andere Wege beschritten. Denken Sie an die ziemlich bemerkenswerte Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kuba und den Versuch, der US-Präsenz in Afrika eine Dimension wirtschaftlicher Entwicklung und von Bürgerrechten hinzuzufügen. Es gibt auch Dinge, die er trotz großen Drucks nicht getan hat, die erwähnenswert sind: die Marine-Konfrontation Chinas direkt vor dessen Küste, und eine militärische Konfrontation Russlands in der Ukraine. Von ziemlicher Wichtigkeit und direkt verbunden mit dem Ringen um das Abkommen mit dem Iran ist auch sein allmähliches Abstandnehmen von Israel. Weder haben die USA aufgehört, Israels Bewaffnung zu zahlen, noch, es im UN-Sicherheitsrat zu stützen, und dennoch zeigt die israelische Regierung dem Präsidenten offen ihre Respektlosigkeit, mitunter aktive Feindseligkeit. Premierminister Netanjahu hat sich große Mühe gegeben, seine Wahlempfehlung für die Präsidentenwahl 2012 abzugeben: Obamas Konkurrent, Romney. In den letzten Wochen war Netanjahu in den amerikanischen Medien omnipräsent mit Einwänden gegen das Abkommen.
Viele der leidenschaftlichsten Unterstützter Israels in den USA sind gar keine Juden. Darunter sind unzählige Politiker (die nichts gegen große finanzielle Zuwendungen von Israel-Freunden haben, die jüdisch sind). Sie betrachten Israel als ein geopolitisches Kapital, als verlässlichen Alliierten im Kampf gegen den muslimischen “Terror”. Sie sind bereit, die Besetzung Palästinas und alles, was damit zusammenhängt, als etwas zu interpretieren, zu dem Israel in seinem Überlebenskampf gezwungen ist in „einer üblen Nachbarschaft“, wie es in Anlehnung an Beschreibungen urbaner Probleme in Amerika formuliert wird. Während ich dies schreibe, reist eine große Anzahl Kongressmitglieder durch Israel als Gäste amerikanischer jüdischer Organisationen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie mit Palästinensern sprechen werden. Die Frage wird sein, ob und wie es der israelischen Regierung gelingen wird, sie von den vielen israelischen Sicherheitskräften fernzuhalten, die meinen, dass das Abkommen mit dem Iran ein Unternehmen ist, das den Versuch lohnt. Einige der republikanischen Präsidentschaftskandidaten haben gelobt, dass ihre erste Amtshandlung, wenn sie 2017 das Amt übernehmen, sein wird, das Abkommen aufzukündigen. Ein paar andere haben versprochen, dass sie am ersten Tag im Amt die US-Streitkräfte anweisen werden, den Iran zu bombardieren. Es ist zwar schwer zu glauben, dass die Israelis, über das ganze politische Spektrum gesehen, diese waghalsigen Ankündigungen für bare Münze nehmen. Sie sind allerdings Zeichen dafür, welch große Rolle Israel in der geopolitischen Welt der amerikanischen Rechten spielt.
Das ist nicht zuletzt den apokalyptischen Vorstellungen jenes beträchtlichen Segments des amerikanischen Protestantismus (vielleicht 20% der Gesamtbevölkerung) geschuldet, das glaubt, dass die Errichtung des Jüdischen Staates der Beweis für die unmittelbar bevorstehende Rückkehr von Jesus sei. Viele glauben, dass zwar Millionen von Juden in Israel in den letzten Tagen zugrunde gehen, eine bestimmte Zahl aber konvertieren und in ein glückliches zukünftiges Leben herübergerettet werden. Die amerikanischen jüdischen Organisationen, die Israel unterstützen, ziehen es vor, sich nicht in diesen ziemlich zweischneidigen Vorstellungen zu ergehen. Sie sind dankbar für die Stimmen der gewählten Vertreter in Kongress und Senat, die wie sie davon überzeugt sind, dass Obama ein Agent einer fremden Macht ist und der Klimawandel eine Phantasiegeschichte, die sich Wissenschaftler ausgedacht haben. Deren Unterstützung wird von den pro-israelischen jüdischen Organisationen umso mehr begrüßt, denn große und einflussreiche Gruppen des amerikanischen Christentums (inklusive der Katholiken) kritisieren immer offener und zunehmend strenger die Besetzung Palästinas.
Natürlich sind die meisten jüdischen Organisationen gegen das Abkommen mit dem Iran. Einige reiche jüdische Unterstützer Israels geben Millionen für Kampagnen dagegen aus und versprechen die Finanzierung von Wahlkampagnen für die Kongressmitglieder, die sich noch nicht entschieden haben. Die jüdischen Organisationen sprechen allerdings nicht für alle amerikanischen Juden, und viele amerikanische Juden sind der Ansicht, dass die Milliardäre keine moralische Autorität besitzen. Die Umfragedaten sind nicht ohne inneren Widerspruch. Denken Sie daran, dass Obama trotz der israelischen Kampagnen gegen ihn 2012 etwa siebzig Prozent der jüdischen Stimmen bekommen hat. Mindestens die Hälfte der amerikanischen jüdischen Bevölkerung ist nicht der Meinung, dass Netanjahu für sie spricht, und ihre vorrangige Loyalität gilt den Vereinigten Staaten. Wie in anderen Fragen sind sie auch in der Iran-Frage auf Seiten des Präsidenten. Es gibt zwölf jüdische Senatoren, elf Demokraten und einen jüdischen Unabhängigen. In Summe sind es einhundert Senatoren. Im Repräsentantenhaus sind neunzehn jüdische Demokraten und ein Republikaner (von insgesamt 435 Abgeordneten). Einige haben noch nicht bekanntgegeben, wie sie zum Iran-Abkommen abstimmen wollen. Der prominente demokratische Senator aus New York, Charles Schumer, hat angegeben, dagegen zu stimmen – und damit möglicherweise seinen Chancen geschadet, die Führungsrolle unter den demokratischen Senatoren anzunehmen. Die andere Senatorin aus New York, Kirsten Gillebrand, hat angekündigt, den Präsidenten zu unterstützen – sie scheint keine Angst um ihre Wiederwahl in einem Staat mit hoher jüdischer Wählerschaft zu haben. Am Ende werden vermutlich mindestens die Hälfte der jüdischen Senatoren und Kongressmitglieder hinter dem Präsidenten stehen.
Eine wahrscheinliche Langzeitfolge der Attacke der israelischen Regierung und ihrer amerikanischen Unterstützer auf den Präsidenten ist wohl unbeabsichtigt: Die Debatte innerhalb der amerikanischen Juden über Art und Ausmaß ihrer Verpflichtungen gegenüber Israel gewinnt an Intensität. Angesichts wachsender Zweifel in der amerikanischen Elite und den reflektierteren Segmenten der Öffentlichkeit an der militärischen und politischen Allianz mit Israel muss Netanjahu vielleicht erkennen, dass er seinen Einfluss massiv überschätzt hat. Sicher, die Voraussetzung für eine neue amerikanische Politik im Nahen Osten ist deutlich mehr Unparteilichkeit Israel und den Palästinensern gegenüber. Die israelische Friedenspartei ist momentan in politischer Finsternis. Der Abschluss des Abkommens mit dem Iran könnte ihr helfen, sich zu erholen. Auch das ist Teil der Strategie Obamas.