Peter Vonnahme schreibt in einem Zwischenruf, Terrorismus sei besiegbar

Peter Vonnahme
Ein Artikel von Peter Vonnahme

Wir empfehlen Ihnen diesen Text zur Lektüre. Der Autor, ein bekannter früherer Richter, schlägt das Notwendige vor: Wegzukommen von der Priorität für militärische Einsätze. Eigentlich etwas Selbstverständliches. Aber vom Pfad der Vernunft sind wir inzwischen weit entfernt. Umso wichtiger ist der Zwischenruf. Albrecht Müller.

Zwischenruf eines Blauäugigen
Terrorismus ist besiegbar
wenn wir umdenken

Peter Vonnahme (Richter i. R.)

Die terroristischen Anschläge seit 2015 (Charlie Hebdo, Stade de France, Bataclan-Theater, Flughafen Brüssel-Zaventem, U-Bahnhof Maalbeek, Orlando sowie zuletzt Promenade des Anglais in Nizza) gleichen sich auf eine gespenstische Art. Die Ähnlichkeit liegt nicht in der äußeren Form der Tatbegehung; diese differiert naturgemäß, abhängig vom Täter- und Opferkreis, von den Örtlichkeiten und vom Ziel der Attentate. Was sich jedoch gleicht, das sind die die öffentlichen Reaktionen, insbesondere die ritualisierte Betroffenheitsrhetorik der Politiker. Diese bekennen sich zum eigenen, „westlichen“ Lebensstil, zur europäischen Wertegemeinschaft, zur grenzüberschreitenden Solidarität und zur wachsamen Kampfbereitschaft („Wir befinden uns im Krieg“). Bei genauem Hinsehen werden wir jedoch Zeugen von tiefem Unverständnis der Problematik. Wir erleben Pathos, Patriotismus und vor allem beängstigende Ratlosigkeit.

Schlimm ist, dass sich dieses Szenario in immer kürzeren Zeitabständen wiederholt. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass auch Deutschland von großen Anschlägen nicht verschont bleiben wird. Es ist nur eine Frage der Zeit. Eine kleine Vorahnung hat uns der „Axt-Attentäter“ im Regionalzug nach Würzburg vor ein paar Tagen beschert.

Und was unternimmt die Politik? Sie macht das, was sie am besten kann. Sie legt die Stirn in Falten, kondoliert, beschwört, konferiert und erweckt den Anschein, dass sie handelt. Aber sie handelt nicht wirklich.

Schnellschüsse

Die Opfer von Nizza lagen noch in Planen gehüllt auf der Strandpromenade, da waren bereits die stets gleichen Fragen im öffentlichen Raum: Wo war die Polizei? Warum ist sie nicht rechtzeitig eingeschritten? Gab es kein Sicherheitskonzept? Hat man die terroristische Bedrohung unterschätzt? Gibt es Hinweise auf einen islamistischen Täterkreis? Und vor allem: Hätte das Blutbad verhindert werden können?

Die Antwort auf die letzte Frage müsste lauten: Nein, die Gefahr von terroristischen Anschlägen ist das Restrisiko unseres Lebensstils. Aber so entwaffnend ehrlich ist kein Polizeipräsident, kein Innenminister und schon gleich gar kein Regierungschef. Es wäre nämlich das Eingeständnis der eigenen Machtlosigkeit. Stattdessen wird beteuert, man habe alles Menschenmögliche getan, um die Veranstaltungsbesucher, Bahnreisenden und Flugtouristen nach bestem Wissen zu beschützen und künftig werde man noch mehr tun: mehr Überwachungskameras, mehr Straßensperren, Sicherheitskräfte verstärken, ja sogar der Einsatz von Bürgerwehren werde geprüft. Kurzum: Terrorabwehr mit Hardware! Außerdem werde die internationale Zusammenarbeit intensiviert. Leider sei es unvermeidbar, den Datenschutz weiter einzuschränken – zu unserem Wohle. Es gelte, Freiheit zugunsten von mehr Sicherheit zu opfern. Doch schon Benjamin Franklin wusste, dass man bei diesem Geschäft am Ende beides verlieren wird.

Bereits wenige Stunden nach einem Terroranschlag beginnt im öffentlich-rechtlichen Infotainment-TV das Stelldichein der nimmermüden Polit-Allzweckwaffen: Altmaier, Bosbach, de Maizière, Kubicki, Oppermann bis hin zu Scheuer, Stoiber, Trittin und Wagenknecht. Erfahrene TV-Konsumenten wissen im Voraus, dass der Erkenntnisgewinn gering sein wird. Auf die immer gleichen Fragen von Anne Will & Co. folgen die immer gleichen Antworten.

Terroristische Planungen und die Antwort „war on terror“

Währenddessen bereiten junge Männer, zumeist aus dem Nahen Osten oder aus dem Maghreb, ihre nächsten Aktionen vor. Sie kennen ihr Risiko, aber es schreckt sie nicht. Sie haben keine Angst vor dem Tod. Im Gegenteil, manche suchen ihn geradezu. Sie wollen als Märtyrer sterben, um der lustvollen Verheißungen ihrer religiösen Wahnvorstellungen teilhaftig zu werden. Die Tragik dieser jungen Männer ist, dass sie sich unmerklich von den Glaubensinhalten ihrer Religion entfernt haben – verführt und fehlgeleitet von fanatisierten Gotteskriegern.

Parallel dazu räsonieren unsere Sicherheitsexperten darüber, wie man mit scheinbar rationalen Maßnahmen (Polizeieinsatz, Schusswaffengebrauch, Überwachung, Aufklärung) den Zerstörungsphantasien von verblendeten Islamisten begegnen kann. Dabei wird übersehen, dass die Logik der künftigen Attentäter mit westlichen Denkschemata nichts gemein hat. Während wir den Anspruch erheben, bedrohtes Leben zu schützen, ist ihr Sinnen darauf gerichtet, durch hundert- und tausendfachen Mord an unschuldigen Menschen größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und flächendeckend Angst zu erzeugen.

Es scheint, dass ihr Plan in den letzten Jahren aufgegangen ist: Sie bestimmen den Takt des Todes, wir betrauern und bestatten die Opfer. Allmählich beginnen wir zu begreifen, dass es nahezu unmöglich ist, aberwitzige Terrorpläne im Vorfeld zu erkennen und ihre Ausführung zu verhindern. Welcher Analytiker hat schon die Phantasie sich vorzustellen, dass es einer Handvoll junger Männer aus dem Morgenland gelingen könnte, nahezu zeitgleich vier Passagiermaschinen in ihre Gewalt zu bringen, um mit ihnen unter Hingabe des eigenen Lebens die höchsten Türme und das Verteidigungsministerium der größten Militärmacht der Erde zu zerstören? Ein solches Szenario kommt nur in Fieberträumen vor. Oder wer kommt auf die absurde Idee, dass ein bisher unauffälliger Mann am französischen Nationalfeiertag mit einem gemieteten Lastwagen die von Feiernden gesäumte Strandpromenade in Nizza entlangfahren könnte in dem alleinigen Bestreben, möglichst viele Menschen zu überfahren?

Angesichts der offensichtlichen Schwierigkeit solche Planungen rechtzeitig zu erkennen, verfiel die westliche Politik auf die Idee, das Übel von Grund auf auszurotten. Man klassifizierte missliebige Staaten als Schurkenstaaten, erklärte sie als vogelfrei und entschied sich für den war on terror. Doch bald zeigte sich, dass man terroristische Aktionen nicht mit konventionellen Kriegen bekämpfen kann. Zu groß sind die Unterschiede. Der klassische Krieg ist dadurch gekennzeichnet, dass Staaten ihre Konflikte mittels Armeen und Feldherrn auf Schlachtfeldern austragen. Terroristische Aktionen hingegen werden jedoch nicht von Armeen, sondern von im Untergrund operierenden Kommandos ausgeführt. Nicht Materialschlachten und die Eroberung von Feindesland stehen im Vordergrund, sondern die zynische Absicht, mittels massenhafter Tötung Unschuldiger weltweit Aufmerksamkeit zu erlangen und dadurch psychischen Druck auf den militärisch hoch überlegenen Feind aufzubauen. Während Soldaten überleben wollen, benützt der „moderne“ Terrorist sein eigenes Leben als Waffe. Für solche Auseinandersetzungen („asymmetrische Kriege“) eignen sich Soldatenheere und Militärtechnologie nicht, weder zur Vorbeugung noch zur Abwehr von Übergriffen.

Irrweg

Die asymmetrischen Kriege haben zudem eine schlimme Nebenwirkung: Sie erzeugen neuen blutigen Terror. Die Erfahrungen der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass der war on terror häufig zum Terror gegen die Zivilbevölkerung mutiert. Präsident Barack Obama hat kürzlich eingeräumt, dass seit 2009 bei US-Drohneneinsätzen in Pakistan, Jemen, Somalia und Libyen zwischen 64 und 116 unschuldige Zivilisten getötet worden (sog. sog. Kollateralschäden). Andere Quellen sprechen von 1147 Opfern (The Guardian), Menschenrechtsorganisationen sogar von etwa 6000. Es bedarf wenig Phantasie sich vorzustellen, dass Angehörige und Freunde von unschuldigen Drohnen- oder Bombenopfern leicht für Vergeltungsaktionen („Terroranschläge“) zu gewinnen sind. Der Journalist und ehemalige CDU-Abgeordnete Jürgen Todenhöfer sagte kürzlich in einem Gespräch mit WDR2: “Wir haben jetzt 14 Jahre lang „Krieg gegen den Terror“ geführt. Am Anfang hatten wir ein paar hundert international gefährliche Terroristen, jetzt haben wir über 100.000.” Auch wenn diese Zahl nicht genau überprüfbar ist, zeigt sie eine gefährliche Tendenz auf. Wir befinden uns auf einem Irrweg.

So werden wir es nicht schaffen.

Wir müssen umdenken.

Wenn wir Terrorismus ernsthaft eindämmen wollen, kommen wir nicht umhin, neue Wege zu beschreiten. Sie bieten eine weitaus bessere Zukunftschance als das phantasielose Weiterlaufen auf falschen Wegen. Prinzip Hoffnung.

Es gibt allerdings keine Garantie, dass die Kursänderung geradlinig und schnell zum Ziel führt. Unsere Geduld wird gefragt sein und Rückschläge werden nicht ausbleiben. Diese Einschränkung gilt jedoch für die bisherige Sicherheitsdoktrin erst recht. Das wuchernde Krebsgeschwür des Terrorismus beweist es jeden Tag aufs Neue.

Wir müssen umdenken.

Unser bisheriges Denken geht in die falsche Richtung. Die alte gescheiterte Politik fragt immer: Wie kann man geplante Attentate im Voraus erkennen? Mit welchen Mitteln kann man Terroristen unschädlich machen? Welche Sicherheitsmaßnahmen sind zu verstärken? Das ist zu wenig! Mehr Soldaten, mehr Polizisten und mehr Überwachung sind eine unzureichende Antwort. Natürlich ist Präventionsdenken vonnöten, aber genau genommen setzt es zu spät an. Wenn ein junger Mann erst mal zum Terroristen geworden ist, ist die Schlacht fast schon verloren. Richtigerweise sollte also gefragt werden: Was kann man tun, damit junge Männer gar nicht erst zu Terroristen werden? Wie kann man den Sumpf austrocknen, auf dem Terrorismus gedeiht?

Erforderlich ist ein schonungsloser Blick auf die Hintergründe des Terrorismus, auch auf eigene Fehler der Vergangenheit.

Die „Fehlersuche“ erfordert große Offenheit und die Bereitschaft, eigenes Fehlverhalten einzuräumen. Das ist kein Selbstläufer. Denn im Wortschatz der Mächtigen stehen Reflexion, Empathie, Verständigungswille, Ausgleich sowie Konfliktforschung nicht an oberster Stelle.

Feindbild Islam

In einem ersten Schritt müssen alle dogmatischen und sorgsam gepflegten Scheuklappen abgelegt werden. Wenn heute der Islam als Quelle allen Übels verdächtigt wird, dann sollten wir uns daran erinnern, dass das nicht immer so war. Es gab lange Perioden des friedlichen Zusammenlebens zwischen Muslimen, Juden und Christen. Wenn es heute anders ist, dann ist das Beweis dafür, dass sich irgendwann in der Vergangenheit etwas zum Schlechteren verändert hat. Wir müssen also ergründen, warum es heute anders ist. Die Ursachen für die Verschlechterung der Beziehungen können weit zurückliegen und sie können im Verborgenen liegen. Denkbar sind neben Kolonialismus, Ausbeutung und Hegemoniebestrebungen auch kulturelle Überheblichkeit, Ausgrenzung, Geringschätzung anderer religiöser Überzeugungen, Bevormundung, Übervorteilung, Armut, Hoffnungslosigkeit sowie tatsächliche oder vermeintliche Kränkungen und Entrechtungen.

Islamismus

Es ist an der Zeit, dass wir wohlfeile, aber vereinfachende Erklärungsmodelle hinter uns lassen. Der immer wieder gehörte Hinweis „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Muslime“ ist inhaltlich nicht richtig (Näheres hierzu Jürgen Todenhöfer). Doch selbst wenn die Tatsachenbehauptung stimmen würde, wäre der Satz dennoch falsch. Er hat denselben Erkenntniswert wie die Feststellung, dass alle Atombomben der Menschheitsgeschichte von Christen abgeworfen wurden und zudem alle Drohnenmorde, Kreuzzüge und Hexenverbrennungen von Christen zu verantworten seien. Ebenso wenig wie diese Verbrechen den Kern des christlichen Glaubens abbilden, ist das Phänomen des Terrorismus dem Islam zuzurechnen. Eine solche Vereinfachung verkennt, dass muslimische Terroristen längst den Boden ihres ursprünglichen Glaubens verlassen haben. Ihr Handeln hat somit mit dem Islam genauso viele Gemeinsamkeiten wie die Verbrennung von Ketzern auf dem Scheiterhaufen mit der Lehre von Jesus. Nicht die Bibel oder der Koran sind schuld an den Wahnsinnstaten, sondern die Verirrungen Fehlgeleiteter. Verantwortlich sind nicht „der Islam“ oder „das Christentum“, sondern Islamismus und christlicher Fundamentalismus. Im Übrigen übersehen die Vereinfacher völlig, dass nicht Europäer und Amerikaner die Hauptleidtragenden islamistischer Terroraktionen sind, sondern Menschen, die in islamisch geprägten Ländern leben.

Entsolidarisierung

Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich dramatisch geöffnet. Die 80 Superreichen dieser Erde haben so viel wie die ärmere Hälfte der Erdbevölkerung und das sind immerhin 3,5 Milliarden Menschen. Ein solches System schafft Verbitterung und Hass. Die zornigen jungen Männer, die sich dagegen auflehnen, sind nicht Monster, die das Böse in sich tragen, sondern sie sind die Kehrseite einer entsolidarisierten „freien“ Gesellschaft. Wer das total entgrenzte System treffen will, hat es leicht. Er kann überall und jederzeit zuschlagen. Für Hoffnungslose ist es gleich, wen sie treffen, Hauptsache es trifft dieses System. Nur wenn es gelingt, das System in eine solidarische Gesellschaft umzubauen, besteht eine Chance. Wer es aber nicht einmal versucht, macht sich mitschuldig an den Toten der Zukunft (Staatssekretär a.D. Heiner Flassbeck).

Doppelmoral

Der auf einer „christlich-jüdischen Wertegemeinschaft“ aufbauende Westen ist einer beängstigenden Selbstgefälligkeit verfallen. Wir haben keine Zweifel: Wir sind die Guten. Wer nicht mitspielt, ist der Böse.

Wir messen mit zweierlei Maßstäben. Wir beklagen den Blutzoll, den uns „der Islam“ auferlegt. Tatsache ist aber, dass Täter mit christlichem oder jüdischem Glaubenshintergrund im letzten Jahrhundert ungleich mehr Muslime getötet haben als umgekehrt Christen und Juden durch muslimische Gewalttäter umgekommen sind. Im ersteren Fall nennen wir das Selbstverteidigung oder gerechter Krieg, im letzteren Fall islamistischen Terrorismus. Zur inneren Rechtfertigung des eigenen Tuns genügt die Überzeugung, dass man selbst auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Unsere Politik lebt von Doppelmoral. Wir haben uns verrannt. Kürzlich sprach Bundespräsident Gauck angesichts einer Bombendetonation in Istanbul, bei der mehrere Deutsche umkamen: „Wieder wurden bei einem hinterhältigen terroristischen Anschlag unschuldige Menschen ermordet“. Er hat ja recht. Aber hat man jemals Vergleichbares von ihm und Seinesgleichen gehört, wenn durch völkerrechtswidrige westliche Interventionskriege hunderttausende unschuldige Muslime ums Leben kamen wie etwa im Irak, in Libyen, in Syrien? Wo bleiben dann die Millionenaufmärsche in unseren Hauptstädten? Und wo bleibt die westliche Politprominenz wie seinerzeit beim Marche Républicaine nach dem Charlie Hebdo-Attentat? Wo sind die Sondersendungen im TV?

Solange der innere Zusammenhang zwischen rechtswidrigen Kriegen und der Zunahme bestialischer Terrormorde nicht begriffen wird, werden wir mit dem Terrorismus leben müssen und nebenbei auch mit der Millionenschar verzweifelter Kriegsflüchtlinge, die unser Land fluten.

Gespaltene Zungen

Politik und Medien sprechen mit gespaltener Zunge, wenn sie terroristische Attentäter stereotyp als feige und hinterhältig bezeichnen. Ist es etwa mutiger, in einem sicheren Befehlsstand in den USA auf einen Knopf zu drücken, um einen in Afghanistan vermuteten Gotteskrieger samt seiner Entourage mittels lautlos anfliegender Drohnen zu ermorden? Das, was bei uns als feige und hinterhältig eingestuft wird, ist die Folge davon, dass die terroristischen Einzeltäter weder über Drohnen noch über Jagdflugzeuge verfügen. Es ist zu vermuten, dass viele dieser Desperados ihre zur Selbstvernichtung führenden Sprengstoffgürtel liebend gerne gegen modernes Kriegsgerät austauschen würden. Aber das ist uns keinen Gedanken wert.

Falsche Sprachbilder sind wirkmächtig. Denn entscheidend für unsere Weltsicht ist nicht, was ist, sondern woran man glaubt.

Was tun?

Mit dem Erkennen von Fehlern ist es nicht getan. Das Erkannte muss auch umgesetzt werden. Hierbei sind Begegnungen „auf Augenhöhe“ und die strenge Beachtung des Rechts unverzichtbar. Letzteres gilt auch – und gerade – dann, wenn sich die andere Seite außerhalb des Rechtsrahmens bewegt. Es mag schwerfallen, aber Rechtsstaaten dürfen sich in ihrer Reaktion auf terroristische Übergriffe unter keinen Umständen zu illegalen Handlungen hinreißen lassen. Wer glaubwürdig sein will, muss die „Stärke des Rechts“ beweisen und nicht das „Recht des Stärkeren“ praktizieren. Es ist fatal, wenn ein Staat Kriege führt mit dem Anspruch, andere Länder zu demokratisieren, und hierbei seinerseits Völkerrecht oder Menschenrechte massiv verletzt. Nicht weniger schlimm ist es, wenn wir, die Guten und Gerechten, im Umgang mit ressourcenreichen Unrechtsstaaten bei deren Rechtsbrüchen schelmenhaft beide Augen zudrücken, nur um eigene Vorteile zu erlangen. Wer so handelt, macht sich im wahrsten Sinne des Wortes angreifbar. Einer solchen Politik der Beliebigkeit wird es nicht gelingen, die Keimzellen des Terrorismus auszutrocknen. Denn es fehlt ihr am Wichtigsten, an Glaubwürdigkeit.

Wir müssen begreifen, dass nur ehrlicher Dialog zu geistiger Abrüstung, Verständnis und – am Ende eines schwierigen Prozesses – zu Befriedung führt. Das geht nicht ohne Respekt für andere Sichtweisen. Im Bereich der Religion sollte das am Ehesten möglich sein, hier gibt es kein falsch oder richtig, sondern nur glauben oder nicht glauben. Das ist die Spielwiese der Toleranz. Wenn man der muslimischen Welt mit Blick auf deren größere Verletzbarkeit in Religionsfragen mit Empathie und Nachsicht begegnen würde, wäre das nicht Ausdruck von Feigheit oder gar Kapitulation. Es wäre nur Respekt vor anderen Überzeugungen. Die Grenze des Entgegenkommens setzt in jedem Fall das, was in internationalen Konventionen verbürgt ist.

Doch auch im diesseitigen Leben muss die Einsicht reifen, dass unsere westlichen Vorstellungen nicht schlechthin für andere Kulturen maßstabbildend sind. Wir können unsere Lebensformen anbieten, sie erklären und für sie werben. Aber herbeibomben lässt sich Akzeptanz nicht. Aufgabe der Politik wird es sein, die Integration des friedfertigen echten Islam in Europa zu fördern und friedliche Muslime zu stärken. Die Grenzlinie verläuft nicht zwischen christlichen und muslimischen Gesellschaften, sondern zwischen Weltoffenheit und Verblendetheit.

Last but not least

Die Anwendung militärischer Gewalt wird auch in Zukunft nicht völlig vermeidbar sein. Aber sie muss künftig in jedem Fall ultima ratio sein und sie muss die Regeln des internationalen Rechts beachten. Nicht mehr und nicht weniger.

Entscheidend aber wird es sein, dass wir endlich aufhören, ausschließlich in den Kategorien des Militärs und der repressiven Gewalt zu denken. Solange wir glauben, wir könnten unser Leben und unsere sogenannten westlichen Werte hauptsächlich mit Panzern, Kampfhubschraubern und Drohnen verteidigen, werden wir keine Ruhe bekommen.