Eine Frage der Ächtung

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Am 2. Dezember 2008 gehörte zur Agenda der Vollversammlung der UNO ein Antrag auf Ächtung von Uranmunition. Das Ergebnis war beeindruckend: 141 Nationen forderten, gestützt auf die internationale Rechtslage, die Herstellung, Verbreitung und Anwendung von Uranmunition und Uranwaffen künftig zu verbieten. Dass die Atommächte Frankreich, Großbritannien, Israel und die USA dagegen votierten, überraschte nicht; Russland enthielt sich der Stimme und China blieb der Abstimmung fern. Eine Resolution erging an die verantwortlichen UN-Organisationen, die gesundheitlichen Folgen zu überprüfen.

Uranmunition dient nicht der Sicherheit, sie gefährdet die Sicherheit. Damit, so der Völkerrechtler Manfred Mohr, sollten die umstrittenen Arsenale eigentlich Thema der jährlichen Sicherheitskonferenzen in München sein. Waren sie nicht, denn dort bestimmt weitgehend die NATO das Programm. Eine weltweite Koalition blickt daher auf den neuen Konferenzleiter, Botschafter Wolfgang Ischinger, und erhofft sich einen neuen Wind. Einen Wind, der nicht mehr Nanostaub aus radioaktivem Schwermetall übers Land weht, sondern einen Wind, der den Mantel des Vertuschens und Verschweigens hochbläst. Von Claus Biegert

Armeen schätzen Uranmunition neben ihrer Durchschlagskraft auch wegen ihrer ökonomischen Vorzüge: Hergestellt werden die Geschosse aus abgereichertem Uran 238, einem Abfallprodukt der Atomenergie – die Produktionskosten sind also lächerlich. Im Reaktor wird Uran 235 benötigt, dies kommt im geförderten Uranerz kaum vor; es muss daher angereichert werden. Beim Prozess der Anreicherung auf Uran 235 bleibt Uran 238 in Massen übrig, man spricht dabei von abgereichertem Uran. Im Englischen Depleted Uranium, abgekürzt DU. Hier sind wir gewissermaßen Zeuge eines Recycling-Prozesses, wie ihn die nukleare Kette sonst nicht aufweist: Statt teuer entsorgt zu werden, findet das nicht mehr gebrauchte Uran aus der Kernkraftproduktion als Rohstoff Aufnahme in die Waffenproduktion. Dort, dank seiner extrem hohen Dichte, härtet es Projektile und erhält damit das Prädikat „panzerbrechend“.

Ein Panzer kostet um die acht Millionen Euro; eine Urangranate kostet kaum ein Tausendstel. Man ist also, militärisch und wirtschaftlich gesehen, auf der sicheren Seite. Vor allem England und die USA statten ihre Armeen mit DU-Geschossen aus. Im Kosovo wurde DU-Munition verwendet, in Bosnien und Serbien, ebenso in Kuwait, in Afghanistan, im Libanon, in Somalia, im Irak geschieht es weiterhin.

Was Munition und Granaten hart macht, ist die hohe Dichte von Uran, mit 19 g/ccm neunzehn mal schwerer als Wasser, ein Schwermetall also. Schwermetalle aber sind toxisch und damit gefährlich für den menschlichen Organismus. Gefahr geht auch von der radioaktiven Strahlung aus. Wer verglüht, mag vielleicht ein Argument lauten, ist eh tot. Stimmt, für die Insassen eines getroffenen Panzers besteht keine Chance, zu überleben. Gefahr aber droht auch den Menschen der Umgebung, also Soldaten, und Gefahr besteht in der Region weiter nach dem Krieg, also für Zivilisten.

Was passiert, wenn eine stahlbrechende Munition auf ihr Ziel trifft? Beim Durchbohren der Panzerwand entsteht eine Reibungshitze von mehreren Tausend Grad Celsius. Uran hat die Eigenschaft, sich zu entzünden. Die hohe Temperatur führt zu einer Explosion, dabei verdampft der Uranmantel zu Nanopartikeln. Dieser stark toxische und schwach strahlende Feinstaub wird dann vom Wind auf dem Schlachtfeld verteilt. Nanopartikel kennen keine Barrieren, durch die Schleimhäute der Atmungsorgane wandern sie in die Blutbahn. Auch die Blutschranke zum Gehirn ist für sie kein Hindernis.

Geschosse, die ihr Ziel verfehlen, erodieren und können eine Gefährdung des Grundwassers darstellen, in welchem Ausmaß ist noch nicht erforscht. Ein Fall also für die WHO; doch die ist in Gesundheitsfragen nicht immer frei: Sobald Uran im Spiel ist, muß die Weltgesundheitsorganisation ihre Befunde einer Agentur in Wien vorlegen, so regelt es ein Abkommen von 1959. Die Internationale Agentur für Atomenergie, IAEA, hat das Mandat, kursierendes spaltbares Material zu überwachen und gleichzeitig die Nutzung von Kernenergie weltweit zu fördern. Sie poliert in WHO-Meldungen das Schadenausmaß, reduziert die Gefahr und auch die Zahl von Toten und Kranken. Kein Wunder, dass sich mit den Jahren im Zentrum der WHO eine Selbstzensur eingenistet hat, die der Atom-Agentur nachträgliche Korrekturen nahezu erspart.

Als der Chemiker Keith Baverstock 2001 einem WHO-Handbuch zur DU-Problematik im Kosovo aktuelle medizinische Studien anfügen wollte, die auf neue Gesundheitsrisiken hinwiesen und damit frühere Fallstudien in Frage stellten, kam ein Veto. Es handle sich um „Fairy Tales“, ließ man ihn wissen, also Märchen, unter Wissenschaftlern ein vernichtendes Urteil. Baverstock wollte daraufhin seinen Namen aus der Redaktion entfernen; dieser Wunsch wurde von seinen Vorgesetzten ignoriert. Inzwischen sind, laut Baverstock, mindestens sechzehn Aufsätze in medizinischen Fachzeitungen erschienen, die von einer Schädigung des Erbguts berichten. DU bedroht die DNA – die missgebildeten Neugeborenen im Südirak füllen bereits die Krankenhäuser. Als der UN-Generalsekretär 2008 die WHO um eine erneute Einschätzung bat, blieben diese sogenannten „Peer Reviews“ der medizinischen Fachliteratur unerwähnt. Keith Baverstock: „Es ist nicht zu fassen!“

Nicht zu fassen ist auch die Haltung der NATO. Auf der Internet-Seite steht zum Thema die Warnung: „Wie bei allen Munitionstypen und Minen gilt auch bei DU das einfache Prinzip von ‚Nicht Berühren‘”. Die Frage nach gesundheitlichen Gefahren von Uranmunition wird in der Presseabteilung fast als Angriff empfunden. Es gäbe, so die Antwort aus Brüssel, bis heute keinerlei Nachweise, dass abgereichertes Uran zu Gesundheitsschädigungen führe. Jeder Widerspruch wird als unliebsame Störung von Seiten der Friedensbewegung abgehakt, über die Arbeit von IPPNW (Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs), immerhin Friedensnobelpreisträger, und die Initiative „International Coalition to Ban Uranium Weapons“, scheint man nur unzureichend informiert. Eine Ächtung, so der beigeordnete Generalsekretär für politische Fragen in der NATO, Martin Erdmann, sehe er „nicht einmal am weiten Horizont“.

In greifbarer Nähe wird die Ächtung von der „International Coalition to Ban Uranium Weapons“ gesehen, die es geschafft hat, 141 Staaten für ihr Ziel zu gewinnen. Federführend an der Ausarbeitung eines künftigen Vertrages war der Berliner Jurist Manfred Mohr, der auch zu den Gründern der weltweiten Koalition gehört. Der Rechtsprofessor orientiert sich am Oslo-Prozess zur Ächtung von Splitterbomben und sieht den Einsatz von Uranwaffen – damit ist sämtliches Kriegsgerät erfasst, das mit Uran gehärtet ist – ebenfalls in Kollision mit dem Völkerrecht, da der Schutz der Kombattanten vor „überflüssigen Verletzungen und unnötigen Leiden“, sowie der Schutz der Zivilbevölkerung nicht mehr gewährleistet werden können. Die weltweite Koalition kann sich neben dem allgemeinen Völkergewohnheitsrecht auf diverse Rechtsrahmen stützen: die Petersburger Deklaration von 1868, die Haager Landkriegsordnung von 1907, die Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen von 1977. Immer geht es um die Gefährdung der Zivilbevölkerung, die den „Grundsätzen der Proportionalität und der ausreichenden Vorsichtsmaßnahmen“ zuwiderläuft.

Diese Gefährdung wird von den Militärs jedoch abgestritten. Dabei treten Zauberer auf, Rudolf Scharping war einer von ihnen, in der Wochenzeitung DIE ZEIT war es 2001 nachzulesen. Der Minister wurde zum Magier und sprach: „Uran wird als Metall, nicht als strahlendes Material verwendet. Deshalb haben auch alle Untersuchungen ergeben, dass die Strahlung aus diesem Uran unterhalb der natürlichen Umwelteinflüsse liegt.“ Anschließend stellte der Magier einen Stab aus Journalisten und Militärs zusammen, der seine Aussage erhärten sollte. Der Stab erfüllte seine Aufgabe. Den Blick hinter die Kulissen verdanken wir dem Erlanger „Institut für Medienverantwortung“, das sich auf Entlarvung von Medienzauberern spezialisiert hat.

Aus den eigenen Reihen erheben immer wieder Warner ihre Stimmen. Zum Beispiel die internationale Militärgewerkschaft EuroMil: Der Dachverband europäischer Soldaten fordert eine Ächtung und verlangt eine Aufklärung der Soldaten. Ein anderes Beispiel ist der US-amerikanische Physiker und Experte für chemische und biologische Kampfstoffe, Doug Rokke: Er war beteiligt an der Entwicklung von Uranmunition und stieg nach dem ersten Golfkrieg aus. Heute reist er um die Welt, um sein Gewissen zu erleichtern. Er weiß, wovon er spricht, wenn er sagt: „Uranmunition ist ein Verbrechen gegen die Menschheit“ und: „Wir führen einen Krieg gegen uns selbst“.

Uranmunition dient nicht der Sicherheit, sie gefährdet die Sicherheit. Damit, so der Völkerrechtler Manfred Mohr, sollten die umstrittenen Arsenale eigentlich Thema der jährlichen Sicherheitskonferenzen in München sein. Waren sie nicht, denn dort bestimmt weitgehend die NATO das Programm. Eine weltweite Koalition blickt daher auf den neuen Konferenzleiter, Botschafter Wolfgang Ischinger, und erhofft sich einen neuen Wind. Einen Wind, der nicht mehr Nanostaub aus radioaktivem Schwermetall übers Land weht, sondern einen Wind, der den Mantel des Vertuschens und Verschweigens hochbläst.

Claus Biegert hat uns die Originalfassung seines Beitrags zur Verfügung gestellt, der 7./8.2.2009 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.

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