Quo vadis, Korea?

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Die Bilder gingen am Freitag um die Welt – Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Un überschreitet Hand in Hand mit Südkoreas Staatschef Moon Jae-In die Demarkationslinie und sagt dann auch noch öffentlich zu, das Atomtestgelände im Norden des Landes zu schließen. Aber wie sind diese Bilder und Nachrichten zu werten? Rainer Werning [*] hat für die NachDenkSeiten die Kontexte, Texte und Subtexte zum historischen Gipfeltreffen der Staatschefs von Korea Nord und Korea Süd in Panmunjom zusammengefasst.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es war ein mediales Ereignis par excellence! Alles, was an Scheinwerfern, Film- und Fotokameras und Schreibblöcken aufzubieten war, wurde positioniert und gezückt, um zwei Männern auf Schritt und Tritt zu folgen, die sich noch bis vor Kurzem nicht unbedingt zu leiden schienen. Und dann das: Da überschritt am vergangenen Freitag ein sichtlich gutgelaunter Kim Jong-Un die Demarkationslinie von Nord- nach Südkorea, um von einem hocherfreuten Moon Jae-In begrüßt und wenigstens für einen kurzen Moment von seinem Gast händchenhaltend zurück von Süd- nach Nordkorea geführt zu werden. Diese Abweichung vom offiziellen Protokoll – fast mutete sie an, als vollzögen die beiden Staatschefs ein vorweggenommenes Tänzchen in den 1. Mai – wird eine nachhaltige Symbolwirkung haben und das Selbstwertgefühl aller Koreaner befügeln.

Hoher Symbolgehalt

Da spielt es denn keine Rolle, wenn nationale wie internationale Stimmen (wie beispielsweise Nicholas Eberstadt vom American Enterprise Institute am 26.4. in der New York Times und Issio Ehrich am 27.4. auf n-tv.de) kritikastern, dass die am selben Tag unterzeichnete »Panmunjom-Erklärung über Frieden, Wohlstand und Vereinigung auf der Koreanischen Halbinsel« lediglich »nordkoreanisches Geschwafel« sei beziehungsweise »Kims abgedroschenen Worte« wiederkäue. Zweifellos trifft es zu, dass hehre Worte und Absichtserklärungen auch in mehreren innerkoreanischen Abmachungen und Deklarationen seit Juli 1972 bemüht wurden. Doch dass sie letztlich nicht umgesetzt und in die Realität überführt wurden, hatten am wenigsten Koreaner in Seoul und Pjöngjang selbst zu verantworten. Hätten sich die Autoren wenigstens einmal die Mühe gemacht, u. a. die massiven Interventionen eines George W. Bush in innerkoreanische Belange zu »würdigen«, hätte ihnen ihre vernagelte Sicht der Dinge schnell auffallen müssen.

Das Moon-Kim-Treffen geschah auf einem Terrain, der als »Demilitarisierte Zone« (DMZ) gilt und Teil einer »Koreanischen Mauer« ist, die in einer Breite von vier und in einer Länge von gut 240 Kilometern die Koreanische Halbinsel in etwa entlang des 38. Breitengrads unschön säuberlich in zwei Hälften teilt – diesseits eine reale kapitalistische, jenseits eine (real-)sozialistische. Und das in äußerst solidem Zustand. Wer immer dem Ambiente des Kalten Krieges, gar vermintem Gelände oder Stacheldrahtverhauen nachtrauert, mag mit einem dortigen Besuch bizarre Nostalgieanwandlungen befriedigen. Die DMZ ist die weltweit bestbewachte und höchstmilitarisierte Grenze, an der sich jenseits von Staatsbesuchen waffenstarrend einige Hunderttausende koreanische Soldaten – inklusive ca. 37.500 GIs – gegenüberstehen. Überhaupt: Vieles mutet auf der Koreanischen Halbinsel ebenso euphemistisch wie anachronistisch und paradox an. Und das macht nicht nur außenstehenden Beobachtern zu schaffen.

Kellerkind der Geschichte

Korea hatte binnen eines Jahrhunderts das unsägliche Pech, zunächst als koloniales Objekt übel zugerichtet und dann auch noch als postkoloniales Opfer buchstäblich (auf-)geteilt zu werden. Von 1910 bis 1945 währte die japanische Kolonialherrschaft, die sich durch ein brutales militaristisches Regime auszeichnete. Die Koreaner wurden gezwungen, ihre Namen zu japanisieren und das öffentliche Sprechen von Koreanisch wurde unter Strafe gestellt. Bei den XI. Olympischen Sommerspielen in Berlin hieß der überlegene Sieger des Marathonlaufs am 9. August 1936 Soh Kee-Chung, ein Koreaner, der allerdings unter japanischer Flagge starten musste und als Goldmedaillengewinner »Kitei Son« in die offiziellen Sportannalen einging. Massenhaft wurden Koreaner ins Reich des Tenno verschleppt, wo sie unter anderem unter miserablen Bedingungen in der Rüstungs- und Werftindustrie sowie in Kohlegruben schuften mussten. Ein Großteil der Opfer der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki waren Koreaner. Doch es dauerte Jahre, bis ihrer überhaupt gedacht und ihnen zu Ehren ein (relativ verschämtes) Denkmal in Hiroshima errichtet wurde.

Analogien, historische zumal, sind stets mit Vorsicht zu bilden. Doch man vergegenwärtige sich Folgendes: Während Nazideutschland als Aggressor und Drahtzieher des Zweiten Weltkrieges nach dessen Ende und infolge der Konsequenzen dieses Vernichtungskrieges geteilt wurde, widerfuhr dieses Schicksal nicht etwa Japan, das sich als »Licht und Lenker Ostasiens« aufgespielt und mittels der ideologisch verbrämten »Größeren Ostasiatischen Gemeinsamen Wohlstandssphäre« neben China und Korea die Länder Südostasiens mit Krieg überzogen und ins Elend gestürzt hatte, sondern ausgerechnet Korea als japanische Exkolonie. Mehr noch: Japan wurde nicht nur nicht als Aggressor mit einer Teilung »bestraft«; das Hirn und Herz des Militarismus, das Kaiserhaus, blieb unangetastet und eine »Entnazifizierung« à la Deutschland entsprach dort allenfalls einem low-intensity-learning: Nur wenige Offiziere der kaiserlichen Armee wurden als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet.

Lesen Sie dazu bitte auch den Artikel „Der Korea-Konflikt – Beharrliche Bunkermentalitäten“ und weitere Artikel, die Rainer Werning für die NachDenkSeiten zum Thema Korea geschrieben hat.

Imperiale Kalküle

Die euphorische Aufbruchsstimmung in Korea war nach dem Ende des Krieges verständlich. Sie hatte nur einen Haken; die Koreaner machten ihre Rechnung ohne die »Wirte«. Denn noch vor Kriegsende hatten sich die beiden Siegermächte in der Region, die USA und die Sowjetunion, darauf verständigt, die Koreanische Halbinsel nach dem Sieg über Japan zunächst – einen konkreten Fahrplan gab es nicht – treuhänderisch zu verwalten. Statt in Freiheit einen Neubeginn auf der gesamten Halbinsel in eigener Regie zu gestalten, diente der 38. Breitengrad als Trennlinie der Nachkriegsordnung.

Das Gebiet nördlich davon wurde zur Einflusssphäre der Roten Armee deklariert, während im Süden US-Truppen unter dem Kommando von General Douglas MacArthur anlandeten und dem Land anstelle von Freiheit eine verhängnisvolle »Befriedung« einbrockten. Die – wiewohl kurzlebige – Volksrepublik Korea lösten sie auf, die landesweit als Keimzellen eines demokratischen Neubeginns entstandenen Volkskomitees wurden im Süden verfolgt und zerschlagen. Und zu allem Überfluss wurde mit Rhee Syngman ein Erzkonservativer eigens aus US-amerikanischem Exil nach Südkorea eingeflogen und dort mit US-Weihen zum ersten Präsidenten eines Landes gekürt, das sich am 15. August 1948 offiziell den Namen Republik Korea gab. Garniert wurde dieser »Regimewechsel« damit, daß Rhee sich außer auf US-Bajonette auch noch auf den aus der japanischen Kolonialära herübergeretteten und weitgehend intakt gebliebenen Polizei- und Geheimdienstapparat stützen konnte.

Heiße Phase des Kalten Krieges

Nördlich des 38. Breitengrads nutzte derweil die Sowjetunion ihren Einfluss, um die Volkskomitees agieren zu lassen und die antijapanische Partisanengruppe um Kim Il-Sung (der Großvater von Kim Jong-Un) politisch aufzuwerten und ihr zur Macht zu verhelfen. Zugute kam Kim Il-Sung dabei eine bereits 1946 eingeleitete Agrarreform, was ihm in der Bevölkerung große Sympathien eintrug. Gut drei Wochen nach der Staatsgründung im Süden wurde am 9. September 1948 die Demokratische Volksrepublik Korea ausgerufen. Während wenig später die letzten Kontingente der Roten Armee das Land verließen, stützte sich Rhee im Süden immer mehr auf die USA, die dort seitdem ununterbrochen mit Truppen präsent sind, deren Stärke heute zirka 37.500 GIs beträgt.

Durch eine von außen tatkräftig geschürte politische Entfremdung auf der Koreanischen Halbinsel und die Gründung der Volksrepublik China im Oktober 1949 geriet der 38. Breitengrad unfreiwillig zur Demarkationslinie einer eskalierenden West-Ost-Blockkonfrontation. Mit verheerenden Konsequenzen: Ausgerechnet Korea lieferte von Juni 1950 bis Juli 1953 das Schlachtfeld des größten Gemetzels nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Bruderkrieg, der durch den Einsatz der USA, UN-Truppen und sogenannter chinesischer Freiwilligenverbände internationalisiert wurde. Die Welt geriet an den Abgrund eines Dritten Weltkrieges, als General MacArthur damit drohte, durch »Pulverisierung« – sprich: atomare Verwüstung – grenznaher chinesischer Städte den Krieg abzukürzen. Zur Kriegshinterlassenschaft zählt nicht nur eine Generation schwer traumatisierter Menschen in Nord und Süd, sondern auch ein am 27. Juli 1953 unterzeichnetes Waffenstillstandsabkommen, das bis heute nicht in einen Friedensvertrag überführt wurde. Südkoreas Präsident Rhee hatte dieses Abkommen nicht einmal unterzeichnet, weil er den Krieg fortsetzen wollte. Derweil summten in der fernen Bunderepublik Eltern ihre herzallerliebsten Kleinen mit dem makabren Reim in den Schlaf: »Ei, ei, ei Korea, der Krieg rückt immer näher. Und rückt der Krieg nicht näher, so bleibt er in Korea«.

Lange bevor Wirtschaftswissenschaftler und Politiker ab zirka Mitte der siebziger Jahre wegen seiner makroökonomischen Erfolge das »Modell Südkorea« überschwänglich priesen, hatte die Volksrepublik mit ihrem staatlich verordneten Kurs des Dschutsche (Vertrauen in die eigene Kraft) als Konzept autozentrierter Entwicklung beträchtliche Faszination in vielen seit 1960 unabhängig gewordenen Ländern des Trikonts ausgeübt. Und während sich der Norden aus den sino-sowjetischen Debatten um die ideologische Vorherrschaft in der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung heraushielt, dafür als »zentristisch« gescholten wurde, im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe lediglich einen Beobachterstatus innehatte und vis-à-vis Moskau und Beijing auf Äquidistanz ging, verordneten Südkoreas Militärmachthaber, gestützt auf US-Bajonette und massive Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe aus Washington, dem Land einen brachialen Kapitalismus.

Der holte im Zeitraffer jene Entwicklung nach, für die Länder in Europa einige Jahrhunderte brauchten. Betrug das jährliche Pro-Kopf-Einkommen im Südkorea der 1950er Jahre umgerechnet weniger als 100 US-Dollar, so hatte es bereits 2012 die 20.000-Dollar-Marke überschritten. Genoss demgegenüber die Bevölkerung im Norden langjährig eine im internationalen Vergleich gute (Aus-)Bildung, Gesundheitsfürsorge und Nahrungsmittelversorgung, so ist die Volksrepublik seit Ende der 1980er Jahre technologisch zurückgeblieben, seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus (und der damit abrupt vollzogenen Umstellung des Handels auf Devisenbasis) wirtschaftlich in die Bredouille und sein Autarkiekonzept ins Wanken geraten.

Frontstaat Südkorea

Wurde Südkorea nach Japan als zweites asiatisches Land in den erlauchten Klub der in Paris ansässigen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgenommen, wurde Nordkorea seit Mitte der 1990er Jahre mehrfach von verheerenden Dürre- und Flutkatastrophen heimgesucht und seine Bevölkerung durch Hungersnöte gebeutelt. Präsentiert sich die südliche Hauptstadt Seoul als kosmopolitische Metropole und lärmender Moloch mit glitzernden Glas- und Betonfassaden, fühlt man sich in der nördlichen Hauptstadt Pjöngjang mitunter in die Hochphase der Großen Proletarischen Kulturrevolution in der VR China Mitte der 1960er versetzt – inklusive häufiger Massenauftritte und mit martialisch-pathetischer Marschmusik begleiteter Arbeitseinsätze von Soldaten und Zivilisten. Wähnt sich die Zivilregierung in Seoul als aufgeklärt, demokratisch und offen für die Herausforderungen der Globalisierung, so zieht dennoch die geheimniskrämerische koreanische CIA, die sich jetzt beschönigend Nationale Behörde für Sicherheitsplanung (ANSP) nennt, hinter den Kulissen die Strippen und verweigert bis heute mißliebigen Überseekoreanern im neuen mondänen Flughafengelände in Incheon die Einreise.

Dabei stützt sich die ANSP auf das anachronistisch-archaische Nationale Sicherheitsgesetz, das, wenngleich zigmal modifiziert, seit der Staatsgründung im Jahre 1948 zum juristischen Regelwerk der Republik gehört und mit dem die Behörden sowohl »Propaganda für Nordkorea und den Kommunismus« ahnden als auch Besuche in die Volksrepublik streng reglementieren und Zuwiderhandlungen teils drakonisch bestrafen. Nordkorea bekennt sich offiziell zwar zum Kommunismus beziehungsweise zum »Sozialismus eigener Prägung« sowie zum »starken Staat«, doch seine museal anmutenden Alltagsrealitäten begleitet eine eigentümliche
Kombination aus neokonfuzianischem Verhaltenskodex, rigidem Etatismus und Personenkult.

»Wer auf der Matte schläft«, lautet ein koreanisches Sprichwort, »fällt nicht tief«. Seitdem die Bush-Regierung ab 2001 von ihren Washingtoner Hochsitzen aus Aggressionen im Mittleren Osten befehligte und überwachte, sank auch das Ansehen der USA im »Fernen Osten«. Auffällig ist überdies, dass ausgerechnet im langjährigen »Frontstaat« Südkorea seit Sommer 2002 Proteste gegen die US-Politik im Lande an Heftigkeit zunahmen. Der Tod zweier südkoreanischer Schulmädchen im Juni 2002, die auf dem Heimweg von einem US-Militärfahrzeug zermalmt wurden, erregte die Gemüter. Der anschließende Freispruch zweier in diesen Todesfall verwickelter GIs durch ein US-Militärgericht (die südkoreanische Zivilgerichtsbarkeit bleibt in solchen Verfahren außen vor) tat ein übriges, um auf den Straßen noch lauter eine entsprechende Revision des bestehenden US-Stützpunkteabkommens im Lande (SOFA) zu fordern.

Erste umfassende Umfrageergebnisse in Südkorea um die Jahreswende 2002/2003 bescherten den Militärstrategen und Politikern in Washington die bittere Erkenntnis, dass solche Bedrohungsszenarien selbst im Lager des langjährigen Verbündeten nicht mehr ziehen. Vor allem in der jüngeren Generation Südkoreas fand der Kriegskurs der Bush-Regierung keinen Nährboden. Repräsentative Umfragen des Forschungsinstituts des Vereinigungsministeriums in Seoul ergaben zudem, dass neun von zehn südkoreanischen Studenten und Hochschülern Nordkoreaner in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft als Freunde und Kollegen willkommen heißen und 55 Prozent der Befragten gern eine/n Nordkoreaner/in heiraten würden. Knapp ein Fünftel der Interviewten gab sogar an, in Nordkorea leben zu wollen. Kooperation und Dialogbereitschaft mit dem Norden wurden in der südkoreanischen Bevölkerung – vor allem seit der völkerrechtswidrigen Irak-Invasion 2003 – ungleich höher eingestuft als US-geschürte Konfrontation und Kalter Krieg.

Vor dem Zusammentreffen von Präsident Moon Jae-In und Staatschef Kim Jong-Un gab es erneut massenhafte Proteste gegen das von den USA installierte moderne Raketenabwehrsystem THAAD (Terminal High Altitude Area Defense), das Moons Vorgängerregierung mit der Notwendigkeit begründet hatte, sich so »gegen Angriffe aus dem Norden« adäquat »schützen« zu wollen. Den Demonstranten und anderen THAAD-Kritikern ist indes die Tatsache ein Dorn im Auge, dass die seit dem Koreakrieg selbsternannte »Schutzmacht« USA in dem Lande in einer Weise schaltet und waltet, dass es schwerfällt zu unterscheiden, wo US-Außen- und »Sicherheitspolitik« beginnt und südkoreanische Innenpolitik endet beziehungsweise vice versa.

Postskript

Eines scheint Washington in seiner gesamten Koreapolitik sträflich übersehen zu haben und noch immer zu missachten. Gehäufte wichtige Jahresdaten – wie die offizielle Beendigung des Koreakrieges am 27. Juli vor 65 Jahren sowie der 70. Jahrestag der Staatsgründungen Süd- und Nordkoreas am 15. August beziehungsweise am 9. September – sind in Korea Eckdaten, an die man sich gleichermaßen in Süd wie Nord intensiv erinnert. Einendes Band dieser Erinnerung ist die schmerzliche Erkenntnis, dass die Teilung des Landes, ein verheerender (Bürger-)Krieg und die langjährigen gegenseitigen Anfeindungen im Wesentlichen das Produkt äußerer Interventionen und imperiale Kalküle (gewesen) sind.

Je geringer die externe Einmischung ist, desto größer sind die Chancen, dass sich auf der Halbinsel, wenn schon absehbar keine (Wieder-)Vereinigung, so doch zumindest ein geregelter, friedlicher Modus vivendi einstellt. In Seoul und Pjöngjang hat man sich gleichermaßen weit von dem Kalkül entfernt, dass die eine Seite die andere »ökonomisch zu schlucken« oder »militärisch zu unterwerfen« gedenkt. Chemyon ist im koreanischen Kontext eine zentrale, kulturpolitisch relevante Kategorie, die »Ehre, Würde und Selbstwertgefühl« einschließt. Entstünde wenigstens nach dem 27. April 2018 eine engere Nord-Süd-Kooperation, wäre das endlich mal keine schlechte Fortsetzung koreanischer Paradoxien.


[«*] Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist mit den Schhwerpunkten Ost- und Südostasien, ist u.a. Koautor des im März 2018 in der Edition Berolina erschienenen Buches Brennpunkt Nordkorea.