Fall Babtschenko: Die Bürger genießen im Zeitalter der Inszenierung keinen Medienschutz

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Wenn die Vortäuschung des Mordes an dem russischen Journalisten Arkadi Babtschenko eine Übung in Medienkompetenz war, dann sind viele deutsche Redakteure durchgefallen – besonders der Berufsverband DJV hat sich erneut als journalistisch unseriöse und besonders forsche antirussische Stimme hervorgetan. Spätestens nach der Episode Babtschenko sollte klar sein: Ein medialer Schutz vor politischen Kampagnen und so aufwendigen wie durchschaubaren Inszenierungen existiert nicht. Die Bürger sind in dieser Hinsicht auf sich alleingestellt und müssen sich dementsprechend mit Medienkompetenz wappnen. Von Tobias Riegel.

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Die Vorgänge um den in der Ukraine zunächst als ermordet gemeldeten und wenig später Pressekonferenzen gebenden russischen Journalisten Arkadi Babtschenko waren nicht nur wahrhaft erstaunlich. Sie waren auch eine öffentliche Übung in Medienkompetenz für deutsche Redakteure. Dabei sind sie krachend gescheitert, und zwar gleich doppelt: Nicht nur wurde der angebliche Mord am „Kreml-Kritiker“ umgehend und mehr oder weniger offensiv dem russischen Staat angelastet. Zusätzlich wird nun nach Babtschenkos „Auferstehung“ die dubiose Version der Geschehnisse, die der ukrainische Geheimdienst verbreitet, teils kritiklos, teils mit unverhohlener Bewunderung ob des „filmreifen Coups“ als real anerkannt. Es mischen sich aber auch, das ist positiv und bemerkenswert, selbst bei der „Bild“-Zeitung Zweifel und Vorsicht darunter. In all dem offenbart der Deutsche Journalistenverband (DJV) eine besonders skandalöse und naive Berufsauffassung.

Die Bürger wurden in jüngster Vergangenheit Ziel von aufwendigen, kaum kaschierten und in ihrem Charakter irreal schillernden Inszenierungen – der Fall Babtschenko reiht sich dort ein. Journalisten müssten sich diesem Phänomen eigentlich durch einen Lernprozess anpassen und Skepsis und Geduld entwickeln, wenn sie ihrer anmaßenden Selbstdefinition, Schutzschild für die Bürger zu sein, gerecht werden wollten. Zumal sie das eigene Hereinfallen auf Inszenierungen nicht als bewusste Unterstützung von politischen Kampagnen darstellen, sondern als Verkettung von „bedauerlichen Fehlern“.

Doch es ist mittlerweile zweitrangig, ob das mediale Versagen bei der Analyse von dubiosen Kampagnen individuelle Unfähigkeit ist oder eine konzertierte Aktion: Für die Bürger bleibt die Erkenntnis, dass sie von den großen deutschen Medien keinen Schutz vor geopolitischer Manipulation mehr erwarten können – sie werden schnöde im Stich gelassen. Das hehre Selbstverständnis der großen Medien mag sich schon lange als hohle Phrase offenbart haben – da viele Medien aber weiterhin lautstark auf ihre Rolle als angebliche Aufklärer pochen, muss man diesem Mythos immer wieder entgegentreten. Episoden wie die um Babtschenko wirken da hoffentlich als Augenöffner und als Motivation, die eigene Skepsis und Medienkompetenz zu stärken.

Motiv „Kremlkritik“: Ein quicklebendiges „Mordopfer“ stellt eine ganze Branche bloß.

Spätestens die Kampagnen zu angeblichen Giftgas-Angriffen oder zum Fall Skripal haben die bislang nicht gekannte Entschlossenheit einiger Politiker und Redakteure verdeutlicht, auch groteske Narrative mit der Macht der Wiederholung zu etablieren. Kaum ein Monat vergeht ohne spektakuläre Prüfungen der Medienkompetenz der Bürger und Redakteure, ohne Beleidigungen der Intelligenz und ohne die Beugung juristischer Prinzipien durch aggressive Verdachts-Berichterstattung. Erfahrungsgemäß wäre es im Fall Babtschenko mutmaßlich so weitergegangen wie im Fall Skripal, beim „russischen Staatsdoping“ oder bei den Maidan-Schüssen: Nach gehöriger medialer Vorverurteilung Russlands wäre die Berichterstattung jäh abgebrochen und der Fall – unaufgeklärt – im kollektiven Gedächtnis geparkt worden. Vorher wäre möglicherweise versucht worden, das Fehlen von Beweisen, Motiv und Plausibilität durch die schiere Masse an ähnlich lautenden Berichten zu verdecken. Doch dann platzt in dieses mutmaßliche Vorhaben das quicklebendige „Mordopfer“ Babtschenko und stellt einmal mehr eine ganze Branche bloß.

Interessant ist, dass die Kampagnen zum Zeitpunkt der schnellen Auflösung noch nicht richtig angefahren waren. Viele Journalisten hatten sich zwar schon für moralische Appelle gegen Russland warmgelaufen, aber „Putin war es“ hatte die „Bild“-Zeitung in ihrem relativ zurückhaltenden Bericht noch nicht gerufen, auch wenn die Zeitung, wie andere Medien, kaum andere Mord-Motive zuließ als „Kreml-Kritik“.

Medien-Alpha-Tiere twittern sich um Kopf und Kragen

Noch weiter als ihre eigenen Medien hatten sich aber journalistische deutsche Alpha-Tiere in der Sache vorgewagt:

Ina Ruck setzt immerhin noch ein „vielleicht“ vor ihr Urteil gegen Russland:

Das würde „Bild“-Chef Julian Röpcke niemals einfallen:

Und auch Julian Hans von der „Süddeutschen Zeitung“ twittert sich um Kopf und Kragen:

Diese unwürdigen Äußerungen zu einer nicht einmal begonnenen Mord-Ermittlung wurden aber noch vom Deutschen Journalistenverband (DJV) in den Schatten gestellt. Die mehr noch als alle Privatmedien zu besonderer Neutralität verpflichtete Branchenvertretung positionierte sich mit einem forschen Tweet eindeutig auf einer Seite der Info-Kriegs-Front:

Der Offenbarungseid des Deutschen Journalistenverbands

Es ist nicht das erste Mal, dass der DJV mit offenen antirussischen Ressentiments auffällt. Besonders aggressiv geht der Verband gegen das russische Auslandsmedium RT vor. Diese (laut DJV) „Reporter des Kreml-treuen Propagandakanals RT“ haben auch dann kein Mitgefühl verdient, wenn sie zusammengeschlagen werden. Und das, obwohl der DJV verpflichtet wäre, die Interessen der zum Teil deutschen Mitarbeiter von RT ebenso zu schützen wie jene von „Bild“- oder „Spiegel“-Redakteuren. Auch um Entspannung bemühte Politiker wie Matthias Platzeck werden vom DJV diffamiert, wenn sie es wagen, der „Putin treuen Propagandaschleuder RT“ Interviews zu geben. Es ist überraschend, dass nicht noch mehr Journalisten dem hier beschriebenen Beispiel folgen und einem Verband, der seine Verpflichtung zu Neutralität und Distanz mit Füßen tritt, den Rücken kehren.

Den endgültigen journalistischen Offenbarungseid leistete nun zusätzlich zum infamen WM-Boykott-Tweet des DJV aber der DJV-Vorsitzende Frank Überall: „Es ist gefährlich, in einer Welt zu leben, wo die Behörden, wo die Politik die Bürger und die Öffentlichkeit dreist belügen“, sagte er, nachdem Babtschenko wieder aufgetaucht war. Und: „In dem Moment, wo wir unseren Regierungsvertretern nicht mehr trauen können, wird es für eine Demokratie sehr gefährlich.“ Dieses journalistische Selbstverständnis, das offensichtlich von grundsätzlich die Wahrheit sagenden Behörden ausgeht, zieht einem in seiner Naivität fast die Schuhe aus. Es ist nicht „gefährlich“ in einer solchen Welt zu leben – von einer solchen Welt auszugehen, ist zwingende Voraussetzung für den Beruf des Journalisten.