Des sächsisch-christlichen Ministerpräsidenten Angst vor den Fremdvölkern

Werner Rügemer
Ein Artikel von Werner Rügemer

Die Vorkommnisse, die sich vor wenigen Tagen im sächsischen Chemnitz abgespielt haben, bestimmen auch heute noch die Debatte. Gerne wird dabei pauschal gegen die Sachsen ausgeteilt und verallgemeinert, was das Zeug hält. Das ist zu kritisieren. Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es in Sachsen ein Problem mit Rechtsextremismus und mit Fremdenfeindlichkeit gibt. Warum dies so ist, ist eine spannende Frage. Werner Rügemer versucht der Frage auf unkonventionelle Art und Weise näherzukommen; mit einem Bericht über Kurt Biedenkopfs Alptraum und dessen Vorgeschichte.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Wir wohnten in unserem Haus am Chiemsee; der Garten war ähnlich wie in Wirklichkeit, aber weitläufiger. Am hinteren Gartentor standen einige Menschen brauner Hautfarbe. Sie hatten das Tor geöffnet, zögerten aber, in den Garten einzudringen. Plötzlich kamen weitere Menschen in weißen Gewändern, zum Teil mit Turbanen und weißen Kopfbedeckungen. Sie warfen Abfall in den Garten, zum Teil in zerbeulten Behältnissen. Eines dieser Behältnisse flog in die Nähe des Hauses und fing an zu brennen. Die Menschen fingen an, in den Garten einzudringen. Ihnen voran kam ein kräftig gewachsener großer Mann mit weißem Turban und weißem Gewand auf mich zu. Er hielt einen schweren Gegenstand in der Hand, mit dem er mich angreifen wollte.“

Das trug am 12. September 1990 ein gewisser Kurt Biedenkopf in sein Tagebuch ein. Was er da aufschrieb, war ein Traum gewesen. „Gegen Morgen hatte ich einen merkwürdigen Traum“, schrieb er im Wachzustand und schrieb ihn dann auf.

Wer war dieser Biedenkopf? Und warum und wo träumte er damals so etwas? Und warum fand er es so wichtig, um es zehn Jahre später in seinem Buch „1989-1990. Ein deutsches Tagebuch“ zu veröffentlichen? (Siedler Verlag in der Verlagsgruppe Bertelsmann, Berlin 2000 – übrigens, wie sich später herausstellte, übernahm der Verlag die Veröffentlichung nur mithilfe einer hohen Subvention aus der sächsischen Staatskasse). Wir müssen etwas ausholen, denn vieles, was heute hochkommt, hat eine Vorgeschichte, die schon mal in Vergessenheit geraten kann.

Wahlkampf im eroberten Sachsen

Damals kämpfte der Träumer als CDU-Spitzenkandidat um den Wahlsieg in Sachsen. Der neu ausgerufene Freistaat Sachsen sollte nach der „Wende“ zur freieren Welt rückerobert werden. Zwischen seinen Wahlkampfauftritten erholte sich der christliche Millionär in seiner Villa in Übersee, einer Promi-Enklave am idyllischen Chiemsee, tief im verwandten Freistaat Bayern.

1989 hatte dem Träumer sein Freund, der Kölner Bauunternehmer Heinz Barth, eine Gastprofessur an der Universität Leipzig finanziert. Da konnte sich Biedenkopf mit marktwirtschaftlichem Gesäusel bei den Sachsen bekannt machen. Die Transfers zwischen der schönen Welt am bayerischen Seeufer und dem armen Osten besorgte Barth mit seinem Firmen-Learjet. So gewann Biedenkopf die Wahl und wurde sächsischer Ministerpräsident. Während dieser beiden Jahre führte Biedenkopf sein Tagebuch.

Zur weiteren Vorgeschichte gehört noch Folgendes: Sponsor Barth stammte aus Zwickau und war aus der DDR in den Westen geflüchtet. Biedenkopfs Familie – sein Vater war bis zum bitteren Ende Direktor im NS-Musterbetrieb Buna/Chemnitz gewesen, der auch eine Niederlassung in Auschwitz betrieb – hatte sich schon vor der DDR-Gründung aus verständlichen Gründen in den christlich gewendeten deutschen Westen davongemacht. Mit CDU-Parteibuch und Studium in den USA wurde Biedenkopf zum „Querdenker“, als der er z.B. später auch von Bundeskanzler Gerhard Schröder geschätzt wurde. Zur Bildung einer Querfront machte der SPD-Mann Schröder den CDU-Querdenker 2005 zum Vorsitzenden der Kommission zur Reform der Unternehmensmitbestimmung.

Den Querdenker-Ruf hatte er sich verdient, weil er in den 1970er Jahren im bundesrepublikanischen Westen sich moderner gab als der bräsige Parteivorsitzende Helmut Kohl. So hatte Biedenkopf die gewerkschaftliche Mitbestimmung nicht rundweg abgelehnt, sondern dafür gesorgt, dass 1972 das Betriebsverfassungsgesetz – mit Zustimmung der SPD – politisch flachgehalten wurde, die Betriebsräte aber mehr Informationsrechte im Betrieb erhielten. Biedenkopf war bis 1973 in der Geschäftsführung des Waschmittelkonzerns Henkel, bevor er zum Posten des CDU-Generalsekretärs querte. In elitären Zirkeln wie der „Trilateralen Kommission“ brütete er mit gleichgesinnten Querdenkern wie Henry Kissinger über neuartige antidemokratische Szenarien.

Unangenehmer Besuch im armen Altersheim

Bereits eine Stunde nach dem Traum, so der Tagebuchschreiber 1990, sei er mit Barths Learjet nach Osten geflogen worden. Er besuchte ein verfallendes Altersheim im Dresdner Stadtteil Grobitz (der Überflieger schrieb im Tagebuch den Namen des Stadtteils falsch – richtiger Name: Gorbitz). Die 250 alten Menschen haben sich über die Zusammenlegung in Zweibettzimmern beklagt, schrieb der Wahlkämpfer in sein Tagebuch. Der Heimleiter habe sich beklagt, dass er kein Geld habe, um im Hof wenigstens ein bisschen Grün anzulegen. Doch Biedenkopf habe Rettung versprochen: „Ich versprach, zukünftige Investoren in Dresden zu bewegen, das Problem zu lösen.“

Biedenkopf hatte in seiner Dresdner Regierungszeit zunächst seinen Freund, den Investor Barth, mit Bauaufträgen überhäuft. Dessen Paunsdorf-Center begünstigte der Ministerpräsident mit einem unter der Hand verbilligten Grundstück. Er garantierte zudem die Auslastung des Centers durch die Anmietung von Büros für sächsische Behörden, und zwar zum überteuerten Mietpreis. Sachsen war unter Biedenkopf das Eldorado für staatliche Subventionen an westliche Investoren, die sich mit ausgelagerten Niedriglohn-Arbeitsplätzen bedankten. Der Münchner Baulöwe Max Schlereth jonglierte Biedenkopf und verwandtschaftlichen Anhang gerne an mittelmeerische Urlaubsziele, denn der Ministerpräsident hielt seine Hand gnädig auch über Schlereths Projekte bei Biedenkopfs Wahlvolk, wie der Spiegel genüßlich und ohne wirkliche Kritik ausbreitete.

Auch selbst griff der Ministerpräsident gern in die Staatskasse, nicht nur für den Druck seines fremdenfeindlichen Tagebuchs. So auch etwa für private Dienste, die staatliches Personal in der von ihm in Dresden bewohnten Villenanlage unter dem Kommando von Frau Ingrid absolvieren musste. Daneben nutzte sie auch mal den ministerpräsidentlichen Dienstwagen für private Zwecke, etwa den verbilligten Einkauf bei IKEA. Für die Einliegerwohnung in seiner Villa am Chiemsee – dort hielten sich seine Personenschützer gelegentlich auf – verlangte der Schützenswerte eine Miete von 120.000 Mark von seinem Staat. Übrigens, um es nicht zu vergessen: Der sächsische Ministerpräsident wurde damals auch Mitglied im Aufsichtsrat der als Aktiengesellschaft von Dow Chemical neu eroberten Buna-Werke.

Querfront

Der Traum, so notierte der Gesponserte damals im Wachzustand weiter, bevor er die nörgelnden Alten in Grobitz bzw. Gorbitz mit seiner Investorenwerbung zu trösten versuchte: „Dann endete der Traum. Ich habe in der Vergangenheit viel über die Gefahr eines Einwanderungsdrucks aus dem Süden auf Europa gesprochen. Dies war wohl eine Umsetzung dieser Gedanken in Bilder.“ Über diese Umzingelung durch knüppelschwingende Turbanträger aus dem Süden und nörgelnde Altenheimbewohner aus dem Osten hat er damals und seitdem also „viel gesprochen“.

Biedenkopfs Traum und Gespräche sind offensichtlich angekommen oder geerntet worden, auch bei Demagogen und Straftätern der unteren Ebene. Eines Querdenkers Querfront. Man hat ja wohl mal zu träumen gedurft haben, in einem Land, das man befreien wollte vom Bösen.

Leicht überarbeiteter Nachdruck aus: Werner Rügemer: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet… Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur. Köln 2017, 2. Auflage, S. 160ff.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!