Aus dem Merkel-Mythos wird der AKK-Mythos und der politische Gegner spielt mit

Aus dem Merkel-Mythos wird der AKK-Mythos und der politische Gegner spielt mit

Aus dem Merkel-Mythos wird der AKK-Mythos und der politische Gegner spielt mit

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Die neue CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer müsse jetzt die Partei wieder einen, Gräben überwinden und einen Neustart organisieren … so schrieben es am Wochenende fast alle Leitartikler. Das ist schon ein wenig seltsam, da diese vermeintlichen „Gräben“ auf dem Parteitag der CDU ja höchstens personeller, aber keinesfalls inhaltlicher Natur waren. Es scheint vielmehr so, als versuchten Partei und Medien das sorgsam geschaffene, aber realitätsferne Image von Angela Merkel nun auf Annegret Kramp-Karrenbauer zu übertragen. Und dies – teils aus Kalkül, teils aus Dummheit – auch mit Hilfe der anderen Parteien. Von Jens Berger.

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Es ist schon erstaunlich, was von Vertretern der Medien alles in die neue Parteichefin Kramp-Karrenbauer hineingedeutet wurde. Sie sei eine Mini-Merkel, zwar eine eigenständige Person, aber inhaltlich von der ewigen Kanzlerin doch kaum zu unterscheiden. Von einer Zäsur ist da die Rede und dennoch wird bereits im nächsten Satz die Fortsetzung der Ära Merkel festgestellt. Wenn eine große Partei nach 18 Jahren eine neue Vorsitzende bekommt, ist dies natürlich auch eine Zäsur, das ist schon richtig. Genau so richtig wäre es jedoch zu erwähnen, dass diese Zäsur allenfalls personeller, nicht aber inhaltlicher Natur ist. Denn zwischen den Positionen Merkels und Kramp-Karrenbauers gibt es in der Tat keine großen Unterschiede. Das große Verständnisproblem liegt ja wo ganz anders verortet – die öffentlich vermarkteten Positionen Angela Merkels haben ja nichts mit der realen Politik der Kanzlerin zu tun. Merkel ist keine Klimakanzlerin, sondern eine Autokanzlerin; sie ist nicht für mehr Europa, sondern für eine durch Deutschland dominierte EU; sie ist nicht die „Flüchtlingskanzlerin“, sondern trat stets für eine knallharte Abschottungspolitik ein. Die NachDenkSeiten haben erst vor einem Monat eine ganze Reihe von Mythen für sie zusammengestellt, bei denen Realität und Image einfach nicht zueinander passen.

Das eine ist Polit-PR, also Marketing. Das andere ist die Realität. Man darf natürlich nicht den Denkfehler begehen und nun folgern, Kramp-Karrenbauer würde die Marketing-Positionen inhaltlich vertreten. Das tut sie natürlich nicht. Sie vertritt dafür aber Merkels reale Positionen.Doch darin unterscheidet sie sich auch nur graduell von den Kandidaten Merz und Spahn. Die wählten zwar auf dem Parteitag andere Worte, eine andere Rhetorik und bedienten damit rein marketingtechnisch auch andere Zielgruppen – nennenswerte inhaltliche Differenzen gab es jedoch weder zwischen den drei Kandidaten noch zwischen den Kandidaten und der scheidenden Vorsitzenden, Angela Merkel.

Wo es keine Gräben gibt, muss jedoch auch nichts überwunden werden, eine programmatisch einige Partei muss nicht vereint, eine Partei, die ihre Arbeit nahtlos fortsetzt, braucht auch keinen Neustart. All die Phrasen der Leitartikler haben mit Realität schlichtweg nichts zu tun; sie spielen sich vielmehr in der fiktionalen Welt der Polit-PR ab.

Diese Methode ist freilich genial. Eine aktuelle Umfrage von SPIEGEL Online zeigt, dass die Wahl Kramp-Karrenbauers vor allem im linksliberalen bürgerlichen Lager auf große Begeisterung stößt. Bei den Grünen ist Kramp-Karrenbauer sogar noch beliebter als bei der CDU. Wenn da marketingtechnisch keine großen Fehler mehr passieren, wird die CDU künftig sicher wieder zahlreiche Abweichler, die bei Wahlen oder in Umfragen zu den Grünen gewechselt sind, zurückgewinnen können. Man überträgt einfach das fiktionale Image der Wir-schaffen-das-Kanzlerin Angela Merkel auf Annegret Kramp-Karrenbauer und schon ist Grünen-Wähler begeistert. Dabei ist Kramp-Karrenbauer eine brettharte Konservative, die nicht nur beim grünen Lieblingsthema „Ehe für Alle“ erzkonservative Positionen vertritt – wie übrigens Angela Merkel auch. Es ist wirklich ein Kunststück der politischen PR, linksliberale Wähler für erzkonservative Politik einzufangen. Die CDU beherrscht dieses Kunststück und die Medien unterstützen sie dabei, so gut sie es nur können.

Die geniale Vollendung findet diese Strategie jedoch erst darin, dass die CDU dem Wähler mit Erfolg vorgaukelt, sie sei schon fast eine Art Einheitspartei, die in sich fast das gesamte politische Spektrum abbildet. Während Kramp-Karrenbauer die Rolle der „humanistischen“, liberalen Politikerin mit Herz zugeschrieben wird, ist für den neuen Generalsekretär Paul Ziemiak die Rolle des scharfen, nach rechts kläffenden Kettenhundes vorgesehen, der das erzkonservative bis reaktionäre Lager mit der Partei versöhnen soll. Deren neue Vorsitzende vertritt zwar inhaltlich deckungsgleiche Positionen; dies muss aber medial anders verkauft werden, um auch die Wähler von der anderen Seite des Spektrums zu bedienen. Wer den rhetorisch nicht untalentierten Ziemiak kennt, weiß, dass diese Strategie wohl aufgehen wird. Nicht zu vergessen ist ja auch, dass man in der zweiten Reihe noch eine ganze Zahl von Background-Sängern hat, die je nach Thema als „Hardliner“ oder „Kuschelkonservative“ die zugewiesene Strophe in den Talkshows der Republik singen können. So finden von der bürgerlich-liberalen Grünen-Wählerin bis hin zum reaktionären AfD-Wähler eigentlich alle Anhänger des Mitte-Links- bis Rechtsaußen-Spektrums „ihren maßgeschneiderten“ CDU-Sprecher.

Nur auf den ersten Blick wirkt es dabei seltsam, dass Vertreter der anderen Parteien diese Strategie nicht frontal angreifen, sondern ganz im Gegenteil sogar aktiv mitspielen. So erklärte FDP-Chef Lindner am Wochenende mit Freude, dass die CDU offenbar auf „Kontinuität“ setze, und AfD-Chef Gauland witterte eine „Fortsetzung von Merkel mit anderen Mitteln“. Auch wenn Lindner und Gauland sich auf das Image beziehen, sind ihre Aussagen inhaltlich durchaus korrekt. Beide haben kein Interesse an einer Unterscheidung zwischen Image und Realität, da sie eigentlich froh sind, dass die CDU-Chefin selbst in der imaginären Welt der Polit-PR eine Rolle einzunehmen hat, die FDP und AfD Freiräume lässt, während deren Themen innerhalb der PR-Strategie vor allem von Personen aus der zweiten Reihe bearbeitet werden. Die CDU wird nun unter dem Motto „Einen und Gräben überwinden“ diese PR bedienen – für Lindner und Gauland wäre die umgekehrte Strategie unerfreulicher, bei der dann unter einem marketingtechnisch als konservativer Hardliner aufgebauten Friedrich Merz Personen aus der zweiten Reihe die softe, liberale Linie abdecken müssten.

So sind die eigentlichen Verlierer der PR-Variante Kramp-Karrenbauer wohl vor allem die Parteien, deren Image mit dem Image von Kramp-Karrenbauer kollidiert. Und das ist neben den Grünen vor allem auch die SPD. Doch gerade die durchschaut – anders als FDP und AfD – das Spiel mal wieder nicht, und blökt munter mit im Chor der Schafe – in Perfektion gestern Abend in Gestalt des Oberschafs Martin Schulz bei Anne Will zu beobachten. Weiß Schulz es nicht besser? Traut er sich nicht mehr, den Narrativen der Leitartikler zu widersprechen?

Dabei wäre es für den politischen Gegner doch gerade wichtig, die Mythen der CDU zu zerstören und die sorgsam aufgebaute Diversitätskampagne ins Leere laufen zu lassen. Ja, dafür müsste man mit den Narrativen der Leitartikler brechen und den Weg des geringsten Widerstandes verlassen. Da die Alternative aber der politische Untergang ist, ist der Widerstand in der Tat alternativlos.

Titelbild: Paul Velasco/shutterstock

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