Julian Assange zu krank für Gerichtstermin

Ein Artikel von Moritz Müller

Julian Assange konnte den gestrigen Gerichtstermin, an dem er per Video teilnehmen sollte, nicht wahrnehmen, denn er ist in den letzten Tagen in den Krankenhaustrakt des Belmarsh-Gefängnisses verlegt worden. Es ist nicht ganz klar, wann dies geschah, denn die Nachrichten hierzu sickerten nur tröpfchenweise an die Öffentlichkeit, und wurden zuerst nur in wenigen skandinavischen Zeitungen kolportiert. Assanges schwedischer Rechtsanwalt Per Samuelson sagte, dass er seinen Mandanten letzten Freitag in Belmarsh getroffen habe und dieser zu schwach gewesen sei, um eine sinnvolle Unterhaltung zu führen. Die daraufhin beantragte Verlegung eines Gerichtstermins in Uppsala, über eine Auslieferung an Schweden am 3. Juni wurde von den schwedischen Behörden abgelehnt. Eine Übersicht von Moritz Müller

Ein pikantes Detail hierzu ist auch, dass die relevanten juristischen Dokumente noch nicht in englischer Sprache an Julian Assange übermittelt worden sind und dies wohl auch erst am 10. geschehen soll. Die stellvertretende schwedische Generalstaatsanwältin Eva-Marie Persson sagte in der Upsala Nya Tidning, Julian Assange müsse nur den Inhalt des Haftbefehls kennen, aber man müsse ihm keine Fassung übermitteln, die er lesen könne.

Bei meiner Recherche zu den Vorwürfen aus Schweden wegen angeblicher sexueller Vergehen, stieß ich auf die hochinteressante und gut gemachte Dokumentation „Sex, Lies and Julian Assange“ des australischen Senders ABC aus dem Jahre 2012. Nachdem ich mir diese Sendung (leider nur auf Englisch, wie die meisten Links im heutigen Artikel, da es auf Deutsch einfach sehr wenige gibt) angeschaut hatte, wunderte ich mich, wieso in Schweden über die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Julian Assange gesprochen wird, denn es werden in der Sendung von ABC doch sehr viele, sehr stichhaltige Fragen aufgeworfen, die das Verfahren in einem sehr fragwürdigen Licht erscheinen lassen. Die Untersuchungen gegen Assange wurden dann im Jahre 2017 auch eingestellt, ohne dass Anklage erhoben wurde.

Um dieser Diskrepanz auf den Grund zu gehen, schrieb ich einige Emails, und daraufhin meldete sich Andrew Fowler bei mir, der 2012 der Reporter in der betreffenden Sendung war. In unserem Telefonat untermauerte er nochmals sehr überzeugend, dass im Fall Assange Vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen ist und dass das, was in der Sendung dargestellt wird, auch nach fast sieben Jahren nicht widerlegt ist. Nach seinen Worten ist Julian Assange nicht vor den schwedischen Strafverfolgungsbehörden geflohen, sondern diese haben, genau wie ihre britischen Kollegen, ungewöhnliche Methoden an den Tag gelegt. Die mehrmalige Wiederaufnahme des Verfahrens, nachdem es vorher ad acta gelegt worden war, sei hier erwähnt, oder die gemeinsame Befragung der beiden Frauen, mit denen Julian Assange Sex hatte.

Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass Julian Assange wohl keine Falle gestellt wurde, sondern dass interessierte Kreise seinen „Leichtsinn“ ausgenutzt haben, um einen vermeintlichen Fall zu konstruieren. Wie wir wissen, und wie auch schon des Öfteren auf den NachDenkSeiten beschrieben wurde, hat diese, aus vermeintlicher Justiz und Schmutz gemischte Kampagne in der Öffentlichkeit recht großen Erfolg gehabt. Sie ist Teil einer größeren Kampagne, die zum Ziel hat, dem investigativen Journalismus die Zähne zu ziehen. Dies ist auch das Thema des letzten Buches von Andrew Fowler.

Wenn man die juristischen Vorgänge der letzten Jahre betrachtet, ergibt sich insgesamt ein Bild von Inkompetenz und nicht ergebnisoffenen Untersuchungen. Die Nachdenkseiten berichteten unter anderem hier und hier.

Vielleicht haben die US-Behörden es mit der jetzigen Anklage und ihren 18 Punkten etwas übertrieben, denn es scheint sich inzwischen auch in Kreisen, die noch vor kurzem eher feindselig oder zumindest skeptisch gegenüber Julian Assange waren, Unterstützung für ihn zu sammeln.

In diesem Artikel wird sogar die Vermutung geäußert, dass die Trump Administration die Anklage bewusst so hoch angelegt hat, damit es für die britischen Behörden unmöglich wird, Julian Assange ohne Gesichtsverlust an die USA auszuliefern, damit Julian Assange bei einem Prozess in den USA keine Aussagen machen kann, die für die USA peinlich wären. Am Ende kommt der Autor Matt Taibbi aber doch zu dem Schluss, dass der Umfang der Anklage einmal mehr politischer Rachsucht und Kurzsichtigkeit geschuldet ist.

Derweil wurde die gestrige Verhandlung in London auf den 12. Juni vertagt. Den Worten der Richterin zufolge vielleicht sogar in das Belmarsh-Gefängnis, da dies bequemer für alle Beteiligten sei. Hiermit meint sie wahrscheinlich vor allem Julian Assanges Gesundheitszustand, der den Berichten zufolge wohl besorgniserregend ist. Seinem englischen Rechtsanwalt Gareth Peirce zufolge hat Julian Assange erheblich an Gewicht verloren, seit er in den letzten sieben Wochen in Belmarsh einsitzt.

Man kann im Moment nur vermuten woran das liegt, aber Julian Assange braucht mehr denn je unsere Unterstüzung [PDF]. Es wäre nun einmal mehr an der Zeit, dass sich auch in Deutschland maßgebliche Politiker einschalten, damit Julian Assange fürs Erste in ein ziviles Krankenhaus eingeliefert wird, in dem auch neutrale Beobachter anwesend sind. Die „Menschenrechtsorganisation“ Amnesty International hat zu diesen Vorgängen nichts Neues zu sagen, außer dem Statement vom 13. Mai, dass die, nicht nur meiner Ansicht nach, dürftigen, Vorwürfe aus Schweden äußerst ernst genommen werden müssen. Hierzu diese sehr emotionale Meinungsäußerung von Pidancet Barrière Véronique und auch dieser Beitrag. Ich selbst habe in den letzten Tagen mehrmals bei AI in Dublin angerufen, aber es stand niemand für ein Gespräch zur Verfügung und ich wurde gebeten, meine Fragen per Email zu übermitteln.

Wir können nur hoffen und alles uns Mögliche dafür tun, dass Julian Assanges Biographie nicht auch in der Zukunft einen ähnlichen Verlauf nimmt, wie die des deutschen Publizisten und Nobelpreisträgers Carl von Ossietzky

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!