Von Puppenregimen und anderweitigen Entwicklungen

Von Puppenregimen und anderweitigen Entwicklungen

Von Puppenregimen und anderweitigen Entwicklungen

Emran Feroz
Ein Artikel von Emran Feroz

US-Präsident Donald Trump stattete seinen Truppen in Afghanistan zu Thanksgiving einen Besuch in der Militärbasis Bagram ab. Vor Ort war auch der gegenwärtige afghanische Präsident Ashraf Ghani, der endlich sein langersehntes Treffen mit Trump bekam – und seine Rolle als „Marionette“, wie die Taliban ihn oft bezeichnen, bestätigte. Von Emran Feroz aus Kabul.

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Es war mitten in der Nacht, als Donald Trump praktisch ohne jegliche Ankündigung am US-Luftwaffenstützpunkt in Bagram nahe Kabul landete. Plötzlich war er da, und zwar zum allerersten Mal in seiner gesamten Amtszeit. Während die meisten Afghanen schliefen, freute dies vor allem einen Mann: Afghanistans gegenwärtigen Präsidenten Ashraf Ghani, den Trump bis dato jegliches Treffen verwehrt hatte. Ghani fuhr nach Bagram und stellte sich zwischen Trump und die versammelten US-Soldaten. Neben ihm stand weder ein Minister noch ein afghanischer Soldat oder Sicherheitsmann. Ghani war allein, und er sang ein Loblied auf Trump, das selbst von regierungsfreundlichen Kommentatoren nicht nur als einschmeichelnd, sondern als totales Eingeständnis, ja, als völlige Unterwerfung bewertet wurde. Die meisten Afghanen werden dieses Szenario gewiss nicht vergessen, denn vor allem in Sachen Geschichtserzählung ziehen die meisten Menschen am Hindukusch ganz klare Linien. Es gibt Helden und Verräter. Patrioten und Marionetten. Das mag nicht nur schwarz und weiß klingen, sondern das ist es auch. Es wird sich allerdings nicht ändern.

Ein Mann, der das bereits früh bemerkt hat, ist Afghanistans Ex-Präsident Hamid Karzai. Nach dem Einmarsch der NATO im Jahr 2001 wurden er und sein Regime wortwörtlich an die Macht installiert. Als die Amerikaner die Taliban angriffen, marschierte Karzai mit der CIA und US-Spezialeinheiten ein. Er feuerte dabei keine einzige Kugel ab. Im Anschluss wurde er nach einem wohlkalkulierten politischen Machtspiel zum Präsidenten der neuen Interimsregierung ernannt. In den darauffolgenden Jahren wurde Karzai spöttisch als „Bürgermeister von Kabul“ bezeichnet. Es war offensichtlich, dass er nur dank Washington an der Macht bleiben konnte und sein Handeln massiv begrenzt war. Doch bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte sich der Mann mit der Karakulmütze vorgenommen, nicht als Statthalter Washingtons in die (afghanische) Geschichte einzugehen. Karzai wollte keineswegs ein zweiter Shah Shuja werden. Shah Shuja Durrani war ein afghanischer Emir, der im 19. Jahrhundert in Kabul regierte. Den Weg zur Macht ebneten ihm damals die Briten. Bis heute gilt Shah Shuja in der afghanischen Gesellschaft als Ebenbild des Vaterlandsverräters, der seinen imperialistischen Meistern seine Macht zu verdanken hat. All das liegt zweihundert Jahre zurück, doch die Afghanen haben weder vergessen noch verziehen.

Karzai – Rebellierende Marionette?

Als Barack Obama an die Macht kam, schlug Hamid Karzai einen anderen Weg ein. Er kritisierte Washington immer und immer wieder, und zwar scharf. Er solidarisierte sich mit den Opfern von Drohnen-Angriffen und verbannte nächtliche Razzien von US-Spezialeinheiten. Das Verbot wurde von den Amerikanern einfach ignoriert, doch Karzai tat, wie er heute behauptet, sein Bestes. Das Verhältnis zwischen Kabul und Washington kühlte ab. Als Obama seine Truppen, ähnlich wie vor Kurzem Trump, in Bagram besuchte, blieb Karzai, im Gegensatz zu seinem Nachfolger, im Präsidentenpalast. Falls der US-Präsident etwas zu bereden habe, könne er ihn ja selbst aufsuchen. Karzais Haltung gegenüber Washington nahm mit der Zeit die Form einer Rebellion an. Er bezeichnete die Taliban als „Brüder“ und weigerte sich, ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit den USA zu unterzeichnen. Gleichzeitig brodelte die Gerüchteküche und Verschwörungen waren im Umlauf. Unter anderem hieß es sogar, dass Washington Karzai eliminieren möchte. Karim Khoram, Karzais damaliger Stabschef, verbreitete diesen Vorwurf damals und wiederholte ihn in seiner vor Kurzem erschienenen Biografie.

Die Unterzeichnung des Abkommens wälzte Karzai auf Ghani ab, als dieser ihn 2014 beerbte. Es schien fast so, als ob er seine Puppenfäden gelöst hatte und eigenständig geworden war. Seit jeher präsentiert sich der Ex-Präsident als „besorgter Bürger“, der regelmäßig Washington und Kabul kritisiert. Paradoxerweise hat er damit Erfolg. Über die massiven Fehltritte der Karzai-Regierung, allen voran Korruption und Warlordismus, wird kaum noch gesprochen. Auch seine einstige Nähe zu den Amerikanern scheint verdrängt worden zu sein. Dies hat auch mit Karzais konsequentem Gedächtnisverlust zu tun. Als er einmal während seiner Amtszeit von der holländischen Journalistin Bette Dam nach einem ehemaligen CIA-Freund gefragt wurde, gab Karzai an, den Mann gar nicht zu kennen – trotz der Existenz eines gemeinsamen Fotos. Ähnliche Szenarien spielten sich immer wieder ab.

Es gibt vieles, was man Karzai nicht abkaufen kann und darf. Seine Kritik in Richtung Amerika gehört allerdings nicht dazu. Wenn in Sachen Afghanistan von einem „Marionetten-Regime“ die Rede ist, kommt die Kritik oftmals nicht nur aus Richtung der Taliban. Mittlerweile haben aber sogar ebenjene Taliban eingesehen, dass Marionetten-Regierung nicht immer gleich Marionetten-Regierung sein muss.

„Wir haben ein ganzes Dorf zu Taliban-Anhängern gemacht“

Denn während Karzai noch Kompromisse einging und sich sogar gegen seine amerikanischen Geldgeber wehrte, ist dies bei der Ghani-Administration nicht der Fall. Sie hat sich den Meistern in Washington voll und ganz ergeben, während sie sich an der Tötung der eigenen Zivilbevölkerung massiv beteiligt. Im Laufe der Amtszeit Ghanis haben die Bombenabwürfe des US-Militärs sowie die damit verbundenen zivilen Opfer einen Höhepunkt erreicht. Der gesamte Staatsapparat unterstützt den „War on Terror“ der Amerikaner und ist der Meinung, dass der Krieg im Land nicht durch Gespräche, sondern durch die Fortführung von brutalen Militäroperationen beendet werden kann. Zivile Opfer, darunter auch zahlreiche Kinder, werden in diesem Kontext regelmäßig entmenschlicht und als „Terroristen“ oder „heranwachsende Militante“ abgestempelt.

Nicht jeder ist damit zufrieden. „Wir haben ein ganzes Dorf zu Taliban-Anhängern gemacht, und das ist nachvollziehbar“, meint ein Regierungsoffizieller, der anonym bleiben möchte. Er bezieht sich auf eine Militäroperation, die im vergangenen Oktober in der Provinz Wardak stattfand und ausschließlich Zivilisten das Leben kostete. „Ich arbeite für die Regierung, doch sie muss einsehen, dass sich der Konflikt auf diese Art und Weise nicht lösen lässt“, sagt er in einem vertraulichen Gespräch.

Kritisiert wird auch Ghanis jüngste Rede vor Trump in Bagram. „Der Präsident ist zum Gast seines Gastes geworden, und zwar in seinem eigenen Land. Er hat sich ganz klar untergeordnet und damit die Narrative verstärkt, dass er lediglich eine Marionette sei. Warum sollten die Taliban nun mit ihm verhandeln?“, meint etwa Ershad Ahmadi, ehemals Vizeaußenminister Afghanistans.

Die Frage nach den Verhandlungen mit den Taliban steht nun tatsächlich abermals im Raum. Trump kündigte in Bagram an, die Gespräche wieder aufnehmen zu wollen – und das, nachdem er sie im September via Twitter für tot erklärt hatte. Ob die Taliban darauf eingehen werden, wird sich zeigen. Es grenzt ohnehin schon an Ironie, dass die Extremisten, die man bereits vor Jahren vertreiben und vernichten wollte, nun – nach einem fast zwanzigjährigen Krieg – glaubwürdiger dastehen als Washington und seine Kabuler Statthalter.

Titelbild: Dmitrij Plehanov/shutterstock.com

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