Interview mit dem Physiker und Filmemacher Volker Arzt, der vor 41 (!) Jahren zusammen mit Hoimar von Ditfurth den Klimawandel beschrieb.

Interview mit dem Physiker und Filmemacher Volker Arzt, der vor 41 (!) Jahren zusammen mit Hoimar von Ditfurth den Klimawandel beschrieb.

Interview mit dem Physiker und Filmemacher Volker Arzt, der vor 41 (!) Jahren zusammen mit Hoimar von Ditfurth den Klimawandel beschrieb.

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Von Ditfurth hat, assistiert von Volker Arzt, 1978 für die ZDF-Sendereihe “Querschnitt” zwei Dokumentationen produziert. Auf YouTube kann man sich die Sendung mit dem Titel „Der Ast, auf dem wir sitzen“ ansehen. Teil 1: “Die Balance der Biosphäre“. Teil 2: “Kippt das Klima-Gleichgewicht?“. Darauf hatten die NachDenkSeiten schon hingewiesen. Jetzt bringen wir aus Anlass der aktuellen Debatte ein Interview mit Volker Arzt. Demnächst werden wir auch sein neues Buch besprechen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Vorweg ein paar Anmerkungen zur Person und zum Hintergrund: Wir kennen uns seit einer gemeinsamen Fahrt im Nachtzug von Schwerte an der Ruhr nach Heidelberg und Tübingen. Das war in den ersten Tagen des Jahres 1959. Der damals knapp 18-jährige Student erläuterte mir, dass er Physik studiere, um dann in seinem späteren Beruf einem breiten Publikum die Erkenntnisse der Naturwissenschaften zu vermitteln. Diesen Plan hat er konsequent verwirklicht: in Filmen, als Moderator der ZDF-Reihe “Querschnitt”, als Autor von Büchern, unter anderem des Bestsellers “Haben Tiere ein Bewusstsein?”. Sein neues, Anfang September erschienenes Buch „Kumpel & Komplizen. Warum die Natur auf Partnerschaft setzt” hat mich schon deshalb fasziniert, weil hier für den Umgang von Tieren miteinander untersucht wird, was mich beim Nachdenken über den Umgang der Menschen miteinander und die Gestaltung unseres Zusammenlebens immer mehr beschäftigt: Sind wir nur noch fixiert auf die Wahrnehmung eigener Interessen oder hat Mitfühlen, Mitdenken, Solidarität noch eine Chance? Siehe dazu auch das Kapitel IV.8. „Solidarität und Mitfühlen oder ‘Jeder ist seines Glückes Schmied’” in “Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“

Nun aber anlässlich der heißen Debatte um den Klimawandel das Interview mit Volker Arzt zum Thema:

Frage Albrecht Müller: Im Jahr 1978 hat Hoimar von Ditfurth mit deiner Unterstützung für die ZDF-Sendereihe „Querschnitt“ zwei Sendungen zum Klimawandel produziert. Was ist das für ein Gefühl, wenn man 41 Jahre später eine stürmische Klimadebatte erlebt? Und dazwischen gab es immer mal einzelne Debatten, aber nie einen Durchbruch zur Tat. Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Kannst du mit dieser Gefühlslage etwas anfangen?

Volker Arzt: Ich war selbst wieder überrascht, wie zutreffend (und spannend!) Hoimar v. Ditfurth die Zusammenhänge auf den Punkt gebracht hat – auch wenn manches, was wir heute wissen, damals noch unbekannt war; und wie sich heute bestätigt, was er – gemäß dem damaligen Stand der Forschung – vor 40 (!) Jahren prognostiziert hat. Es ist wirklich beeindruckend – und bestürzend zugleich: Warum nur haben wir nicht mehr bewirkt? Zu akademisch? Zu wenig Emotion? Zu unpolitisch? Zu früh gekommen?

Frage: Was waren eure Erkenntnisse? Was waren die wesentlichen Botschaften eurer beiden Dokumentationen?

Volker Arzt: Erst einmal ging es darum, eine Binsenweisheit ins Gedächtnis zu rufen: Wenn die Erde mehr Wärme von der Sonne aufnimmt, als sie in den Weltraum abgibt, heizt sie sich unweigerlich auf.

Dann haben wir die Rolle des CO2-Gases bei dieser Wärmebilanz verdeutlicht. Der Anteil in der Luft ist zwar „verschwindend“ gering (nur 0,04%) , aber das Gas wirkt wie ein Mantel, der die Erde warmhält. Ohne diesen CO2-Mantel läge die Durchschnittstemperatur auf der Erde bei lebensfeindlichen -18 °C statt den heutigen +14°C. Das zeigt, wie wirkmächtig diese „verschwindend geringe“ Menge tatsächlich ist.

Frage: Und dann habt ihr den drohenden Klimawandel angesprochen?

Volker Arzt: Ja, das war die alarmierende Botschaft: Seit der Industrialisierung nimmt der CO2-Anteil in der Atmosphäre nachweislich zu. Und diese Zunahme ist menschengemacht – durch unsere Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas. Sowie die Rodung der Wälder. Wenn wir nicht gegensteuern, würde der steigende CO2-Gehalt im 21. Jahrhundert für eine gefährliche Erwärmung sorgen. Mit der Konsequenz, dass Hitze, Missernten und steigende Meere unsere Zivilisation bedrohen. Damals, vor 40 Jahren, war das kaum bekannt.

Frage: Wo gibt es Parallelen von damals und heute? Was habt ihr schon gesehen?

Volker Arzt: Nehmen wir mal das Abschmelzen des Grönlandeises. In der Sendung gingen wir davon aus, dass der Meeresspiegel dadurch um etwa 6 Meter ansteigen würde. Heute ist der Schmelzprozess in vollem Gange und neueste Daten lassen einen Anstieg um 7,4 Meter befürchten – mit zunehmender Geschwindigkeit.

Auch die „Kippeffekte“, von denen jetzt viel die Rede ist – dass der Klimaumschwung eine nicht mehr aufzuhaltende Eigendynamik entwickeln könnte – auch das haben wir in Modellversuchen verdeutlicht. Ich sehe noch vor mir, wie wir im Studio die Polkappen eines Globus abschmelzen ließen.

Frage: Was habt ihr damals noch nicht gewusst?

Volker Arzt: Zum Beispiel wieviel des menschengemachten CO2 tatsächlich in der Luft landet. Wieviel die Meere „schlucken“ und wieviel die Pflanzen speichern. Das ist heute recht genau erforscht und fließt in die Klimamodelle ein. Aber: Die größte Wissenslücke hatten wir bezüglich fossiler Lagerstätten. Um das Jahr 2050 wären sie praktisch erschöpft, so schätzten Geologen und Ölfirmen die Situation damals ein. Heute wissen wir, dass aus Ölsanden und Schiefergestein weitere riesige Mengen an fossilen Brennstoffen zu holen sind. Vor allem in Kanada, Venezuela und den USA. Stichwort „Fracking“. Und wenn man auch noch an das Methaneis denkt, das im Permafrost oder auf den Meeresböden lagert, dann sind die fossilen Energievorräte unermesslich. Für das Klima allerdings sind es vernichtende Aussichten; denn welches Land und welche Industrie würde freiwillig darauf verzichten, dieses flüssige Gold aus dem Boden zu holen? Und damit die Erderwärmung weiter anzuheizen? Diese verschärfte Problematik hatten wir damals noch nicht vor Augen.

Frage: Gab es Politiker oder Philosophen oder bedeutende Publizisten, die euch 1978 ermuntert und begleitet haben?

Volker Arzt: Na ja, der „Club of Rome“ und die „Die Grenzen des Wachstums“ von Dennis Meadow waren damals ein Begriff. Die Umweltproblematik, der Verschleiß von Ressourcen und das ungebremste Bevölkerungswachstum – diese Themen führten ja in den 70ern und 80ern zu einem zunehmenden ökologischen Bewusstsein. Vor allem unter jüngeren Menschen.

Frage: Und speziell der Klimawandel? War auch der schon ein Thema?

Volker Arzt: Hier sehe ich Hoimar v. Ditfurth durchaus als Vorreiter. Es spricht für seinen wissenschaftlichen Sachverstand und seine Weitsicht, dass er schon damals das Thema publik machte und ein Millionenpublikum wachrütteln wollte. Ich hätte uns mehr Erfolg gewünscht.

Frage: Wer waren die Hauptkritiker und Gegner?

Volker Arzt: Soweit ich mich erinnere, gab es nach der Sendung keine großen Gegenstimmen. Nur die heute noch gängigen, längst widerlegten Einwände: dass das alles noch unsicher und die Wissenschaft selbst uneinig sei. Oder dass alles Panikmache sei; die menschliche Erfindungskraft habe bisher immer Lösungen gefunden. Usw. Die üblichen Gegenargumente eben, wenn man etwas nicht wahrhaben will. Auch heute gibt es ja noch Stimmen, die unsere Sendung auf YouTube als „Klimaquatsch von 1978“ abtun.

Frage: Es gibt ja erstaunlich viele Menschen, die bestreiten, dass wir Menschen in hohem Maße den Klimawandel verursacht hätten. Es gibt auch solche, die alles für ganz normale, immer schon beobachtete Bewegungen halten. Was sagst du dazu?

Volker Arzt: Ja, das ist die zentrale Frage: Hat der Klimawandel anthropogene oder natürliche Ursachen – z.B. eine geänderte Intensität der Sonnenstrahlung ? Das zu entscheiden, ist höllisch kompliziert und immer mit gewissen Unsicherheiten verbunden, weil das globale Klimasystem von unglaublich vielen Größen bestimmt wird, die alle miteinander gekoppelt sind und sich gegenseitig beeinflussen.

Fest steht jedoch, dass das CO2 in der Luft seit der Industrialisierung stetig zunimmt (das unterstreichen z.B. die Daten, die seit 50 Jahren auf Hawaii gemessen werden). Und unbestritten ist, dass diese Zunahme als Treibhauseffekt wirkt und die Durchschnittstemperatur erhöht.

Frage: Aber das schließt nicht aus, dass es noch weitere, eben natürliche Ursachen für den Klimawandel gibt, die den menschlichen Einfluss überdecken.

Volker Arzt: Stimmt! Und eben das versuchen die diversen, sich ständig verbessernden Klimamodelle zu klären, und da zeigt sich – Stand heute – , dass eine veränderliche Sonnenstrahlung höchstens 5-20 Prozent zum Klimawandel der letzten 50 Jahre beigetragen haben könnte. Für den Rest ist unsere fossile Verbrennung verantwortlich. Und wird es auch weiterhin sein.

Frage: Warum mussten mehr als 30 Jahre vergehen, bis das Thema eine wirklich relevante Rolle im gesellschaftspolitischen Diskurs einnehmen konnte?

Volker Arzt: Rückblickend denke ich: Wir waren zu früh dran, um bei unseren Zuschauern mehr als vorübergehende Betroffenheit auszulösen. Von einem Klimawandel war noch nichts zu spüren. Es fehlte damals noch – anders als heute – an der sinnlichen Erfahrung von Hitzesommern, Rekordtemperaturen und Ernteeinbußen. Und überhaupt: Warum soll ich mir Sorgen um das Wettergeschehen in einem halben Jahrhundert machen? Sonne, Regen, Wind – die Wettergötter waren schon immer launisch und unberechenbar. Und jetzt sollen plötzlich Autos und Ölheizungen verantwortlich sein… Irgendwie verständlich, wenn da Viele ablehnend reagierten; erst recht, wenn sie mit Kurven und Statistiken nicht viel anfangen können.

Frage: Welche Rolle spielte die Ölindustrie?

Volker Arzt: Eine durchaus bremsende, wie man sich vorstellen kann. Die Ölmultis taten alles, um den Klimawandel als Klimalüge und Hirngespinst einiger profilierungssüchtiger Wissenschaftler erscheinen zu lassen. Sie inszenierten Kampagnen, streuten Unsicherheit und Zweifel. Und dabei wussten sie Bescheid: Firmeneigene Experten hatten längst den Zusammenhang von CO2 und Temperaturanstieg publiziert.

Frage: Hatte das ZDF wegen eurer Sendungen Ärger?

Volker Arzt: Als Hoimar sich zu den ökologischen Gedanken der „Grünen“ bekannte, wurde das im ZDF nicht gern gesehen.

Frage: Was würdest du heute vorschlagen, um dem Klimawandel zu begegnen?

Volker Arzt: Vor allem muss die Notwendigkeit und Dringlichkeit in die Köpfe der Bevölkerung. Insbesondere in die Köpfe der Politiker. Sie müssen das Ausmaß der Bedrohung begreifen. Mit dem geplanten Green Deal aus Brüssel scheint jetzt immerhin ein Anfang gemacht.

Frage: Wenn das mal nicht vor allem Imagebildung ist. – Konkret, was müsste geschehen?

Volker Arzt: Es braucht sicher einen breit gefächerten Strauß unterschiedlicher, auch unpopulärer Maßnahmen, die alle dazu beitragen, den Fahrplan des Pariser Klimaabkommens von 2015 einzuhalten, d.h. den Ausstoß an CO2 weltweit so zu reduzieren, dass die Erderwärmung nicht mehr als 1,5 – 2°C erreicht. Zurzeit sind wir weit davon entfernt; der CO2-Ausstoß ist sogar gestiegen, auch in Deutschland. Macht nicht gerade Hoffnung.

Frage: Welche Maßnahmen scheinen dir vordringlich?

Volker Arzt: Im Vordergrund müsste der Ausbau nachhaltiger Energien stehen. Und der Umbau der Wirtschaft, auch der Landwirtschaft – weg von fossilen Brennstoffen. Baumpflanzungen in großem Stil könnten helfen. Und womöglich auch Erfindungen, CO2 großtechnisch wieder aus der Luft zu holen. Dazu gehört aber auch eine Neuausrichtung unseres Lebensstils, z.B. was die Mobilität oder Ernährung angeht. Ich persönlich bin überzeugt, dass das alles nicht auf freiwilliger Basis – kraft Einsicht – zu erreichen ist. Es braucht neben Anreizen auch Regeln und Vorschriften. So wie es die Erfolgsbeispiele des Asbestverbots oder des Katalysators belegen. Die Schwefelabscheidung, das bleifreie Benzin, der Ersatz von Ozon-zerstörenden Kühlmitteln – nichts davon wäre ohne Verbote möglich geworden.

Es müsste soweit kommen, dass eine Art CO2-Gewissen zur Selbstverständlichkeit wird. So wie wir in Restaurants nicht mehr rauchen – auch das war vor einigen Jahrzehnten unvorstellbar.

Frage: Siehst du noch eine Hoffnung oder ist alles verloren?

Volker Arzt: Wenn ich sehe, wie die Staaten in national-egoistischer Manier um ihren eigenen Vorteil feilschen – nach dem Motto Mein Land zuerst ! – oder wie bereits zugesagte Ziele schamlos gerissen werden, dann bleibt wenig Hoffnung auf eine weltweite Kooperation. Konkurrenzdenken und Egoismus könnten alle Einigungsversuche ausbremsen. Und das wider besseres Wissen – das ist es ja, was mich so fassungslos macht.

Frage: Und mit zunehmender Erdbevölkerung dürfte es noch schwieriger werden?

Volker Arzt: Auf jeden Fall. Selbst wenn sich, dank zunehmender Bildung und gesteigertem Wohlstand, die Erdbevölkerung bei 11 Milliarden stabilisieren sollte – so heißt es ja derzeit – , frage ich mich, wie man 11 Milliarden mit Energie und den üblichen Zivilisationsgütern versorgen soll, ohne noch mehr CO2 zu produzieren. Der schiere Zuwachs an Menschen könnte alle Klimaanstrengungen wieder zunichte machen.

Neben der Klimapolitik wäre also Bevölkerungspolitik gefragt. Und damit stößt man – obwohl kein einziger Mensch zu Schaden kommen müsste – auf noch stärkere Ablehnung und Entrüstung.

Frage: Kein Ausweg also?

Volker Arzt: So zynisch es klingen mag – vielleicht könnte eine Häufung von Hitzekatastrophen, von Überschwemmungen, Missernten und flüchtenden Migranten mehr bewirken, als an die gemeinsame Verantwortung für das Klima zu appellieren. Schiere Angst und Not machen mitunter möglich, wofür Verstand und Einsicht nicht ausreichen.

Frage: Gibt es denn in deinen Arbeiten einen roten Faden oder einen sonstigen Bezug zwischen dem, was du damals mit von Ditfurth geforscht und publiziert hast, und deinem neuen Buch?

Volker Arzt: Ja, unbedingt. Mein Buch handelt ja von Kooperation in der Natur – von unerwarteter Zusammenarbeit, von Solidarität und Hilfsbereitschaft. Und von brutalem Egoismus. Wie kommt es zu so grundverschiedenen Verhaltensweisen im Reich der Tiere und Pflanzen? Wann gewinnt Solidarität die Oberhand? Und wann der blanke Eigennutz?

Es handelt sich um Fragen, die auch unsere eigene Spezies betreffen. Auch Homo sapiens ist ein Geschöpf der Evolution, das nur mit begrenzten körperlichen und geistigen Potenzialen ausgestattet ist. Reicht unsere Kooperationsfähigkeit aus, um das globale Klimaschutzprojekt zu stemmen? Oder sind wir als Spezies einfach überfordert?

Frage: Dein Buch handelt überwiegend von Tieren, aber letztlich geht es dir darum, eine Lanze für Kooperation und Solidarität zu brechen?

Volker Arzt: Stimmt. Das ist meine Absicht und mein Anliegen. Ich bin überzeugt: Noch nie in ihrer Geschichte war die Menschheit so auf Kooperation angewiesen – auf eine weltweite Zusammenarbeit, die sich – was die Sache besonders schwierig macht – erst in Jahrzehnten auszahlen wird.

Albrecht Müller: Danke vielmals.

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