Hamburger Sumpfgebiete: Von Cum-Ex bis zur Grundsteuer. Von Dirk Löhr.

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In einem Artikel in den Nachdenkseiten vom 13. Februar forderte Albrecht Müller, Bundesfinanzminister Scholz (SPD) möge endlich seinen Hut nehmen und vom Amt des Bundesfinanzministers zurücktreten. Müller bezog sich auf einen Artikel der Zeit vom selben Tag. Das Thema wurde auch vom Fernsehmagazin Panorama (ARD) am selben Tag aufgegriffen: Es geht um den Cum-Ex-Skandal, bei dem Banken sich auch in Hamburg Steuern erstatten ließen, die sie angeblich gezahlt hatten. Der Hamburger Finanzbehörde wird nun vorgeworfen, sie hätten versäumt, sich das Geld mit dem gebotenen Druck wieder zurückzuholen.

Inwieweit dies wirklich zutrifft, wird noch aufzuklären sein. Fakt ist indessen, dass der damalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz den der Steuerhinterziehung verdächtigen Banker Olearius zu einem Zeitpunkt empfing, als gegen diesen schon ermittelt wurde. Unabhängig davon, ob die Vorwürfe gegen die Hamburger Finanzbehörden zutreffen oder nicht, wurden hiermit Grenzen überschritten. In Hamburg gehört die Nähe der Politik zum großen Geld anscheinend zur „guten politischen Kultur“.

Ein weiteres Beispiel dafür, das sich weitgehend unterhalb des Wahrnehmungsradars der Öffentlichkeit ereignete, ist die Rolle des Stadtstaats bei der Grundsteuerreform. Schon Olaf Scholz befürwortete als Bürgermeister von Hamburg zusammen mit der bayerischen Landesregierung ein sog. Flächenmodell (Der Spiegel vom 10.04.2018). Hierbei sollte der Wert von Grundstücken nicht in die Besteuerungsgrundlage einfließen. Der Grundstückswert hängt aber v.a. von drei Faktoren ab: Lage, Lage und nochmal die Lage. Und genau diese spielt im Flächenmodell keine Rolle, zum großen Gefallen der Immobilienwirtschaft. Versteht diese ihr Geschäft, ist sie in guten Lagen investiert. Aus ihrer Sicht ist es vorteilhaft, wenn die Steuerlast im Rahmen einer Flächensteuer auf die Nutzer einfacher Lagen verlagert wird – hier wohnen und arbeiten aber nicht unbedingt die reicheren Leute. Die Hamburger Finanzbehörden schürten jedoch mit methodisch unhaltbaren Berechnungen hinsichtlich der Belastungswirkungen die Angst vor einer wertbezogenen Grundsteuer, die angeblich Wohnen unbezahlbar machen würde (Hamburger Morgenpost vom 16.01.2018). War es ein Zufall, dass ähnliche „Berechnungen“ fast zeitgleich auch von der Immobilienlobby in der Presse lanciert wurden?

Als Scholz von der Alster an die Spree umzog, wurde seine wirtschaftsfreundliche Position für ihn jedoch zum Problem – seine Partei drängte nämlich auf eine wertbezogene Grundsteuer. Die Koalitionspartner von der Union bevorzugten hingegen als Sachwalter der Immobilienlobby das Flächenmodell. Nun konnte Olaf Scholz aber nicht zwei Herren gleichzeitig dienen. Sein Haus löste die schizophrene Situation auf die „hamburgische Weise“: In die neue Grundsteuer geht nun zwar ein Wert ein; dieser differenziert aber kaum nach Lagen – eine lageunabhängige Durchschnittsmiete bei der steuerlichen Grundstücksbewertung macht es möglich. Am Ende ergeben sich im „Modell Scholz“ trotz Wertbezug ähnliche Belastungswirkungen wie bei dem von der Immobilienwirtschaft favorisierten Grundsteuermodell. In einer öffentlichen Expertenanhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 11.9.2019 warnten Experten davor, dass diese Lösung verfassungswidrig sei. Dies ließ den Bundesfinanzminister aber offensichtlich unbeeindruckt.

Dabei wäre die Annahme falsch, Olaf Scholz sei beratungsresistent. Eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken zur Einflussnahme von Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern (Drs. 19/14260 vom 21.10.2019) im Deutschen Bundestag machte vielmehr deutlich, wie sich die Interessenverbände der (Immobilien-) Wirtschaft bei den Beratungen zur Grundsteuerreform gegenseitig die Türklinke bei der Bundesregierung bzw. im Bundesfinanzministerium in die Hand gaben. Von der Gegenseite durfte lediglich der Deutsche Mieterbund im Bundesfinanzministerium vorsprechen. Wiederholt vorgetragene Gesprächswünsche der Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“, die für eine Bodenwertsteuer eintritt, wurden hingegen abgelehnt. Die Bodenwertsteuer zielt auf eine teilweise Entkapitalisierung der Standortvorteile ab, was die Immobilienlobby als Gefährdung ihres Geschäftsmodells begreift.

Das neue Grundsteuerrecht eröffnet allerdings für die Bundesländer auch die Möglichkeit, vom Bundesmodell abzuweichen. Peter Tschentscher (SPD), der frühere Finanzsenator und jetzige Hamburger Bürgermeister, möchte diesen Weg im Sinne seines Amtsvorgängers Scholz mit einem modifizierten Flächenmodell verfolgen. Prompt erhält er wieder Ovationen von der Immobilienwirtschaft (ZIA vom 22.01.2020). Zwar wird mittlerweile unter Finanzsenator Dressel (SPD) ein – wenngleich grober und abgeschwächter – Lagebezug bei der Flächensteuer diskutiert. Die Beibehaltung des Flächenmaßstabs ist für die Wirtschaft aber nicht zuletzt deshalb wichtig, damit über die Grundsteuer nicht die Grundlagen für eine mögliche Wiedereinführung einer Vermögensteuer gelegt werden. Tschentscher macht sich dafür stark, dass die flächenbezogene Grundsteuer deutschlandweit die einzige Abweichung vom Scholz-Modell sein soll (Der Neue Kämmerer vom 21.01.2020).

So bietet die SPD ein zwiespältiges Bild: Einerseits kämpfen viele exponierte Vertreter gegen die explodierenden Bodenwerte, für bezahlbares Wohnen und gegen ein weiteres Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich. Zu nennen ist hier insbesondere der immer noch einflussreiche frühere Bundesminister und SPD-Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel (94), der diesbezüglich kürzlich mit seinem Buch „Mehr Gerechtigkeit!“ eindeutig Position bezog. Doch auch in Hamburg gibt es hier durchaus Lichtblicke, so in Gestalt der Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). Diese Kräfte ziehen mit Scholz und Tschentscher zwar am selben Strang, allerdings von unterschiedlichen Enden aus. Wenn es darum geht, die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie weiter zu unterminieren und diese auf geradem Wege in die Bedeutungslosigkeit zu befördern, muss die SPD nur Scholz und Tschentscher auf ihrem abschüssigen Weg folgen.

Zur Person: Prof. Dr. Dirk Löhr, Hochschule Trier, vertritt die Fachgebiete Steuerlehre und Ökologische Ökonomik. U.a. war er Mitglied der Baulandkommission der Bundesregierung und trat als Sachverständiger bei der öffentlichen Anhörung zur Grundsteuerreform im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages auf. ([email protected])

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