Trump und das US-Establishment

Trump und das US-Establishment

Trump und das US-Establishment

Wolfgang Bittner
Ein Artikel von Wolfgang Bittner

Wolfgang Bittner sieht die Vorgänge in den USA ganz anders als die Mehrheit der Medien und der Politikerinnen und Politiker hier bei uns. Ich persönlich und auch die Mehrheit der Redaktion der NachDenkSeiten sehen den Noch-Präsidenten der USA, Donald Trump, kritischer, als Wolfgang Bittner das tut. Aber sein Text ist interessant und lehrreich. Vor allem die von Wolfgang Bittner zitierten früheren Einschätzungen des Establishments und der Medien durch Trump sind bemerkenswert, weil richtig. Weitere Anmerkungen finden Sie als Nachtrag am Ende. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Trump und das US-Establishment
Als die Hoffnungen schwanden
Von Wolfgang Bittner

Dass in den USA Donald Trump, ein ungebildeter, polternder Immobilien-Tycoon, Präsident wurde, war sozusagen ein „Ausrutscher“. Er gehört zwar dem Geldadel an (geschätztes Vermögen nach Forbes: 2,5 Milliarden US-Dollar), wandte sich jedoch gegen das Establishment, auch Tiefer Staat genannt. Das machte ihn zum Staatsfeind Nr. 1. In einer Rede kurz vor seiner Wahl im Jahr 2016 sagte Trump:

„Unserer Bewegung geht es darum, ein gescheitertes und korruptes politisches Establishment durch eine Regierung zu ersetzen, die von euch, dem amerikanischen Volk, kontrolliert wird. Das Washingtoner Establishment, sowie die Finanz- und Medienunternehmen, die es finanzieren, existieren nur aus einem Grund: um sich selbst zu schützen und zu bereichern! Die, die in Washington Macht haben, und die Lobbyisten verbünden sich mit Menschen, die nicht euer Glück im Blick haben. Unsere Kampagne steht gegen eine echte, existenzielle Bedrohung, wie sie sie noch nicht zuvor gesehen haben! Hier geht es nicht nur um eine Wahl für vier Jahre. Dies ist ein Scheideweg unserer Zivilisation. (…) Die Medien in unserem Land haben nichts mehr mit Journalismus zu tun, sie sind politische Interessenvertretungen …“[1]

Donald Trump wusste offensichtlich, wovon er sprach. In seiner Antrittsrede richtete er sich als neuer Präsident der Vereinigten Staaten am 20. Januar 2017 an das amerikanische Volk und erklärte nach mehrmaliger Erneuerung seines Anspruchs „America first!“: „Wir übertragen die Macht von Washington zurück an euch, das Volk.“[2] In ungewöhnlich scharfer Weise nahm er Stellung gegen die Politik seiner zur Vereidigung erschienenen Vorgänger:

„Zu lange hat eine kleine Gruppe hier, in der Hauptstadt unseres Landes, die Früchte eingefahren, während die Menschen da draußen dafür bezahlt haben. Washington ging es gut, aber die Menschen konnten an diesem Wohlstand nicht teilhaben; den Politikern ging es gut, aber die Arbeitsplätze wanderten ab und die Fabriken wurden geschlossen. Das Establishment hat sich nur selbst geschützt, aber nicht die Bürger unseres Landes. Ihre Siege waren nicht die Siege des Volkes, ihre Siege waren nicht eure Siege. Während sie hier gefeiert haben, in der Hauptstadt eures Landes, gab es für ganz viele Familien da draußen im ganzen Land wenig zu feiern. Das alles ändert sich gerade hier und jetzt.“

Gute Vorsätze

Damit erklärte Trump der Machtelite in den USA den Krieg. Er kündigte an, keine Interventionskriege mehr zu führen, Frieden mit Russland herzustellen und die amerikanischen Soldaten aus Syrien abzuziehen. Und er fuhr fort:

„Wir werden die Freundschaft und das Wohlwollen aller Nationen auf der Welt suchen, aber wir machen das in dem Wissen, dass es das Recht aller Nationen ist, ihre eigenen Interessen an die erste Stelle zu setzen. Wir möchten unsere Lebensart niemandem vorschreiben, aber wir lassen sie als leuchtendes Beispiel dastehen, wir werden als leuchtendes Beispiel ausstrahlen, dem alle folgen können. Wir werden alte Allianzen wiederherstellen, neue Allianzen bilden … Die Bibel lehrt uns, wie schön es ist, wenn die Völker Gottes friedlich zusammenleben.“[3]

Bereits in einem Interview mit der New York Times am 23. November 2016 hatte Donald Trump gesagt:

„Ich denke, in den Irak zu gehen, war einer der größten Fehler in der Geschichte unseres Landes. Syrien – wir müssen das Problem lösen, weil wir ständig dabei sind zu kämpfen, immer zu kämpfen. (…) Ich möchte gern mit Russland gut auskommen und ich denke, dass auch Russland gerne mit uns gut auskommen möchte. Das ist in unserem gemeinsamen Interesse (…) Wäre es nicht schön, wenn wir gut mit Russland auskämen? Wäre es nicht schön, wenn wir gemeinsam gegen den Islamischen Staat vorgingen? (… Wir müssen dem Wahnsinn, der sich in Syrien abspielt, ein Ende setzen.“[4]

Doch schon wenige Monate nach seiner Wahl war Trump von der Washingtoner Realität eingeholt worden und von „Beratern“ und einer Administration umstellt, die ihn in wesentlichen politischen Fragen beeinflussten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die US-Präsidenten zwar theoretisch über Krieg und Frieden entscheiden können, praktisch jedoch nur den Frühstücksdirektor der „Nebenregierung“ darstellen. Viele Entscheidungen von weltpolitischer Bedeutung werden hinter ihrem Rücken gefällt. Das führte in der Regierung Trump zu ständigen Auseinandersetzungen.

Die führenden westlichen Politiker und ihre Leitmedien hatten die Bellizistin Hillary Clinton favorisiert, die der Welt womöglich einen dritten Weltkrieg beschert hätte, und den polternden, oft jeglichen Anstand vergessenden Trump – insbesondere wegen seiner beabsichtigten Annäherung an Russland – systematisch verteufelt. Der unberechenbare, neurotische Trump wurde zu einer Unperson, wozu er beitrug.

Attackiert und angeklagt

Noch während des Wahlkampfs hatte der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier entgegen aller diplomatischen Regeln Donald Trump einen „Hassprediger“ genannt und in anmaßender Weise Auskunft über Trumps künftige Außenpolitik gefordert. Kanzlerin Angela Merkel hatte ihn zur Einhaltung demokratischer Grundwerte ermahnt, die sie selber nicht einhält. Auch viele andere deutsche Politiker hatten im Chor mit den Anhängern der Clinton-Obama-Kriegsallianz Ihren Abscheu kundgegeben. Das hatte Trumps wiederholte Anfeindungen gegen Deutschland zur Folge.

Zu Anfang seiner Präsidentschaft versuchte Trump, seine in der Antrittsrede geäußerten Absichten durchzusetzen, doch er stieß dabei auf heftigsten Widerstand des US-Establishments und dessen Hilfskräfte. Seit seinem Amtsantritt war ihm von seinen Gegnern vorgeworfen worden, er habe illegale Kontakte nach Russland unterhalten und sich vom „russischen Regime“ bei den Präsidentschaftswahlen unterstützen lassen. Sonderermittler Robert Mueller, der am 17. Mai 2017 mit der Aufklärung der Vorwürfe beauftragt worden war, schloss die Untersuchungen, in die Trumps Sohn Don, sein Schwiegersohn Jared Kushner sowie weitere Mitarbeiter einbezogen waren, im März 2019 mit der Erklärung ab, eine Verschwörung mit dem Kreml sei nicht nachweisbar.[5]

Damit nicht genug. Anfang Oktober 2019 wurde ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump eingeleitet, weil er den ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskyj und auch die chinesische Regierung in Telefongesprächen aufgefordert haben sollte, Korruptionsermittlungen gegen den ehemaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden und seinen Sohn Hunter Biden zu veranlassen.[6] Es ist erneut erstaunlich, was sich die Anti-Trump-Koalition und die amerikanischen Medien an bösartigen, hasserfüllten Angriffen gegen den amtierenden Präsidenten leisteten. Er sollte, koste es, was es wolle, zu Fall gebracht werden. Aber wie immer man zu Donald Trump steht: Wäre er des Amtes enthoben oder ermordet worden, dann wäre der fundamentalistisch-evangelikale Vizepräsident Mike Pence[7] sein Nachfolger geworden und die Kriegsgefahr hätte zugenommen.

Die guten Vorsätze Trumps blieben allmählich auf der Strecke und sein guter Wille – unterstellt, er sei wirklich vorhanden gewesen – verging ihm. In der Weltpolitik unerfahren und ständig attackiert, zeigte er sich mehr und mehr von seiner aggressiven und chaotischen Seite. Er begann zwar keine neuen Kriege wie seine Vorgänger, aber er forcierte die Aufrüstung und kündigte friedensbewahrende internationale Verträge. Er ging mit Wirtschaftssanktionen weiterhin gegen Russland sowie den Iran, Venezuela, Syrien und den Konkurrenten China vor, und er stärkte dem britischen Premier Boris Johnson den Rücken beim Austritt aus der Europäischen Union.

Im Juni 2020 zog sich Trump dann noch aus der WHO mit der Begründung zurück, sie stehe unter Kontrolle Chinas. Die Überlegung, dass sie unter Kontrolle der Bill&Melinda-Gates-Stiftung stehen könnte, wie Gates-Gegner behaupten, ist ihm anscheinend nicht gekommen. In der Einstellung zum Internationalen Gerichtshof blieb er auf der Linie der Vorgängerregierungen und billigte Sanktionen gegen Mitarbeiter des Gerichts, um Verurteilungen amerikanischer Soldaten wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan zu verhindern.

Der Populist wurde ausmanövriert

Innenpolitisch gebärdete sich Trump diktatorisch. So wies er während der Aufstände wegen der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis durch vier Polizisten die Polizei an, schärfstens durchzugreifen, [8] bei weiteren Demonstrationen drohte er mit Waffengewalt und dem Einsatz von Militär.[9] Er setzte Steuersenkungen für Reiche durch und wollte die von Obama eingeführte Krankenversicherung abschaffen.

Schließlich disqualifizierte er sich während des Wahlkampfes 2020, als er in einer Rede zum Auftakt erklärte: „Wenn die Linken an die Macht kommen, werden sie die Vorstädte zerstören und eure Waffen konfiszieren (…) Biden ist ein trojanisches Pferd für den Sozialismus.“[10] Anstatt dem korrupten Biden seine kriminellen Aktivitäten in der Ukraine vorzuhalten, lieferte Trump erneut einen Beleg für seinen Populismus und die Fehleinschätzung seiner politischen Gegner. Biden als Sozialisten einzuschätzen, war an Absurdität nicht zu überbieten. Die Korruptionsvorwürfe wurden dann in dem Fernsehduell mit dem Konkurrenten vorgebracht, von Biden allerdings empört zurückgewiesen.

Am 7. November 2020 wurde von den Medien noch vor Abschluss der Zählungen ein vorläufiges Ergebnis der Präsidentschaftswahl bekanntgegeben, wonach eine knappe Mehrheit der Stimmen auf Joe Biden entfiel, der sich vor Feststellung des amtlichen Endergebnisses als neuer Präsident ausrief. Nicht die staatlichen Wahlleiter verkündeten das Ergebnis, sondern die privaten Fernsehsender hatten den Sieger ausgerufen, indem sie ihre eigenen Hochrechnungen zugrunde legten. Damit wurden die vom US-Establishment gewünschten politischen Fakten geschaffen, noch bevor die offiziellen Ergebnisse der Einzelstaaten vorlagen und das aus 538 Wahlmännern und -frauen bestehende Electoral College zusammengetreten war, um entsprechend dem amerikanischen Wahlsystem offiziell den neuen Präsidenten zu wählen.

Joe Biden ist der Garant für die Fortsetzung der imperialen, friedensgefährdenden Außenpolitik der Präsidenten Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama. Unter den Ersten, die ihm gratulierten, obwohl er noch nicht gewählt war, waren Bundeskanzlerin Angela Merkel („von Herzen“), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Donald Trump hat angekündigt, die Wahl wegen Fälschungen gerichtlich anzufechten.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2019 sind von ihm der Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ sowie das Sachbuch „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise“ erschienen.

Nachtrag Albrecht Müller:

  1. Differenzen in der Einschätzung des noch amtierenden US-Präsidenten Trump diskutierten auch Willy Wimmer und ich in unserem Gespräch kurz vor den US-Wahlen am 3. November. Siehe hier. Willy Wimmer und Wolfgang Bittner sehen und beurteilen die Personen und die Vorgänge ähnlich.
  2. Insbesondere kann ich die Einschätzung, Trump habe keine Kriege geführt, nicht ganz nachvollziehen. Er hat eine Reihe von möglichen kriegerischen Auseinandersetzungen vorbereitet, zum Beispiel im Konflikt mit dem Iran und mit Kuba und Venezuela.
  3. Allein sein Spruch „America first“ hat die Atmosphäre verändert und widerspricht der eigentlich notwendigen Sorge aller Führungspersonen um das friedliche und gedeihliche Zusammenleben aller Völker. Trumps egozentrischer Anspruch hatte und hat entsprechende negative Folgen für den Umgang mit internationalen Organisationen.
  4. Dass insbesondere die Aufbereitung eines fundamentalen Konfliktes mit China weitgehend auf Trump zurückzuführen ist, ist doch wohl nicht von der Hand zu weisen?
  5. Seine innenpolitischen Vorstöße, insbesondere in der Gesundheitspolitik und in der Steuerpolitik, sind nicht bewundernswert, im Gegenteil.
  6. Es bleibt in der Summe auch aus meiner Sicht die Berechtigung des Hinweises auf Trumps Erklärungen von 2016 und vor allem die Diagnose: Wir haben es im Westen mit hintergründigen Machtstrukturen zu tun (Deep State), die unsere Aufmerksamkeit verlangen. Schon wegen dieses Hinweises ist der Text von Wolfgang Bittner bemerkens- und bedenkenswert.

Titelbild: Joseph Sohm / Shutterstuck


[«1] Zit. wie YouTube, 24.10.2016, youtube.com/watch?v=mX19dy5_08o (2.11.2020)

[«2] Donald Trump, zit. wie YouTube, Donald J. Trump als US-Präsident vereidigt, youtube.com/watch?v=UVelzOWD1bk (21.1.2017, inzwischen offenbar gelöscht). Sowie: Antrittsrede von Präsident Donald J. Trump, youtube.com/watch?v=TPDWyVPZcBQ

[«3] Ebd.

[«4] The New York Times, 23.11.2016, nytimes.com/2016/11/23/us/politics/trump-new-york-times-interview-transcript.html?_r=0 (23.11.2016)

[«5] Siehe dazu Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise, Westend, Frankfurt am Main 2019, S. 242 ff.

[«6] Vgl. Handelsblatt, 6.10.2019, handelsblatt.com/politik/international/moegliches-amtsenthebungsverfahren-trump-nennt-parteiinternen-kritiker-einen-aufgeblasenen-arsch/25087866.html?ticket=ST-27435577-S52TLAsjxdXAEcddG9Bx-ap5. Sowie: Spiegel Online, 2.10.2019, spiegel.de/politik/ausland/ukraine-affaere-drei-szenarien-fuer-donald-trump-a-1289629.html

[«7] Mike Pence, US-Vizepräsident, ehemaliger Gouverneur von Indiana: Abtreibungsgegner, Anhänger des Prosperity Gospel (Reichtum oder Armut sind gottgegeben) sowie des Kreatinismus (strikte Bibelgläubigkeit) und Gegner der Evolutionstheorie.

[«8] Zeit Online, 3.9.2020, zeit.de/politik/ausland/2020-09/black-lives-matter-joe-biden-klagen-donald-trump-drohung (6-11-2020)

[«9] Süddeutsche Zeitung, 2.6.2020, sueddeutsche.de/politik/trump-militaer-washington-floyd-1.4924335 (6.11.2020)

[«10] Zit. wie Tagesschau, 28.8.2020, tagesschau.de/sendung/tagesschau/ (28.8.2020)

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