„Marshallplan“ von Heiko Maas: Die Demokratie lebt nicht von Phrasen allein

„Marshallplan“ von Heiko Maas: Die Demokratie lebt nicht von Phrasen allein

„Marshallplan“ von Heiko Maas: Die Demokratie lebt nicht von Phrasen allein

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Appelle statt Veränderung, Parolen statt Substanz, Ablenkung statt Verantwortung: Der „Marshallplan“ des Außenministers ist nicht nur „peinlich“, wie viele Medien nun aus teils falschen Gründen sagen. Er ist die Fortführung dessen, was die aktuellen Verhältnisse mit angerichtet hat: Ignoranz gegenüber sozialen Faktoren. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mit seinem Vorschlag, mit den USA einen „Marshallplan für die Demokratie“ zu erarbeiten, hat Außenminister Heiko Maas bereits viel Häme geerntet. Er hat sie verdient. Weil aber die Kritik an Maas’ Vorstoß teils aus falschen Gründen erfolgt, soll hier nochmal auf den Vorgang eingegangen werden.

Rein verbaler und folgenloser „demokratischer Aufbruch“

Maas’ Gerede vom „Marshallplan“ schützt das, was es offiziell vorgibt, aufbrechen zu wollen: ein „Weiter So“. Soll also, während auf „politisch-philosophischer“ Ebene ein „demokratischer Aufbruch“ simuliert wird, in der Wirtschafts-, Steuer- und Sozial-Politik alles beim Alten bleiben? Sollen die durch die Politik der vergangenen Jahrzehnte entstandenen (auch und vor allem materiellen) Ungleichheiten und Spaltungen mit wohlfeilen Phrasen gestopft und verdeckt werden? Dann wäre dieser „Marshallplan“, ebenso wie Maas’ Gerede von einem „New Deal“, das Gegenteil von dem „Neustart“, der durch die gewählten großspurigen Vokabeln und ihre Bezüge auf die 30er und 40er Jahre suggeriert werden soll: Es wäre ein Versuch, die bestehenden Tendenzen zu Sozialabbau und Privatisierung im Schatten eines rein verbalen „demokratischen Aufbruchs“ noch zu verlängern. Das sagt der Minister nicht direkt, aber durch die Nichterwähnung der sozialen Faktoren als eine Vorbedingung für die heutigen Probleme muss sein Vorstoß in diese Richtung wirken. Insofern bleiben Phrasen wie jene von Maas doch nicht folgenlos: Denn sie verdecken, dass die Demokratie neben emsigen Phrasendreschern auch ein Maß an materieller Gleichheit benötigt.

Der Aufstieg von Donald Trump kam nicht aus dem Nichts. Die Grundlagen für den Erfolg eines Politikers dieses Typs haben auch seine Vorgänger und Gegner durch ihre Politik gelegt. So hat der seit Jahrzehnten einflussreiche Politiker Joe Biden mehr Anteil an der heutigen US-Realität als Trump, der vor allem Ergebnis und nicht (zuerst) Ursprung dieser durch langfristige Politik bereiteten Realität ist. Nun zeigen die verantwortlichen Politiker auf Trump und rufen „Haltet den Dieb“. Das hat auch Albrecht Müller gerade formuliert:

„Dann wird auch erkennbar, dass der noch amtierende Präsident Trump nicht vom Himmel gefallen ist. Er ist Zeichen des Desasters, in dem die gefeierte Welt des sogenannten Westens steckt. Jetzt besteht allerdings die Gefahr, dass man darüber hinweggehen wird, weil die Siegesfeiern des in 9 Tagen zu vereidigenden Präsidenten Biden das zugrundeliegende Desaster überlagern werden.“

Trump ist Symptom der „ältesten Demokratie der Welt“

In der Kritik an Maas durch Politiker und große Medien gehen diese Punkte aber teilweise unter, nämlich der Versuch, durch Parolen ein „Engagement“ zu simulieren und mit Phrasen eine verantwortungslose Untätigkeit auf vielen sozialen und wirtschaftspolitischen Gebieten zu überdecken. Statt dessen wird betont, wie wenig Deutschland in der Position sei, der „ältesten Demokratie der Welt“ Ratschläge zu erteilen. Diese Sicht ist fragwürdig, aber die „taz“ schreibt: „Die USA brauchen keinen deutschen Oberlehrer“. „Cicero“ meint: „Wir müssen den Amerikanern nicht die Demokratie erklären“. Und „Bild“ findet es „peinlich“, dass Maas „den USA eine Lektion erteilen“ wolle.

Trump hat die heutige Welt, wie gesagt, nicht allein gebaut – sie ist auch Ergebnis der kriegerischen und wirtschaftsliberalen Politik der letzten Jahrzehnte. Das bedeutet nicht, dass Trump das Heilmittel gegen diese Entwicklung gewesen wäre, auch wenn er für viele Menschen in gewisser Weise eine Gegenbewegung symbolisiert. Der Verweis auf die Verantwortung auch von Trumps Vorgängern bedeutet keine Entlastung des Politikers Donald Trump von den in seiner Amtszeit begangenen Verfehlungen. Niklas Maak hat die „Vorgeschichte“ zu Trump in der „FAS“ so beschrieben, er geht zurück zu Ronald Reagan:

„Reagans Präsidentschaft markiert aber auch den Anfang einer ökonomischen Entwicklung, an deren Ende Trump kommen musste: Unter Reagan wuchs die soziale Ungleichheit dramatisch, Vermögen wurden immer ungleicher verteilt (…): Den Gewinnern einer deregulierten Wirtschaft standen eine desaströse Bildungspolitik gegenüber, die Verarmung breiter Schichten, vor allem der schwarzen Bevölkerung. Die Zerstörung der Sozialstrukturen des ländlichen Amerikas. Die Aushebelung des fairen Wettbewerbs, die man im SiliconValley beobachten kann.“

Der beste Marshallplan wäre sozialdemokratische Politik

Die in diesem Artikel beschriebenen Ungleichheiten und Spaltungen werden durch Phrasendrescherei nicht verändert. Sie weiterhin mit wohlklingenden Parolen überdecken zu wollen, ist brandgefährlich, weil es zu einem bösen Erwachen führen muss – und zum Erfolg von fragwürdigem Personal, das die Lücken füllt, die die verantwortlichen Politiker und Redakteure reißen. Der beste Aufbau-„Plan“ für die Demokratie in Deutschland wäre es, wenn Sozialdemokraten wie Heiko Maas sich wieder auf im Alltag spürbare Wirtschafts- und Sozial-Politik besinnen würden, die man früher „sozialdemokratisch“ nennen konnte.

Zu all dem kommt hinzu, dass ein Vergleich der heutigen USA mit dem Deutschland von 1948 sehr fragwürdig ist. Zusätzlich hinzu kommt, dass die rein positive Aura des originalen Marshallplans von 1948 ein Mythos ist, wie etwa die Arte-Doku „Marshallplan. Die USA retten sich selbst“ beschreibt:

„Allgemein herrscht die Auffassung, der Marshallplan habe Europa aus dem kriegsbedingten Chaos und Elend befreit. Tatsächlich verstärkten die amerikanischen Hilfsgelder die von den europäischen Regierungen initiierten nationalen Konjunkturprogramme der Nachkriegszeit. Hinter dem Motiv der Philanthropie verbargen sich aber auch andere, weniger edle, dafür sehr gewichtige Gründe für die Wirtschaftshilfe. Der Marshallplan war kein selbstloser Akt, sondern das Ergebnis einer wohlkalkulierten politischen Strategie. Die USA wollten die Internationalisierung der Wirtschaft zu ihren Gunsten vorantreiben und den amerikanischen Traum als universelles Modell propagieren. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges erwies sich der Marshallplan als das passende Pendant zu Trumans Politik der Eindämmung des Kommunismus und der Schwächung der Sowjetunion. Eine Medaille mit zwei Seiten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.“

Titelbild: paparazzza / Shutterstock

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