Trump-Anklage: Die große Heuchelei

Trump-Anklage: Die große Heuchelei

Trump-Anklage: Die große Heuchelei

Ein Artikel von: Tobias Riegel

„Niemand steht über dem Gesetz“ – allein diese unzutreffende Phrase jetzt nach der Anklage gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump dauernd hören zu müssen, ist eine Zumutung. Trump muss nicht prinzipiell in Schutz genommen werden. Aber wenn Moral und Strafverfolgung selektiv eine Seite treffen, sind sie wertlos. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ex-Präsident Donald Trump wurde in New York angeklagt, Hintergründe berichtet etwa die „Tagesschau“ in diesem Artikel. Meiner Meinung nach ist sowohl die Anklage als auch die Berichterstattung ein Fall von schwerer Heuchelei.

„Niemand steht über dem Gesetz“ – dieser nun häufig zitierte Satz ist durch die politische Praxis gründlich als falsch identifiziert. Die aktuelle Situation um Trump stellt zudem ein ähnliches Dilemma dar wie bei der Anklage gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, wie wir im Artikel „Tribunal der Heuchler“ beschrieben haben:

Außerdem ist es ein alter Traum, dass auch mächtige Staatenlenker einst Verantwortung für ihre Politik übernehmen müssen – und sei es als Angeklagter. Auch in Putins Amtszeiten würden Ermittler mutmaßlich Verantwortlichkeiten für politische oder militärische Vergehen feststellen können, wenn sie entsprechenden Zugriff hätten. Aber: Politisch-moralische Anklagen, die nur für eine Seite gelten, sind wertlos.“

Denn das ist ja eine der mutmaßlich gewünschten Botschaften der Anklage: Dadurch indirekt zu behaupten, dass die „andere Seite“ sich nicht einmal solcher „Kleinigkeiten“ schuldig gemacht hätte, wie sie jetzt Trump zur Last gelegt werden. Das kann man nur als schlechten Witz interpretieren. Allein die vertuschten Vorgänge um das Laptop des Sohns des US-Präsidenten Joe Biden (und das mögliche Mitwissen des US-Präsidenten über die dort mutmaßlich verborgenen Affären) würden da viel Potenzial für Anklagen und Medienkampagnen bergen: mindestens auf der moralisch-persönlich-familiären Ebene, auf denen sich die aktuellen Vorwürfe gegen Trump ja auch überwiegend bewegen.

Wenn die Trump nun zur Last gelegten, eher „privaten” Vergehen (Vertuschung eines persönlichen Skandals und die fragwürdige Verbuchung der dafür legal genutzten Schweigegelder) der moralisch-juristische Maßstab sind – müsste dann nicht halb Washington angeklagt werden? Von den zahlreichen politischen und geopolitischen Verbrechen (die im Vergleich zu privaten Eskapaden als viel gravierender einzuordnen sind) mal ganz zu schweigen.

Dass Trump ein Verbrecher ist, ist ja klar …

Unterschwellig schwingt in vielen politischen oder medialen Kommentaren auch eine antijuristische Haltung mit, nach dem verdrehten Motto: „Dass Trump ein Verbrecher ist, ist ja klar, das Urteil haben schließlich die seriösen US-Medien längst gefällt. Darum ist der konkrete juristische Grund, der ihn schließlich politisch zu Fall bringt, nebensächlich.“ Diese Haltung gilt momentan vielerorts anscheinend als legitim, auch wenn die in der Anklage angeführten Gründe nun (im Vergleich zu mutmaßlich weit verbreiteten korrupten Praktiken in schmutzigen US-Wahlkämpfen) als „übliche“ und nicht mal besonders auffällige Handlungen erscheinen. Trumps Anwalt sagte zum Verfahren sinngemäß: Die Anklagen gegen seinen Mandanten seien nicht illegal, aber es würde sie nicht geben, wenn der Angeklagte nicht Trump hieße. Das vermute ich auch und dadurch würde das Verfahren politisch.

Ob die Anklage Trump schadet oder eher nutzt, darüber herrscht keine Einigkeit. Theoretisch könnte er laut Medien selbst bei einer Verurteilung zur Wahl antreten. Einerseits werden leidenschaftliche Trump-Anhänger nun zu Spenden und Unterstützung mobilisiert. Andererseits trifft möglicherweise zu, was die „Berliner Morgenpost“ schreibt – übrigens unter einer fragwürdigen Überschrift, die offenlässt, ob nicht bereits die Anklage gegen Trump (also nicht ein abzuwartendes Urteil?) den „Anfang vom Ende Donald Trumps“ markieren müsse. Zu Trumps Wahlchancen schreibt die Zeitung:

Um nicht wie 2020 wieder hinter dem designierten Rivalen Joe Biden als Zweiter über die Ziellinie zu kommen, muss Trump unter gemäßigten und parteiunabhängigen Wählerinnen und Wählern nennenswerte Kontingente auf seine Seite ziehen. Das kann, nach allem, was Demoskopen bis heute seriös erhoben haben, kaum gelingen.“

Ich sehe die Anklage darum eher als langfristig schädlich für Trump: In einem möglicherweise monatelangen Verfahren und den begleitenden Medienberichten wird Trump nun permanent mit der betreffenden Pornodarstellerin in Verbindung gebracht werden, was viele gemäßigte Wähler dann doch abschrecken könnte. Berichte in russischen Medien über den Vorgang hat Thomas Röper hier übersetzt. Zusätzlich stellt er die Frage:

Man stelle sich einmal vor, ein Staatsanwalt der US-Republikaner hätte vor der letzten US-Präsidentschaftswahl Anklage gegen Joe Biden wegen seiner Korruption erhoben. Die Medien hätten aufgeheult und Trump vorgeworfen, ein politisch motiviertes Strafverfahren gegen seinen Herausforderer im Wahlkampf zu führen, die Demokratie abzuschaffen und die USA zu einer Diktatur machen zu wollen.“

Ist Trump aus europäischer Sicht das kleinere Übel?

Trumps persönliche Eskapaden und ihre mutmaßlich formal fragwürdige Vertuschung sollen hier nicht verteidigt werden. Wie hier beschrieben wurde, ist aber die Heuchelei bei dem praktischen Umgang mit den Vorwürfen nicht zu übersehen. Innenpolitisch würde ich den Bürgern der USA Trump nicht als Präsidenten wünschen. Aber außenpolitisch (also europäische Interessen betreffend) ist Trump meiner Meinung nach das kleinere Übel unter den verfügbaren Alternativen.

Das bedeutet nicht, dass ich ihn als einen Politiker einordne, an den man Hoffnungen knüpfen sollte, die über das Mindestziel der Verhinderung eines Weltkriegs hinausgehen. Allein Trumps Umgang mit dem Fall Assange ist fragwürdig und seine Demontage wichtiger Abrüstungsverträge reicht aus, um ihn und seine „Friedensversprechungen“ mindestens sehr kritisch zu betrachten. Seine Haltungen etwa zu China klingen ebenfalls nicht nach geopolitischer Friedenssehnsucht.

Ganz anders klingt Trump aber zum Beispiel in diesem Beitrag (in einem möglicherweise fragwürdigen TicToc-Account verlinkt) – hier lässt Trump keine Klarheit bezüglich der US-Kriegspolitik vermissen: Mit den eindeutigen Aussagen gegen US-Kriege, gegen „Washingtons Kriegstreiber“ und zu seinen Plänen, mit ihnen konsequent „aufzuräumen“, kann Trump wahrscheinlich viele Sympathien sammeln. Doch solche vollmundigen Aussagen provozieren auch Fragen: Sind die großen Sprüche als echte Vorhaben Trumps ernstzunehmen oder sind sie Wahlkampftheater? Wenn sie ernstgemeint sind: Können sie in der Praxis auch umgesetzt werden?

Titelbild: Gino Santa Maria / Shutterstock

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