French Open: Der internationale Sport wird zum Propagandazirkus

French Open: Der internationale Sport wird zum Propagandazirkus

French Open: Der internationale Sport wird zum Propagandazirkus

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Das gerade beendete Tennisturnier war geprägt von ukrainischer Meinungsmache und nationalistisch motivierten Ressentiments. Eine ungute Tendenz hat damit ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht: Durch Instrumentalisierungen internationaler Sportevents für moralische Überheblichkeiten sind diese Events ihres wichtigen Dienstes an der Völkerverständigung beraubt: Auch die „unschuldige“ Sportbühne wird giftig politisiert. Damit wird ein (zumindest potenziell) ausgleichendes Forum, wo sich Sportler und andere Akteure verfeindeter Länder einem Mindestmaß an Umgangsformen unterwerfen und dadurch Begegnungen möglich machen, beschädigt. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Verweigerte Handschläge, harte ukrainische Propaganda, inquisitorisches Verhalten gegenüber „verdächtigen“ Sportlerinnen, nationalistische serbische Gesten auf dem Spielfeld – der Verlauf des Tennisturniers French Open (22. Mai bis 12. Juni) muss als unwürdig bezeichnet werden.

Der FIFA oder dem IOC wird oft vorgeworfen, sie würden sich bei wichtigen politischen Fragen „wegducken“ und sie würden in einer weltfremden Haltung versuchen, „die Politik“ von internationalen Sportveranstaltungen fernzuhalten – mutmaßlich, um „autokratische“ Mitglieder in den Weltverbänden nicht zu verärgern. An den genannten Organisationen kann sicher viel formale und inhaltliche Kritik geübt werden, aber in der Frage der „unpolitischen Spiele“ ist die (zumindest offiziell und potenziell) neutrale Haltung der Weltverbände meiner Meinung nach richtig.

Wo es hinführt, wenn die Politisierung von internationalen Sportevents überhandnimmt, konnte man gerade beim Tennisturnier French Open beobachten. Etwa in der Sendung „Abseits“ des Inforadios des RBB vom Sonntag kann man den Zirkus verfolgen, in den das Turnier vor allem durch das Verhalten ukrainischer Sportlerinnen verwandelt wurde (der RBB-Beitrag war bei Erstellung des Artikels noch nicht online verfügbar, der Link wird nachgereicht). Die harten Äußerungen von Ukrainerinnen, die sich während des Turniers teils wie Sprecherinnen ihrer Armee aufführten, waren dem Rahmen extrem unangemessen. Ebenso unangemessen war der inquisitorische Umgang mit der weißrussischen Spielerin Aryna Sabalenka auf Pressekonferenzen.

Sehr fragwürdig war auch der nationalistische Auftritt von Novak Djokovic bezüglich des Kosovo. Formal gibt es möglicherweise einen Unterschied, ob man die politische Botschaft direkt auf dem Platz verbreitet wie Djokovic oder in der anschließenden Pressekonferenz wie die Ukrainerinnen: Aber bei beiden Situationen wird die Bühne des Sports missbraucht.

Es müsste also für „alle Seiten“ die politische Agitation bei internationalen Sportevents zumindest moralisch geächtet sein – sonst schaukeln sich die Seiten gegenseitig hoch. Auf der unpolitischen Sportbühne sollten meiner Meinung nach auch Mindeststandards des persönlichen Umgangs eingehalten werden: Einen verweigerten Handschlag, weil die Kontrahentin die falsche Nationalität hat, finde ich inakzeptabel.

Dienen ultrakommerzielle Großveranstaltungen auch der Völkerverständigung?

Die völkerverständigende Wirkung von ultrakommerziellen Großveranstaltungen wird zu Recht in Zweifel gezogen, bei diesen Events sind viel Korruption, billige PR und Heuchelei im Spiel – aber: Meiner Meinung nach gibt es bei internationalen Sportveranstaltungen eben trotzdem noch die andere, die „unschuldige“ Ebene, auf der sich Bürger verfeindeter Staaten freundlich begegnen können, auch wenn ihre Generäle Krieg führen – das gilt für die Sportler, aber auch für das international gemischte Publikum.

Eigentlich gibt es ja das Gebot der politischen Neutralität bei WM, Olympia etc., doch es steht unter Beschuss, weil es nicht mehr „zeitgemäß“ sei. Diese Tendenz wird vor allem von westlichen Medien befördert, weil sie die Chance sehen, auch auf den großen Sportbühnen noch propagandistische Punkte gegen ihre „autokratischen“ Widersacher machen zu können. Im Artikel Ausschluss russischer Sportler: Im Olymp der Doppelstandards haben wir dazu geschrieben:

„Kultur und Wissenschaft sollen offensichtlich ebenso politisiert werden wie der Sport, der etwa durch die Kampagnen zur WM 2018 oder zum ‚russischen Staatsdoping’ bereits propagandistisch aufgeladen wurde – auch um die durch die ‚unverfänglichen‘ Veranstaltungen möglich werdenden Dialoge zu unterbinden. (…) Neben der politischen Ebene soll zudem die friedliche und ‚unpolitische‘ Begegnung der Bevölkerungen bei Sport oder Kultur torpediert werden – ein verwerflicher Angriff auf die Völkerverständigung.“

Die Tennisspielerin Sabalenka hat sich kürzlich vom eigenen Präsidenten distanziert – das soll hier aber nicht thematisiert werden, denn die öffentliche politische Unterwerfung darf meiner Meinung nach nicht Voraussetzung für eine würdige Behandlung von Sportlern, Künstlern, Wissenschaftlern etc. sein. Wurde denn jemals ein US-Sportler so behandelt wie jetzt Sabalenka? Zu dieser Frage heißt es im zitierten Artikel:

„Wurden US-Sportler ebenfalls dazu genötigt, sich öffentlich von den zahlreichen US-Kriegen und von ihrer Regierung zu distanzieren? Diese Praxis soll hier aber keineswegs eingefordert werden: Auch US-Sportler müssen meiner Meinung nach von der politischen Instrumentalisierung befreit bleiben! Dann verbietet sich aber die gleiche Handlung gegenüber den Russen, zumal eine Verurteilung der Russen bei gleichzeitiger Duldung der erheblich gravierenderen US-Kriegsverbrechen die Welt moralisch auf den Kopf stellt.“

Bühne gegenseitiger Moralpredigten

Im Artikel Fußball, Politik und die Regenbogen-Moral haben wir zum gegenseitigen Hochschaukeln bei der „Sportpropaganda“ am Beispiel der „Regebogenbeleuchtung“ bei einem Spiel gegen Ungarn festgestellt: Eine Erlaubnis der UEFA für eine solche Selbstdarstellung der Deutschen als die besseren Freunde der Nicht-Heterosexuellen wäre ein fragwürdiger Präzedenzfall gewesen. In Zukunft hätten sicherlich zahlreiche Länder dieses Recht der politischen Eigenwerbung ebenfalls für sich eingefordert: Würde die Ukraine die russische Mannschaft dann in einem mit den Nazi-Sprüchen illuminierten Stadion empfangen dürfen, die sie bereits auf ihre EM-Trikots drucken wollten? Dürfte man die Fußball-Mannschaft der USA dann künftig mit Illustrationen von Drohnen- und anderen Kriegstoten empfangen und auf der Bühne der Sportveranstaltung dem Land die Leviten lesen (bzw. stellvertretend seinen Sportlern)? Und wie würde wohl die deutsche Mannschaft zukünftig empfangen, wenn man den Deutschen nun ihre moralische Überheblichkeit hätte durchgehen lassen? Die „Leipziger Volkszeitung“ hatte anlässlich des damaligen Spiels Deutschland-Ungarn folgendes Szenario beschrieben:

„So schön die Illumination als Zeichen für Toleranz gewesen wäre, es hätte auch eine hässliche Seite gehabt. Es wäre gegen ein Land und gegen eine Mannschaft gerichtet gewesen, die bei uns zu Gast ist. Wie würden wir Deutschen es finden, wenn bei einem Auswärtsspiel in Lateinamerika das Stadion mit deutschen Rüstungsgütern verziert würde, die wir so gern in alle Welt exportieren?“

Gerade in Zeiten von Krieg und Spannung müssen „unpolitische“ Räume der Begegnung und der Völkerverständigung offengehalten werden! Im zitierten Artikel hatte ich außerdem geschrieben:

„Manche Beobachter würden die durch Präzedenzfälle mögliche Politisierung des Sports vielleicht begrüßen, endlich würde dann ‚Haltung gezeigt‘. Ich würde darin eher eine Gefahr sehen: Zum einen wäre das (von den eigenen geopolitischen Interessen motivierte) Anprangern von Missständen der Anderen immer selektiv – der unhaltbare Geist von ‚Wir sind die Guten‘ würde mitschwingen. Zum anderen würde der Sport den letzten Rest seines Potenzials der Völkerverständigung einbüßen und würde zur Bühne gegenseitiger Moralpredigten. (…) Politische Zurückhaltung im Falle von IOC oder UEFA stets als ein ‚Einknicken‘ aus niederen ‚geschäftlichen‘ Motiven zu beschreiben, finde ich kurzsichtig.“

Titelbild: Leonard Zhukovsky / Shutterstock / Das Titelfoto zeit die weißrussische Spielerin Aryna Sabalenka.

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