Nancy Fraser: Eine Frau im Weißen Haus ist „Ein nicht hinreichendes Symbol“

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

In der französischen Tageszeitung Le Monde erschien ein interessantes Interview mit der bekannten US-Professorin Nancy Fraser. Gerhard Kilper hat dieses für die NachDenkSeiten übersetzt bzw. berichtet. Hier der relevante Auszug verbunden mit einem großen Dank an den Übersetzer. Albrecht Müller.

Auszug aus einem Interview des Le Monde Redakteurs Marc-Olivier Bherer mit Nancy Fraser, Philosophie-Professorin an der New School of Social Research in New York
Originaltitel: Une femme à la Maison Blanche: „Un symbole qui ne suffit pas“
Erschienen in der französischen Tageszeitung Le Monde vom 28. Juli 2016, Seite 26

Nancy Fraser ist in den USA eine herausragende Persönlichkeit innerhalb der kritischen Linken. Sie reklamiert feministische Positionen für sich, hält jedoch gleichzeitig kritisch Abstand zu manchen Entwicklungen der Frauenrechtsbewegung, die in ihren Augen zu oft Hilfsdienste für den Kapitalismus leistet.

Beobachtungen von Aktionen der Frauenrechtsbewegung führten sie zu einer mehr theoretischen Kritik an Habermas Begriff des „Öffentlichen Raums“. Sie will den „Öffentlichen Raum“ in seiner ganzen Vielfalt begreifen, auch offen für Leute in untergeordneten gesellschaftlichen Rollen und Stellungen. Durch Mobilisierung sollen diese Leute in einem zweiten Schritt befähigt werden, auch am breiteren öffentlichen Raum teilhaben zu können.

Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit Hillary Clintons Kandidatur?

Sie löst keine sehr enthusiastischen Gefühle bei mir aus. Dass eine unserer beiden großen Parteien eine Frau zur Kandidatin für das Präsidentenamt gewählt hat, ist eine Premiere, über die ich mich freue. Ich würde es begrüßen, wenn eine Frau ins Weiße Haus einziehen könnte. Doch nicht unbedingt Hillary Clinton.

Die frühere Außenministerin betrachte ich mit einer gehörigen Portion Misstrauen. Ich bedaure es, dass sie außenpolitisch ein Falke ist. Vielleicht kam sie zu dieser Haltung, weil sie zeigen wollte, dass sie die gleiche Härte wie ein Mann haben kann, der Grund für ihre Haltung ist aber unwichtig. Im Fall Libyens zeigte sie vergleichsweise sehr viel mehr Bereitschaft zum Einsatz militärischer Gewalt als Barack Obama. In Syrien war sie für die Einrichtung einer Flugverbotszone und sie glaubt, zu Unrecht wie ich meine, es sei möglich, zugleich an zwei Fronten zu kämpfen. Sie ist der Meinung, man könne gleichzeitig Bachar Al-Assad und den islamistischen Staat IS besiegen.

Weiterhin bin ich über ihre Verbindungen zur Wall Street beunruhigt. Diese Bande gehen weiter als von Goldman Sachs bezahlte Reden oder von Finanziers gespendete Zahlungen an die Clinton Foundation. Nichts deutet darauf hin, dass sie ernsthaft die Absicht hat, die Finanzwelt reformieren oder die im Lauf der letzten 30 Jahre praktizierte Orientierung der amerikanischen Politik zu ändern. Eine Epoche, die ja die Präsidentschaft ihres Mannes und die Präsidentschaft Barack Obamas mit einschließt.

Resultat dieser Politikausrichtung war eine Umverteilung des erzeugten Reichtums von den Ärmsten zu den Reichsten, von den 99% am wenigsten Reichen zu den 1% am Reichsten. Und Hillary Clinton ist die Kandidatin dieser 1%.

Aber Sie sprechen bisher nicht von Anliegen und Interessen der Frauen …

Es stimmt, dass sich Hillary Clinton schon lange für Fortschritte in der Frauenfrage einsetzt. Doch geschieht dies aus strikt liberalem Blickwinkel mit Vorrang für das Individuum, für gleiche Rechte in einem vom Markt definierten System. Nach dieser Denkrichtung müssen Diskriminierungen beendet werden, damit Frauen gleichberechtigt mit Männern um (höhere und höchste) Machtposten konkurrieren können. Doch diese Art von Feminismus macht sich nicht dafür stark, bestehende Hierarchien abzuflachen.

Wenn man sich in unserer von zunehmender Ungleichheit geprägten Zeit nur dafür einsetzt, dass Frauen die oberste Stufe einer Pyramide erklimmen können, ist das kein Streben nach mehr gesellschaftlicher Gleichheit.

Denn nur eine kleine Minderheit kann Nutznießer eines solchen Kampfes sein: die Frauen der schon Begüterten, die, aus der Mittel- oder Oberschicht kommend, studieren konnten und daher eine Art soziales Kapital für eine solche Karriere mitbringen.

Gegenwärtig erleben wir in den USA ein dramatisches Absinken des Lebensstandards von Frauen und Kindern, aber auch von Männern. Mein mehr sozialdemokratisch geprägter Feminismus untersucht sowohl allgemein strukturelle Ursachen gesellschaftlicher Ungleichheiten als auch Ungleichheiten in den Beziehungen der Geschlechter.

Tätigkeiten können in geschlechtsspezifisch nicht entlohnte Pflegearbeit und entlohnte Arbeit getrennt werden. Weibliche Emanzipation kann nicht vollständig sein, wenn sie sich nur mit der Arbeitswelt beschäftigt.

Sie haben Zweifel an der Kandidatur Hillary Clintons. Aber sollte man ihre Kandidatur nicht angesichts ihres – offen frauenfeindliche Reden haltenden – Rivalen Donald Trump unterstützen?

Ich unterstütze in keinster Weise Donald Trump. Dennoch sehe ich ihn weniger negativ als Sie wahrscheinlich glauben. Der republikanische Kandidat hielt schreckliche, frauenfeindliche, rassistische, antimuslimische und antimexikanische Reden. Er ist ein sehr impulsiver Mensch, genau das Gegenteil von Hillary Clinton.

Bei Hillary Clinton ist jedes Wort, das sie von sich gibt, ganz genau vorbereitet. Der Enthusiasmus für Trump beruht zumindest teilweise darauf, dass er in seiner impulsiven Art authentisch wirkt. Man muss auch zugeben, dass Trump eine sehr viel komplexere Persönlichkeit ist, als gemeinhin angenommen wird.

Wenn man für einen Augenblick von der mehr polemischen Seite seines Charakters absieht, muss man festzustellen, dass er ein alter Demokrat ist, der sich erst in jüngster Zeit der Republikanischen Partei angenähert hat. Schon lange trat er für ein allgemeines Gesundheitssystem ein, einer der Gründe, warum sich die republikanische Führung schwer mit seinem Sieg bei der Kandidaten-Vorwahl tut. Außerdem haben die Republikaner bei der Verbreitung von Macho-Gehabe nicht auf Trump gewartet. Die Republikaner taten dies bisher nur auf diskretere Art und Weise.

Es sei auch daran erinnert, dass Trump die Austeritätspolitik ablehnt. Weiter ist er gegen die Freihandelsabkommen. In einigen Punkten macht er eine bessere Figur als Hillary Clinton. So ist er kein außenpolitischer Falke und sucht die Verständigung, vor allem mit Wladimir Putin und hier stimme ich ihm zu. Ich glaube nicht, dass es im Interesse von irgendjemandem sein kann, Russland zu verteufeln und die NATO bis an die Grenzen Russlands auszuweiten, wie das Hillary Clinton wünscht.

Auf außenpolitischem Gebiet zeigt sich Donald Trump pragmatischer. Ich bin nicht für Isolationismus, aber unser Land hat in der Vergangenheit in zu vielen Ländern interveniert. Ich wiederhole, ich unterstützte nicht Trump. Doch ich glaube auch, bei seiner Einschätzung ist es wichtig, all zu leichten Simplifizierungen zu misstrauen. Trump ist kein Faschist, nähert sich Positionen des Front National an.

Er versucht Menschen anzusprechen, die von der Globalisierung abgehängt worden sind, unter ihr leiden bzw. berechtigte Beschwerde-Gründe gegen sie vorbringen.

Das Problem ist, dass Populisten Einwanderer und Flüchtlinge zu Sündenböcken stempeln. Trump gehört zu diesen Leuten, aber ich glaube nicht, dass alle seine Anhänger Faschisten sind. Es sind vor allem Menschen mit – aus guten Gründen – aufgestauter Wut im Bauch.

Würde nicht mit der Wahl von Hillary Clinton als Frau auf den Posten des obersten Chefs im Weißen Haus ein starkes Signal ausgesendet werden?

Dieser Amtsposten ist eher ein abstraktes Symbol.

Margret Thatcher und Angela Merkel lehrten uns schon, dass an die Macht gekommene Frauen keinesfalls eine Garantie für mehr soziale Gerechtigkeit sind. Symbole allein genügen nicht. Ich sage das am Ende eines Zyklus von zwei aufeinander folgenden Amtsperioden, die mehr symbolische Bedeutung hatten als die Wahl einer Frau, nämlich die Wahl eines Afro-Amerikaners (zum amerikanischen Präsidenten).

Die Wahl Obamas war eine Wahl von historischer Dimension. Dennoch ist Obamas Präsidentschaft enttäuschend ausgefallen. Leute, die von seiner Kandidatur begeistert waren, sind jetzt am Ende der Meinung, dass die besondere Identität eines Kandidaten ihn nicht auch automatisch qualifiziert. Man sollte ein wenig genauer auf die Überzeugungen der Kandidaten schauen. Obama trat in den Vorwahlen als Kandidat mit dem Versprechen an, zu neuen Ufern aufzubrechen und das Land umzugestalten – aber dieses Versprechen hat er nicht eingelöst.

Hillary Clinton verkauft sich als erfahrenste und qualifizierteste Kandidatin. Das heißt folgerichtig als die Kandidatin, die sich am besten an die vor Ort geltenden Wertvorstellungen anzupassen vermag.