Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? Oder: Die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? Oder: Die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? Oder: Die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki

Ein Artikel von Klaus Kenke

Der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima am 6. August 1945, der über 140.000 Todesopfer forderte, und auf Nagasaki drei Tage später bleiben Mahnmale ungeheuren menschlichen Leids. Albert Schweitzer, vor 150 Jahren geboren, kämpfte gegen Atomwaffen und sah sie als völkerrechtswidrig an. Generalmajor Jochen Löser kritisierte bereits 1981 die NATO-Atomwaffen-Strategie als Selbstzerstörung, warnte vor Fallout, dem elektromagnetischen Impuls (NP-Effekt) und plädierte für ein europäisches Sicherheitsnetz. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag verbietet Atomwaffen auf deutschem Boden, doch die aktuelle atomare Teilhabe stellt dies infrage. Jener „Sprung zum Frieden“, wie Schweitzer ihn unter Verweis auf den damaligen US-Präsident Eisenhower forderte, bleibt dringlicher denn je. Von Klaus Kenke.

„Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn? Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen! … Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe. Und unsichtbare Helme trägt man dort. Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe … Dort wird man nicht als Zivilist geboren. Dort wird befördert, wer die Schnauze hält. Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein. Es könnte glücklich sein und glücklich machen … Selbst Geist und Güte gibt‘s dort dann und wann! Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen. Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann. Das will mit Bleisoldaten spielen. Dort reift die Frucht der Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün. Was man auch baut – es werden stets Kasernen.“

Verse aus einem Gedicht von Erich Kästner. Geschrieben 1927. Zwischen den Weltkriegen.

1959 war es Albert Schweitzer, der die Welt und besonders uns Deutsche an Geist und Güte erinnerte.

Wir sind der Unmenschlichkeit verfallen, schreibt er, weil wir an das Ideal des Machtmenschen glauben, der herrscht und alle anderen unterwirft. Wir haben vor der Wissenschaft der Zerstörung kapituliert. Wir wagen uns nicht einmal, an das internationale Recht zu erinnern. Es besteht im Grunde nicht mehr. Wir spielen mit dem unmenschlichen Gedanken, Atomwaffen bei den Kriegen der Völker einzusetzen.

Albert Schweitzer, vor 150 Jahren geboren, hat wie kein anderer vor den Gefahren eines Atomkrieges gewarnt und für die Abschaffung dieser Waffen gekämpft. Seine Erkenntnis war: Atomwaffen sind gegen das Völkerrecht und können auch nicht zur Verteidigung eingesetzt werden. Ein Krieg mit diesen Waffen kann in nichts anderem bestehen als im grausigen, sinnlosen gegenseitigen Vernichten.

Die Verteidigungspolitik unserer Regierung hätte Albert Schweitzer fundamental widersprochen. Sie lässt zu, das auf deutschem Boden Atomwaffen stationiert werden, und beteiligt sich an der Gefahr einer Massenvernichtung durch die sogenannte atomare Teilhabe. Deutsche Bomberpiloten sollen sich verpflichten, Atomwaffen einzusetzen.

Eine Gruppe von Offizieren der Bundeswehr unter Führung von Generalmajor Jochen Löser hat bereits 1981/82 ein Konzept entwickelt, das sie Kriegsverhinderungsstrategie nannten.

Es ist einfältig, so schreibt er, dass die Menschen Strategien aufbauen, die ihre Selbstzerstörung bedeuten. Sie bilden sich ein, das könnte den anderen abschrecken, der ja auch vom Selbstmord bedroht ist. Wer diese Strategie verträte, nähme die gesamte Bevölkerung als Geisel. Die Entwicklung der Atomwaffen sei so präzise geworden und senke die Schwelle zum Erstschlag.

Löser macht auf zwei Faktoren aufmerksam, die uns bedrohen. Zum einen der „Fallout“. Die radioaktiven Partikel können bis in 49 bis 80 Kilometer in die Höhe getrieben werden und innerhalb von drei bis fünf Jahren auf die Erde zurückfallen. Da die Erde rotiert, bedroht dieser verzögerte Fallout die gesamte Menschheit.

Der zweite Effekt ist der elektronische Impuls oder NP-Effekt. Bei der Detonation eines Atomsprengkopfes (von 10 bis 20 Kilotonnen) in einer Höhe von 100 Kilometern werden durch elektronische Impulse sämtliche elektromagnetischen Zellen und Leitungen im Radius von 2.400 Kilometern gestört und zerstört. Das betrifft alle zivilen Einrichtungen, besonders Kernkraftwerke, in denen eine Fusionswirkung im GAU-Bereich ausgelöst werden kann.

Alle zivilen Versorgungseinrichtungen fallen aus, und nicht nur das: Alle Sensoren im militärischen Bereich fallen aus, alle Raketen, alle Funkgeräte.

Das Fazit lautet: Diese Strategie vernichtet das, was sie erhalten soll, nämlich die eigenen Lebensgrundlagen.

Löser kommt schon damals zu der Erkenntnis: Die NATO-Strategie verstößt gegen das Kriegsvölkerrecht. Die Bundeswehr darf nach dem Grundgesetz keine rechtswidrigen Verteidigungsaufträge erfüllen. Deshalb plädiert Löser für ein europäisches Sicherheitsnetz. Wir brauchen nach seiner Meinung eine Verteidigungsstruktur, die selbst niemanden bedroht, die Sicherheitsbedürfnisse des anderen berücksichtigt und einen selbstmörderischen atomaren Vernichtungskrieg verhindert.

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 verpflichtet uns nicht nur, „die Sicherheit eines Jeden zu berücksichtigen“, sondern verpflichtet uns auch zum „Verzicht auf Herstellung und Besitz und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen“.

Dies den USA auf deutschem Boden zu gestatten und sich selbst durch den Kauf von Atombombern, die von deutschen Piloten geflogen werden sollen, an einer atomaren Kriegsführung zu beteiligen, verstößt gegen das Völkerrecht, damit gegen das Grundgesetz (Artikel 25) und gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag.

Das Völkerrecht auszuhebeln durch die Macht des Stärkeren, muss angesichts unserer Geschichte verboten sein.

Der Abwurf der Atombomben und Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 hätte die Welt warnen müssen, jemals wieder Atomwaffen einzusetzen.

In einem Radioappell von 1958 sagte Albert Schweitzer:

„Wir haben die Wahl zwischen zwei Risiken. Das eine besteht in der Fortsetzung des unsinnigen Wettrüstens in Atomwaffen und der damit gegebenen Gefahr eines unvermeidlichen und baldigen Atomkrieges, das andere in dem Verzichten auf Atomwaffen.“

Zustimmend zitierte Schweitzer US-Präsident Eisenhower mit seinen Worten.

„Was die Welt heute mehr braucht als einen gigantischen Sprung in den Weltraum, ist ein gigantischer Sprung zum Frieden hin.“

Dieser gigantische Sprung ist der Mut und die Hoffnung, so Albert Schweitzer, „dass in den Menschen und Völkern der Geist der Vernünftigkeit den der Unvernünftigkeit und Unmenschlichkeit verdrängen könne“.

Titelbild: Hiroshima wenige Tage nachdem die USA mittels des US-Bombers “Enola Gay” die weltweit erste Atombombe („Little Boy“) einsetzten – Quelle: Shutterstock / Everett Collection