Ein Spendendinner zu Hochzeiten der Pandemie mit einem Minister als maskenlosem Stargast samt Mitessern, die für politische Zuarbeit danken, sollte eigentlich für einen Rücktritt reichen. Die Vergabe eines Millionenauftrags an eine öffentlich gesponserte Briefkastenfirma sowieso. Bei Jens Spahn liegen die Dinge anders. Von Ralf Wurzbacher.
Jens Spahn (CDU) verkehrt gerne mit Spezis. Die NachDenkSeiten hatten erst vor einem Monat an dieser Stelle über die besondere Begabung des Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag berichtet, sich mit Leuten zu umgeben, denen er gerne hilft und die ihm gerne behilflich sind. Zu einem ausgewachsenen Spezi-Treffen kommt es am 20. Oktober 2020 in Leipzig, kurz vor dem zweiten Corona-Lockdown. Geladen hat Peter Zimmermann, ehemals Staatssekretär in Thüringen und Sachsen und Geschäftsführer der PR-Firma Wolffberg Management Communication, die engste Verbindungen zur CDU unterhält. In einem am Mittwoch ausgestrahlten Video nennt der Spiegel Zimmermann einen „Strippenzieher“, Spitzname: „Pezi“. 2017 hatte er schon einmal für Spahn Wahlplakate produziert, unentgeltlich, wie es in dem Beitrag heißt.
Mit dabei an besagtem Abend: „ein Dutzend vor allem finanzstarke Persönlichkeiten“ der Heldenstadt, „Immobilien- und Medienunternehmer, Rechtsanwälte, Ärzte, einige davon mit durchaus zweifelhaftem Ruf“, wie der Branchendienst Apotheke Adhoc vor dreieinhalb Jahren festhielt. Und mittendrin Spahn als „Hauptgast“. Noch am Morgen desselben Tages hatte der damalige Bundesgesundheitsminister im ZDF-Morgenmagazin vor privaten Zusammenkünften gewarnt, weil man die Hauptansteckungspunkte kenne, „nämlich beim Feiern, beim Geselligsein, (…) auf der Party, im Club“. Von dem Stelldichein am Abend existieren Aufnahmen, die Spahn zeigen, ins Gespräch vertieft, ohne Maske. Einen Tag darauf wird er positiv auf Corona getestet. Da hat er sich wohl etwas eingefangen. Das nicht zu knapp. Zimmermanns Einladung lag eine Einzugsermächtigung bei und zehn Gäste kreuzen mit Spendierhose auf. Jeder von ihnen macht 9.900 Euro locker, 100 Euro mehr und ihre Namen gehörten veröffentlicht. Insgesamt wandern so knapp 100.000 Euro aufs Konto von Spahns CDU-Kreisverband.
„Rücktritt unvermeidlich“
Am Dienstag meldete sich Kay-Uwe Ziegler, Mitglied der AfD-Bundestagsfraktion, mit einem Pressestatement zu Wort. Er hat beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) erfragt, wie viele Corona-Masken seit Herbst 2023 vernichtet worden sind. Den NachDenkSeiten liegen die Antworten vor: Es waren circa drei Milliarden an der Zahl, sie seien der „energetischen Verwertung zugeführt“ worden zu Kosten von etwa 7,5 Millionen Euro. Wobei weitere 60 Millionen Masken auf Entsorgung warten würden. Ziegler wollte außerdem wissen, wie viele Masken tatsächlich an die Bevölkerung ausgegeben wurden: Es waren 2,12 Milliarden.
Spahn hatte seinerzeit, wie bei den NachDenkSeiten zuletzt hier berichtet, mehrere Milliarden Masken zu extrem überhöhten Preisen im Wert von knapp sechs Milliarden Euro geordert, auf Teufel komm raus, ohne gesetzliche Grundlage und gegen alle bis dahin üblichen Beschaffungsregeln und Vergaberichtlinien. Das durch die Bundesregierung „eingestandene Ausmaß an Geldverschwendung“ sei ein „Skandal, der endlich die Öffentlichkeit – und vor allem den Steuerzahler – erreichen muss“, äußerte sich AfD-Mann Ziegler und bemerkte mit Blick auf den CDU/CSU-Fraktionschef: „Ein Rücktritt ist unvermeidlich.“
Einfach atmen – und absahnen
Der Vorwurf der Vetternwirtschaft bezog sich bislang insbesondere auf das Engagement des Unternehmens Fiege aus Spahns Heimat, dem Münsterland. Als Minister hatte er dieses, gegen den Rat von Experten, auf dem kurzen Dienstweg, also ohne Ausschreibung, mit der logistischen Mammutaufgabe betraut, Masken aus aller Welt heranzuschaffen, zu lagern und weiterzuverteilen. Das Unterfangen scheiterte auf ganzer Linie. Die Republik wurde von Masken überschwemmt, viele davon waren wegen Qualitätsmängeln nicht zu gebrauchen, noch viel mehr wurden aus medizinischer Sicht gar nicht gebraucht. Vor den Gerichten sind heute noch etliche Klagen von geprellten Geschäftskunden des BMG anhängig, die auf ihrer Ware sitzengeblieben sind, weil das BMG vor lauter Masken Hals über Kopf die Verträge annullierte. Allein hier droht ein zusätzlicher Schaden von bis zu 3,5 Milliarden Euro.
Nun aber rückt eine weitere Firma in den Fokus, die SimpleBreath GmbH in Markranstädt bei Leipzig, und mit ihr besagter „Pezi“ Zimmermann. Der hatte zum Zeitpunkt der Unternehmensgründung einen bei seiner Agentur Wolffberg angestellten persönlichen Referenten namens Kevin Straßburger, der ebenfalls als gut vernetzt in der CDU gilt. Eben der übernahm die Geschäftsführung bei SimpleBreath, als der Laden Anfang April 2020 auf der Bildfläche erschien, als Briefkastenfirma mit 400 Euro Stammkapital, ohne Expertise und Erfahrung mit medizinischen Produkten und Schutzausrüstung. Später ließ einer der beiden Gründer mitteilen, schon einmal „eine Ausbildung im Rettungsdienst gemacht“ zu haben. Trotzdem angelte sich SimpleBreath nur eine Woche nach Gründung, am 15. April, einen Großauftrag des BMG zur Herstellung von 333 Millionen Masken. Zu diesem Zeitpunkt war die Firma weder im Handelsregister aufgeführt (das passierte erst am 18. Mai), noch besaß sie eigene Produktionskapazitäten. Vielmehr musste sie die erst aufbauen und erhielt dafür staatliche Förderungen in Höhe von insgesamt zwei Millionen Euro, veranlasst durch das Bundeswirtschaftsministerium.
Krisen steuern
Zusammengefasst: Das BMG vergab einen Millionenauftrag an eine Firma, die praktisch noch gar nicht existierte, keine Ahnung von nichts hatte, geschweige denn eine Fertigungsstätte, und wirft ihr noch großzügig Geld hinterher, damit die überhaupt loslegen kann. Und an sämtlichen Schalthebeln – im Ministerium bis runter zum SimpleBreath-Chefsessel – sitzen CDU-Leute, die Verbindungen zu Ressortchef Spahn haben. Aber die Geschichte geht weiter. Nach dem Ende der Pandemie, als die Luft raus war aus dem Maskenbusiness, trat Straßburger einen weiteren Posten an: bei der Wictory GmbH, für die er bis März dieses Jahres fungierte. Die Firma kümmert sich um Wahlwerbung und Plakate für politische Parteien und teilt sich die Geschäftsräume mit der Wolffberg Management Communication von „Pezi“ Zimmermann in der Leipziger City. Dabei hält Wolffberg ebenso wie SimpleBreath Anteile an Wictory, was zumindest den Verdacht nahelegt, dass auch Zimmermann an dem Maskendeal mitverdient haben könnte, den Spahn als dessen langjähriger Vertrauter und Duzfreund womöglich persönlich eingefädelt hat.
Bewiesen ist das nicht, aber sehr vieles spricht dafür, nicht zuletzt die Spendierfreude derer, die aus Spahns politischem Wirken Kapital schlagen, sei es finanzieller Nutzen oder größere Nähe zu den Entscheidern. „Unsere Mission ist es, Komplexität zu durchdringen, Interessen wirkungsvoll zu positionieren und Krisen vorausschauend zu steuern“, wirbt die Wolffberg GmbH auf ihrer Webseite. Wie Apotheke Adhoc vor drei Jahren schrieb, gehörte auch die Paracelsus-Klinikkette zu den Kunden. Und siehe da: Als Minister machte Spahn gleich mehreren Standorten seine Aufwartung, schöne Bilder inklusive. Der Spiegel lässt im Filmbeitrag einen Informanten zu Wort kommen:
Projekt Kanzlerschaft
„Dass Spahn Masken braucht, war bekannt. Zimmermann sieht solche Chancen und nutzt sein Netzwerk. Er nimmt sich jemanden, dem er vertraut, in dem Stil, ihr verdient jeder drei Millionen, ich zwei, lass es uns machen. Oder er macht es nur, um dem damaligen Kanzleraspiranten einen Gefallen zu tun und seinen Draht ins Kanzleramt zu verbessern.“
Zimmermann bestreitet, von den Maskendeals profitiert zu haben und eine geschäftliche Beziehung zu SimpleBreath zu unterhalten. Er sei „weder direkt noch indirekt in irgendeiner Weise“ an der Akquisition des Auftrags beteiligt gewesen, erklärte er gegenüber dem Spiegel per Eidesstattlicher Versicherung.
Und was ist mit der Verbindung zu SimpleBreath über die Wictory GmbH? Er habe Stellplatz gebraucht und das Gelände der Firma liege verkehrsgünstig, ließ er seinen Anwalt ausrichten. Die SimpleBreath-Chefs hätten einer Vermietung allerdings nur gegen eine Beteiligung bei Wictory zugestimmt. So kommt eins zum anderen und stehen heute auf dem Betriebshof einer Maskenfabrik, die keiner mehr braucht, haufenweise Plakatwände, von denen vielleicht in wenigen Jahren Jens Spahn strahlt – als kommender Kanzlerkandidat. Schlimme Aussichten!
Titelbild: OpenAI – Das Titelfoto ist ein mit künstlicher Intelligenz erstelltes Symbolbild