Gerade in einem Moment, in dem es angesichts der anstehenden BSW-Klage in Karlsruhe wegen der Neuauszählung der Bundestagswahl sowie dem im Raum stehenden AfD-Verbotsverfahren eigentlich geboten wäre, dass die höchsten Vertreter von Exekutive und Judikative im Sinne der Gewaltenteilung mehr Abstand wahren als sonst – geschieht genau das Gegenteil: Bundeskanzler Friedrich Merz und das Bundeskabinett trafen sich letzte Woche im Bundeskanzleramt zu einem Abendessen mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts als „Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung“. Politische Instinktlosigkeit oder bewusste Provokation? Von Florian Warweg.
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Am 9. Oktober informierte das Bundeskanzleramt in einer knappen Mitteilung über ein anstehendes gemeinsames Abendessen von Vertretern der Bundesregierung mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG):
„Am Donnerstagabend nehmen der Bundeskanzler und das Bundeskabinett an einem Abendessen mit den Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts im Bundeskanzleramt teil. Diese Treffen finden seit Jahrzehnten regelmäßig statt und sind ein traditionelles Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung zwischen zwei Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates.“
Was dabei konkret besprochen wurde, ist nicht bekannt und wird auch grundsätzlich nicht öffentlich gemacht. Dieser Vorgang ist keine Kleinigkeit. Mit dem Abendessen werden die Grenzen der Gewaltenteilung zwischen zwei zentralen Verfassungsorganen, dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung, die in einem Rechtsstaat klar gezogen sein sollten, bewusst verwischt. Dies zudem zu einem hochsensiblen Zeitpunkt.
Denn die im Bundeskanzleramt mit Kanzler und Bundesministern dinierenden obersten Verfassungsrichter werden sehr wahrscheinlich in naher Zukunft Entscheidungen mit massiven Auswirkungen auf die aktuelle Bundesregierung fällen. Da wäre zum einen die anstehende Klage des BSW in Karlsruhe zur Neuauszählung der Bundestagswahl, sobald der Wahlausschuss des Bundestages dafür den Weg freigemacht hat. Die Folgen einer Neuauszählung, die nach aktuellem Stand sehr wahrscheinlich das BSW in den Bundestag bringen würde, wären für die amtierende Bundesregierung und Kanzler Merz fatal: Die Koalition aus CDU und SPD hätte keine Mehrheit und der Kanzler keine Legitimation mehr.
Und ausgerechnet in so einem Moment treffen sich Verfassungsrichter und Bundesregierung zu einem Abendessen, bei dem sie sich, da weder protokolliert noch sonst irgendwie das Gesprochene festgehalten wird, über alle möglichen Themenfelder austauschen können. Und mit Sicherheit unterhielten sich beispielsweise Kanzler Merz und Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts mit CDU-Parteibuch, nicht nur über die großartigen Leistungen ihrer respektiven Friseure. In vielen anderen europäischen Staaten ist dies übrigens transparenter geregelt. So gibt es solche Treffen zum Beispiel durchaus auch in Großbritannien, aber mit einem entscheidenden Unterschied: Der Inhalt dieser Gespräche wird protokolliert und ist öffentlich einsehbar. Nicht so in der Bundesrepublik Deutschland, dort gilt das Abendessen zwischen Regierung und Verfassungsrichtern als „nichtöffentlicher Termin“, über den keine Rechenschaft abgelegt werden muss.
Zum anderen gibt es die aus dem politischen Raum eingebrachte Forderung nach einem Verbotsverfahren gegen die AfD. Es ist evident, dass von einem erfolgreichen Verbotsverfahren vor allem die Regierungspartei CDU unter Kanzler Merz profitieren würde. Ein Verfahren, welches ebenfalls in den Aufgabenbereich des obersten deutschen Gerichtes fallen würde.
Déjà-vu? Merkels Abendessen mit den BVerfG-Richtern in der Corona-Zeit
Der ganze Vorgang weckt Erinnerungen an den 30. Juni 2021. An jenem Tag traf sich das Merkel-Kabinett ebenfalls zum Dîner mit den Richtern der beiden Karlsruher Senate im Kontext der damaligen Corona-Krise. Verfassungsrichterin Susanne Baer hielt dazu einen Vortrag zum Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ und die damalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) referierte nach Informationen des juristischen Fachportals LTO zu „politischen Unsicherheiten während der Coronakrise“.
Eine Woche nach diesem Treffen lehnte das Bundesverfassungsgericht alle vorliegenden Beschwerden (weit über hundert) gegen die verhängten „Infektionsschutzmaßnahmen“ ab.
Dieser Vorgang hat bis heute anhaltende Folgen für die Glaubwürdigkeit von Exekutive und Judikative in dieser Republik. Dass die aktuelle Bundesregierung mit diesem erneuten Treffen weiter das Vertrauen in die Unabhängigkeit von Politik und Justiz erodieren lässt, scheint Kanzler Merz nicht groß zu stören …
Titelbild: Screenshot Bundeskanzleramt
Das Bundesverfassungsgericht im Zentrum politischer Auseinandersetzungen
Wenn das Bundesverfassungsgericht Regierungsversagen sekundiert