Immer drauf: MDR und Uni Leipzig arbeiten sich an „den Ostdeutschen“ ab

Immer drauf: MDR und Uni Leipzig arbeiten sich an „den Ostdeutschen“ ab

Immer drauf: MDR und Uni Leipzig arbeiten sich an „den Ostdeutschen“ ab

Ein Artikel von Frank Blenz

Die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt MDR hat dieser Tage einen Beitrag zum Thema Demokratieforschung, konkret zu einer Studie von Oliver Decker von der Universität Leipzig veröffentlicht. Bilanzierend wird darin festgestellt: „Viele Ostdeutsche fremdeln mit Demokratie und wünschen sich autoritären Staat“. Dass die Studie im MDR, der Sender gilt als Haussender der Ostdeutschen, ausgerechnet nach der Landratswahl im thüringischen Sonneberg veröffentlicht wird, verstärkt den Eindruck, dass es vor allem darum geht, die „Bürgerschaft des Ostens“ zu diskreditieren. Wieder einmal. Zudem fehlt ein Gegenpart, der MDR winkt Deckers Werk einfach durch, als wäre es ein festgeschriebener Fakt. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Inhalt der Arbeit, die der MDR unwidersprochen zu einem Beitrag macht, trieft nur so vor Vorurteilen und Abwertungen gegenüber dem sonderbaren Osten, er zeigt, wie Umfragen geradezu gesteuert werden, um entsprechende Ergebnisse zu generieren. Fragt man so, bekommt man die Antworten, die man braucht. Der MDR hievt die Umfrage prominent auf seine Seite und schreibt in der Einleitung von einem erschreckenden Zeugnis – ein böser Tritt des Senders ans ostdeutsche Schienbein:

Antisemitische Ressentiments sind weit verbreitet, ausländerfeindliche Aussagen werden von vielen akzeptiert, der Wunsch nach einer autoritären Herrschaft ist ausgeprägt: Eine neue Studie zum Zustand der Demokratie in Ostdeutschland stellt vor allem Mitteldeutschland ein erschreckendes Zeugnis aus.

Nebenbei, als im Osten geborener, aufgewachsener und hier gebliebener Bürger kann ich derlei Umfrageergebnisse samt ihrer „Einordnung“ nur lächerlich finden, mehr noch, sie sind herabwürdigend, verabsolutierend und falsch. In meiner Lebensumgebung mit vielen Mitmenschen, und zwar aus Ost und West, aus Nord und Süd, aus Nah und Fern, kenne ich keinen (!), der das Modell einer gelebten, echten Demokratie ohne Machtmissbrauch gewählter Personen ablehnt. Unter ihnen findet sich auch niemand, der sich einen autoritären Staat wünscht. Ganz im Gegenteil. Drei Jahre autoritäre Realitäten während der Corona-Zeit liegen vielen noch schwer im Magen und gegenwärtige autoritäre Praktiken in Politik, Gesellschaft und bei den Medien stoßen auf. Von der Vergangenheit zu tiefen DDR-Zeiten ganz zu schweigen.

Ich kann ebenso versichern, dass ich nicht in einer speziellen Blase von Mitbürgern lebe, die konspirativ um Lagerfeuer sitzen und sich gute alte Zeiten zurückwünschen. Und ja, es gibt im Osten wie im Westen auch Menschen, die politisch radikal sind, die sich organisieren, die in Konflikt mit den Gesetzen kommen.

Die Studienmacher können das aber nicht mal schön allen Ostdeutschen in den Rucksack packen und gleich die ganzen Menschen im Osten dafür in Haftung nehmen. Noch einmal: Dass in Ostdeutschland dann laut Decker und Team eben „viele“ fremdeln (mindestens) und eine stramme Führung ersehnen – ist schlicht Nonsens.

Das alles scheint die Umfragenden, die Wissenschaftler um Oliver Decker, die Redakteure beim MDR nicht zu interessieren. Sie befinden in ihrer, vom MDR als repräsentativ qualifizierten Umfrage anderes und das klingt selbstgefällig, kalt und arrogant:

Die repräsentative Befragung des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Uni Leipzig (EFBI) unter gut 3.500 Menschen ergab einen Hang zur Verschwörungsmentalität, den “Wunsch nach autoritärer Unterwerfung” und eine sogenannte hohe politische Deprivation. Zwei Drittel halten es demnach für sinnlos, sich politisch zu engagieren, und kaum jemand glaubt, einen Einfluss auf die Regierung zu haben.
Die Zufriedenheit mit der Demokratie, wie sie im Alltag funktioniert, ist der Befragung zufolge schwach ausgeprägt. “Wir beobachten also ein ausgeprägtes Fremdeln mit der Demokratie, sie wird von Vielen nicht als etwas Eigenes verstanden”, ergänzt der an der Studie beteiligte stellvertretende Direktor des EFBI, Johannes Kiess. Diese Werte seien seit etwa 20 Jahren konstant.

Der Fachmann aus Westdeutschland haut die Menschen in Ostdeutschland in die Pfanne

Aha. Decker und seine Fachleute finden also, dass die Ostdeutschen wieder mal nachsitzen müssten. Nebenbei sei erwähnt, dass der in Leipzig an der Uni bestens platzierte Wissenschaftler Decker ein Westdeutscher ist, wenn wir schon mal bei Geo-Biografien sind. Auf vielen Spitzenpositionen im Osten sind Westdeutsche zu finden.

Dem somit für Ostdeutschen-Belehrung geeignete Studienleiter sei in der nun einmal aufkommenden Debatte, der Kritik, der Empörung über sein Werk ein Blumenstrauß von Fragen zu überbringen:

  • Wer sind DIE Ostdeutschen?
  • Sind Bürger, die geografisch in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg (dazu noch Berlin/Ost), Mecklenburg-Vorpommern leben, automatisch Ostdeutsche?
  • Sind Westdeutsche, die in Ostdeutschland leben, nur bis zu dem Zeitpunkt Ostdeutsche, solang sie ihre Vorteile daraus ziehen, in Fragen der Radikalität indes werden sie wieder zu guten Westdeutschen?
  • Wenn Sie zum Schluss kommen, dass Befragte mit der aktuellen Form der „Demokratie, wie sie im Alltag funktioniert“, nur schwach ausgeprägt zufrieden sind, kommt Ihnen da nicht die Frage auf, ob das vielleicht an der aktuell praktizierten Demokratie liegen könnte, die sich als eine fragile, als eine von Eliten und Amtsinhabern, von Institutionen und Organisationen ausgenutzte herausstellt, und eben so keine echte ist und auch nicht funktioniert?

Und ja, diese Art von „Demokratie“ wird von Menschen, deren Sozialisation eben auch im Osten ausgeprägt wurde und wird, folgerichtig als etwas „nicht Eigenes“ verstanden. Das liegt auch daran, weil andere, sprich zum Beispiel Westdeutsche, Ostdeutschen sagen, wo und wie es langzugehen hat.

Kennen Sie das Buch „Der Osten – eine westdeutsche Erfindung“ von Dirk Oschmann, Herr Decker? Oschmann, ein Uni-Kollege von Ihnen, rechnet mit der Abstempelung der Ostdeutschen durch die Westdeutschen ab, die in der Form geschieht, dem Osten eine Identität zuzuschreiben, die Attribute vereint wie Populismus, mangelndes Demokratieverständnis, Rassismus, Verschwörungsmythen und Armut. Oschmann schreibt, dass sich der Westen noch immer als Norm definiert und der Osten als Abweichung. Diese Studie samt ihrer Macher sind ein aktueller Beleg dafür, wie ich finde.

Sehnsucht nach einer Diktatur?

Die Studie samt der Präsentation im von den Ostdeutschen an und für sich geschätzten MDR ist eine Zumutung und sie beweist die These Oschmanns, dass man den Osten zur Abweichung abstempelt. Man nehme nur einmal so eine Aussage über eine gewisse Sehnsucht:

Sehnsucht nach der Einparteiendiktatur

Zwei Drittel der Ostdeutschen zeigten eine ausgeprägte Sehnsucht nach der DDR. Etwa die Hälfte rechne sich zu den Gewinnern der deutschen Einheit, ein Drittel hingegen zähle sich zu den Verlierern. Insgesamt sei die Identifikation als Ostdeutsche hoch. Der Rückblick auf die DDR hängt den Studienautoren zufolge nicht zuletzt mit dem Wunsch nach einer Einparteiendiktatur zusammen. Eine hohe Zustimmung gab es den Angaben zufolge zur Forderung nach “einer einzigen starken Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert”. Statt pluralistischer Interessensvielfalt werde eine “völkische Gemeinschaft” gewünscht. Entsprechend hätten extrem-rechte Parteien mit ihren ideologischen Angeboten im Osten besonders viele Anknüpfungspunkte in der Breite der Bevölkerung.

Einparteiendiktatur. Das Wort meint wohl die SED? Decker und Co. vergessen, verschweigen, dass 1989 viele Menschen in Ostdeutschland gerade gegen diese Einparteiendiktatur auf die Straße gingen. Die Studienautoren wissen, dass gerade mit der Wiedervereinigung große, ehrliche Erwartungen, Hoffnungen, Sehnsüchte seitens der Bürger im Osten (und die auch und gerade an ihre Brüder und Schwestern im Westen) geweckt wurden. Das schloss und schließt die Forderung nach einer echten, einer lebendigen Demokratie ein, eine politische Machtausübung und Ausgestaltung der Gesellschaft, in der alle sich wiederfinden und vertreten werden.

Völkische Gemeinschaft

Statt pluralistischer Vielfalt werde sich im Osten eine völkische Gemeinschaft gewünscht, befinden die Studienautoren. Und wieder ist nur der Osten im Spiel. Ja, sicher, die Studie wurde im Osten durchgeführt. Warum eigentlich wurde keine gesamtdeutsche Studie erstellt. Ist Deutschland nicht seit 1990 ein demokratisches, vereintes Vaterland? Mit der Konzentration auf Ostdeutschland und derlei Sätze von „völkisch“ bis „Einfalt statt Vielfalt“ wird ein gefährliches, spalterisches, ungerechtes Spiel gespielt. Das ist unfair und geradezu feindselig gegenüber einem Teil der Bevölkerung der gesamten Bundesrepublik.

Wenn man also solche Ergüsse – man verzeihe mir die derbe Bezeichnung –, solche Erkenntnisse als wissenschaftlich generiert und praktisch als „Gesetz“ verkauft und sich traut, diese auch noch zu veröffentlichen, muss man als Leser doch annehmen, dass man die Gegenseite der Ostdeutschen, also die Westdeutschen, um einiges besser finden muss, reifer, demokratiefreundlicher, mehrparteien-affin, keine völkische Gemeinschaft wollend. Dass die Partei AfD im Westen in Hamburg gegründet wurde, dass die Denkfabriken konservativer, reaktionärer bis faschistischer Kreise ihre Hauptquartiere und Finanzierungsquellen im Westen haben, sei nur nebenbei erwähnt.

Kauft nicht beim Sonneberger

Die Studie ist ärgerlich. Die Polemik gegen Ostdeutschland nimmt aber nicht nur in solchen Schriften Fahrt auf. Gerade wurde wieder einmal gewählt. In Thüringen. Das Ergebnis ist drastisch ausgefallen. Einige Reaktionen von demokratisch gesinnten Bürgern wie zum Beispiel durch einen Medienprofi (vom MDR) geraten alles andere als demokratisch und weise. Dort wird doch tatsächlich gefordert: Kauf nicht beim Sonneberger. Ein Witz? Keineswegs. Michael Voß, Chef vom Dienst und Autor des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), ja derselbe MDR wie hier in Sachen Studie, forderte in einem Tweet, den gesamten Kreis Sonneberg in Südwestthüringen mit seinen 56.000 Einwohnern „im Tourismus, in der Wirtschaft und auf allen Ebenen“ zu boykottieren, um sie für das Wahlverhalten der Mehrheit abzustrafen. Voß’ Motto lautet: „Schützt die Demokratie“.

An die Adresse des staatsfernen MDR:

Wo ist eigentlich in dem MDR-Beitrag über die Studie der Abschnitt, in dem Kritiker der Studie zu Wort kommen? Gut wäre es doch, wenn der Umfrage von Decker eben auch der sicher vorhandene Gegenwind entgegenwehen würde. Oder sind wir alle einer Meinung?

Ganz subjektiv und doch gefühlt unwohl lässt mich eine andauernde Beobachtung nicht los: Immer wieder, das ist geradezu Alltag, belassen es die Nachrichtenredaktionen im Land mit der Vermeldung einer Information, indem der Inhalt als gültig, als akzeptiert, als somit richtig vermeldet wird. Regierungspolitik wird so als alternativlos verkauft; Aktivitäten von politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Persönlichkeiten ebenso, solange sie gerade herrschenden Narrativen entsprechen. Früher machte man sich noch die Mühe, aus einer Bundestagsdebatte zu berichten, indem zunächst die Regierung zu Wort kam und danach die Entgegnung der Opposition. Das Für und Wider kommt zunehmend aus der Mode. Man traut dem Publikum die eigene Meinungsbildung nicht zu, oder?

Titelbild: MichaelJayBerlin/shutterstock.com

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