Hinweise der Woche

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Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lesenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)

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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Deutschland unter Vormundschaft: So ruinieren deutsche Politiker im Einvernehmen mit den USA das eigene Land.
  2. Der Übergang zur Diplomatie (I)
  3. Wir können jetzt verstehen, wie Russland und China denken
  4. 41 Cent »Respekt«
  5. Cum-Ex: Wie sich der deutsche Staat an den illegitimen Geschäften beteiligt hat
  6. Wie die Spaltung der Gesellschaft einen ruinösen Status quo zementiert
  7. Birte spielt nicht mehr mit
  8. Nach Sonneberg hilft nur Ehrlichkeit: Die AfD erkennt die Interessen vieler Bürger
  9. Marsch der Ironie: Nicht nur Prigoschin hat sich verrechnet
  10. Medien mit Bevormundungsgehabe: Haltungsjournalisten, wie sie die NZZ agieren lässt, wollen keine Meinungsvielfalt. Sie halten deshalb Informationsvielfalt für entbehrlich

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnenswertesten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Deutschland unter Vormundschaft: So ruinieren deutsche Politiker im Einvernehmen mit den USA das eigene Land.
    Es braucht mittlerweile Mut, in Deutschland oder in der Schweiz die großen Medien und/oder Politiker der totalen Einäugigkeit zu bezichtigen. Schon ist man ein Putin-Versteher – oder schlimmer. Aber es gibt sie zum Glück noch, jene Intellektuellen und Publizisten, die den Mut haben, klare Worte zu sprechen. Zu ihnen gehört der Schriftsteller Wolfgang Bittner, der deshalb auch schon auf der Schwarzen Liste der Ukraine figuriert – Globalbridge.ch berichtete. Jetzt hat Bittner in einem kurzen Beitrag wieder auf einige Realitäten hingewiesen, die sonst einfach verschwiegen oder «vergessen» gemacht werden.
    Die USA schaffen nach dem Prinzip “teile und herrsche” seit Jahrzehnten zerstörte und zerstückelte Länder: Korea, Vietnam, Zypern, Jugoslawien, Libyen, Irak, Syrien – um nur einige zu nennen. Deutschland ist ein ganz spezieller Fall, seit 1945, nach der bedingungslosen Kapitulation, befindet es sich in den Händen der USA. Wie würde Deutschland, wie würde Europa heute dastehen, wenn es zu dem von Michail Gorbatschow und Wladimir Putin vorgeschlagenen “europäischen Haus” gekommen wäre, einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon? Aber das haben die USA vereitelt. Dennoch ist es nicht gelungen, das Chaos und die Konfusion in Deutschland zu verhindern. Die Bevölkerung ist tief gespalten, indoktriniert und aufgehetzt – ein absurdes Theater.
    Quelle: Wolfgang Bittner in Globalbridge
  2. Der Übergang zur Diplomatie (I)
    Die westlichen Mächte steigen in Verhandlungen mit Kiew über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs ein. Am Samstag sind in Kopenhagen Repräsentanten der G7-Staaten, der Ukraine und mehrerer Länder des Globalen Südens zusammengetroffen, um erstmals gemeinsam Friedensgespräche in Aussicht zu nehmen. Konkrete Ergebnisse wurden dabei noch nicht erzielt; die Verhandlungen sollen aber fortgesetzt werden. Dass im Anschluss an die aktuelle ukrainische Gegenoffensive Gespräche zumindest über einen Waffenstillstand geführt werden sollen, ist als Ziel der Biden-Administration seit geraumer Zeit erkennbar. Ursachen sind die abnehmende Zustimmung in der US-Bevölkerung für die Unterstützung der Ukraine und der Präsidentschaftswahlkampf, der für Biden eine Fortsetzung der milliardenschweren Hilfsleistungen nicht angeraten sein lässt. Auch in Europa schrumpft der Anteil derjenigen, die Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland befürworten. Ein ehemaliger US-Regierungsmitarbeiter spricht sich dafür aus, spätestens im Herbst konkret auf einen Waffenstillstand zu orientieren. „Am schwierigsten“, urteilt er, dürften dabei „die Gespräche mit den Ukrainern“ sein.
    Quelle: German Foreign Policy

    dazu: Der Übergang zur Diplomatie (II)
    Mit deutscher Beteiligung haben am Wochenende erste multilaterale Verhandlungen mit Kiew über eine Beendigung des Ukraine-Krieges begonnen. Am Samstag fanden in Kopenhagen Gespräche der G7-Staaten, der Ukraine sowie von fünf Ländern des Globalen Südens statt, die an Vermittlungsbemühungen zwischen Russland und der Ukraine beteiligt waren oder sind. Ziel des Treffens war es explizit, Friedensverhandlungen in Gang zu bringen; weitere Zusammenkünfte sollen folgen. In Kopenhagen ging es unter anderem um Sicherheitsgarantien, darunter nicht nur solche für die Ukraine, sondern auch Garantien für Russland. Öffentlich werden diese freilich noch zurückgewiesen. Außenministerin Annalena Baerbock etwa verlangte am gestrigen Dienstag bei einem Besuch in Südafrika, Russland müsse umgehend „seine Soldaten abziehen“. Unterdessen setzen Staaten des Globalen Südens ihre Suche nach einer Verhandlungslösung fort. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa ist erst kürzlich von einer „afrikanischen Friedensmission“ zurückgekehrt. Brasiliens Präsident Lula klagt, es sei offenkundig „Mode unter den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates“ geworden, „in andere Länder einzufallen“. Das müsse enden.
    Quelle: German Foreign Policy

    dazu auch: Hinterzimmer steht offen
    Geheimes Treffen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs in Kopenhagen. Globaler Süden maßgeblich beteiligt.
    Die G7-Staaten erkennen die Notwendigkeit von Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs an und steigen in erste konkrete Gespräche darüber ein. Das ist das implizite Ergebnis eines geheimen Treffens am Sonnabend in Kopenhagen, bei dem Vertreter der sieben größten Industrieländer des westlichen Teils der Welt mit einigen Ländern des globalen Südens zusammentrafen. Gegenstand der Debatten seien »Grundprinzipien eines Friedens« zwischen Russland und der Ukraine gewesen, hieß es. Offiziell hatte die Ukraine zu der Zusammenkunft eingeladen; Dänemark war als Gastgeber präsent. Der globale Süden war mit fünf Staaten vertreten, die auf unterschiedlicher Ebene bereits als Vermittler tätig waren bzw. sind – die BRICS-Staaten Brasilien, Indien und Südafrika sowie die Türkei, die das Getreideabkommen vermittelt hat, und Saudi-Arabien, das einen Gefangenenaustausch organisieren konnte. Die Ukraine und die G7-Staaten nutzten das Treffen zunächst, um zu versuchen, einen Keil zwischen Russland und den globalen Süden zu treiben. Dies geht aus Äußerungen von Celso Amorim hervor, der als Chefberater von Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva an dem Kopenhagener Treffen beteiligt war. Demnach legte der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, den Entwurf für eine Abschlusserklärung zu dem Treffen vor, der auf Teilen der »Friedensformel« von Präsident Wolodimir Selenskij vom November 2022 basierte. Letztere sieht unter anderem den kompletten Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine vor. Amorim zufolge lehnten die fünf Staaten des globalen Südens Jermaks Vorstoß klar ab, der im übrigen die Ursache dafür gewesen sein könnte, dass China – anders als zunächst angekündigt – gar nicht erst an der Zusammenkunft teilnahm. Weitere Treffen sollen folgen, womöglich schon im Juli. Amorim legte Wert auf die Feststellung, es ergebe wenig Sinn, weiterhin ohne China und vor allem ohne Russland zu verhandeln. Immerhin wurde in Kopenhagen, wie Kanzlerberater Jens Plötner berichtete, schon über Sicherheitsgarantien verhandelt – und zwar nicht nur über solche für die Ukraine, sondern auch über Garantien für Russland. Er nannte als Beispiel ein Verbot, in der Ukraine Marschflugkörper zu stationieren.
    Quelle: Jörg Kronauer in junge Welt

    und: Kyiv must seize this moment. Otherwise, stalemate might be inevitable.
    By this yardstick — and as we enter the fourth week of Ukraine’s counteroffensive — the inescapable fact is that the prognosis is more of the same. So far, Ukrainian attackers have been able to take back fewer than 50 square miles each week. On both sides of the divide, each dug trenches, planted mines and built defenses making it difficult for the other to mobilize the 3-to-1 advantage offensive forces usually need to force a breakthrough.
    To put the matter in perspective: Today, Russia controls about 17 percent of the territory that was previously Ukraine’s. If Ukrainian forces are no more successful in the weeks ahead than they have been so far, Ukraine will not recapture all of its territory for 16 years.
    As Defense Secretary Lloyd Austin has acknowledged, Americans who have been arming and training Ukrainian forces for this campaign were hoping to see an “overwhelming success.” Why Ukraine has not been more effective remains uncertain. Nor has anyone yet explained why Ukraine waited so long to launch its attack.
    History reminds us that wars hinge on many contingent factors. Their outcomes are no more predetermined than the results of the NBA championship or the World Cup. If the failed insurrection makes Russian soldiers manning the front lines less willing to risk their lives, Yevgeniy Prigozhin’s mutiny could be the proverbial straw that broke the camel’s back.
    On the other hand, if Ukrainian forces remain bogged down over the course of the summer, we should expect the political dimension of this war to determine events. Many of Ukraine’s supporters in Europe and even in the United States will join the global south’s chorus calling for both sides to stop the killing and begin serious negotiations about a cease-fire.
    Quelle: Washington Post

  3. Wir können jetzt verstehen, wie Russland und China denken
    Chinas angeblicher Plan, eine militärische Ausbildungsbasis auf Kuba zu errichten, kann der amerikanischen Bevölkerung helfen, Russlands Widerstand gegen den Expansionismus der NATO in Osteuropa und in der Ukraine sowie Chinas Widerstand gegen US-Militärstützpunkte in der Nähe Chinas besser zu verstehen.
    Die US-Politiker laufen Sturm gegen das angebliche Abkommen zwischen China und Kuba, nicht weil es illegal wäre, sondern weil sie sich mit einer chinesischen Militärbasis in der Nähe der Vereinigten Staaten einfach nicht wohl fühlen.
    Es ist unbestritten, dass China genauso berechtigt ist, einen Militärstützpunkt in Kuba zu errichten, wie die Vereinigten Staaten von Amerika es mit den Ländern tun, die die 800-1000 US-Militärstützpunkte im Ausland beherbergen.
    Dennoch gefällt das den US-Politikern überhaupt nicht. US-Außenminister Antony Blinken erklärte, die Vereinigten Staaten hätten “große Bedenken” gegen den China-Kuba-Plan.
    Der republikanische Kongressabgeordnete Matt Gaetz geht noch weiter. Er befürwortet eine umfassende militärische Antwort auf den Plan. Gaetz verkündete dramatisch: “Wir sollten viel mehr darüber besorgt sein, dass China Kuba in einen stationären Flugzeugträger direkt vor der Küste Floridas verwandelt.”
    Der demokratische Senator Mark Warner und der republikanische Senator Marco Rubio, der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie erklärten, sie seien “zutiefst beunruhigt über Berichte, wonach Havanna und Peking zusammenarbeiten, um die Vereinigten Staaten und unsere Bevölkerung ins Visier zu nehmen.”
    Während sie sich über den angeblichen Plan Chinas und Kubas aufregen, tragen die US-Politiker weiterhin ihre Scheuklappen, die sie daran hindern zu sehen, dass die Russen und die Chinesen genauso über die US-Militärbasen und den militärischen Expansionismus in ihrem Teil der Welt denken, zumal nicht zu leugnen ist, dass die US-Regierung, wie Martin Luther King feststellte, der “größte Verursacher von Gewalt auf der Welt” ist.
    Quelle: Jacob G. Hornberger in Antikrieg

    dazu: US-Rechte dreht frei
    Republikaner wollen mutmaßliche Militärbasis Chinas auf Kuba angreifen. Außenminister Blinken steigt bei Stimmungmache ein.
    Im Kampf gegen China und Kuba setzen rechte US-Politiker auf Eskalation. Der republikanische Kongressabgeordnete Matthew Gaetz aus Florida hat Präsident Joseph Biden aufgefordert, mutmaßliche chinesische Militäreinrichtungen in Kuba von US-Truppen zerstören zu lassen. »Ich unterstütze den Einsatz militärischer Gewalt, um chinesische Anlagen in Kuba zu entfernen«, erklärte der überzeugte Anhänger Donald Trumps am Mittwoch während einer Anhörung vor dem Streitkräfteausschuss des Repräsentantenhauses.
    Quelle: junge Welt

  4. 41 Cent »Respekt«
    Die Mindestlohnkommission empfiehlt eine Erhöhung – um 41 Cent. Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen im Niedriglohnsektor. Und es zeigt, dass von Olaf Scholz’ »Respekt für Arbeit« nicht viel geblieben ist.
    Es klingt wie ein schlechter Witz: Die Mindestlohnkommission der Bundesregierung schlägt vor, den Mindestlohn von gegenwärtig 12 Euro für 2024 auf 12,41 Euro und für 2025 auf 12,82 Euro anzuheben. Das sind Erhöhungen von 3,4 beziehungsweise 3,3 Prozent. Und das bei einem Mindestlohn, der sowieso schon viel zu niedrig ist, und einer Inflationsrate, die deutlich oberhalb der angedachten Anhebung liegt.
    Zum Vergleich: Die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne empfiehlt eine Höhe von 60 Prozent des Medianeinkommens – das wären in Deutschland 13,50 Euro. Um Altersarmut zu verhindern, müsste der Mindestlohn sogar noch höher liegen. Sozialverbände fordern zu Recht 14 Euro.
    Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Gewerkschaften diesem Vorschlag nicht zugestimmt haben – zum ersten Mal in der Geschichte der Mindestlohnkommission. Steffen Körzell vom DGB berichtete in der Pressekonferenz, dass vier Kompromissvorschläge diskutiert wurden. Am Ende wurde derjenige abgestimmt, der für die Arbeitsseite am schlechtesten und – wie sollte es auch anders sein – für die Kapitalseite am besten war.
    Quelle: Lukas Scholle auf Jacobin

    dazu: Mindestlohn: Warum die Erhöhung im Cent-Bereich die Gesellschaft spaltet
    In der Diskussion um Mindestlöhne prallen die Interessen von Kapital und Arbeit aufeinander. Ökonomische Vernunft unterliegt. Warum das die Soziale Marktwirtschaft gefährden kann.
    Der gesetzliche Mindestlohn soll ab 2024 um 41 Cent steigen. Das hat die Mehrheit der Mindestlohn-Kommission am Montag gegen die Stimmen der Gewerkschaftsvertreter beschlossen. Die Lohnuntergrenze steigt damit auf 12,41 Euro pro Arbeitsstunde. Ein Jahr später soll sie dann auf 12,82 steigen. Das sind 3,4 Prozent und 3,3 Prozent mehr gegenüber dem jeweiligen Vorjahreswert.
    Für alle, die im Niedriglohnbereich arbeiten, ist diese minimale Erhöhung eine bittere Nachricht. Denn mindestens die Hälfte dieser Erwerbstätigen, schätzungsweise vier Millionen, sind nicht durch Tarifverträge abgesichert.
    Sie haben also nichts von den 2023 neu abgeschlossenen Tarifverträgen, in denen der Schutz der unteren Lohngruppen gegen die Preisschübe der letzten beiden Jahre durch überdurchschnittliche Lohnsteigerungen im Vergleich zu den oberen Lohngruppen im Vordergrund steht.
    Die Gewerkschaften haben in den neuen Tarifverträgen den Spagat zu bewältigen versucht, einerseits keine Lohn-Preis-Spirale loszutreten, andererseits die Realeinkommensverluste in den unteren Lohngruppen durch absolute Lohnzuwächse so gering wie möglich zu halten. Es findet also eine Stauchung der Lohnstruktur im tarifgebundenen Lohnbereich zugunsten der Niedriglohngruppen statt.
    Quelle: Friederike Spiecker auf Telepolis

    dazu auch: Nur faire Löhne können den Aufstieg der AfD verhindern
    Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist die Ursache der jüngsten AfD-Erfolge klar. Die Partei werde immer dann stark, wenn in der Mitte der Gesellschaft rechte Themen hochgepeitscht und Begriffe und Positionen übernommen würden, schrieb die Politikerin der „Arbeiterpartei“ SPD bei Twitter.
    Sprache und Diskurse sollen also das Problem sein – wie meist, wenn soziale Schieflagen im Land sich in unbequemen politischen Entwicklungen niederschlagen. Denn Diskurse sind das letzte Schlachtfeld einer professionellen Managerklasse, in der materielle Verteilungsfragen kaum noch verhandelt werden.
    Und so brauchte es ein paar Twitter-Nutzer, um eine mögliche Korrelation zwischen dem AfD-Wahlsieg bei der Landratswahl in Sonneberg und dem dortigen Lohngefüge aufzuzeigen. Nirgendwo in Deutschland arbeitet ein größerer Teil der Arbeitnehmerschaft für den Mindestlohn als in Sonneberg. Und just am Tag nach der thüringischen Wahl gab die Mindestlohnkommission bekannt, dass die Lohnuntergrenze 2024 und 2025 um gerade einmal 41 Cent steigen werde. Die Reallohnzuwächse des unzureichend auf 12 Euro erhöhten Mindestlohns werden mit dieser „Erhöhung“ kassiert.
    Statt die Situation für Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor zu verbessern, konsolidiert die Kommission Erwerbsarmut – es sei denn, SPD und Grüne stellen sich quer, womit eher nicht zu rechnen ist: Die ziehen es meist vor, akademische Debatten im luftleeren Raum zu führen. Das ist bequemer, als Pläne zur Stärkung von Arbeiterinteressen gegenüber dem Kapital durchzusetzen.
    Und deshalb dominieren kulturalistische Überlegungen zur Ursache des AfD-Erfolgs, die oft in irgendeine Form von unterstellter gesellschaftlicher Rückständigkeit des Ostens mündet – eine Strategie, die etwa der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann in seinem lesenswerten Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ beschreibt.
    Quelle: Welt Online

  5. Cum-Ex: Wie sich der deutsche Staat an den illegitimen Geschäften beteiligt hat
    Amtsträger der Bundesrepublik Deutschland haben alles getan, um die Aufklärung in Sachen Cum-Ex zu unterbinden. Der Staat steckt tief im Skandal. Ein Gastbeitrag. […]
    Wenn schon noch ein Untersuchungsausschuss, dann richtig. Soll die ganze Wahrheit ans Licht kommen, muss der Cum-Ex-Mond umrundet und in seiner Gesamtheit in den Blick genommen werden. Eine echte – also nicht parteitaktisch motivierte – Untersuchung müsste daher auch die unheilige Allianz der Untätigkeit zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Hessischen Ministerium der Finanzen beleuchten.
    Angesichts des Desinteresses im Hessischen Finanzministerium fand das Thema erst ein Jahr später, im Dezember 2002, seinen Weg zum Bundesministerium der Finanzen (BMF), aber nicht durch die Finanzverwaltung, sondern durch ein Schreiben des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB). Dieser beschrieb nicht nur das Problem, sondern lieferte gleich auch einen – unvollkommenen – Lösungsvorschlag: „In dem Sonderfall eines sogenannten Leerverkaufes sind […] zusätzliche Regelungen notwendig, um dem Fiskus die Kapitalertragsteuer betragsmäßig zur Verfügung zu stellen, die dem Anrechnungsanspruch entspricht […]. Hierzu schlagen wir […] Folgendes vor: […] • die Begründung einer Abzugs- und Abführungspflicht für eine Kapitalertragsteuer zu Lasten des Leerverkäufers für Rechnung des Erwerbers der Aktien.“
    Drei Jahre geschah danach aber mehr oder weniger nichts. Anschließend wurde der Vorschlag des Bankenverbandes mit dem Bundesamt für Finanzen und den Ländern beraten. Einige Länder meldeten Bedenken an, am Ende einigte man sich darauf, den Vorschlag des Bankenverbandes weiterzuverfolgen: „Es solle jedoch versucht werden, die notwendigen Gesetzesänderungen gegenüber dem Vorschlag deutlich zu vermindern.“ Dies gelang nicht, und über das „Jahressteuergesetz 2007“ wurde der Vorschlag des BdB leicht modifiziert mit Wirkung zum 1. Januar 2007 Gesetz.
    Quelle: Berliner Zeitung

    dazu auch: Jaffé sieht keine Spur der Wirecard-Milliarden
    Seit Sommer 2020 werden bei Wirecard 1,9 Milliarden Euro vermisst. Das Geld gab es, argumentiert der angeklagte Ex-Vorstandschef Markus Braun im Münchner Strafprozess. Der Insolvenzverwalter gelangt zu einer anderen Einschätzung.
    Fast auf den Tag drei Jahre nach dem Kollaps des Skandalkonzerns Wirecard gibt es nach Darstellung des Insolvenzverwalters Michael Jaffé weiterhin keine Spur der seither vermissten 1,9 Milliarden Euro. In einem neuen Sachstandsbericht widerspricht der Rechtsanwalt einer Darstellung des wegen mutmaßlichen Milliardenbetrugs vor Gericht stehenden Ex-Vorstandschefs Markus Braun.
    Einen Beleg, dass das Geld und das zugrundeliegende Geschäft echt gewesen sein könnten, gibt es demnach nicht: “Im Gegenteil haben alle weiteren Untersuchungen bestätigt, dass dies nicht der Fall war”, heißt es in dem Bericht.
    In München läuft seit Dezember der Strafprozess gegen Braun und zwei weitere frühere Wirecard-Manager. Kern der Anklage ist der Vorwurf, dass Braun und Komplizen Geschäfte und Umsätze in Milliardenhöhe erdichteten, um den eigentlich rote Zahlen schreibenden Dax-Konzern über Wasser zu halten und hohe Bankkredite zu erschwindeln.
    Quelle: LTO

  6. Wie die Spaltung der Gesellschaft einen ruinösen Status quo zementiert
    Soziale Bewegungen sind heutzutage fast immer zerstritten. Warum ist das so, und wie kommen wir da raus? (…)
    Auf sich gestellt sind alle Einzelbewegungen, ob für Klimaschutz, Frieden oder soziale Gerechtigkeit zum Scheitern verurteilt. Eine isolierte Friedensbewegung hat wenig Chancen gegen einen parteiübergreifenden neuen Bellizismus; eine Klimabewegung, die nur ihr Thema im Auge hat und keine breiten Bündnisse eingeht, wird nicht genügend Kraft und gesellschaftliche Akzeptanz gewinnen können. Die zunehmende Polarisierung und Spaltung nützt allein denen, die die gegenwärtige ruinöse Ordnung der Welt solange wie möglich aufrechterhalten wollen.
    Aus diesen Gründen sind Versuche, die Gräben zu überwinden, von entscheidender Bedeutung. Das ist schwer, gewiss. Denn man müsste sich das, was die Gräben so tief gemacht hat, zunächst einmal gemeinsam anschauen. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass es eine ernsthafte Aufarbeitung der Coronazeit gibt, dass Fehlentscheidungen zugegeben und Entschuldigungen ausgesprochen werden. Es würde bedeuten, Kontaktängste zu überwinden und dort, wo der Dialog abgerissen ist, wieder miteinander zu sprechen, im informellen Austausch ebenso wie in öffentlichen Veranstaltungen.
    So sehr es das eigene Ego auch bestätigen mag, in seiner Twitterblase unterwegs zu sein und Podien mit seinen politischen Freunden zu besetzen, so wenig hilft das in der gegenwärtigen Weltlage weiter. Wo sind die Veranstaltungen, wo die Fernsehsendungen, in denen eine Luisa Neubauer und eine Daniela Dahn über Kontroversen zu den Themen Ukraine und Corona sprechen? Eine Aufarbeitung ist unverzichtbar, gerade da, wo sie unbequem ist.
    Quelle: Fabian Scheidler in Berliner Zeitung
  7. Birte spielt nicht mehr mit
    Christine Prayon alias Birte Schneider tritt nicht mehr in der “heute-show” auf. Welke & Co. machten “Stimmung gegen Andersdenkende”, kritisiert die Kabarettistin. Und bezieht “Die Anstalt” und Böhmermann mit ein. Mit Satire, die keinen Diskurs zulasse, könne sie nichts anfangen, sagt Prayon. […]
    Warum passt das nicht mehr zusammen?
    Ich habe mit der Art, wie die großen gesellschaftlich prägenden Themen seit Corona behandelt werden, zunehmend Bauchschmerzen bekommen. Ich habe auch mit den Verantwortlichen dort geredet und betont, dass ich mich nicht daran beteiligen will, Andersdenkende der Lächerlichkeit preiszugeben. Satire darf sich nicht daran beteiligen, den Diskurs zu verengen. Und jetzt findet genau dies wieder statt beim Krieg in der Ukraine. Da werden Narrative und Positionen von Gruppen, die gesellschaftlich in der Hierarchie weit oben stehen, unablässig wiederholt und gleichzeitig wird Stimmung gegen Andersdenkende gemacht. Das hat nach meinem Dafürhalten nichts mehr mit Satire zu tun.
    Alles vorbei, Türe zu bei Welke & Co.?
    Die Tür wurde mir offen gelassen, falls ich das mal wieder anders sehen oder mich wohlfühlen sollte. Das finde ich auch schön. Aber ich habe diesen Schlussstrich für mich gezogen. Nein, und offiziell sind auch bei der “Anstalt” im ZDF keine Türen zu. Aber man wird halt immer weniger gefragt, bis man irgendwann nicht mehr gefragt wird, und das hat Gründe. Ich habe mich wohl erfolgreich mit meinem Programm und meinen Ansichten aus vielen Sachen rauskatapultiert. Ich glaube zum Beispiel auch, wenn man das große Fass Kapitalismuskritik aufmacht und das wirklich ernst meint, ist man draußen. Nein, ich bin überhaupt keine Freundin mehr von Satiresendungen, egal ob Böhmermann, “Anstalt” oder andere.
    Warum? Böhmermann ist doch mit seinem Rechercheteam gut dabei, Missstände aufzudecken.
    Auch er hat die gängigen Narrative verstärkt. An eine Sendung kann ich mich noch gut erinnern. Da ging es um Nichtgeimpfte, und dann lehnte er sich zurück und zeigte zwei Stinkefinger. Ich dachte, wie kann man das machen?
    Satire ist auch Provokation.
    Aber das ist Spaltung. Corona hat tatsächlich gespalten wie S 21 damals in Stuttgart. Und die Fernseh-Satire hat dabei keine rühmliche Rolle gespielt. Da finde ich mich nirgendwo mehr wieder.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung
  8. Nach Sonneberg hilft nur Ehrlichkeit: Die AfD erkennt die Interessen vieler Bürger
    Der Weg zum AfD-Erfolg ist mit politischen Fehlern der anderen Parteien gepflastert. Zu lange überließen sie Themen der AfD. Schluss damit. Ein Kommentar. […]
    Die Parteien werden sich etwas einfallen lassen müssen – keinesfalls können sie den Willen einer wachsenden Zahl Unzufriedener weiterhin derart arrogant ignorieren, wie sie das bisher tun.
    Politische Entscheidungen, zumal solche von riesigen Dimensionen, wie sie jetzt angesichts von Klimawandel, Krieg und Verschiebung globaler Kräfteverhältnisse anstehen, brauchen echte Mehrheiten, nicht bloß rechnerische. Davon kann im Moment nicht die Rede sein – die rot-grün-gelbe Regierung bringt ja schon innerhalb ihres Ampel-Verbundes eher ein Nebeneinander von Minderheitenpositionen als ein gemeinsames Vorgehen zustande.
    Mit dem Verweis auf die soziale Frage ist das Wahlergebnis von Sonneberg nicht zu erklären. Die Arbeitslosigkeit im Landkreis liegt mit 5,1 Prozent niedriger als in Thüringen (5,8) und im Bund (5,5). Es handelt sich auch nicht um eine Klassenfrage unten gegen oben. Der AfD wünschten im Wahlkampf die Postbotin wie der Unternehmer Glück. Einer Erklärung kommt man näher, wenn man sich die Wahlslogans der AfD zu Gemüte führt: „Sprit teurer, Strom teurer, Gas teurer, Essen teurer – nur die Ausreden werden immer billiger“, „Diplomatie statt Waffen“, „Deutschland, aber friedlich“ etc.
    Es geht um den Bäcker, der wegen der Energiekosten pleitegeht, um eine Entschuldigung für überzogene Corona-Maßnahmen, um die Unterbringung von Flüchtlingen, um Russland. Das alles sind reale Fragen. Der Slogan „Der Osten steht auf“ klingt wie eine Drohung, tatsächlich weist die AfD beharrlich auf „die große unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppe“ hin und trifft den Nerv. So war es schon, als sie in Brandenburg den Spruch „Vollende die Wende“ plakatierte. Statt die Diskriminierung Ost abzubauen, beließ man es bei Hohn.
    Quelle: Berliner Zeitung

    dazu: Doch kein AfD-Wahlsieg? Thüringens Verwaltung spielt ein gefährliches Spiel
    Als nützliche Idioten bezeichnet man Menschen, die einer Person oder Sache dienen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die AfD kann sich seit ihrem ersten kommunalpolitischen Wahlsieg am vergangenen Sonntag über eine Rekordzahl solcher Leute freuen. Sie wollen irgendetwas tun, um den Höhenflug der Rechtsaussenpartei zu bekämpfen, und vermutlich sind sie davon überzeugt, das Richtige zu tun. (…)
    Jüngstes Beispiel ist das Thüringer Landesverwaltungsamt mit Sitz im schönen Weimar. Es hat soeben angekündigt, die persönliche Eignung und Verfassungstreue des frisch gekürten Landrats Robert Sesselmann zu überprüfen – und den Wahlsieg des AfD-Politikers im Falle eines negativen Befundes für ungültig zu erklären. (…)
    Der Wahlakt ist das Herzstück der Demokratie. In ihm drückt der Souverän seinen Willen aus. Mit ihm beginnt die Legitimität aller Staatsgewalt. Schon der Versuch, den Willen des Souveräns durch einen Verwaltungsakt infrage zu stellen, ist ein Affront. Der erfolgreiche Versuch wäre ein Desaster. Er würde nicht nur eine zähe juristische Schlacht nach sich ziehen, deren Ausgang völlig offen wäre, sondern auch das Vertrauen vieler Bürger – und nicht nur der AfD-Wähler – in den Staat erschüttern. (…)
    Solange die AfD nicht verboten ist, bleibt den etablierten politischen Kräften nur die inhaltliche Auseinandersetzung. Versuche, ihre Rechte durch Obstruktion zu beschneiden oder gar auf die Annullierung des Wählerwillens zu setzen, werden nach hinten losgehen. 2024 sollen in mehreren ostdeutschen Bundesländern neue Landtage gewählt werden, auch in Thüringen. Das dortige Landesverwaltungsamt hat den völkischen Rechten nun ein erstes riesengrosses Geschenk gemacht. Fällt die Prüfung des Wahlsiegers Sesselmann positiv aus, dann dürfte die Partei das als Siegel der eigenen Unbedenklichkeit ins Feld führen. Fällt die Prüfung negativ aus, wird sie sich mehr denn je als benachteiligter Aussenseiter darstellen. Win-win.
    Quelle: NZZ

  9. Marsch der Ironie: Nicht nur Prigoschin hat sich verrechnet
    Was wir aus der gescheiterten Prigoschin-Rebellion lernen können: Es kommt immer anders, als man denkt.
    Der Versuch des vormalig staatstreuen (und -finanzierten) russischen Gewaltunternehmers Evgeny Prigoschin, mit seiner Wagnertruppe einen, wie er verkündete, “Marsch der Gerechtigkeit” auf Moskau zu veranstalten, ist gescheitert.
    Wie es sich für einen Möchtegern-Mussolini gehört, hat Prigoschin dabei auch andere mit in seinen kleinen Untergang gerissen: Hektische Brachialatlantiker, wie die amerikanische Publizistin Anne Applebaum und der deutsche Politikwissenschaftler Carlo Masala, waren so hingerissen vom eigenen Wunschdenken, dass sie ihre Fantasien über Bürgerkrieg und Regimekollaps in Russland nicht bändigen konnten. Erheiternde Schnellschüsse waren die Folge.
    Aber diese gnädig folgenlosen Blamagen haben uns nichts neues offenbart. Aufmerksame Beobachter wussten auch schon vor der Prigoschinaffäre, dass der Krieg zwischen Russland auf der einen Seite und der Ukraine und dem Westen auf der anderen viele Experten zugleich intensiv erregt und heftig verwirrt. Es stellt sich die Frage, ob wir aus dem Fiasko der Wagnermeuterei mehr und interessanteres lernen können.
    Wir können. Aber – wie so häufig – nur dann, wenn wir uns selbst genauso scharf in den Blick nehmen wie Russland, Putin, und sein System. Tun wir das, springt eine große Gemeinsamkeit ins Auge. Denn der auffälligste Zug der Prigoschinrebellion ist, dass es anders kommt, als man denkt. Was immer der Wagnerboss erreichen wollte – einen persönlichen Sieg über die Spitze des regulären Militärs, eine allgemeine Meuterei der russischen Armee, eine Volkserhebung, oder schlicht das eigene politische/physische Überleben – ist ihm entweder bereits entglitten oder gefährdet: Die große Meuterei und Volkserhebung haben nicht stattgefunden; die Spitze der regulären Streitkräfte mag noch fallen, aber Prigoschin wird davon jedenfalls nicht mehr profitieren; sein eigenes, auch nur physisches, Überleben ist keineswegs sicher.
    Quelle: Makroskop
  10. Medien mit Bevormundungsgehabe: Haltungsjournalisten, wie sie die NZZ agieren lässt, wollen keine Meinungsvielfalt. Sie halten deshalb Informationsvielfalt für entbehrlich
    Die NZZ hat am 25. Mai einen Text über den Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, veröffentlicht, in dem auch behauptet wird, dieser «umgarne» regelmässig den Chef der Springer-Gruppe, Mathias Döpfner, «auch wenn er dessen transatlantische Weltsicht nicht teilt». Man verstehe sich, so heisst es, denn beide seien es gewohnt, «angefeindet» zu werden.
    Im publizistischen «Shitstorm» zu stehen mag eine verbindende Erfahrung sein; als Autor, dessen regierungskritische, öfters schonungslose Texte regelmässig in der Berliner Zeitung und auch schon in der Welt erschienen sind, sehe ich aber eine wichtigere Gemeinsamkeit zwischen Döpfner und Friedrich: Beide halten an klassischem Journalismus fest.
    Gerade das stört die beiden Autoren der NZZ nun an Holger Friedrich. Ihr Text biete Gelegenheit, einige grundsätzliche Anmerkungen zum Journalismus in der offenen Gesellschaft zu machen und diese mit dem Vorgehen der NZZ-Redakteure abzugleichen. (…)
    Offizielle oder auch nur insinuierte Denkverbote sind einer offenen Gesellschaft wesensfremd. Journalismus soll Öffentlichkeit schaffen für alle nicht menschenrechtswidrigen Positionen zu allen wesentlichen Fragen der Zeit. Aber die Meinungsfreiheit zu respektieren und Meinungsvielfalt zu bieten ist noch nicht hinreichend.
    Ohne Informationsvielfalt verkommt Meinungsvielfalt zur Farce. Der Journalismus hat deshalb auch die Aufgabe, einfach sauber über eine möglichst breite Themenpalette zu berichten – und dabei dort, wo es völlig unterschiedliche Beschreibungen und Bewertungen derselben Angelegenheit gibt, dies dem Leser und Zuschauer auch möglichst neutral darzustellen. Besonders bei hochkontroversen Themen ist dies entscheidend, möchte man die Mündigkeit und Urteilsfähigkeit der Leser respektieren.
    Im medialen Panorama der Welt, das Journalisten erzeugen, sollen die Menschen ihre Lebenswirklichkeit und ihre Ansichten wiederfinden – und auch Neues und für sie Ungewohntes sehen, was ihren bisherigen Kenntnissen und Vorurteilen widerspricht. Guter Journalismus ermöglicht den Menschen in der Summe vieler Medienangebote eine wirklich eigene Meinungsbildung zu den Fragen der Zeit aufgrund breiter Information.
    Quelle: Michael Andrick in Weltwoche

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