Jonas Tögel: Die kulturelle Manipulation durch die NATO

Jonas Tögel: Die kulturelle Manipulation durch die NATO

Jonas Tögel: Die kulturelle Manipulation durch die NATO

Ein Artikel von: Redaktion

Für viele von uns ist Krieg immer noch etwas sehr Physisches, eine Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld. Bei den politisch Verantwortlichen rückt jedoch eine weitere Komponente immer stärker in den Fokus: die Psychologie. So treibt auch die NATO seit dem Jahr 2020 eine neue Form der psychologischen Kriegsführung voran: die sogenannte „Kognitive Kriegsführung“ („Cognitive Warfare“), die von der NATO selbst als die „fortschrittlichste Form der Manipulation“ bezeichnet wird. Diese nimmt die Psyche jedes Menschen direkt ins Visier, mit einem ganz bestimmten Ziel: unseren Verstand wie einen Computer zu „hacken“. Der Propagandaforscher Jonas Tögel erläutert in seinem Buch „Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO“ die Hintergründe und Entstehungsgeschichte der Kognitiven Kriegsführung: vom Beginn moderner Kriegspropaganda vor 100 Jahren über die Militarisierung der Neurowissenschaften bis hin zu Zukunftstechnologien wie Nano-Robotern oder Neurowaffen. Und er zeigt, dass der Gedankenkrieg über sogenannte „Soft-Power-Techniken“ bereits heute meist unbemerkt stattfindet. Die NachDenkSeiten präsentieren hier einen Auszug aus dem Buch.

Die NATO weist in ihren Dossiers zur Kognitiven Kriegsführung immer wieder darauf hin, dass ihre Gegner im Gedankenkrieg aktiv sind und sie als Verteidigungsbündnis daher aktiv werden müsse.

Ganz von der Hand zu weisen ist diese Argumentation nicht, denn es ist verständlich, dass ein Militärbündnis sich gegen Angriffe von außen verteidigen möchte. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die NATO-Länder, allen voran die USA, im Bereich der psychologischen Kriegsführung bisher führend sind und selbst immer wieder mit Erfolg psychologische Operationen, sogenannte PsyOPs, eingesetzt haben, um die Weltanschauung der Bevölkerung zu steuern. Sie sind einer der Vorläufer oder „Begleiter” der Kognitiven Kriegsführung, die das erklärte Ziel hat, zu „zerstören, wie jemand seine eigene Realität aufbaut, sein mentales Selbstbewusstsein, sein Vertrauen in […] Gruppen, Gesellschaften oder sogar Nationen”.[52]

Eine solche PsyOP im Bereich der kulturellen Manipulation ist die Integrity Initiative, deren Aktivitäten im Jahr 2018 durch ge­leak­te Dokumente aufgedeckt wurden[53] und die daraufhin abtauchte.[54] Die Initiative gab im Untertitel ihre Aufgabe an und behauptete, sie wolle die „Demokratie gegen Desinformation verteidigen”. Dafür wurde sie vom British Foreign and Commonwealth Office finanziert, der Behörde, welcher die britischen Geheimdiensten GCHQ sowie MI6 unterstellt sind, sowie von Facebook, dem amerikanischen Außenministerium, der britischen Armee und auch der NATO.[55]

Die offizielle Aufgabe, welcher die Integrity Initiative mit großem Eifer nachging, war die „Bekämpfung russischer Desinformation”[56]. Man könnte auch sagen, dass die Initiative mit Hilfe von Experten, Journalisten und Mitarbeitern der Militärs und Geheimdienste eine ausgeklügelte Propagandaschlacht gegen Russland führte, die hauptsächlich darauf abzielte, Russland in der Presse so schlecht wie nur möglich darzustellen. Damit sollten sowohl die heimische Bevölkerung als auch westliche Politiker beeinflusst werden.

Obwohl sie eigentlich eine britische Organisation war, blieb die professionelle Propaganda nicht auf Großbritannien beschränkt. So war die Integrity Initiative auch dafür verantwortlich, dass Pedro Baños nicht Leiter der spanischen Abteilung für nationale Sicherheit wurde, da man ihn als zu russlandfreundlich einschätzte.[57]

Die Taktik war dabei so einfach wie wirkungsvoll: Man beobachtete Russland genau und pickte einzelne Ereignisse wie die Verhaftung eines Journalisten oder Krawalle während einer Demonstration heraus und verstärkte diese über soziale Netzwerke und Medien in Europa um ein Vielfaches, um so systematisch das Image Russlands zu zerstören – ganz im Sinne des Geostrategen George Friedman. Dabei deuten geleakte Dokumente darauf hin, dass vor allem Deutschland im Fokus der Propaganda stand: Man wollte verhindern, dass die deutsche Bevölkerung Verständnis für Russlands Sorgen hinsichtlich der NATO-Osterweiterung habe[58], und verfolgte das Ziel, Deutschland und Russland im Informationskrieg noch weiter zu spalten.[59]

Im Fall von Pedro Baños wurde die Tatsache, dass er für den russischen Sender RT in Spanien publiziert hatte, zu seinem Verhängnis, und große Zeitungen wie El País warnten davor, dem russlandfreundlichen Baños Macht über „Cybersicherheit, maritime Sicherheit, Immigration und anderen” zu geben, welche er im Amt als Abteilungsleiter hätte. Gefährlich waren in den Augen der Initiative offensichtlich seine Hinweise darauf, man müsse in Freundschaft und Frieden mit Russland kooperieren. Aus geostrategischer Sicht ist das für die NATO nur schwer vorstellbar, daher müssen auch die kulturelle Weltsicht Russlands und sein Ansehen mit allen Mitteln bekämpft werden.

Doch auch vor der Innenpolitik machte die Integrity Initiative nicht Halt und nahm den britischen Politiker und ehemaligen Vorsitzenden der linken Labour Party, Jeremy Corbyn, ins Visier. Sie bezeichnete ihn in einem Twitter-Post als „nützlichen Idioten”, der Moskau unterstütze.[60]

Als immer mehr Details der Propagandaaktivitäten herauskamen, verlangte der Abgeordnete und Verbündete von Corbyn, Chris Williamson, eine öffentliche Untersuchung der Integrity Initiative. „Demokratien verhalten sich so nicht”, twitterte Williamson empört.[61]

Eigentlich hätte man erwarten können, dass die Medien diese übergriffige und potenziell illegale Propagandakampagne der Briten kritisierten, zumal auch in anderen europäischen Ländern wie Deutschland Ableger geschaffen werden sollten.[62] Doch der Aufschrei blieb weitgehend aus und es wurde überwiegend in kleineren Medien wie den NachDenkSeiten oder auf Telepolis darüber berichtet, wo der ehemalige Chefredakteur Florian Rötzer sich in einer Reihe von Artikeln mit der Initiative beschäftigte und wertvolle Aufklärungsarbeit leistete.[63]

In den größeren Medien finden sich nur wenige Berichte. Eine Ausnahme ist hier ein kritischer Artikel der FAZ vom 25. Dezember 2018, der die Strategie der Gegenpropaganda, welche von der NATO gerade im Cognitive Warfare als kulturelle Manipulation verstärkt betrieben wird[64], scharf kritisierte. „Die Idee, den Methoden der Zersetzung des öffentlichen Diskurses und der Abschaffung einer gemeinsamen Wahrheit durch ‚mehr davon, nur mit anderen Vorzeichen’ zu begegnen, ist jedoch grundlegend falsch – egal ob aus Naivität oder Vorsatz”, schrieb Constanze Kurz. Sie warnte zu Recht vor dem Ausufern einer unkontrollierten Maschinerie von „Desinformationsoperationen” mit den Waffen der Soft Power und deutete an, dass ganze Netzwerke von Journalisten in den Skandal verstrickt seien.[65]

Für die NATO ist die Idee, beeinflussbare Journalisten zur Verbreitung ihrer Narrative einzuspannen, nicht neu und wird auch in der Kognitiven Kriegsführung diskutiert.[66] Dabei könnte die NATO ähnlich geschickt vorgehen wie Edward Bernays während seines Propaganda Blitzkrieges gegen Guatemala, als er amerikanische Journalisten so beeinflusste, dass sie Árbenz und Guatemala gezielt verteufelten und abwerteten.

In ihrem Artikel erkennt Kurz sehr genau, dass es diese lange Geschichte der Meinungsmanipulation durch Regierungen gibt, die – auch wenn man für die Ziele Verständnis hat – kaum demokratisch gerechtfertigt sind. Die demokratische Kontrolle sei jedoch laut Kurz in Demokratien wichtig, und der Cambridge-Analytica-Skandal habe gezeigt, dass für jede Form von „Manipulationsoperation” eine Kontrolle nötig sei. „Und da fangen vielleicht erfahrene Geheimdienstler an zu schwitzen”, so das Fazit von Kurz.[67]

Buchtipp: Jonas Tögel: „Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO“, 250 Seiten, Westend Verlag 2023


[«52] Claverie, Bernard & Du Cluzel, François (2022). „Cognitive Warfare”: the Advent of the Concept of „Cognitics” in the Field of Warfare. In Claverie, Bernard; Prébot, Baptiste; Buchler, Norbou & Du Cluzel, François (Hrsg.), Cognitive Warfare: The Future of Cognitive Dominance. NATO-STO Collaboration Support Office (S. 25–32), S. 27.

[«53] Blumenthal, Max (17. Dezember 2018). Inside the temple of covert propaganda: The Integrity Initiative and the UK’s scandalous information war. The Grayzone.

[«54] Rötzer, Florian (24. Januar 2019). Integrity Initiative taucht ab. Telepolis.

[«55] Swiss Policy Research (August 2022). Die „Integrity Initiative”. Swprs.org; McKeigue, Paul; Miller, David; Mason, Jake & Robinson, Piers (21. Dezember 2018). Briefing note on the Integrity Initiative. Working Group on Syria, Propaganda and Media.

[«56] Blumenthal, Max (17. Dezember 2018). Inside the temple of covert propaganda: The Integrity Initiative and the UK’s scandalous information war. The Grayzone.

[«57] Díez, Anabel & Casqueiro, Javier (8. Juni 2018). Spanish PM taps Russia supporter for National Security Director. El País.

[«58] Klarenberg, Kit (24. August 2019). Damaging Ties: Why Germany is the Integrity Initiative’s ‚Most Important Target’. Medium.

[«59] Friedman, George (23. Februar 2015). Europe: Destined for Conflict? [Video]. Chicago Council on Global Affairs.

[«60] Integrity Initiative (23. Februar 2018). Mr Corbyn was a „useful idiot”, in the phrase apocryphally attributed to Lenin. […]. Twitter.com.

[«61] Williamson, Chris (11. Dezember 2018). This Tory government has funded an organisation which has meddled in the domestic politics of our European neighbours while attacking @jeremycorbyn. […]. Twitter.com.

[«62] Berger, Jens (7. Januar 2019). Integrity Initiative – NATO-Propaganda auch in Deutschland. NachDenkSeiten.

[«63] Rötzer, Florian. Thema: Integrity Initiative RSS Feed: Integrity Initiative. Alle Beiträge zu: Integrity Initiative. Telepolis.

[«64] Reding, Dale F. & Wells, Bryan (2022). Cognitive Warfare: NATO, COVID-19 and the Impact of Emerging and Disruptive Technologies. In Gill, Ritu & Goolsby, Rebecca (Hrsg.), COVID-19 Disinformation: A Multi-National, Whole of Society Perspective. Springer (S. 25–46), S. 28.

[«65] Kurz, Constanze (25. Dezember 2018). Der hausgemachte Desinformationsskandal. Frankfurter Allgemeine Zeitung.

[«66] Cole, August & Le Guyader, Hervé (2020). NATO’s 6th Domain of Operations. Innovation Hub, S. 21.

[«67] Kurz, Constanze (25. Dezember 2018). Der hausgemachte Desinformationsskandal. Frankfurter Allgemeine Zeitung.

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