Angriff der ukrainischen Luftwaffe auf eine russische Instandsetzungseinrichtung auf der Krim

Angriff der ukrainischen Luftwaffe auf eine russische Instandsetzungseinrichtung auf der Krim

Angriff der ukrainischen Luftwaffe auf eine russische Instandsetzungseinrichtung auf der Krim

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Nach einer Meldung des US-Magazins „Forbes“ und anderer westlicher Medien sollen die ukrainischen Luftstreitkräfte am 25. Juli 2023 auf der Krim eine russische Militäreinrichtung zur Instandsetzung von im Krieg beschädigten Fahrzeugen in der Nähe des Ortes Nowostepowe angegriffen haben und dabei eine große Anzahl von ihnen zerstört haben. Der Angriff soll durch „SU-24“-Kampfflugzeuge erfolgt sein, die dafür von Großbritannien gelieferte Marschflugkörper vom Typ „Storm Shadow“ eingesetzt haben. Der Angriff wurde von ukrainischer Seite zwar grundsätzlich bestätigt, allerdings ohne Einzelheiten zu nennen, welche Waffen und welcher Träger dafür genutzt wurden. Ein Artikel von Jürgen Hübschen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Marschflugkörper „Storm Shadow“

Der „Storm Shadow“ ist ein von Großbritannien und Frankreich gemeinsam entwickelter Marschflugkörper, der in Frankreich unter der Bezeichnung „SCALP-EG“ geführt wird. Der Flugkörper hat eine Reichweite von bis zu 560 km und wird in verschiedenen Luftstreitkräften der NATO von Kampfflugzeugen der Typen „Eurofighter“, „Mirage 2000“, „Rafale“ und „Tornado“ eingesetzt. Von Kampfflugzeugen sowjetischer Bauart in der Originalversion kann der Flugkörper nicht abgeschossen werden, ist also nicht kompatibel. Deutschland verfügt über den FK „Storm Shadow“ nicht, sondern hat die eigene Luftwaffe mit dem Marschflugkörper „Taurus“ ausgerüstet. „Taurus“, als Luft-Luft-FK, wird ebenfalls von Kampfflugzeugen eingesetzt, ist aber wesentlich moderner als der „Storm Shadow“ und verfügt, je nach Modell, über eine erheblich größere Reichweite.

Lieferung von „Storm Shadow“-Marschflugkörpern an die Ukraine

Bereits im Oktober 2022 wurde bekannt, dass Großbritannien die Lieferung von „Storm Shadow“-FK an die Ukraine in Betracht zieht. Im Februar 2023 wurden die Aussagen konkreter, als der britische Premierminister Rishi Sunak die Lieferung von „Waffen mit größerer Reichweite“ an die Ukraine ankündigte. Am 11. Mai 2023 bestätigte schließlich der britische Verteidigungsminister Ben Wallace die erfolgte Lieferung dieser FK an die Ukraine. Kurz danach, am 16. Mai 2023, kündigte die französische Regierung die Lieferung eines neuen Waffenpakets an die Ukraine an. Dieses umfasste neben anderen Waffensystemen auch die Lieferung des Marschflugkörpers „SCALP-EG“. Konkret und bestätigt wurde diese Absicht durch eine entsprechende Aussage des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf dem NATO-Gipfel in Vilnius. Ob die FK schon in der Ukraine angekommen sind, kann man noch nicht sagen.

Die USA und Deutschland lehnen (bislang) die Lieferung von Marschflugkörpern, mit denen die Ukraine Ziele im russischen Kernland angreifen kann/könnte, ab.

Einsatz des Marschflugkörpers „Storm Shadow“ durch die ukrainischen Luftstreitkräfte

Die Lieferung des Flugkörpers ist bestätigt, aber es fehlen verbindliche Erkenntnisse, wie und ob die ukrainischen Luftstreitkräfte in der Lage sind, diese einzusetzen, weil sie ausschließlich über ehemals sowjetische Kampfflugzeuge verfügt, u.a. über die „SU-24“, NATO-Codierung „Fencer“. Die „SU-24“ und auch andere ukrainische Kampfflugzeuge sind in ihrer ursprünglichen technischen Konfiguration nicht dazu geeignet, den Marschflugkörper „Storm Shadow“ einzusetzen. Dazu müsste der Waffenträger eines Kampfflugzeugs ebenso modifiziert werden wie die Avionik, und auch der Pilot müsste eine entsprechende Zusatzausbildung erfahren. Ob und wie das möglicherweise geschehen ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Es gibt allerdings Hinweise, dass im Dezember 2022 in Polen an einem ukrainischen Kampfflugzeug des Typs „SU-24“ Tests durchgeführt wurden mit dem Ziel, den Einsatz des Marschflugkörpers „Storm Shadow“ durch die „SU-24“ zu ermöglichen. Ob diese Tests erfolgreich waren, kann man nicht mit Sicherheit sagen, und auch die Frage ist offen, wie denn eine ukrainische „SU-24“ zu diesem Zweck nach Polen geflogen werden konnte und ggf. wohin genau. Es steht jedenfalls fest, dass es sich wirklich um eine ukrainische „SU-24“ gehandelt haben muss, weil dieser Flugzeug-Typ in den polnischen Luftstreitkräften nicht vorhanden ist, falls – wie gesagt – diese Tests wirklich stattgefunden haben.

Bleiben folgende Fragen:

  • Welche Fachleute haben die technischen Modifizierungen an den ukrainischen „SU-24“ und die Ausbildung der ukrainischen Piloten wo durchgeführt? Ukrainische Soldaten müssen dabei von westlichen Experten unterstützt worden sein. Das gilt ebenso für die ukrainischen Flugzeugführer.
  • Von welchem Militärflugplatz in der Ukraine konnten die „SU-24“ trotz der russischen Luftraumkontrolle zu ihrem Angriff auf die Krim starten und wohin sind sie nach der Operation zurückgekehrt?

Zusammenfassende Bewertung

Wie immer in diesem Krieg weiß man auch in diesem Fall nicht, wie sich der Vorgang konkret abgespielt hat und ob der Angriff wirklich von ukrainischen „SU-24“ mit „Storm Shadows“ durchgeführt wurde. Sicher ist, wie bereits ausgeführt, lediglich der Angriff selbst. Theoretisch könnte es sogar sein, dass der Angriff überhaupt nicht von den ukrainischen Luftstreitkräften durchgeführt wurde, aber an derartigen Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen.

Was ist Wahrheit oder Propaganda, was wishful thinking oder Fakt, was Interpretation oder Annahme?

Nur vier Dinge scheinen zweifelsfrei zu sein:

  1. Es hat einen Luftangriff auf eine militärische Einrichtung Russlands auf der Krim gegeben, weil dieser von beiden Kriegsparteien bestätigt wird.
  2. Die USA haben sich wie bei den Panzerlieferungen erneut einen schlanken Fuß gemacht, indem sie die Marschflugkörper, die sie wegen der Reichweite und des damit verbundenen Eskalationspotenzials selbst nicht geliefert haben, durch Verbündete in die Ukraine haben liefern lassen. Dadurch haben sie eine formale und direkte Konfrontation mit Russland vermieden.
  3. Deutschland hat sich hinter der Position der USA verschanzt, keine Flugkörper mit einer Reichweite zu liefern, die es der Ukraine ermöglicht, das russische Kernland zu treffen. „Wasch mich, aber mach‘ mich nicht nass“, lautet offensichtlich einmal mehr Berlins Devise, wie bei der Lieferung von uranhaltiger Munition durch Großbritannien, die man ebenso kritisiert hat wie den Export der von Deutschland geächteten Streubomben durch die USA, hat aber daraus keinerlei Konsequenzen gegenüber den Verbündeten gezogen. Wie lange hält die deutsche Position, keine Marschflugkörper „Taurus“ an die Ukraine zu liefern, wenn doch Großbritannien und Frankreich ihre vergleichbare Zurückhaltung bereits aufgegeben haben?
  4. Durch den Einsatz von „Storm Shadow“-Marschflugkörpern ist die Lage im Ukraine-Krieg weiter eskaliert, wie die russischen Angriffe auch auf Ziele im Westen der Ukraine nachdrücklich unterstreichen.

Fazit: Die Lage im Ukrainekrieg wird insgesamt immer unübersichtlicher und dadurch auch zunehmend gefährlicher.

Ukrainische Angriffe auf das russische Kernland – und aus der Sicht Moskaus gehört die Krim dazu – werden zur Folge haben, dass Russland Ziele in der gesamten Ukraine angreifen wird.

Die russischen Angriffe gegen ukrainische Häfen an der Donau, die sich in unmittelbarer Nähe zur rumänischen Grenze befinden, haben einerseits deutlich gemacht, zu welch präzisen Luftschlägen Russland in der Lage ist, aber andererseits auch erkennen lassen, welche Risiken Moskau eingeht, dass auch ein NATO-Mitgliedsland in Mitleidenschaft gezogen wird, vielleicht im Rahmen eines nicht beabsichtigten Kollateralschadens. Dieser würde aber z.B. für Rumänien ausreichen, eine Beistandsverpflichtung aller NATO-Mitgliedsstaaten im Rahmen des Artikels 5 zu fordern, als Basis für den Bündnisfall.

Wer noch immer nicht erkennt, dass die Gefahr einer Ausweitung dieses Krieges immer größer wird, verschließt die Augen vor der Realität.

Das Gebot der Stunde sind keine weiteren Waffenlieferungen, sondern Diplomatie und Verhandlungen.

Titelbild: © MBDA Systems

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