„Er ist ein Held, und wir danken ihm für seinen Dienst“ – Kanadisches Parlament ehrt bei Selenskyj-Besuch Veteran der Waffen-SS

„Er ist ein Held, und wir danken ihm für seinen Dienst“ – Kanadisches Parlament ehrt bei Selenskyj-Besuch Veteran der Waffen-SS

„Er ist ein Held, und wir danken ihm für seinen Dienst“ – Kanadisches Parlament ehrt bei Selenskyj-Besuch Veteran der Waffen-SS

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Kanada in Aufruhr: Nach seinem Auftritt vor der UN-Vollversammlung reiste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende letzter Woche nach Kanada weiter und hielt eine Rede vor dem dortigen Parlament. Als Ehrengast war unter anderem Jaroslaw Hunka geladen, ein ukrainischer Veteran der Waffen-SS. Dieser wurde explizit als Kämpfer „der ukrainischen Unabhängigkeit gegen die Russen im Zweiten Weltkrieg“ sowie „ukrainisch-kanadischer Held“ geehrt und mit Standing Ovations gefeiert. Nach Widerspruch und Kritik von jüdischen Organisationen legt man in Kanada nun den Rückwärtsgang ein. In Deutschland versuchen wiederum Historiker und Journalisten der „Slawa Ukrajini“-Fraktion den Vorfall und die Rolle der 14. Waffen-Grenadier-Division der SS zu relativieren. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Wir haben hier im Plenarsaal einen ukrainisch-kanadischen Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, der für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen gekämpft hat und auch heute noch, im Alter von 98 Jahren, die Truppen unterstützt. Er ist ein ukrainischer Held, ein kanadischer Held, und wir danken ihm für seinen Dienst. Danke.“

So lautete die Eloge auf den als Ehrengast geladenen SS-Veteran Jaroslaw Hunka durch den Sprecher des kanadischen Unterhauses, Anthony Rota. Im Anschluss gab es minutenlangen stehenden Beifall für den 98-jährigen, rüstigen SS-Mann durch die Abgeordneten sowie den kanadischen Präsidenten Justin Pierre James Trudeau und seinen ukrainischen Amtskollegen Selenskyj.

Doch wenig später machte unter anderem der kanadisch-ukrainische Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski, welcher an der Universität von Ottawa lehrt, auf den Hintergrund des so euphorisch Geehrten aufmerksam:

„Dieser Veteran der SS-Division Galizien wurde vom Sprecher des kanadischen Parlaments als „ukrainischer Held“ und „kanadischer Held“ bezeichnet und ihm wurde „für seinen Dienst“ gedankt. Hat irgendjemand im kanadischen Parlament, in der Regierung und Selenskyj, die alle diesem Veteranen applaudierten, gewusst, dass er in der Waffen-SS-Division diente?“

Zahlreiche jüdische Organisationen verurteilten die Ehrung des Veteranen der Waffen-SS. So forderte unter anderem die jüdische Menschenrechtsorganisation B’nai Brith Canada eine Entschuldigung des kanadischen Parlaments und erklärte:

„Es ist mehr als empörend, dass das Parlament ein ehemaliges Mitglied einer Nazi-Einheit auf diese Weise geehrt hat. (…) Die ukrainischen ultranationalistischen Ideologen, die sich 1943 freiwillig zur Aufstellung der SS-Galizien-Division gemeldet hatten, träumten von einem ethnisch homogenen ukrainischen Staat und befürworteten die Idee der ethnischen Säuberung. Die 14. Waffen-SS verübte zahlreiche Gräueltaten an der Zivilbevölkerung in der Ukraine.“

Auch die „Freunde des Simon-Wiesenthal-Zentrums“ (FSWC) verurteilten den Vorfall in einer Pressemitteilung ebenso in scharfen Worten:

„Die Tatsache, dass ein Veteran, der in einer Nazi-Militäreinheit gedient hat, ins Parlament eingeladen wurde und dort stehende Ovationen erhielt, ist schockierend. In einer Zeit, in der Antisemitismus und Holocaust-Verzerrung zunehmen, ist es unglaublich beunruhigend zu sehen, wie das kanadische Parlament sich erhebt, um einer Person zu applaudieren, die Mitglied einer Einheit der Waffen-SS war, einer militärischen Abteilung der Nazis, die für die Ermordung von Juden und anderen Menschen verantwortlich war und die während der Nürnberger Prozesse zu einer kriminellen Organisation erklärt wurde.“

Zudem wird in der Mitteilung noch betont, dass es „keine Verwirrung darüber geben sollte, dass diese Einheit für den Massenmord an unschuldigen Zivilisten mit einem unvorstellbaren Maß an Brutalität und Bosheit verantwortlich war“.

Auch der polnische Botschafter in Kanada meldete sich noch am Sonntag zu Wort und kritisierte die Ehrung durch die ukrainische und kanadische Staatsführung eines „Mitglieds der Waffen-SS Galizien“, einer seinen Worten nach „berüchtigten“ Militärformation, „die für die Ermordung tausender Polen und Juden verantwortlich war“.

Am Sonntag entschuldigte sich nach massivem medialen Druck und den geschilderten Interventionen der jüdischen Interessensvertretungen der Sprecher des kanadischen Unterhauses, Anthony Rota, und erklärte:

„Ich habe im Nachhinein mehr Informationen erhalten, die mich dazu veranlassen, meine Entscheidung zu bedauern. Ich möchte mich insbesondere bei den jüdischen Gemeinden in Kanada und auf der ganzen Welt zutiefst entschuldigen.“

Wirklich bezeichnend in der ganzen Angelegenheit sind allerdings nicht die Reaktionen in Kanada, sondern die Art und Weise, wie dieser Vorfall in Deutschland bewertet und eingeordnet wurde. Dabei verschlägt es einem teilweise – ob der zur Schau getragenen Geschichtsvergessenheit und offenen Relativierung – die Sprache. Exemplarisch sei auf die Twitter-Äußerungen des an der Universität Halle-Wittenberg lehrenden Historikers Kai Struve verwiesen. Dieser erklärt, positiv Bezug nehmend auf einen Tweet des unter anderem für ZDF und Spiegel schreibenden Journalisten Thomas Dudek, der die Ehrung des Waffen-SS-Veteranen als „blöd und kontraproduktiv“ abtut, dass die Waffen-SS-Division Galizien ja gar nicht so schlimm gewesen sei wie behauptet, schließlich sei diese „keine Massenmordeinheit von SS und Polizei, sondern eine operativ der Wehrmacht unterstellte Einheit“ gewesen.

Das muss man erstmal setzen lassen. Im Jahre 2023 kann ein Historiker, der an einer bundesdeutschen Uni lehrt, ohne dafür Gegenwind von etablierter Politik und Medien zu ernten, sogar ganz im Gegenteil, erklären, man müsse die Waffen-SS Galizien, da ukrainisch dominiert, von „Massenmordeinheiten“ abgrenzen, da diese der Wehrmacht unterstellt gewesen sei. Das alte und schon längst wissenschaftlich widerlegte Märchen von der weißen Weste der Wehrmacht. Ganz so, als hätte es zum Beispiel die fundiert recherchierten Wanderausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung zu „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ sowie „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“ nie gegeben.

Der schon erwähnte kanadisch-ukrainische Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski von der Universität Ottowa macht übrigens auch darauf aufmerksam, dass der SS-Veteran mit seiner Vergangenheit ganz offen umging. So hat er auf seinem persönlichen Blog zahlreiche Fotos und völlig unkritische Berichte über seine Zeit bei der Waffen-SS veröffentlicht.

Man wusste in Ottawa also vermutlich sehr wohl, wen man sich dort auf die Ehrentribüne geholt und geehrt hatte. Doch im Gegensatz zu Deutschland wurde die Ehrung im Nachhinein zumindest medial und wissenschaftlich kritisch reflektiert. Hierzulande, das muss man sich wirklich in der gesellschaftlichen Implikation in aller Deutlichkeit vor Augen führen, wird hingegen zum einen die Bedeutung der Ehrung von Journalisten der Leitmedien heruntergespielt und, noch weit dramatischer, die Rolle der Waffen-SS Galizien und ihrer nachgewiesenen Verbrechen von Mainstream-Historikern mit Verweis auf den „Kampf für die (ukrainische) Unabhängigkeit und gegen die sowjetische Besetzung Galiziens und Wolhyniens“ relativiert, und dies trotz der bestehenden Quellenlage. Der Schoß ist fruchtbar noch …

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Titelbild: Screenshot CBS News