Auch nach über 5.000 getöteten Kindern in Gaza: Außenministerin Baerbock weiterhin gegen Waffenstillstand

Auch nach über 5.000 getöteten Kindern in Gaza: Außenministerin Baerbock weiterhin gegen Waffenstillstand

Auch nach über 5.000 getöteten Kindern in Gaza: Außenministerin Baerbock weiterhin gegen Waffenstillstand

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Die bundesdeutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat sich Anfang der Woche in einem Interview mit dem staatlich finanzierten Auslandssender Deutsche Welle trotz der enorm hohen Zahl an zivilen Opfern im Gazastreifen erneut vehement gegen einen Waffenstillstand ausgesprochen. Begründet hat sie dies mit dem bemerkenswerten Satz: „Waffenstillstand hieße ja, dass Israel mit den Hamas verhandeln müsse, dass man sich nicht mehr gegenseitig beschießt.“ Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund auf der Bundespressekonferenz wissen, was denn für die Bundesregierung das Alternativszenario zu einem Waffenstillstand sei – Bombardierung des Gazastreifens bis zur kompletten Zerstörung der Hamas? Für einen Miniversprecher „die Baerbock…“ statt „Frau Baerbock“ gab es zudem eine Rüge von der BPK-Moderatorin, dies sei „nicht auf dem Niveau der Bundespressekonferenz“. Von Florian Warweg.

Am 20. November gab die amtierende bundesdeutsche Chefdiplomatin dem Auslandssender Deutsche Welle (DW) ein „Exklusiv“-Interview, in welchem sie sich sehr explizit gegen einen Waffenstillstand im Gazastreifen und gegen entsprechende Verhandlungen mit der Hamas aussprach. Befragt vom DW-Moderator Jaafar Abdul-Karim, wieso sie sich angesichts des offensichtlichen Leids der Zivilbevölkerung im Gazastreifen nicht für einen sofortigen Waffenstillstand ausspreche, erklärte Annalena Baerbock im Wortlaut:

„Da hilft es eben nicht aus dem Impuls heraus, ‚die Waffen müssen schweigen‘ zu sagen. Das ist nicht die Aufgabe der Politik. (…) Waffenstillstand hieße ja, dass Israel mit den Hamas verhandeln müsse, dass man sich nicht mehr gegenseitig beschießt. Und das würde bedeuten, dass sich Israel unter den ongoing (sic!) Raketenterror nicht verteidigen könnte.“

Bezugnehmend auf die Aussage der bundesdeutschen Außenministerin wollten die NachDenkSeiten auf der Bundespressekonferenz vom Sprecher des Auswärtigen Amtes, Christian Wagner, wissen, was Frau Baerbock mit ihren Interview-Aussagen gegenüber dem staatlich finanzierten Auslandssender Deutsche Welle der bundesdeutschen und internationalen Öffentlichkeit denn eigentlich mitteilen wollte und wie die konkreten Alternativvorschläge der Bundesregierung zu einem Waffenstillstand lauten. Die Antworten bezeugen auch die zunehmende internationale Isolierung Deutschlands durch diese völlig einseitige Positionierung, die im Widerspruch zur großen Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft und auch der Vereinten Nationen steht:

Protokollauszug von der Bundespressekonferenz am 22. November 2023

Frage Warweg
Außenministerin Baerbock hat am 20. November gegenüber dem bundesdeutschen Auslandssender Deutsche Welle noch einmal ein Interview gegeben und sich dort noch einmal sehr explizit gegen einen Waffenstillstand im Gazastreifen ausgesprochen. Argumentiert hat sie, wenn ich ganz kurz zitieren darf, Waffenstillstand hieße ja, dass Israel mit der Hamas darüber verhandeln müsse, dass man sich nicht mehr gegenseitig beschieße, und das würde bedeuten, dass sich Israel gegen den „ongoing“ Raketenterror nicht verteidigen könne.

Herr Wagner, können Sie mir erklären, was die Außenministerin uns damit vermitteln will? Wenn sie wirklich so explizit und grundsätzlich gegen einen Waffenstillstand im Gazastreifen ist, was ist denn dann aus Sicht des Auswärtigen Amtes eingedenk der fünfstelligen Zahl an zivilen Toten das Alternativszenario zu einem Waffenstillstand?

Wagner (AA)
Herr Warweg, hier war ja schon öfter Thema, dass wir den Forderungen nach einem dauerhaften Waffenstillstand, die es ja von verschiedener Seite gab, die Frage entgegenstellen müssen, was dann Israel gegen den andauernden Raketenbeschuss, den die Hamas ja weiterhin aus Gaza vollzieht, tun soll. Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen den Angriff der Hamas zu wehren. Insofern war unsere Haltung da immer sehr klar. Die Außenministerin hat an verschiedenen Punkten immer wieder klar gemacht, auch der Kanzler hat sich entsprechend eingelassen, dass wir humanitäre Pausen gefordert haben, die es ermöglichen, humanitäre Hilfe, die dringend notwendig ist, zu den Menschen in Gaza zu bringen, dass wir aber der Forderung eines dauerhaften Waffenstillstands zu einem Zeitpunkt, wo Israel weiterhin aus Gaza angegriffen wird, nicht folgen.

Jetzt haben Sie ja verfolgt, dass gestern offensichtlich eine Vereinbarung angekündigt worden ist, die jetzt eine humanitäre Pause vorsieht. Das begrüßen wir sehr. Das hat der Kanzler auf X gemacht, das hat die Außenministerin auf X gemacht; insofern verweise ich Sie da auf diese Äußerung.

Zusatzfrage Warweg
Dazu habe ich noch eine Verständnisfrage: Wir sprechen da jetzt von einer Waffenpause, die ja völkerrechtlich eigentlich auch nicht wirklich gebunden ist. Ein Waffenstillstand hat aber weit mehr Implikationen und ist eigentlich die Grundvoraussetzung für einen Frieden zwischen zwei Konfliktparteien. Mit der Hamas als nicht staatlichem Akteur ist das natürlich schwierig. Aber die Frage, die Sie mir immer nicht beantwortet haben, ist: Was ist denn das Alternativszenario? Das heißt, wenn die (Frau) Baerbock und die gesamte Bundesregierung sagen „Wir sind gegen einen Waffenstillstand“, dann müsste die Bundesregierung doch in der Lage sein zu sagen: Wir wollen dafür, ich weiß nicht, dass Gaza bis zur kompletten Zerstörung der Hamas bombardiert wird. Es muss ja irgendein Alternativziel formuliert werden. Einfach nur zu sagen „Wir sind gegen einen Waffenstillstand“ …

Intervention von BPK-Moderatorin Buschow
Herr Warweg, ich glaube, die Nachfrage ist angekommen. Vielleicht erlauben Sie mir noch einen Hinweis, da wir hier einen gepflegten Ton nutzen: Ich halte das für einen Versprecher, aber Formulierungen wie „die Baerbock“ finde ich nicht auf dem Niveau der Bundespressekonferenz.

Zusatz Warweg
Frau Baerbock erlaubt sich auch ein paar Versprecher. Das kann auch mir passieren.

Vorsitzende Buschow
Ich glaube, Ihre Frage ist angekommen und wird wahrscheinlich beantwortet.

Wagner (AA)
Herr Warweg, es ist ganz klar, was das Ziel sein muss: Der Terror der Hamas gegen Israel muss aufhören. Die Hamas ist eine Terrororganisation, die nach wie vor Israel angreift und die das Existenzrecht Israels als Staat infragestellt. Sie wissen, dass wir uns als Bundesregierung der Sicherheit des Staates Israel sehr verpflichtet fühlen. Es ist doch vollkommen unstrittig, dass wir, und das ist ja letztlich auch Kern der diplomatischen Bemühungen nicht nur von uns, sondern auch von unseren Partnern in der Region, alle dem Ziel entgegenarbeiten, dass die Menschen in der Region, im Nahen Osten, in Frieden und Sicherheit zusammenleben können. Es ist die Hamas, die das im Moment in Frage stellt.


Der letzte Bericht zur Lage im Gazastreifen von OCHA, dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten unter Leitung des britischen Berufsdiplomaten Martin Griffiths, spricht mit Stand 22. November von 6.000 getöteten palästinensischen Kindern und 4.000 getöteten Frauen, dies entspricht 68 Prozent aller bisher identifizierten Todesopfer. Laut OCHA wurden zudem 108 UN-Mitarbeiter und 64 Journalisten seit Beginn der israelischen Vergeltungsschläge getötet. Allerdings weist die UN-Behörde darauf hin, dass auf Grund des Zusammenbruchs des Kommunikations- und Gesundheitssystems in Gaza diese Daten seit einer Woche nicht durch das Gesundheitsministerium in Gaza aktualisiert werden konnten. Hinzu kommt eine noch nicht abzuschätzende Zahl an Personen, die noch unter den Trümmern vermutet werden.

Quelle: ochaopt.org

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Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 22.11.2023

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