Angriff auf ZDF-Team: Unter falscher Flagge?

Angriff auf ZDF-Team: Unter falscher Flagge?

Angriff auf ZDF-Team: Unter falscher Flagge?

Ein Artikel von Thomas Moser

Der schwere Überfall auf ein ZDF-Kamerateam am 1. Mai 2020 in Berlin ist weiterhin ungeklärt. Sollten dadurch Corona-Proteste kriminalisiert werden? Am 15. Januar 2024 beginnt der Prozess gegen vier der Täter, die aus dem „linken“ Milieu kommen sollen. Von Thomas Moser.
Aktualisierung 5.1.2024: Der Prozess wegen des Überfalls auf das ZDF-Team beginnt nicht am 15. Januar, sondern bereits am 8. Januar. Das Gericht gibt für das Vorziehen organisatorische Gründe an.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Tat geschah am Nachmittag des 1. Mai 2020 in Berlin beim Bahndamm in der Nähe des Alexanderplatzes. Ein Kamerateam des ZDF, das für die Satiresendung heute-show unterwegs war und den bekannten Satiriker Abdelkarim begleitete, wurde von einer etwa 15-köpfigen Gruppe junger Leute zwischen 25 und 35 Jahren, Männer und Frauen, angegriffen. Dabei sollen unter anderem Metallstangen eingesetzt worden sein. Zwei der Opfer wurden bewusstlos geschlagen, eines musste mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen. (Quelle)

Der Prozess beginnt am 15. Januar 2024 vor einem Schöffengericht des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten. Angeklagt sind drei Männer und eine Frau wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung.

Das Motiv für den Überfall ist bis heute unklar. Auch die Anklagebehörde benennt keines. Ungeklärt sind aber noch andere Umstände der Tat. Wer waren die Angreifer? Warum war das ZDF-Team das Ziel? Steht die Attacke in einem Zusammenhang? Wenn ja, in welchem?

Die etablierten Medien stellten schnell Zusammenhänge her beziehungsweise suggerierten sie. Der Übergriff sei „am Rande einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen” geschehen, hieß es zum Beispiel. Oder: Das ZDF-Team habe zuvor „bei einer Demo gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen gefilmt“ und „Stimmen corona-kritischer Verschwörungsideologen gesammelt“. (Quelle)

Oder: Die Attacke auf das Team der ZDF-Satiresendung heute show geschah „am Rande einer Demonstration von selbsternannten Querdenkern und Corona-Leugnern“.

Die Tendenz der Berichte scheint klar zu sein: Es sollte ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen der Tat und den Corona-Protesten, denen man damit den Stempel „kriminell“ hätte verpassen können. Neben gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung könnte man die Tat außerdem als Landfriedensbruch klassifizieren. Am deutlichsten kam diese Denunziationsabsicht vielleicht im Bericht der ARD zum Ausdruck:

„Viel ist noch nicht bekannt über die Hintergründe des Angriffs auf das Team der heute-show. Doch fest steht: Ein beispielloser Fall von Gewalt gegen Medienvertreter. Das Team hatte zuvor bei einer Demonstration von Verschwörungsideologen am Rosa-Luxemburg-Platz gedreht, ein Zusammenhang gilt als wahrscheinlich.“

Das war im Jahr 2020. Doch drei Jahre und eine polizeiliche Ermittlung später wird diese mutwillige Tendenz weiterhin gepflegt: „ZDF-Team bei Corona-Demo brutal attackiert: Anklage gegen vier Verdächtige“, so die Überschrift eines Blattes, gestützt auf dpa.

Selbst die Generalstaatsanwaltschaft Berlin spricht in ihrer Pressemitteilung zur Anklageerhebung vom Januar 2023 davon, dass die ZDF-Mitarbeiter „zuvor bei einer Demonstration der sogenannten ‚Querdenkerbewegung‘ gefilmt“ haben. Tatsächlich lässt sich das Gegenteil sagen: Ein Zusammenhang ist unwahrscheinlich. Die Täter kamen nach allem, was wir wissen, nicht aus den Reihen der Corona-Kritiker, sondern erstaunlicherweise von deren Gegnern. Die Ermittlungen, die aus Staatsschutzgründen vom LKA Berlin geführt wurden, ergaben, dass die Angreifer dem sogenannten „linken Milieu“ zuzurechnen seien.

Mehr noch: Das Heute-show-Team mit Abdelkarim wollte zwar bei der wöchentlichen Anti-Lockdown-Demonstration am Rosa-Luxemburg-Platz filmen und Corona-Kritiker (der Begriff Querdenker war damals noch nicht gebräuchlich) interviewen, tatsächlich hat es – irrtümlich – bei deren Gegnern, einer Antifa-Gruppe, gefilmt und sie interviewt. Wenn schon, dann geschah die Tat „am Rande einer Antifa-Kundgebung“.

Doch nun der Reihe nach. An jenem Tag war ich zusammen mit einem Kollegen in der Stadt unterwegs, um verschiedene Aktionen und Demonstrationen zu beobachten – unter anderem auch am Rosa-Luxemburg-Platz.

Der 1. Mai 2020 war ein Freitag. Die Corona-Demonstrationen am Platz vor der Volksbühne hatten bis dahin immer samstags stattgefunden. Begonnen hatten sie Ende März. Danach wurden sie Woche für Woche größer, obwohl niemand dazu aufrief, es keinen Veranstalter gab, keine Bühne, kein Mikrofon und selbstredend auch keine polizeiliche Anmeldung. Es waren lediglich Zeit und Ort, die die Leute zusammenführten. 150, 250, 500, 1.000 – Ende April 2020 trafen sich auf dem Platz mit dem Namen der polnischen Revolutionärin schon 2.000 Demonstrationswillige. Da die Corona-Politik eine allgemeine Ausgangssperre verhängt hatte und Demonstrationen schon gar nicht geduldet werden sollten, wurde der Schauplatz zur Herausforderung für die Polizei. Immer mehr Kräfte wurden bereitgestellt, mehrere Mitarbeiter der Polizeipressestelle erschienen vor Ort, um zu moderieren, es kam zu immer mehr Festnahmen sowie auch zu schweren Misshandlungen seitens der Polizei (Schläge ins Gesicht). Und irgendwann wurden auch verdeckt arbeitende Beamte in Zivil eingesetzt. Der Dreiecksplatz vor der Volksbühne wurde samstags zum wichtigsten Einsatzort der Hauptstadt-Polizei.

Die Corona-Demonstrationen hießen ironisch „Hygienedemonstrationen“, den Begriff „Querdenker” gab es noch nicht. Die nächste „Hygienedemonstration“ wurde eigentlich für Samstag, den 2. Mai, erwartet. Da der 1. Mai in Berlin aber ein traditioneller Demo-Großkampftag ist, fehlten auch da Corona-Proteste nicht.

Am Rosa-Luxemburg-Platz war die Szenerie am 1. Mai gegenüber dem vergangenen Wochenende wie ausgewechselt. Der Platz war an mehreren Stellen weiträumig mit Polizeigittern abgesperrt. Nur Anwohner und Journalisten, die sich ausweisen mussten, durften passieren. Insgesamt waren in dem Areal 300 Polizeikräfte im Einsatz. Der Platz vor der Volksbühne selbst war so gut wie menschenleer. Lediglich etwa ein Dutzend Personen stand herum, darunter jemand, der in einer riesigen Gummiechse steckte. Und daneben das Kamerateam der ZDF-heute-show mit seinem groß gewachsenen Reporter Abdelkarim. Es wirkte in dieser Szenerie wie verloren.

Was Abdelkarim, das Team und die ZDF-Redaktion nicht wussten und möglicherweise bis heute nicht wissen: Sie hatten nicht etwa Corona-Hygiene-Demonstranten vor sich, sondern deren erklärte Gegner, eine Berliner Antifa-Gruppe.

Was war geschehen? Die Polizei hatte am 1. Mai zu einem Manöver gegriffen. Sie hatte mit der Antifa-Gruppe vereinbart, ihr den Platz für eine Kundgebung exklusiv zu überlassen – und zwar von 12 bis 22 Uhr, praktisch also den ganzen Tag. Damit waren die „Hygiene“-Demonstranten ausgesperrt. Beide Seiten – Polizei wie Antifa – bestätigten ihren Deal auf Nachfrage. Später bedankte sich ein Antifa-Redner einmal explizit bei der Polizei, dass sie ihnen diese „Inszenierung“ ermöglicht habe. Das gilt auch umgekehrt: Die Antifa half der Polizei, den Platz als Brennpunkt der Corona-Proteste unter Kontrolle zu bekommen und zu leeren.

Es gab an jenem Tag aber trotzdem Corona-Demonstranten. Sie hatten sich, da der Luxemburg-Platz blockiert war, mehrere Hundert Meter nordwestlich davon auf dem Schendelplatz versammelt. Etwa 1.000 Leute hielten sich dort auf. Die Polizei erklärte die Ansammlung für verboten, griff ständig Teilnehmer heraus und führte sie ab. Von dem ZDF-Team vor der Volksbühne bekam man dort nichts mit – und somit auch nicht, dass das ZDF-Team ja eigentlich mit ihnen die Interviews führen wollte, die es stattdessen mit ihren Gegnern führte. Aber auch die Medienleute und Abdelkarim realisierten ihrerseits nicht, dass sie mit den Falschen sprachen und die Original-Hygiene-Demonstranten in einiger Entfernung zu finden gewesen wären.

Warum die ZDF-Reporter nicht erkannten, dass sie es nicht mit Corona-Demonstranten, sondern im Gegenteil mit Antifa-Aktivisten zu tun hatten, wäre noch eine Gedankenübung wert. Liegen die Argumentationen auf beiden Seiten gar nicht so weit auseinander? Oder ähnelt etwa das Antifa-„Geschwurbel“ demjenigen, das man „Corona-Leugnern“ unterstellt?

Abdelkarim und sein Team verließen bald die Örtlichkeit südwärts und führten dabei noch das eine oder andere Gespräch, vermutlich mit Anwohnern. In der Sendung heute-show schilderte er später, dass die Interviews alle ganz zivil und entspannt gewesen seien. Mit wem er tatsächlich gesprochen hatte, schien er immer noch nicht verstanden zu haben.

Das Team entfernte sich weiter vom Rosa-Luxemburg-Platz, unterquerte den Bahndamm und machte jenseits des Bahndamms auf einem kleinen Platz Pause, etwa 500 Meter von der Volksbühne weg. Offensichtlich wurde es verfolgt, denn dort kam es unmittelbar danach um etwa 16:30 Uhr zu dem gewalttätigen Angriff.

Mein Kollege und ich hatten zu diesem Zeitpunkt das Areal um den Rosa-Luxemburg-Platz bereits wieder verlassen. Wir erfuhren erst durch die Nachrichten von der Gewalttat. Davor hatten wir allerdings noch eine eigenartige Beobachtung gemacht, von der wir zunächst nicht wussten, wie wir sie einordnen sollten. An einer der Polizeiabsperrungen rund um die Volksbühne wurde eine achtköpfige Gruppe junger sportlicher Leute, Frauen und Männer, zunächst aufgehalten. Sie trugen an ihrer Bekleidung zum Teil Antifa-Embleme oder ein Marx-Bild. Doch nach einem kurzen Gespräch zwischen zwei Beamten durfte die Gruppe passieren. Mein Kollege schnappte die Worte auf: „Die dürfen durch. Das sind unsere Leute.“ Wurden wir Zeugen eines weiteren Kapitels aus dem Stück „die Antifa und die Polizei“?

Obwohl die Attacke auf das ZDF-Team sofort reflexartig mit den stigmatisierten Corona-Protesten in Verbindung gebracht wurde, erbrachten die Ermittlungen des LKA überraschend etwas anderes. Sie führten zu Personen, die sich allem Anschein nach zur „linken“ Szene rechneten. Sechs der Angreifer konnten gefasst und identifiziert werden. Zwei von ihnen sollen in der Vergangenheit bei „links-motivierten Taten“ polizeibekannt geworden sein. Einer soll einen „linken Aufkleber“ getragen haben. Zwei der Beschuldigten waren in Baden-Württemberg gemeldet: Ein Geschwisterpaar aus einem Ort in der Nähe von Heilbronn. In Heilbronn verkehrten sie unter anderem im „Sozialen Zentrum Käthe“, einem linken Treffpunkt. Als das bekannt wurde, verurteilte die Einrichtung den Überfall in einer Erklärung „aufs Schärfste“. Aufgrund ihrer „Brutalität“ stelle diese Tat eine „neue Dimension von Gewalt gegen Journalist*innen“ dar. (Quelle)

Das Zentrum „für linke Politik und unkommerzielle Kultur“ bestätigte auch, dass die beiden Geschwister wiederholt an offenen Treffen in ihren Räumen teilgenommen haben. Man wollte zunächst aber die Ermittlungen abwarten. In seiner Stellungnahme vom 11. Mai 2020 schreibt das Soziale Zentrum Käthe wörtlich:

„Sollten sich die Vorwürfe gegen die beiden Personen, die sich in der Vergangenheit in unserem Zentrum aufgehalten haben, bewahrheiten, gibt es für uns einiges aufzuarbeiten. Wir müssen und werden uns dann allen kritischen Fragen stellen, die an uns gerichtet werden. Wir sind dann auch bereit, grundsätzliche Fragen zu stellen, was dazu geführt hat, dass wir jetzt mit einer solch abscheulichen Tat in Verbindung gebracht werden.“

Die Verantwortlichen des Zentrums wollen sich nicht mehr äußern, da es sich um ein „laufendes Verfahren” handle und weder die Hauptverhandlung eröffnet noch ein Urteil gesprochen sei. Das wird sich jetzt ändern. Der Prozess beginnt am 15. Januar 2024 und ist bis März terminiert.

Die Sache wurde als Staatsschutz-Angelegenheit behandelt. Nach mehr als zweieinhalb Jahren Ermittlungen erhob die Generalstaatsanwaltschaft Berlin Anklage gegen vier der Angreifer. Gegen zwei weitere zunächst Beschuldigte wurde das Verfahren eingestellt, weil nicht ausgeschlossen werden könne, so die Behörde, dass sie erst nach dem Tatgeschehen zu der Tätergruppe gestoßen seien. Die übrigen Angreifer konnten laut Staatsanwaltschaft nicht identifiziert werden. (Quelle)

Titelbild: Karolis Kavolelis / Shutterstock

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