Als Liberaler bei Bündnis Sahra Wagenknecht: Ex-Dunkelrot plus Ex-Gelb vereint für die Demokratie

Als Liberaler bei Bündnis Sahra Wagenknecht: Ex-Dunkelrot plus Ex-Gelb vereint für die Demokratie

Als Liberaler bei Bündnis Sahra Wagenknecht: Ex-Dunkelrot plus Ex-Gelb vereint für die Demokratie

Stefan Grüll
Ein Artikel von Stefan Grüll

Ich bin Rechtsanwalt/Bankkaufmann und unter anderem engagiert im Beirat des Verbandes der Migrantenwirtschaft, war Abgeordneter der FDP in der legendären NRW-Landtagsfraktion des Jahres 2000 mit Jürgen Möllemann und Christian Lindner und bis 2009 Mitglied der Partei. Jetzt bin ich als Liberaler dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) beigetreten und dort aktiv. Über die Beweggründe des Eintritts, die Reaktionen darauf kurz vor dem ersten Bundesparteitag exklusiv gegenüber den NachDenkSeiten. Von Dr. Stefan Grüll.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Geduldet als Exot mit Fremdkörpercharme oder als sozial-liberal sozialisierter Mitstreiter willkommen? Politisch einst unüberbrückbar Getrennte nun in einer Partei vereint; kann das funktionieren? Fragen, die mir so oder ähnlich in diesen Tagen vielfach gestellt werden, wenn ich mit denen über meinen Schritt in die neue Wagenknecht-Partei spreche, die meine politische Vergangenheit kennen. Auffallend ist dabei stets der erkennbar auf eine positive Antwort hoffende Unterton. Das Interesse an BSW ist groß. Die mit BSW verknüpften Erwartungen sind wohl noch größer, gerade aus der von allen umworbenen und vielfach enttäuschten Mitte der Gesellschaft, die auch mein privates und berufliches Umfeld spiegelt. Die, die wissen, warum der Austritt vor unterdessen rund fünfzehn Jahren für mich als einem überzeugten Liberalen zwingend war, fragen mich dies dagegen nicht; heute nochmals weniger: In den Corona-Jahren als ehemalige Bürgerrechtspartei ein Totalausfall, regiert die FDP mit SPD und Grünen nach dem Prinzip der kleinsten Nenner, auf die man sich so gerade noch verständigen kann. Neuwahlen, das ist sicher, kosten den Dienstwagen. Den Preis zahlt Deutschland.

Mein Schritt in die aktive Politik war damals und ist unverändert getragen von dem Wunsch, mitzuarbeiten an der Entwicklung einer Gesellschaft, in der individuelle Freiheit kein Synonym für maximale Egoismen ist und erarbeiteter Erfolg als Ansporn motiviert, nicht aber in materiellen Status umgesetzt zur Aus- und Abgrenzung missbraucht wird. Es war die Begeisterung für ein Menschenbild, das Unterschiedlichkeit gleich welcher Art und welches Hintergrundes als Turbo eines Miteinanders gleicher Chancen begreift und allen den gesellschaftlich barrierefreien Zugang zu fairer Partizipation an den Möglichkeiten und dem Wohlstand garantiert, die eine Marktwirtschaft generiert, die sozial nicht nur im Namen führt, sondern als Verpflichtung begreift. Die Verantwortung für Frieden im Inneren und das Eintreten für Frieden in der Welt, waren/sind für mich zwei Seiten einer Medaille. Brandt/Bahr, Scheel/Genscher haben mit der Entspannungspolitik Maßstäbe gesetzt und Diplomatie zum Markenzeichen eines weltweit geachteten Nachkriegsdeutschlands gemacht. Unter ihren zeitengewendeten Nachfolgern haben Waffen unheimliche Konjunktur.

Die Stärke der liberalen Idee ist wesentlich begründet, sich nicht von Ideologie einengen zu lassen, sich nicht von Dogmen abhalten zu lassen, auf neue Herausforderungen neue Antworten zu finden und sich nicht im Rechts- oder Links-Schema zu verirren, sondern das Beste zu kombinieren, was der politische Diskurs zu bieten hat. Dass dies die Freiheit der Debatte voraussetzt, versteht sich, wie auch die Notwendigkeit, Probleme zu benennen, ohne mit Populismen auf Stimmenfang zu gehen. Gemessen daran fiel der Abgleich meiner Grundüberzeugungen mit dem Angebot der demokratischen Parteien in der Vergangenheit regelmäßig negativ aus und so blieb ich viele Jahre heimatloser Liberaler. Aufgrund der singulär kritischen Positionierung während der Corona-Hysterie schienen die Freien Wähler temporär eine Option zu sein. Frei im Namen aber reicht nicht, wenn schrille Töne aus Bayern regelmäßig eine andere Sprache sprechen.

Die sukzessive Justierung der politischen Koordinaten im Weltbild von Sahra Wagenknecht habe ich über einen langen Zeitraum verfolgt; erst ungläubig staunend, später als möglicherweise lediglich begnadete Eigen-PR skeptisch betrachtend, schließlich – seit dem Friedensmanifest mit Alice Schwarzer Anfang 2023 – mit von Sympathie getragener Neugierde darauf hoffend, dass sie tatsächlich den harten Weg der Gründung einer Partei geht. In einem bei CICERO im Frühsommer 2023 erschienenen Artikel habe ich es so formuliert:

„Wagenknecht hat das politische Gespür und die rhetorische Strahlkraft, Massen zu begeistern. Sie hat die intellektuellen Kapazitäten und die charakterliche Chuzpe, den politischen Kampf gegen die AfD erfolgreich zu führen, um Wählerinnen und Wähler zurückzuholen, die derzeit den Extremen ihre Stimme leihen, ohne deren programmatische Ansichten zu teilen. Sie hat die Begeisterungsfähigkeit, das Kreativpotenzial der in die Nichtwahl Geflüchteten wieder für die Demokratie zu aktivieren und damit zurückzuholen auch in die Reichweite der Etablierten.“

Seit dem 8. Januar 2024 gibt es diese Partei, in die ich nach etlichen Gesprächen aufgenommen worden bin. Dass man sich die neuen Mitglieder sehr genau anschaut, ist gebotener Selbstschutz. Der Gründer der AfD, Bernd Lucke, ist von den unkontrollierten Zugängen weggespülter Zeitzeuge für die Kaperung einer jungen Partei durch Fanatiker und Extremisten.

Eine liberale Gesellschaft müsse nicht zwingend voller Liberaler sein, zitierte mich der heutige Chefredakteur der NEUEN WESTFÄLISCHEN (NW) – damals Landeskorrespondent der RP – in einem Artikel wenige Monate vor meinem Ausscheiden aus dem Mandat. Ich würde es heute genauso formulieren und auf eine Partei übertragen gilt nichts anderes. Nicht in jeder Einzelfrage muss man bis auf das letzte Komma übereinstimmen. Auf die verbindenden Werte und grundsätzlichen Überzeugungen kommt es an: Vernunft und Gerechtigkeit, Chancengleichheit und sozialer Ausgleich, individuelle Entfaltung in freiheitlicher Gesellschaft und ein Rechtsstaat, der dies garantiert, weil unverzichtbare Regeln durchgesetzt werden. Ex-Gelb zusammen mit Ex-Dunkelrot; in den Balkendiagrammen der Sonntagsfrage neuerdings als Violett ausgewiesen. Ein Politikangebot zu formulieren, das auch die Menschen wieder erreichen wird, die zuletzt gar nicht mehr oder aus Verzweiflung extrem gewählt haben.

Das ist eine der Herausforderungen, auf die kein parteipolitischer Wettbewerber bisher eine Antwort gefunden hat. Entscheidend für den Erfolg wird sein, dass BSW mit Inhalten, aber eben auch mit einem Politikstil überzeugt, der zum USP der neuen Partei werden kann. Dazu bedarf es auch der Statur, nicht die Fehler der Etablierten zu machen, die mit Wählerbeschimpfung, unausgegorenen Verbotsfantasien oder – dies die neueste Idee perspektivischen Scheiterns – über die Parteienfinanzierung glauben, die bekämpfen zu können, die sie damit groß machen. Wählergruppen nicht pauschal zu beschimpfen, ihnen vielmehr mit glaubhafter Offenheit das Gespräch anzubieten, ist schlichtes Gebot einer politischen Klugheit, die die bisherigen Parteien gröblichst haben vermissen lassen. Bündnis Sahra Wagenknecht hat und ist historische Chance in bewegter Zeit, neue Maßstäbe innerparteilich und vor allem auch im öffentlichen Diskurs zu setzen, Pluralismus zu leben und die Resilienz der Demokratie zu steigern. Daran mitzuwirken, ist für Liberale Verpflichtung.

Titelbild: Xiomara Bender

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