Links-grün versifft?

Links-grün versifft?

Links-grün versifft?

Ein Artikel von Frank Blenz

Unsere Gesellschaft befindet sich in einem gefährlichen, enorm eskalierten Zustand des Auseinanderdriftens. Die Wortwahl der Menschen wird krasser und krasser, aus Diskussionen werden heftige Streitereien, später tritt Schweigen, Funkstille ein. Diffamierungen, Ausgrenzungen, Distanzierungen und Entfremdung stehen permanent auf der Tagesordnung. Abwertende Stempel werden herausgeholt und denen kräftig aufgedrückt, die nicht mit einem sind und/oder die man wähnt, nicht für einen zu sein. Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Bei all der ausufernden Rage und bei allem Schimpfen über Zustände und „versiffte“ Akteure gerät jedoch das Wesentliche in den Hintergrund: die Ursachen und das Treiben der Verursacher für den bedenklichen Zustand der Gesellschaft. Dieses Verdunkeln wirkt bis in die Gespräche unter Freunden, die sich dabei ertappen, Phrasen zu verwenden, die allenfalls heftig, aber keinesfalls zutreffend sind. Das Auseinanderdriften anzuhalten gelingt damit nicht. Durch Benennen und Anklagen von Ursachen wäre ein Anfang dafür gemacht. Und weiter muss es gehen mit dem Anhalten der Zerstörung der Gesellschaft. Ein Beitrag von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mein guter Freund tobte

„Schau Dir doch nur mal die ganzen links-grün versifften Medien und Parteien an, die bestimmen, was wir denken und tun sollen.“ Einem sehr guten, geschätzten, langjährigen Freund rutschte dieser Satz dieser Tage bei einem langen, gemeinsamen Gespräch über Gott und die Welt, vor allem über unser Land und über unsere Sorgen heraus. Ich nahm ihm in seiner Verärgerung das „links-grün“ ebenso wenig krumm wie das Wort „versifft“. Ich ahnte, und diese Ahnung bestätigte sich später im Dialog, dass er, ein überaus friedlicher, umgänglicher und verbindender Typ, die heftige Kombination „links-grün-versifft“ wie einen Modebegriff, einen Stempel, einen sprachlichen Wutausbruch benutzt hatte und vielleicht in seiner Rage unsachlich war. Er entschuldigte sich dafür. Vor allem merkten wir zwei Diskutanten, mit dieser Definition haut ohnehin etwas nicht hin. Meinem Freund platzten die Begriffe links, grün, versifft heraus, womöglich weil er diese unter Bekannten und in sozialen Medien häufig wahrnimmt. Versifft klingt ja auch kräftig. Gerade haben diese und andere Schimpfworte Hochkonjunktur, sie drücken unter anderen die Wut der Menschen über den Zustand unter anderem von Medien und Parteien aus. Doch…

Links-grüne Medien und Parteien sind weder links noch grün

In unserem Gespräch kamen Fragen auf: Was ist links? Was ist grün? Wir ertappten uns bei der geradezu romantischen Vorstellung, dass links für soziale Gerechtigkeit steht, dass grün für eine lebenswerte Welt steht, mit allem Drum und Dran: saubere Luft, Wasser, schöne Wälder, gutes Essen und friedliche Beziehungen unter uns Menschen. Dass mein Freund mit links-grüne Medien zuallererst die führenden Fernsehsender, Zeitungen und Internetportale meinte, ließ uns nachhaken: Wem gehören diese Medien? Für wen sind diese da, und was sagen sie aus? Ebenso diskutierten wir über die Parteien, die beim Volk links-grün „versifft“ genannt werden. CDU, CSU, SPD, FDP, Die Linke, Grüne. Wir gerieten fast schon in eine Art Rage, als wir die Begriffe und Buchstaben zusammentrugen und auseinandernahmen: C wie christlich, CD wie christdemokratisch, CS wie christsozial, S sozialdemokratisch, FD freiheitlich-demokratisch. In unserem Parlament wimmelt es nur so vor hehren Leuten, mit hehren Idealen, Zielen, Visionen, beobachtet der Besucher des Hohen Hauses. Doch dann tritt der Bürger vor die Tür des Reichstages. Was ist zu sehen?

Ein Land, das sich im Rüstungswahn befindet, das Menschen kulturell und gesellschaftlich cancelt, ausschließt, in dem Mieten zunehmend höher bis unbezahlbar sind, weil die, denen die Wohnungen gehören, den Hals nicht voll genug bekommen und deren Gier nicht gestoppt wird (zum Beispiel von den hehren Leuten im Parlament), wo Preise für vieles Weitere, was es zum Leben braucht, nur eine Richtung haben – nach oben. Wir sammelten weitere Daten über unser Land, über die Medien, die Parteien. Uns wurde nicht wärmer ums Herz. Tatsächlich kamen wir, so etwas soll es in diesen Zeiten noch geben, zu einem gemeinsamen Befund: Links-grüne Medien und Parteien sind weder links noch grün.

Die Mitte. Was für eine Mitte?

Wir redeten weiter. Noch so ein Etikett, ein uns fragwürdig erscheinender Stempel kam zur Sprache: die Mitte. Man kennt das ja, dieser „Sprech“: In der Mitte der Gesellschaft, aus der Mitte der Gesellschaft, Leistungsgesellschaft, die Leistungsträger aus der Mitte der Gesellschaft. Diese Wörter und Worte werden gern und häufig benutzt. Das geschieht aber nicht, um unsere Gesellschaft, die zunächst ja eine Gesamtheit von vielen unterschiedlichen Menschen ist, zu einen, stellten wir fest. Allein mit dem Begriff „Mitte“ wird geteilt, separiert, aussortiert. Wer will angesichts dessen, dass „Mitte“ so schön normal, vertrauenswürdig, seriös, vernünftig, anständig klingt, nicht in der Mitte sein? Doch das geht ganz schnell, dass man nicht in der Mitte ist, dass man abgedrängt ist, dass man draußen ist. Mitte ist der Strom, der Mainstream, das, was die Mehrheitsgesellschaft denkt und tut, heißt es. Wer etwas anders tickt, der …

Im Politischen wird rein theoretisch unterschieden zwischen Links, Mitte, Rechts. So weit, so gut. Das hat sich in den Sitzordnungen der Parlamente irgendwann so eingebürgert. Und tatsächlich ist das, was im Politischen weniger als mittig gilt, deutlicher, ausgeprägter, direkter und extremer – in einem Parlament, noch dazu in einem demokratisch von allen berechtigten Bürgern, ob Mitte oder abseits und verachtet von der Mitte, gewählten. Und hier wird dann, so das Ideal, die goldene Mitte, der Kompromiss erkämpft, ausdiskutiert, debattiert, erstritten und abgestimmt. Alle sind mittendrin und dazugehörig. Das ist Mitte.

„Wie bei de Kommunisten“

Mein guter Freund und ich lachten, als uns der Ausspruch „Wie bei de Kommunisten“ in Erinnerung kam. Das sagen heutzutage Mitmenschen, die die aktuellen Zustände mit denen von früher in der DDR, also im Osten vergleichen. Und schon hatten wir ein weiteres falsches Etikett entdeckt, das allenfalls als Schimpfwort, aber nicht als richtige Bezeichnung dienen kann. Damals waren die, die Entscheidungsträger des „ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden“ waren, eben keine Kommunisten, sie waren Emporkömmlinge, Karrieristen, sie missbrauchten Macht und Positionen und riefen „Alles für das Wohl des Volkes“. Das Volk wehrte sich spät und schrie dagegen: „Wir sind das Volk.“

Dieses unangenehme Wort

Deutschland hat ein Problem mit dem Wort „Links“. Das Wort ist unangenehm, das Image von „Links“ ebenso. Dafür wurde auch lange und kontinuierlich gearbeitet. Anders als zum Beispiel in Frankreich oder in Italien wurden und werden bei uns Begriffe wie links oder kommunistisch latent bis offen mit Argwohn bis hin zu Verachtung und Ablehnung betrachtet. Wir haben ja auch keinen Klassenkampf, bemerkten wir ironisch. Dass wir doch eine Klassengesellschaft sind und die eine Seite, die der – nennen wir es mal so deutlich und böse – Kapitalisten, seit Jahren auf ganzer Linie siegt und die ganze Ernte einfährt, sei nebenbei erwähnt.

Man erinnere sich an die Gründung der Partei Die Linke. Die hätte man lieber WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit) nennen sollen – das wäre es doch gewesen? Tatsächlich engagierten sich die Gründer und Aktivisten dieser Partei seinerzeit inhaltlich dafür, die Gesellschaft sozialer, gerechter zu gestalten, zu fordern, dass gesellschaftliche Gerechtigkeit auf die Tagesordnung kommt, so wie diese an und für sich sogar im Grundgesetz steht und in dem schönen Satz ihre feine Ausprägung findet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Diese Feststellung schließt ein, dass es in der Gesellschaft gerecht zugeht, dass der Mehrwert unser aller Schaffens gerecht und fair verteilt wird. Das Wort links hat damit ganz gewiss nichts Versifftes.

Demonstrieren gegen Rechts, und sonst?

Nun schimpfen die einen auf alles, was ihrer Definition nach links-grün und versifft ist. Die anderen gehen auf die Straße gegen Rechts, konstatierten wir zwei Freunde im Gespräch. Also die Mitte geht auf die Straße? Für Freiheit, Demokratie, Toleranz, Weltoffenheit, Vielfalt – das ist alles auch gut. „Und sonst noch?“, fragten wir.

Mein Kollege Jens Berger schrieb kürzlich, dass es einstweilen um die ultimative Rettung der Demokratie und der Grundrechte ginge. Jens Berger und wir, mein guter Freund und ich, fragten uns aber auch: Wo waren diese braven Menschen eigentlich, als vor gar nicht allzu langer Zeit die Grundrechte durch die Coronamaßnahmen tatsächlich unter Beschuss lagen?

Nun wird aber endlich für Freiheit, Demokratie, Toleranz, Weltoffenheit, Vielfalt und vor allem gegen die AfD demonstriert. Wir stellten fest, dass die Umfragewerte dieser Partei ziemlich hoch sind, also steht zur Diskussion, was man gegen diese Umfragewerte der AfD tun könnte, sollte, müsste? Demonstrieren, protestieren gegen die Partei, die sich Alternative nennt, ja. Gegen die Menschen, also die Protestwähler protestieren, folglich auch. Doch damit ist das Dilemma nicht vom Tisch. Denn warum heißt es eigentlich „Protestwähler“? Antwort: Diese Menschen sind mit dem Zustand des Landes nicht einverstanden, und ganz konkret wissen diese Menschen, diese Protestwähler auch, dass ein Zustand zustande kommt aufgrund von Ursachen samt ihrer Verursacher.

Wie wäre es, für eine ordentliche Politik zu demonstrieren?

Wenn die Regierung ordentlich regieren würde, befände sich unsere Gesellschaft in einem besseren Zustand, kamen wir auf eine Idee. Es gäbe dann auch keinen beziehungsweise wenig Grund zu protestieren oder gar, zum Protestwähler zu werden, oder? So aber nennen häufig lediglich Protestwähler schonungslos offen als Ursache das nicht ordentliche Regieren. Schlimmer noch, es wird extrem regiert, es wird feindlich gegenüber der Mitte, also im Grund gegen die Menschen regiert, eine demokratisch gewählte Regierung wendet Schaden vom Volk nicht ab. Das ist schon extrem, oder?

Das Freundschaftsgespräch endete mit einem Wunsch, einer Forderung: Richtig ist, für Freiheit, Demokratie, Toleranz, Weltoffenheit, Vielfalt einzustehen, aber auch umso deutlicher für Frieden, für Abrüstung, für Völkerverständigung, für eine gerechte, nicht selbstgerechte Gesellschaft ohne Ausgrenzung, Diskriminierung, ohne Selbstgerechtigkeit und Anmaßung derer, die sich Mitte nennen und doch nicht so handeln.

Es ist wichtig, wenn viele Menschen auf die Straße gehen, vor allem angesichts der wilden Schlagzeilen (aus der links-grünen Presse). Beim Schreiben dieser Zeilen lese ich, dass der amtierende Gesundheitsminister das Gesundheitswesen für den Kriegsfall wappnen wolle. Komisch, aus Gesundheitsmarkt wird auf einmal ein Wesen.

Mein guter Freund meinte noch: „Wenn diese Politik beendet würde, würden auch solche Wörter wie versifft verschwinden.“

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Titelbild: stockwars/shutterstock.com

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