Shooting the messengers – Israel verbietet Arbeit von ausländischen Medien

Shooting the messengers – Israel verbietet Arbeit von ausländischen Medien

Shooting the messengers – Israel verbietet Arbeit von ausländischen Medien

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Das israelische Parlament, die Knesset, hat am Montag ein Gesetz verabschiedet, das der Regierung erlaubt, das Büro des katarischen Nachrichtensenders Al Jazeera in Israel und den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten zu schließen. Die technische Ausrüstung des Senders kann beschlagnahmt, seine Webseite abgeschaltet oder blockiert werden. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu eingebrachte so genannte „Al-Jazeera-Gesetz“ kann auch auf andere ausländische Medien angewendet werden, sollten sie als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft werden. Im November 2023 hatte Israel bereits dem libanesischen Nachrichtensender Al Mayadeen die Arbeit verboten und das Büro geschlossen.

Von den 120 Abgeordneten der Knesset stimmten 71 für das Gesetz, 10 stimmten dagegen. Die anderen 29 Abgeordneten waren entweder nicht anwesend oder enthielten sich der Stimme. Die Schließung ist auf 45 Tage befristet und kann um weitere 45 Tage verlängert werden.

Während der libanesische Sender Al Mayadeen vom israelischen Kommunikationsminister Shlomo Karhi damals wahlweise als „Hisbollah-Sender“ oder als „Sprachrohr des Iran“ bezeichnet worden war, erklärte Karhi nun, es werde „keine Meinungsfreiheit für ein Sprachrohr der Hamas in Israel“ geben. Al Jazeera werde „in den kommenden Tagen“ geschlossen. Karhi gehört zum Flügel der Hardliner in der Likud-Partei von Netanyahu.

Seit Beginn des neuen Krieges gegen Gaza am 7. Oktober 2023 gilt für Medien in Israel eine scharfe Militärzensur. Alle Medien sind einer strengen Kontrolle unterworfen, das Büro des Chef-Zensors ist bei der Armee angesiedelt. Über mindestens acht Themen dürfen Journalisten demnach nicht berichten. Dazu gehören die Waffen, die die israelische Armee einsetzt, Informationen aus dem Sicherheitskabinett, Berichte über Geiseln, die von der Hamas freigelassen wurden. Zudem wird auch eine bestimmte Sprachregelung festgelegt, an die sich Journalisten halten müssen.

Das palästinensische Gesundheitsministerium, das regelmäßig die Zahlen der Toten und Verletzten veröffentlicht, muss als „von der Hamas kontrolliertes Gesundheitsministerium“ bezeichnet werden, die Hamas als „Terrororganisation“. Deutschsprachige Medien haben diese Sprachregelung weitgehend übernommen. Ausländische Journalisten, die in Israel arbeiten, müssen nicht nur über eine Akkreditierung der israelischen Regierung verfügen. Sie müssen auch eine schriftliche Erklärung unterschreiben – die sie vom Presseamt der Regierung erhalten, – dass sie sich an die Vorschriften des militärischen Zensors halten.

Al Jazeera hat es bisher verstanden, sich an den schmalen Grat zu halten. Das Team in Israel arbeitet unabhängig von dem Team in Gaza und stört wohl gerade deswegen die Netanyahu-Regierung. Seit Beginn des Krieges gegen Gaza am 7. Oktober 2023 versucht Israel Medienberichterstattung jenseits der eigenen militärischen Propaganda im wahrsten Sinne des Wortes „auszuschalten“. Das begann mit der gezielten Bombardierung von Medienhäusern, wo neben internationalen Agenturen wie AP, Reuters und AFP auch zahlreiche palästinensische und arabische Medien ihre Büros hatten. Es setzte sich fort mit gezielten Angriffen auf Journalisten und ihre Familien. Unmittelbar an der „Blauen Linie“, der Waffenstillstandslinie im Süden des Libanon, wurde eine Gruppe Journalisten gezielt angegriffen und ein Videographer der Nachrichtenagentur Reuters getötet. Ebenfalls im Südlibanon tötete Israel gezielt zwei Journalisten des Nachrichtensenders Al Mayadeen, der in Israel verboten wurde. Die nun per Gesetz ermöglichte Schließung von Al Jazeera macht den Sender und seine Mitarbeiter für Israel ganz offiziell zum „Freiwild“.

Die Zahl der im Gaza-Krieg getöteten Journalisten gibt das Komitee zum Schutz von Journalisten, CPJ, in seinem Jahresbericht 2023 mit 72 an. Die Gesamtzahl der getöteten Journalisten weltweit liegt in dem Jahr bei 99.

Am 1. April 2024 ist die Zahl getöteter Journalisten und Medienmitarbeiter in Gaza auf 137 gestiegen (Medienbüro der palästinensischen Regierung, Gaza, GMO).

Unter den Toten sind zahlreiche Mitarbeiter von Al Jazeera. Von vielen dieser Journalisten wurden die Familienangehörigen gezielt getötet, die bei Verwandten oder in Flüchtlingslagern Zuflucht gesucht hatten. Bekanntes Beispiel ist Wael Dahdouh, der Büroleiter von Al Jazeera Arabisch in Gaza, der seine Frau, zwei Söhne, eine Tochter und ein Enkelkind bei israelischen Angriffen verlor. Er selber wurde verletzt, als er mit einem Kollegen über einen israelischen Angriff auf ein Flüchtlingslager in Khan Younis berichtete. Der Kollege, Kameramann Samer Abudaqa, wurde schwer verletzt und verblutete, weil Rettungssanitäter von der israelischen Armee daran gehindert wurden, ihm zu helfen.

Wenige Tage später wurde der älteste Sohn von Dahdouh, Hamza, und dessen Kollege Mustafa Thuria durch einen gezielten israelischen Drohnenangriff getötet, als beide mit dem Auto Richtung Rafah fuhren. Ein dritter Journalist, Hazem Rajab, wurde bei dem Angriff schwer verletzt. Tags darauf erklärte die israelische Armee, die beiden getöteten Journalisten seien „Terroristen“ gewesen. Man habe Papiere gefunden, die belegen sollten, das einer für die Hamas und der andere für den Islamischen Jihad gearbeitet hätten. Die Familien wiesen das als „Lüge“ zurück.

Der Nachrichtensender Al Jazeera dokumentiert wie kein anderes Medium das Geschehen in Gaza in englischer und arabischer Sprache live, 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Mitarbeiter waren auf Sendung, als hinter ihnen Hochhäuser unter den Bomben und Raketen der israelischen Armee zusammenbrachen. Raketenangriffe, gigantische Feuerbälle, die ganze Straßenzüge verschlingen, verzweifelte Versuche der Bevölkerung, Verschüttete zu retten, zeigen die grauenhafte Kriegsrealität in dem ungleichen Kampf. Bilder von Tod und Zerstörung und die Stimmen der Menschen werden von Al Jazeera rund um die Welt getragen und stören die Darstellung der israelischen Armee. Danach hält Israel sich an das humanitäre internationale Recht, schont Zivilisten und weist ihnen „sichere Zonen“ zu. Es ist Al Jazeera, es sind die palästinensischen Journalisten, die unter Lebensgefahr zeigen, wie die Menschen auch dort angegriffen werden. (Und wir alle angelogen werden, A. M.)

Al Jazeera ist für andere Medien eine Quelle der Orientierung inmitten israelischer Kriegspropaganda geworden. Selbst israelische Medien verweisen auf Berichte des Senders, auf Interviews, die dort zu hören und zu lesen sind. Israelischen und ausländischen Journalisten ist der Zugang nach Gaza untersagt, weil die Grenzen für sie geschlossen bleiben. Die einzige Möglichkeit, ausgewählte Gebiete in dem Kriegsgebiet zu sehen, ist, sich der israelischen Armee anzuschließen. Die wählt die Gebiete aus, die „eingebettete Journalisten“ erreichen können, und lenkt deren Blick auf das, was die Armee der Öffentlichkeit zeigen will. Al Jazeera, das nicht zuletzt wegen einer großzügigen Finanzierung durch den Emir von Katar finanziell gut ausgestattet ist und über Satelliten ins Ausland senden kann, lenkt den Blick nahezu überallhin; und vor allem und immer wieder auf die Menschen.

In Programmen wie „The Listening Post“, „Inside Story“ oder „UpFront“ kommen Themen, Analysen und Bilder an die Öffentlichkeit, die Israel und seinen Bündnispartnern nicht gelegen sind. Da wird der langjährige Leiter des UN-Menschenrechtsbüros in New York, Graig Mukhiber, interviewt, der aus Protest zurückgetreten ist. Selfies werden gezeigt, die israelische Soldaten aus dem Gazastreifen verbreitet haben und die deren tiefe Verachtung gegenüber den Palästinensern und ihrem Eigentum dokumentieren. Debatten im UN-Sicherheitsrat und Auseinandersetzungen über UN-Resolutionen werden ausführlich verfolgt.

Kürzlich zeigte der Sender ein Video, das aus einer israelischen Drohne gesichert werden konnte. Es zeigte, wie vier Männer nacheinander von einer oder auch zwei Drohnen erschossen werden. Sie laufen alleine am Strand entlang und sind offensichtlich unbewaffnet. Die Drohne tötet erst zwei der Männer, die in dem Feuerball von zwei Explosionen vernichtet werden. Ein dritter Mann taumelt weiter und wird dann ebenfalls erschossen. Der vierte Mann fällt auf die Knie und versucht, weiterzukommen. Dann verschwindet auch er in einer Explosion.

Viele der Augenzeugenberichte, der Soldaten-Selfies oder Videos, wie die beschriebene Drohnenaufnahme, werden im Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Israel wegen des Verdachts des Völkermordes an den Palästinensern eine Rolle spielen.

Ganz aktuell ist auf der Webseite von Al Jazeera Englisch zudem ein Bericht über das Vorgehen deutscher Polizei und Rechtsprechung gegen Demonstrationen zu lesen, die ihre Solidarität mit den Palästinensern im Gaza-Streifen auf die Straße tragen. Zu Wort kommt u.a. Iris Hefets, Mitglied der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden“, die von drei Festnahmen berichtet, weil sie Plakate zeigte, die in Berlin nicht geduldet werden. Palästinenser trügen die Hauptlast bei dem polizeilichen Eingreifen gegen die Demonstrationen, so Hefets gegenüber Al Jazeera. „Wir Juden werden nur festgenommen, die Palästinenser werden verprügelt.“

Für seine Berichterstattung ist Al Jazeera seit seiner Gründung 1996 immer wieder unter Druck geraten. Der ehemalige ägyptische Präsident Hosni Mubarak ärgerte sich über den „Störenfried aus der Streichholzschachtel“. Die Live-Berichterstattung aus Afghanistan 2001 quittierten die USA mit der Bombardierung des kleinen Büros in Kabul (November 2001). Taysir Alouni – ein syrisch-spanischer Mitarbeiter des Senders, der Ende 2001 Osama Bin Laden interviewt hatte – wurde nach den Anschlägen in Madrid (2004) verhaftet und zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied 2012, seine Verurteilung sei unzulässig gewesen. 2003 trafen US-Bomben erneut den Sender, dieses Mal in Bagdad. Ein Journalist und ein Techniker, die beide auf dem Dach für eine Live-Schaltung waren, wurden getötet.

Im aktuellen Gazakrieg fühlen sich Israel, aber auch seine Verbündeten in der US-Administration von dem Sender gestört. Das Internetportal Axios berichtete, dass US-Außenminister Antony Blinken im Oktober 2023 den Ministerpräsidenten von Katar aufforderte, die „Lautstärke des Senders herunterzudrehen“, die Berichte seien voll „anti-israelischer Hetze“. Israel betrachte Al Jazeera als „feindliche Propaganda“ und der Sender laufe Gefahr, geschlossen zu werden, so Blinken dem Bericht zufolge. Am gleichen Tag wurde die Familie des Al-Jazeera-Reporters und Bürochefs in Gaza, Wael Dahdouh, bei einem israelischen Luftangriff getötet.

Nach der US-Invasion im Irak 2003 forderte US-Präsident George W. Bush die Regierung von Katar auf, Al Jazeera „zu schließen, zu privatisieren oder zu zensieren“. Der damalige US-Außenminister Colin Powell legte beim Außenministerium in Katar offizielle Beschwerde gegen den Sender ein.

Paul Wolfowitz beschuldigte Al Jazeera, zu Gewalt gegen amerikanische Truppen im Irak anzustacheln, berichtete Robert Fisk 2003. Die Antwort des Al-Jazeera-Bürochefs in Bagdad fiel scharf aus. Büro und Mitarbeiter des Senders seien „beschossen und mit dem Tod bedroht worden, Nachrichtenmaterial (sei) beschlagnahmt worden und (es habe) zahlreiche Festnahmen und Verhaftungen gegeben. Alles durchgeführt von US-Soldaten.“

Nicht immer war die Rolle von Al Jazeera neutral und professionell. Während des Arabischen Frühlings (2010/11) in Tunesien und Ägypten war die Tendenz der Berichterstattung deutlich zugunsten der islamischen Parteien ausgerichtet, die sich an die Spitze der Bewegung gegen verkrustete Regierungen stellten und wesentlich von der Muslimbruderschaft beeinflusst und geführt waren.

Das war damals im Sinne der US-Administration und ihrer europäischen und NATO-Partner und sie ermunterten die Türkei und ihre AK-Partei, die ebenfalls zur Muslimbruderschaft zählt, eine Führungsrolle zu übernehmen. Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte nach dem Rücktritts-Sturz Mubaraks in Ägypten, man werde mit der Muslimbruderschaft zusammenarbeiten, vorausgesetzt, sie halte den Friedensvertrag mit Israel und die Rechte für Frauen ein. Die arabischen Golfstaaten – bis auf Katar -, traditionell skeptisch gegenüber der Muslimbruderschaft, sahen die US-Interessen und ließen Katar den Vortritt. Mehr über die überaus engen Kontakte Clintons mit Katar wurden durch die – nicht von Clinton autorisierte – Veröffentlichung ihrer E-Mails durch WikiLeaks bekannt.

Nach dem blutigen Sturz Ghadafis sollte der syrische Präsident Bashar al-Assad gestürzt werden. Die Muslimbruderschaft übernahm rasch die Führung des Aufstandes mit Waffen, die aus Libyen über das Mittelmeer in den türkischen Hafen Iskenderun transportiert wurden. Hinzu kamen militärische Lufttransporte aus Katar und Riad, die über Amman und Ankara nach Syrien geschmuggelt wurden.

Die Berichterstattung von Al Jazeera wurde so einseitig zugunsten der bewaffneten Aufständischen, dass zahlreiche Journalisten und Korrespondenten den Sender verließen. Einige gingen zu dem damals neu gegründeten libanesischen Nachrichtensender Al Mayadeen.

Beide Sender stören Israel heute so sehr, dass es erst Al Mayadeen verboten hat und nun auch das Büro von Al Jazeera schließen will. Shooting the messengers – die Überbringer der Nachrichten sollen ausgeschaltet werden.

Titelbild: Gil C / Shutterstock

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