Der Justizkrieg gegen Julian Assange geht weiter

Der Justizkrieg gegen Julian Assange geht weiter

Der Justizkrieg gegen Julian Assange geht weiter

Ein Artikel von Moritz Müller

Nachdem die Richter des Londoner High Court am Dienstag vergangener Woche dem Antrag von Julian Assange auf ein Berufungsverfahren mit Einschränkungen stattgegeben haben, ist Zeit gewesen, den Richterspruch genau zu lesen. Dabei wird klar, wie sehr das jetzige Vorgehen der Richter auf die Bedürfnisse der US-Regierung zugeschnitten ist. Anklage und Richter, die Teil des gleichen britischen Establishments sind, scheinen Hand in Hand zu arbeiten. Als Gegengewicht bleiben nur Teile der Presse und eine kritische Öffentlichkeit. Ein Teil dieser Öffentlichkeit ist FreeAssange Berlin, die uns diese Woche dankenswerterweise wieder mit einem aktuellen Newsletter beliefert haben. Einige weitergehende Gedanken zum Gerichtsentscheid vom 26. März von Moritz Müller.

Am 26. März haben Richterin Dame Victoria Sharp und Richter Jeremy Johnson Julian Assange vordergründig erst einmal erlaubt, am High Court von England und Wales Berufung gegen einige Punkte der erstinstanzlichen Entscheidung im Auslieferungsverfahren einzulegen.

Insgesamt hatten die Verteidiger von Julian Assange neun Punkte vorgebracht, die gegen eine Auslieferung an die USA sprechen. Von diesen haben Richterin und Richter nur drei Punkte zur Berufungsverhandlung zugelassen. Noch dazu haben sie der US-Regierung bis zum 16. April Zeit gegeben, diese Punkte durch Zusicherungen auszuräumen. Dies ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Es kommt vielleicht manchmal vor, dass ein Gericht einer der streitenden Parteien Tipps zur Verhandlung gibt, aber in einem Fall von solcher Tragweite erscheint es sehr ungewöhnlich.

Die Richter haben Julian Assange untersagt, in einer eventuellen Berufungsverhandlung neue Beweise einzubringen, während sie es den USA erlauben, nach der Anhörung Ende Februar Zusicherungen (gleich neue „Fakten“) einzubringen.

Die nicht zugelassenen Beweise beziehen sich auf die Pläne der CIA, Julian Assange zu entführen oder zu töten. Die Richter zweifelten die Existenz dieser Pläne nicht an. Trotzdem wurden diese Beweise abgelehnt, mit der erstaunlichen Begründung, dass die USA diese Pläne gemacht hätten, weil die Gefahr gesehen wurde, dass Julian Assange nach Russland flieht. Diese Fluchtgefahr bestehe im Falle einer Auslieferung an die USA (und somit in die Hände auch der CIA) nicht mehr.

Es erscheint mir unvorstellbar, jemanden an ein Land auszuliefern, dessen zentraler Nachrichtendienst die Entführung bzw. Ermordung dieser Person geplant hat – noch dazu, wenn dieser Nachrichtendienst auch noch ein geheimes Mitspracherecht in einem eventuellen Verfahren gegen diese Person hat. Mit dieser Begründung erkennen die Richter Mord und Entführung quasi als legales Mittel an.

Außerdem verneinten die Richter, dass Julian Assange wegen seiner politischen Ansichten verfolgt wird. Zusätzlich dazu beriefen sich die Richter auf das Auslieferungsgesetz des Vereinigten Königreichs von 2003. Im Gegensatz zu §4 im Auslieferungsvertrag zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich enthält dieses Gesetz nämlich keine Sperrklausel bei Fällen politischer Natur. Assanges Rechtsanwälte hatten argumentiert, dass es keinen Sinn mache, dass diese Sperre bei der Auslieferung in 150 Staaten existiert, aber nicht im Fall der USA.

Mich wundert es, dass die Richter diesen Berufungsgrund nicht zugelassen haben. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie Richter Jeremy Johnson einen der Anklagevertreter fragte, ob Großbritannien also in politischen Fällen an die USA ausliefert, weil §4 es nicht in das GB-Gesetz geschafft hat, während die USA sich auf den Auslieferungsvertrag berufen können und dann nicht ins Vereinigte Königreich ausliefern. Er stellte diese Frage mit einem gewissen Aha-Effekt in seiner Stimme. Man fragt sich, ob Dame Victoria Sharp dies sehr anders sah, oder was das Gericht nun dazu bewogen hat, diesen Berufungsgrund nicht zuzulassen.

Ein weiterer Punkt, der nicht zur Berufung zugelassen wurde, ist, dass die Verteidigung argumentiert hatte, Julian Assange habe zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der geheimen Dokumente nicht gewusst, dass dies strafbar sei. Daniel Ellsberg war im ähnlich gelagerten Fall der Pentagon Papers freigesprochen worden, weil die Richter die Veröffentlichung durch den Schutz der freien Rede abgedeckt sahen. Assanges Verteidiger argumentierten, er habe nicht vorhersehen können, dass er im Rahmen des US-Spionagegesetzes von 1917 angeklagt würde, weil dies noch nie bei einem Journalisten geschah.

Ein weiterer Berufungsgrund, den die Richter ablehnten, war der, dass Julian Assange in den USA kein faires Verfahren erwarten könne. Auch dies ist erstaunlich, denn im östlichen Distrikt von Virginia, in dem Julian Assange angeklagt ist, ist ein Großteil der Bevölkerung im Staatsdienst oder bei zuarbeitenden Firmen beschäftigt. Ein weiterer Grund, der eigentlich jedes normale juristische Unterfangen zum Einsturz bringen müsste, ist die Tatsache, dass auch vertrauliche Gespräche zwischen Julian Assange und seinem Anwaltsteam, die in der ecuadorianischen Botschaft in London stattfanden, abgehört und in die USA übermittelt wurden. In diesem Zusammenhang von einem fairen Verfahren zu reden, ist fragwürdig.

Mit Einschränkungen zugelassene Gründe für ein Berufungsverfahren

Zwei miteinander verbundene Gründe sind, dass das Gericht die Gefahr sieht, dass Julian Assanges freie Meinungsäußerung bedroht ist und dass ihm als Nicht-US-Bürger nicht der Schutz des ersten Verfassungszusatzes der USA zusteht, der die freie Rede schützt.

Außerdem erkannte das Gericht an, dass die USA die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe unzureichend ausgeräumt haben.

Erstaunlicherweise gab das Gericht den USA nun drei Wochen Zeit, um „befriedigende Zusicherungen“ zu diesen drei Punkten einzureichen. Auf diese Zusicherungen können die Anwälte von Julian Assange bis zum 13. Mai Erwiderungen einreichen, über die das Gericht dann bis zum 20. Mai „oder möglicherweise zu einem vom Gericht bekannt gegebenen späteren Zeitpunkt“ entscheidet. Die Anklage ist spätestens seit der Verhaftung von Assange vor fast fünf Jahren bekannt, und man fragt sich, was daran „rechtsstaatlich“ ist, wenn der US-Regierung nun Zeit gegeben wird für Zusagen, die sie seit fünf Jahren hätte machen können.

Beobachter meinen, dass es für die USA schwierig sein könnte, (so schnell) wirklich befriedigende Zusicherungen einzureichen. Der Teil des US-Justizministeriums, der für die Prozessführung zuständig ist, scheint unabhängig zu sein von dem, der für die Zusicherungen gegenüber einem anderen Staat zuständig ist.

Darum scheint es aber auch gar nicht zu gehen. Wahrscheinlich erkennt das Gericht die bis zum 14. April möglicherweise abgegebenen Zusicherungen als nicht ausreichend an, und es kommt nach weiteren Monaten der Sommerpause des High Court von England und Wales im Oktober zu einer Berufungsverhandlung.

Dadurch wird Julian Assange für weitere Monate in seinen unmenschlichen Haftbedingungen gehalten, und er erscheint nicht vor den US-Präsidentschaftswahlen in den USA, wo dann vor Gericht wieder ein größeres Spektrum an Themen zur Sprache kommen könnte.

Durch das Verbot von neuen Beweisen und die Ablehnung der Frage, ob es sich bei diesem Fall um einen politischen Fall handelt, werden wirklich inhaltliche Fragen bei einer möglichen Berufungsverhandlung in London effektiv ausgeklammert. Bei den zugelassen drei Punkten handelt es sich mehr um juristische Fragen, und auch die Frage, ob die Veröffentlichungen von WikiLeaks im öffentlichen Interesse waren und sind, kann seit dem Richterspruch vom 26. März nicht mehr vor dem High Court verhandelt werden.

Wer sich selbst ein detaillierteres Bild machen will, kann das 66-seitige Urteil, einen dreiseitigen Gerichtsbeschluss oder eine vierseitige Pressemitteilung lesen. (alle Dokumente auf Englisch)

Das derzeitige Verfahren in London scheint von Anklage und Gericht gemeinsam sehr geschickt gelenkt. Es soll hier der Eindruck der Rechtsstaatlichkeit entstehen, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Auch in vielen Medien werden diese Diskrepanzen bzw. diese unlogische und ungerechte Vorgehensweise nicht aufgegriffen. Auch herrscht bei den Begriffen, die benutzt werden, ein Gleichklang. Oft liest man davon, dass Julian Assange „Militärgeheimnisse“ der USA verraten habe, was ja auch stimmt, aber dann auch zu kurz greift, weil es sich bei vielen dieser „Militärgeheimnisse“ um handfeste Verbrechen und Mord und Totschlag gehandelt hat.

Viele der Suchergebnisse zu „Julian Assange“ im Internet führen zu diesen Berichten der Leitmedien, die oftmals auch nicht sehr aktuell sind. Wenn man die Suche durch Anklicken der Schaltfläche oben rechts unter dem Suchwort auf „Letzte Woche“ oder „Gestern“ eingrenzt, wird es interessanter und man stößt auf Artikel wie diesen im Overton-Magazin oder diesen auf Manova. Aber auch dann findet man abstruse Dinge, und es empfiehlt sich, wachsam zu sein wie bei allem, was man liest und hört – inklusive dieser von mir geschriebenen Zeilen.

Ich habe es vor langer Zeit aufgegeben, im Fall Assange „neutral“ zu sein. Zu groß sind die himmelschreienden Ungerechtigkeiten, die ihm in den letzten Jahren widerfahren sind. Natürlich hätten auch Wikileaks und Julian Assange Dinge besser machen können, und es wurden Fehler gemacht. Ich sehe aber nichts, was die grausame Behandlung rechtfertigt, die seit Jahren bei Julian Assange angewendet wird.

Darum ist es gut, dass die Menschen, die man bei FreeAssange.eu findet, und die vielen weiteren Menschen, die sich für Julian Assange und Pressefreiheit einsetzen, Stellung beziehen. Am heutigen Freitag finden zum Beispiel Mahnwachen in Berlin, Dessau und Paderborn, morgen in Bonn und am Sonntag in München statt. Eine weitere wichtige Stellungnahme ist der Newsletter von FreeAssangeBerlin, der schon am gestrigen Donnerstag auf den NachDenkSeiten erschien.

Auf Englisch noch weitere erhellende Texte von: Craig Murray, Kevin Gosztola und Caitlin Johnstone.

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