„Hat es nicht gegeben …“ – Desinformation von Außenminister Wadephul gegenüber dem Bundestag

„Hat es nicht gegeben …“ – Desinformation von Außenminister Wadephul gegenüber dem Bundestag

„Hat es nicht gegeben …“ – Desinformation von Außenminister Wadephul gegenüber dem Bundestag

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Außenminister Johann Wadephul hatte bei der letzten Fragestunde des Bundestages am 4. Juni auf die Frage, wieso das Versprechen der Kohl-Regierung gegenüber der Sowjetunion, keine NATO-Osterweiterung vorzunehmen, gebrochen wurde, erklärt, dass es eine entsprechende Zusage nie gegeben hätte. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob dem amtierenden Außenminister unter anderem die protokollierte Erklärung des damaligen Politischen Direktors des Auswärtigen Amtes, Jürgen Chrobog, vom 6. März 1991 bekannt ist, in welcher er darlegt, dass in den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zugesichert wurde, die NATO nicht nach Osten auszudehnen und man daher Polen und den anderen osteuropäischen Ländern keine NATO-Mitgliedschaft anbieten könne – und wenn ja, wieso er dann weiterhin behauptet, dass es keine entsprechende Zusage gegeben hätte? Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund

Am 4. Juni stellte der Bundestagsabgeordnete und Stahlbauschlosser Mirze Edis (DIE LINKE) im Rahmen der Fragestunde im Deutschen Bundestag folgende Frage an den amtierenden Außenminister, mehrmals unterbrochen von Zurufen aus der CDU-Fraktion:

„Sehr geehrter Herr Minister, Sie und ich gehören zu einer Generation, die die Wiedervereinigung miterlebt hat. Damals konnte man in den Nachrichten immer wieder hören, dass die Helmut-Kohl-Regierung der russischen Regierung versprochen hat, dass die NATO-Ost-Erweiterung nicht stattfinden wird.

(Zuruf von Jürgen Hardt [CDU/CSU]: „Wanderlegende!“)

Deshalb meine Frage an Sie: Wie kam es eigentlich dazu, dass dieses Versprechen gebrochen worden ist, und wann hört die Osterweiterung der NATO endlich auf? – Danke sehr.“

Darauf entgegnete der Bundesminister des Auswärtigen:

„Wann hört es in diesem Haus eigentlich mit Falschbehauptungen von rechts und links auf? Das muss ich schon sagen. Bleiben wir bitte bei der Wahrheit. Eine entsprechende Zusage hat es nicht gegeben. Es ist bisher die freie, souveräne Entscheidung aller Staaten gewesen und möglicherweise in Zukunft auch die der Ukraine und von Moldau, ob sie der NATO beitreten oder nicht. Die freie, souveräne Entscheidung von Staaten sollten gerade wir als Deutsche nicht infrage stellen.“ (Das Protokoll vermerkt hierzu: „Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN.“)

(Anmerkung der Redaktion: Den gesamten Austausch, inklusive weiterer pedantischer Zurufe von Seiten der Unionsfraktion und der Intervention von Vizepräsident Omid Nouripour kann man hier im Bundestagsprotokoll auf Seite 679 nachlesen.)

Faktencheck: Stimmen die Aussagen von Außenminister Wadephul?

Die so voll Inbrunst vorgetragene Behauptung des amtierenden deutschen Außenministers ist spätestens seit Mitte Februar 2022 nicht mehr haltbar. Selbst Springers Welt sah sich damals gezwungen zu titeln: „VERMERK EINES DEUTSCHEN DIPLOMATEN: Archivfund bestätigt Sicht der Russen bei Nato-Osterweiterung“.

Auch der SPIEGEL titelte am selben Tag (18. Februar 2022) im ähnlichen Duktus: „Wir können Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten“ – Neuer Aktenfund von 1991 stützt russischen Vorwurf.“

Was war geschehen?

Der US-Politikwissenschaftler Joshua Shifrinson hatte im britischen Nationalarchiv ein ehemals als geheim („secret“) eingestuftes Dokument gefunden, welches von einem Treffen der Politischen Direktoren der Außenministerien der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands in Bonn am 6. März 1991 handelt. Thema war die „Sicherheit“ der osteuropäischen Staaten. Die sogenannte deutsche „Wiedervereinigung“ lag schon über fünf Monate zurück, die Auflösung der Sowjetunion und damit das Ende des Warschauer Paktes war bereits absehbar. Vor diesem Hintergrund signalisierten Politiker in Warschau, Prag und Budapest schon seit Monaten ihr Interesse an einem Beitritt zur NATO. Doch das erwähnte Dokument belegt, dass die versammelten Spitzendiplomaten aus Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich übereinstimmten, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Osteuropäer „inakzeptabel“ sei, da man der Sowjetunion/Russland im Rahmen der Verhandlungen zur Deutschen Einheit (Zwei-plus-Vier-Vertrag) versprochen hatte, die NATO nicht nach Osten auszudehnen.

So wird in dem Protokollvermerk unter anderem der deutsche Vertreter Chrobog wie folgt zitiert:

„Wir haben in den Zwei-plus-vier Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die Nato nicht über die Elbe (sic! gemeint ist wohl die Oder) hinaus ausdehnen. Wir können daher Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten.“

Darauf bekräftigt laut Aktenvermerk der damalige US-Spitzendiplomat Raymond Seitz die Einschätzung von Chrobog, der zur damaligen Zeit das Ministerialbüro von Genscher leitete, und erklärte:

„Wir haben gegenüber der Sowjetunion klargemacht – bei Zwei-plus-vier wie auch anderen Gesprächen – dass wir keinen Vorteil aus dem Rückzug sowjetischer Truppen aus Osteuropa ziehen werden… Die Nato soll sich weder formal noch informell nach Osten ausdehnen.“

Der offiziell protokollierte Satz des damaligen Politischen Direktors des Auswärtigen Amtes, „Wir können daher Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten“, führt auch das von Wadephul vorgebrachte und von seinem Sprecher in der BPK wiederholte „Argument“ ad absurdum, dass die NATO-Mitgliedschaft angeblich „die freie, souveräne Entscheidung von Staaten“ sei. Das ist schon rein formell falsch. Denn einem Antrag zu einer NATO-Mitgliedschaft muss zuvor die einstimmig zu erfolgende Einladung an das jeweilige Land vorausgehen.

Man kann das Argument der angeblich so „freien und souveränen“ Entscheidung zur NATO-Mitgliedschaft auch mit einem ganz einfachen Gedankenspiel dekonstruieren. Wie würde wohl die Entscheidung der aktuellen NATO-Länder ausfallen, wenn die Russische Föderation in aller Freiheit und Souveränität einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft stellen würde? Würde Wadephul dann auch im Bundestag erklären: „Die freie, souveräne Entscheidung von Staaten sollten gerade wir als Deutsche nicht infrage stellen.“?

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 11. Juni 2025

Frage Warweg
Außenminister Wadephul hat bei der letzten Fragestunde des Bundestages am 4. Juni auf die Frage, wieso das Versprechen der Kohl-Regierung gegenüber der Sowjetunion, keine NATO-Osterweiterung vorzunehmen, gebrochen wurde, erklärt, dass es nie eine solche entsprechende Aussage gegeben hätte. Jetzt gibt es in der realen Welt neben den ganzen dokumentierten Aussagen von Genscher und Baker die protokollierte Erklärung des damaligen Politischen Direktors des Auswärtigen Amtes, Jürgen Chrobog, vom 6. März 1991, also nach der sogenannten Wiedervereinigung, in der er erklärt, ich zitiere – – –

Vorsitzender Detjen
Kurz, bitte!

Zusatzfrage Warweg
Ganz kurz! – „Wir haben in den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die NATO nicht über die Elbe hinaus ausdehnen. Wir können daher Polen und den anderen keine NATO-Mitgliedschaft anbieten“.

Da würde mich interessieren: Ist dem Minister diese offizielle Aussage eines der damals ranghöchsten deutschen Diplomaten bekannt? Wenn ja, wieso bleibt er bei seiner Behauptung, dass es diese Zusagen nie gegeben hätte?

Hinterseher (AA)
Ich glaube, ich habe an dieser Stelle nicht die Aussagen des Ministers zu kommentieren. Das möchte ich auch nicht tun. Aber ich glaube, dass die NATO-Osterweiterung keine Frage Deutschlands war, sondern eine Frage der Staaten, die im Rahmen der NATO-Osterweiterung genau diesen Schutz in einem Defensivbündnis gesucht haben, und deren souveräne Entscheidung war. Insofern wurde diese souveräne Entscheidung dann eben auch innerhalb des NATO-Bündnisses einstimmig angenommen, und ich glaube, das gilt nach wie vor.

Zusatzfrage Warweg
Gut, aber meine Frage ging ja darum, dass der amtierende deutsche Außenminister etwas in sehr absoluten Worten gegenüber dem Bundestag formuliert hat, das so in der Form einfach nicht haltbar ist. Es gibt auch weitere Aussagen. Ich kann Ihnen zum Beispiel den damaligen US-Spitzendiplomaten – – –

Vorsitzender Detjen
Sie machen jetzt ein riesiges Fass auf! Dazu gibt es viel Literatur!

Zusatz Warweg
Ja, aber das ist ja auch keine Kleinigkeit!

Vorsitzender Detjen
Ja, bloß sind wir jetzt in den letzten zwei Minuten der Regierungspressekonferenz!

Hinterseher (AA)
Herr Warweg, Sie liefern die Interpretation ja schon mit. Insofern würde ich es Ihnen überlassen, das zu interpretieren. Wie gesagt, die Aussagen stehen für sich. Sie dürfen weiter interpretieren, und Sie haben es ja hier schon getan. Wir teilen das natürlich nicht.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 11.06.2025