Mehrere Ereignisse und Meldungen aus dieser Woche zeigen: Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine geht seinen vierten Sommer und die Unterstützung der Ukraine durch ihre westlichen Partner bröckelt zusehends. Die Zeiten, in denen der „kollektive Westen“ unverbrüchlich hinter der Ukraine stand und sie in ihrem Abnutzungskrieg gegen Russland unterstützte, sind vorbei. Nur in Deutschland scheint sich dies noch nicht herumgesprochen zu haben. So könnte es durchaus sein, dass schon bald Deutschland der einzige nennenswerte Staat ist, der den Krieg der Ukraine weiterhin voll unterstützt. Von Jens Berger.
Zugegeben – neben dem Wetter an der Nordsee gibt es kaum etwas, das wechselhafter ist als die Aussagen der US-Regierung. Dennoch sollte eine Meldung von Politico den Falken in der Bundesregierung zu denken geben. Demnach hat das Pentagon bei einer Inventur festgestellt, dass die Waffenlieferungen in die Ukraine mittlerweile die eigenen Bestände derart aufgezehrt haben, sodass man mit sofortiger Wirkung einen Lieferstopp beschlossen habe. Dies betrifft offenbar neben verschiedenen Luftabwehrsystemen auch die für die Ukraine im Fronteinsatz so wichtige Artilleriemunition. Nach Informationen des britischen Economist haben die USA diese Lieferungen mit sofortiger Wirkung gestoppt und es ist unklar, ob und wann sie wieder fortgesetzt werden.
Generell lässt sich dazu sagen, dass die USA ihre materielle Unterstützung der Ukraine seit der Amtsübernahme Trumps deutlich verringert, aber nicht vollkommen gestoppt haben. Man hielt sich an die noch unter Präsident Biden versprochenen Lieferungen, jedoch wurde in der Amtszeit Trumps keine einzige neue Hilfsleistung gleich welcher Art beschlossen; auch die in dieser Woche verabschiedete „Big Beautiful Bill“ – ein 3,4 Billionen Dollar schwerer Budgetplan für die nächsten zehn Jahre – enthält keinen einzigen Cent für die Ukraine. Mit dem jüngsten Lieferstopp sind erstmals versprochene Lieferungen aus der Biden-Zeit betroffen. Doch selbst wenn dieser Lieferstopp revidiert wird, laufen diese „Alt-Verträge“ Stück für Stück aus und spätestens 2028 erhält die Ukraine gar keine Leistungen mehr aus den USA.
Die dadurch entstehende Lücke wollten eigentlich die Europäer unter der Führung von Deutschland, Frankreich und Großbritannien schließen. Konkrete Versprechungen dazu gibt es jedoch nicht und sowohl in Paris als auch in London mehren sich die kritischen Stimmen. Das hat vor allem innenpolitische Gründe. Als Keir Starmer im Juli 2024 gewählt wurde, konnte Labour noch 34 Prozent der Stimmen holen und dies war damals schon weniger Labour selbst, sondern mehr der vollkommen derangierten politischen Konkurrenz der Tories zu verdanken. In aktuellen Umfragen steht Labour nur noch bei 24 Prozent und Nigel Farages rechte Reform UK führt die Umfragen mit 28 Prozent an. Wie Sky News berichtet, wächst der Widerstand gegen Starmer in der Labour-Partei und es gibt bereits Drohungen, dass man Starmer zurückziehen wolle, wenn Labour im kommenden Mai bei den Wahlen in Wales, Schottland und London schlecht abschneiden würde. Die Zustimmungswerte von Starmer liegen zurzeit bei mageren 23 Prozent. Es läuft nicht rund und an allen Ecken fehlt der britischen Regierung das Geld. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass Starmer nun in die Bresche springt und den US-Anteil der Ukrainehilfen übernimmt. Wahrscheinlicher ist, dass er selbst bereits an einer Exit-Strategie arbeitet, die Labour und ihm dabei helfen kann, an der Macht zu bleiben.
Ganz ähnlich sieht es in Frankreich aus. Auch Emmanuel Macron kommt nur auf einen katastrophalen Zustimmungswert von 23 Prozent, hat aber – anders als Starmer – zumindest das zweifelhafte Glück, dass er selbst nicht wiedergewählt werden kann. Aktuelle Umfragen deuten eher darauf hin, dass Jordan Bardella von Marine Le Pens Rassemblement National die besten Chancen auf Macrons Nachfolge haben wird. Auch in Frankreich erkennt die politische Mitte mittlerweile, dass noch höhere materielle und finanzielle Hilfsleistungen für die Ukraine am Ende vor allem der politischen Rechten nutzen. Macron ist zudem bemüht, nicht als schwächster Präsident der Fünften Republik in die Geschichte einzugehen. Daher will er außenpolitische Akzente setzen und untergräbt damit die „gemeinsame Strategie“ der EU, Russland wirtschaftlich und diplomatisch zu isolieren.
So telefonierte Macron in dieser Woche – offenbar ohne vorherige Abstimmung mit anderen europäischen Regierungen – zum ersten Mal seit drei Jahren mit dem russischen Präsidenten Putin. Es ging vor allem um den Iran, aber man hat auch bilateral über die Ukraine gesprochen. Das US-Medium Bloomberg wertet dieses Gespräch als Abkehr Macrons von der „gemeinsamen Linie“ der Europäer und als Paradigmenwechsel in der geopolitischen Ausrichtung. Der einzige größere Akteur, der in der Ukraine-Frage weiterhin kompromisslos die Kampflinie fährt, sei, so Bloomberg, der deutsche Kanzler Merz.
Selbst auf europäischer Ebene verlief die letzte Woche für die Falken schlecht. Der chinesische Außenminister Wang Yi war in Brüssel zu Gast und führte offenbar ein ganze vier Stunden langes „Marathon-Gespräch“ mit der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, wie es die South China Morning Post in Erfahrung gebracht hat. Dabei habe er, so berichten EU-Quellen, der Estin eine ausführliche Lektion in Sachen Geschichtsunterricht erteilt. China verfolge beim Ukrainekrieg andere Interessen als die EU und es sei nicht im chinesischen Interesse, dass Russland diesen Krieg verliert. Ein Krieg in Europa, der die USA materiell und personell bindet und von einem erweiterten Engagement in Ostasien abhalte, sei hingegen im chinesischen Interesse, so Wang Yi laut SCMP. Das ist realpolitisch korrekt und lässt sowohl die Hoffnungen der EU auf eine Isolation Russlands als auch die Hoffnungen auf eine produktive Vermittlerrolle Chinas bei Waffenstillstands- oder Friedensgesprächen verpuffen.
Diese Woche hat gezeigt: Nicht Russland, sondern Deutschland ist mehr und mehr isoliert. Mit dem Wegbröckeln der US-Unterstützung und der schwindenden Begeisterung der Briten und Franzosen für eine stärkere Unterstützung der Ukraine ist Deutschland zusehends allein im Klub der Falken. Wer hätte sich vor ein paar Jahren noch vorstellen können, dass ausgerechnet Deutschland nun drauf und dran ist, seinen eigenen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen?
Titelbild: OpenAI – Das Titelfoto ist ein mit künstlicher Intelligenz erstelltes Symbolbild