Corona-Aufarbeitung in der ARD: Wenn das „Es“ verantwortlich ist

Corona-Aufarbeitung in der ARD: Wenn das „Es“ verantwortlich ist

Corona-Aufarbeitung in der ARD: Wenn das „Es“ verantwortlich ist

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Die ARD hat sich an das Thema Corona-Aufarbeitung rangemacht – hätte der Sender es nur gelassen. So notwendig eine kritische publizistische Auseinandersetzung mit den politischen Entscheidungen der Coronazeit auch ist: Den massiven Übergriffen auf Ungeimpfte und den schwersten Grundrechtseinschränkungen seit dem Bestehen der Republik ist nicht mit einem lauwarmen Journalismus beizukommen. Verantwortlich für die Politik der Grundrechtsschande ist in der Sendung das „Es“. Verschleiern statt schonungslosem Benennen? Ja. Das ist nicht der Journalismus, der erforderlich ist. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wenn die Ausgangsfrage schon falsch ist, wie soll dann eine richtige Antwort erfolgen? Der Titel einer am Mittwoch ausgestrahlten ARD-Sendung, die sich mit dem Thema Corona-Aufarbeitung auseinandersetzt, tritt in Form einer Frage an die Zuschauer heran: „Hat uns Corona zerrissen?“ Die Sendung ist der dritte Teil einer ARD-Reihe, die unter dem Namen „KLAR“ läuft und die für einen kritischen Journalismus stehen soll.

Heiße Eisen Anpacken, keine Denkverbote, in alter, guter Journalistentradition: „Sagen, was ist“ – das will das Format bieten. Während die erste Sendung zum Thema Migration tatsächlich verhältnismäßig kritisch war, hat sich das junge Format nun selbst entzaubert – leider. „Hat uns Corona zerrissen?“ Was soll diese Frage? Wohin soll diese Frage führen? In ihr ist das angelegt, was eine echte Coronaaufarbeitung am wenigsten braucht: Verschleierung. Die Frage entsubjektiviert, das heißt: Sie verdeckt konkret handelnde, genau benennbare Akteure, deren Politik und deren Wirken faktisch, nachweisbar und überprüfbar zu einer Spaltung der Gesellschaft beigetragen haben.

Die Realität ist: Corona hat „uns“ nicht „zerrissen“ – Journalisten und Medien, die Ungeimpfte und Maßnahmenkritiker zum Feindbild der Gesellschaft fixiert haben, haben die Gesellschaft „zerrissen“. Politiker, die Entscheidungen getroffen haben, aufgrund der Ungeimpfte von weiten Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen waren, haben die Gesellschaft „zerrissen“. Experten, die vorgegeben haben, der Wissenschaft zu folgen, aber in Wirklichkeit als Legitimationsexperten der Politik agiert und die Maßnahmenpolitik durch ihre „Expertisen“ flankiert haben, haben die Gesellschaft „zerrissen“.

Das an- und auszusprechen kann, darf und muss von Journalisten, die sich des Themas annehmen, verlangt werden. Wer sich die besagte ARD-Sendung anschaut, hat den Eindruck, Stephen Kings „Es“ ist aus der Fiktion in die Realität gekehrt und war für die schwersten Grundrechtseinschränkungen seit Bestehen der Bundesrepublik verantwortlich. Dem ist aber nicht so.

„Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet. (…) Richtig und tief eingeschlagen, trennt er den gefährlichen vom gefährdeten Teil der Gesellschaft“, schrieb im November 2021 Redakteur Christian Vooren in der „liberalen“ ZEIT. Zeilen und Aussagen wie diese gab es viele. Sie verdeutlichen: Nicht Corona, nicht das „Es“ hat die Gesellschaft gespalten.

Wer der Sendung freundlich gesinnt war und darauf hoffte, dass sich hinter dem Titel vielleicht doch noch ein kritischer Journalismus entwickeln würde, sah sich rasch enttäuscht. Schon zu Beginn sagt die Macherin der Doku, Julia Ruhs, Folgendes:

„Corona hat Deutschland verändert. Einer Krise, der niemand entkommen konnte.“

Wie soll man diese kommentierenden Ausführungen anders bezeichnen als Fortsetzung der Verschleierung? Nicht „Corona“ hat „verändert“ – die publizistischen Gewaltexzesse, bedingt durch konkret benennbare Medien und Journalisten, haben „verändert“. Nicht der Krise war nicht zu entkommen – politischen Entscheidungen, verursacht und getragen von konkret benennbaren Politikern, war nicht zu entkommen.

Dieses Grundproblem einer – wie soll man es nennen? – journalistischen Verschleierungsarbeit zieht sich durch die gesamte Sendung. An einer Stelle etwa kommt eine Familie zu Wort, die unter der Ausgrenzung gelitten hat. Eine Stimme aus dem Off ist zu hören, die sagt:

„Durch Äußerungen von Politikern und Ärzten sehen sie sich in ihrem Gefühl bestätigt, nicht mehr dazu zu gehören.“

Auch an der Stelle gilt es zu fragen: Was soll diese Kommentierung sein? Journalismus? Immer wieder ist in den großen Medien festzustellen, wenn es um kritische Inhalte geht, dass auf die Ebene von Gefühlen fokussiert wird. Bürger „fühlen“ sich arm. Bürger „fühlen“ sich von der Politik betrogen. Bürger „fühlen“ sich ausgegrenzt. Entscheidend sind jedoch an diesen Stellen nicht „Gefühle“. Die Frage lautet doch: Wurden Bürger faktisch ausgegrenzt? Wir alle wissen: Ja, aufgrund von politischen Entscheidungen und einer furchtbaren publizistischen Stimmungsmache waren Ungeimpfte die Paria in unserer Gesellschaft. Auch das in aller gebotenen Deutlichkeit zu benennen, kann und darf nicht zu viel verlangt sein von Journalisten.

Nun kann man darüber geteilter Meinung sein, welcher Maßstab an eine solche Sendung im Öffentlich-Rechtlichen, an den ohnehin kaum noch Erwartungen gestellt werden können, zu legen ist.

Julia Ruhs ist zuzutrauen, dass sie die Grundproblematik verstanden hat. Anzurechnen ist ihr sicherlich auch, dass sie versucht, in einer Sendeanstalt, die politisch so auf Linie ist, wie es kaum mehr geht, Freiräume zu reißen. Und es liegt nahe, dass trotz Kraftanstrengung die Sendung es nicht vermochte, die Grenzen des Sagbaren innerhalb der ARD aufzusprengen.

„Immerhin“, könnte man sagen, wurde wenigstens versucht, mit einem – irgendwie – kritischen Einschlag das heiße Thema Corona-Aufarbeitung anzugehen.

Doch auch mit viel Wohlwollen: An manchen Stellen dürfen keine faulen Kompromisse eingegangen werden. Aufgrund politischer Entscheidungen mussten Mitmenschen ohne ihre Angehörigen in Pflegeheimen und Krankenhäusern einsam und alleine sterben. Aufgrund politischer Entscheidungen haben Mitmenschen sich gegen ihren Willen dazu genötigt gesehen, sich einer hochumstrittenen Impfung zu unterziehen – teilweise mit fatalen psychischen und physischen Schäden. Aufgrund von politischen Entscheidungen konnten ungeimpfte Mitmenschen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Aufgrund von politischen Entscheidungen waren selbst Kinder dazu genötigt, Masken zu tragen. Nein, bei all dem, und noch viel mehr, ist ein lauwarmer Journalismus unangebracht.

Wie kann es sein, dass in der Sendung zum x-ten Male ein Karl Lauterbach oder eine Alena Buyx auftreten dürfen? Das ganze Land kennt ihre Positionen doch wahrlich zur Genüge. Welchen Mehrwert hatten diese neuerlichen Einlassungen zweier Protagonisten, deren Agieren in der Coronazeit dringend kritisch aufgearbeitet werden muss? Der Mehrwert liegt bei null! Beide sagten, was zu erwarten war – auf einen kritischen und konfrontativen Journalismus wurde verzichtet.

Auch der Tübinger Politiker Boris Palmer, der in der Coronazeit von einer „Beugehaft“ für Ungeimpfte sprach, darf seine Sicht der Dinge schildern, ohne dass „KLAR“ ihm kritisch entgegentritt.

Zum Schluss der Sendung leitet Ruhs mit den Worten aus: „Mein persönliches Fazit aus der Coronazeit: Es wird schwer sein, die Gräben zu überbrücken. Aber wir müssen es versuchen.“ Und so endet die Sendung so, wie es der Titel bereits verraten und wie es der Sendungsverlauf verdeutlicht hat. Das Schlussstatement ist von weicher Gefälligkeit geprägt. Das vage „Es“ rückt wieder in den Vordergrund. „Gräben“ sollen „überbrückt“ werden. Das ist ein Sprachbild, das jeder Politiker im Schlaf an die Wand projizieren kann. Applaus, bitte! Im Vordergrund der Coronaaufarbeitung stehen doch nicht zu überbrückende Gräben, sondern: Politische Entscheidungsträger haben sich im besten demokratischen und rechtstaatlichen Sinne ihrer Verantwortung zu stellen.

Die schweren Schieflagen in Politik, Justiz, Medizin und Journalismus müssen akribisch analysiert werden. Denn dann erst können Vorkehrungen getroffen werden, die Gesellschaft, Bürger und Land vor einer Wiederholung der Maßnahmenexzesse bewahren. Das zu verlangen, sollte jedem Demokraten ein Anliegen sein. Und ein Journalismus, der sich der Demokratie verpflichtet fühlt, hat diesem Anliegen den Weg zu ebnen. Der ARD-Beitrag war dem Anliegen mit seinen falsch gesetzten Schlaglichtern – leider – abträglich.

Titelbild: Screenshot/ARD

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