Die Strategie der Militärs in Ost und West steigert die Gefahr eines Atomkrieges. Bei gefährlichen NATO-Manövern wird in den nächsten Wochen auch der Nukleareinsatz erprobt. Von Bernhard Trautvetter.
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Die Uhr, mit der kritische Nuklearwissenschaftler vor einem Weltuntergang warnen (die „Doomsday Clock“), steht aktuell 89 Sekunden vor der Stunde Null – so nahe vor dem Ende der Zivilisation wie nie seit ihrer Einrichtung 1947, zwei Jahre nach Hiroshima und Nagasaki. Das Mitteilungsblatt der Nuklearwissenschaften, einst von Einstein und Oppenheimer gegründet, verweist auf die „steigenden Risiken durch den Einsatz von Atomwaffen, den Klimawandel und die Gefahren durch künstliche Intelligenz sowie die Verflechtung dieser Bedrohungen“. Die Frankfurter Rundschau merkt an:
„Die Angst vor einem Atomkrieg ist zurück. Mit dem Ende des Kalten Krieges schien sich die Gefahr mehr und mehr abzuschwächen, dass dieser schlimmste Alptraum [sic] der Menschheit Wirklichkeit werden könnte. Viele tausend [sic] Nuklearwaffen wurden verschrottet, Rüstungskontrollabkommen geschlossen. Das ist Geschichte. (…) seither ist die Welt auf einem gefährlichen Irrweg. Fast alle Rüstungskontrollverträge sind aufgekündigt, der letzte Vertrag zwischen Russland und den USA läuft Anfang 2026 aus. Alle neun Atommächte modernisieren ihre Arsenale.“
Die NATO und die Bundeswehr befeuern diese Gefahr in den nächsten Wochen unter anderem mit dem Manöver „Steadfast Noon”, mit dem sie den Atomkrieg, also das Risiko des Endes der Menschheit, erproben. Im Manöver üben Piloten, wie sie mit Nuklearwaffen zur Feindbedrohung angreifen können. Dabei geht es auch um die Täuschung der gegnerischen – also vordringlich der russischen – Aufklärung und Luftverteidigung sowie um die Luftbetankung bei Angriffen auf weit entfernte Ziele und um den Selbstschutz der Atombomber in der Luft.
Am 11. Oktober dieses Jahres wird die Friedensbewegung in Nörvenich unweit von Köln mit einer Demonstration gegen dieses Weltuntergangsmanöver protestieren. Im Aufruf formuliert das Aktionsbündnis:
„Weltweit gibt es über 12.000 Atomwaffen, davon sind über 3.900 sofort einsatzbereit. In dieser brisanten Lage will die Bundeswehr Mitte Oktober 2025 im Rahmen des NATO-Manövers ‚Steadfast Noon‘ erneut mit Attrappen üben, wie man Atombomben aus unterirdischen Bunkern an Tornado-Kampfjets anbringt und diese Bomben im Einsatzziel abwirft. Dieses Manöver findet jedes Jahr europaweit mit Beteiligung der USA und aller NATO-Staaten der ‚nuklearen Teilhabe‘ statt.”
Der Stützpunkt Nörvenich (…) ist aktuell Ausweichstandort für die sonst auf dem Stützpunkt Büchel (Eifel) stationierten Tornado-Kampfjets. (…) Derweil wird Büchel für über zwei Milliarden Euro bis 2026 für die neuen F35-Atombomber und die neuen B61-12 Atombomben umgebaut. Hier liegen die ca. 15-20 US-Atombomben, die im Ernstfall von Bundeswehrpilotinnen und -piloten eingesetzt werden sollen.“
Die erwähnten B61-12-Nuklearwaffen gelten in NATO-Kreisen als „gebrauchsfreudiger“, was an ihren Eigenschaften liegt: Die neuen Tarnkappenbomber F 35 haben eine Schnittstelle für die B61-12; sie sind durch ihre Form und Beschichtung für feindliche Radarsysteme nur schwer zu orten.
Zusätzlich ist die B61-12 durch ihr Upgrade in der Lage, mit einer geringeren Sprengkraft als die bisherigen thermonuklearen Arsenale Atomschläge präziser auszuführen und dabei einen geringeren Fallout als die Vorgängersysteme auszulösen. Dazu trägt ihre weiter gesteigerte Zielgenauigkeit bei, da die B61-12 keine herkömmliche Fallbombe mehr ist, sondern nach dem Ausklinken vom F-35-Trägerjet ihr Ziel mithilfe einer GPS-gestützten Steuerung wie ein Marschflugkörper angreift; ihre Zielgenauigkeit wird – je nach konkreten Einsatzumständen – mit maximal 30 und minimal fünf Meter angegeben.
Der Aufruf der Friedensbewegung für die Demonstration, die am 11. Oktober gegen das Atomkriegsmanöver stattfindet, begründet, warum die Friedensbewegung ihre Aktion gegen „Steadfast Noon” dieses Jahr nicht am Standort der B-61-12-Systeme in Büchel in der Eifel, sondern am Fliegerhorst Nörvenich durchführt:
Derzeit „wird Büchel für über zwei Milliarden Euro bis 2026 für die neuen F35-Atombomber und die neuen B61-12 Atombomben umgebaut. Hier liegen die ca. 15-20 US-Atombomben, die im Ernstfall von Bundeswehrpilotinnen und -piloten eingesetzt werden sollen.“
Der Aufruf setzt sich für den Abzug aller nuklearen Arsenale aus Deutschland ein:
„Die Alternative zu weiterer atomarer Aufrüstung ist der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) der UNO, der im Januar 2021 in Kraft getreten ist und Herstellung, Besitz und Einsatz von Atomwaffen verbietet. Der AVV greift damit das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes von 1996 auf, das den Einsatz von Atomwaffen und die Drohung mit Atomwaffen als generell völkerrechtswidrig verurteilt hat.“
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