Immer weiter rückt das Militärische in den öffentlichen Raum. „Scharfschützen am U-Bahnhof: Bundeswehr bringt den Krieg nach Berlin“ – so lautet die Überschrift eines aktuellen Artikels der Berliner Zeitung. Es geht um eine Übung der Bundeswehr mit Namen „Bollwerk Bärlin III“. Dabei sollen unter anderem „Orts- und Häuserkampf sowie der Objektschutz verteidigungswichtiger Infrastruktur im urbanen Raum“ geübt werden. Doch wozu? Auf der Webseite der Bundeswehr finden sich Antworten, die tief blicken lassen. Eine Bundeswehr wird sichtbar, die der politischen Manipulation nicht gewachsen ist. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Scharfschützen an einem Berliner U-Bahnhof? Ortskampf? Häuserkampf? Objektschutz? Verteidigungswichtige Infrastruktur im städtischen Raum? Das Wachbataillon der Bundeswehr „übt infanteristischen Schutzauftrag“ – so steht es auf der Webseite der Bundeswehr. Die Hauptstadt Deutschlands wird zum militärischen Übungsobjekt für „die Truppe“. Vom 17. bis zum 22. November heißt es: Krieg spielen am U-Bahnhof „Jungfernheide“. Über den Grund schweigt sich die Bundeswehr nicht aus.
Die anhaltend angespannte sicherheitspolitische Lage in Europa macht realitätsnahe Übungsszenarien erforderlich. Das Wachbataillon richtet seine Ausbildung dabei auf die Erfordernisse der Landes- und Bündnisverteidigung aus. Neben dem protokollarischen Dienst hat der Verband in diesem Szenario einen klaren infanteristischen Auftrag. Im Spannungs- und Verteidigungsfall schützt er Einrichtungen der Bundesregierung und stellt den Transport schutzbedürftiger Personen sicher. Regelmäßige Übungen unter realitätsnahen Einsatzbedingungen sind dabei die Grundlage, um Handlungssicherheit bei den Soldatinnen und Soldaten zu gewährleisten.
Weiter heißt es, das Wachbataillon erfülle im „Verteidigungsfall seinen Kernauftrag in Berlin“. Für ein effektives Wahrnehmen des Auftrags sei es erforderlich, „unter den realistischen Bedingungen der Großstadt“ zu trainieren. Die Übung werde „bewusst im öffentlichen Raum durchgeführt“.
Die Bundeswehr bittet die Bürger darum, den „Anweisungen der Einsatzkräfte zu folgen“ und „die Regeln zum Umgang mit militärischen Kolonnen anzuwenden sowie Absperrungen und Hinweise zu beachten“, heißt es weiter.
Nun lässt sich ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, dass polizeiliche und militärische Einsatzkräfte möglichst praxisnah üben müssen, um eben im Falle eines Falles entsprechend professionell reagieren zu können. Doch bei dieser Übung gibt es ein Problem: Sie steht voll und ganz im Geist der angeblichen „Zeitenwende“. Offen kommuniziert die Bundeswehr eine Situation, die in Anbetracht der unfassbaren Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg weder Bundeswehr noch Politik so einfach über die Lippen kommen sollte, wie das seit geraumer Zeit der Fall ist. Denn sollte eine Übungssituation wie die hier veranschlagte zur Realität werden, dann sprächen wir von einem neuen großen Krieg in Europa. Und da liegt das Problem.
Die große Gefahr einer Verselbstständigung des politischen Großprojekts Kriegstüchtigkeit wird immer greifbarer. Mit jeder ausgesprochenen Warnung vor einem als „möglich“ in Betracht gezogenen Angriff Russlands verfestigt sich das politisch herbeihalluzinierte Feindbild. Mit jedem Bundeswehrplakat im öffentlichen Raum, dessen Botschaft offen oder verdeckt auf die angebliche Bedrohung durch Russland anspielt, wird das Bild vom „bösen“ Feind im Osten in den Köpfen der Bürger ausgemalt. Und nicht zuletzt: Mit jeder Übung dieser Art, die vorgeblich durch die „anhaltend angespannte sicherheitspolitische Lage in Europa“ erforderlich werde, unterfüttert die Bundeswehr selbst ihr eigenes militärisches Feindbild.
Wenn auf der Internetseite der Bundeswehr steht: „Die anhaltend angespannte sicherheitspolitische Lage in Europa macht realitätsnahe Übungsszenarien erforderlich“, dann wird deutlich, dass hier mit einem Brett vorm Kopf gedacht wird – und das ist sehr gefährlich. Denn: Eine Demokratie darf und muss von Militärs erwarten, dass sie nicht nur auf eine solche sicherheitspolitische Lage reagieren, sondern dass sie diese auch in ihren Entstehungszusammenhängen kritisch hinterfragen. Das Bild einer Bundeswehr entsteht, die längst selbst die politische Propaganda geschluckt hat und der das Rüstzeug zur kritischen Distanz gegenüber dem politisch gewollten Feindbildaufbau fehlt. Eine Bundeswehr kommt zum Vorschein, die zum verlängerten militärischen Arm einer Politik wird, deren Manipulationsgewalt sie nicht gewachsen ist. Dass die Bundeswehr im öffentlichen Raum üben will oder muss, um im Ernstfall reagieren zu können, ist das eine. Das andere ist, in dieser Zeit, vom kritischem Reflexionsvermögen befreit, unter den politisch gesetzten Prämissen zu „üben“. Hier wird eine militärische Übung zur geronnenen Feindbildpolitik.
Titelbild: © Bundeswehr/Anne Weinrich





