Die Akte Jebsen

Ein Artikel von Jens Wernicke
Ken Jebsen

Er sagt, was er denkt. Redet Tacheles und ist oft sogar wütend dabei. Interviewt Christdemokraten ebenso wie Linksradikale und gelegentlich sogar Spinner. Er kritisiert bedingungslos jede Kriegstreiberei, agitiert gegen Sozialabbau und die AfD – und wird dennoch von einigen als „Rechter“, „Neurechter“ oder „rechtsoffen“ diskreditiert. Er polarisiert. Doch wer ist dieser Ken Jebsen eigentlich? Was treibt ihn an? Welchem Weltbild entspringt sein Engagement? Und worum geht es im soeben erschienenen Buch „Der Fall Ken Jebsen“? Jens Wernicke hat nachgefragt.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Jebsen, warum eigentlich KenFM? Braucht die Welt das?

Die Welt als solche vielleicht nicht, aber unsere Zuschauer und Leser offenbar schon. Der Unterschied zwischen uns und anderen besteht vor allem darin, dass wir in unserer Community keine Kunden sehen, sondern Menschen, die auf der Suche nach Antworten sind, die ihnen helfen, die Ohnmacht, die sie gegenüber dem System erkennen, zu überwinden.

Das geht nur durch Bildung. Wer KenFM ansurft, will Wissen. Er will Zeit investieren, um sich schlau zu machen. Er will die andere Seite der Medaille sehen und hat längst begriffen, dass die Wahrheit komplex ist.

Die Art, wie wir Inhalte präsentieren, ist deutlich frischer als bei ARD und ZDF oder FAZ und SPIEGEL. KenFM hat keine Kunden. Wir haben Fans, Menschen, die hinter uns stehen, wie man das von Bayern-München-Freunden kennt. Diese Haltung kommt nicht von ungefähr, sondern hat mit Fair-Play zu tun. Propaganda, wie sie andere betreiben, ist nicht Fair-Play, sondern ein klares journalistisches Foul.

Die anderen machen Propaganda, meinen Sie?

Oftmals, ja. Das Dilemma der Mainstreammedien besteht schlicht darin, dass sie noch immer nicht realisiert haben, dass mit dem Internet Lügen und das Weglassen von wesentlichen Informationen unmittelbar auffliegen. Wir haben es weniger mit Lügenpresse, denn mit Lückenpresse zu tun. Und diese Lücken schließt das Netz.

Wenn der Nutzer sich dann als Verschwörungstheoretiker beschimpfen lassen muss, wenn die großen Presse-Konzerne dann ihre Foren schließen, weil ihnen die Meinung der Nutzer nicht passt, hat auch der Letzte erkannt, dass diese Presse nie daran interessiert war, neutral zu informieren. Es ging ihr eher um das Verbreiten einer Meinung, die dem Establishment dient.

Presse hat Besitzer und vertritt private Interessen. Kein Intendant kommt auf den Chefsessel, wenn er politisch nicht embedded ist. Die Nutzer befinden sich hier allesamt in einem Lernprozess. Sie suchen sich zu Thema X die Informationen querbeet zusammen und erwarten dann von Profis eine Interpretation, die nicht plump ist und den Intellekt beleidigt. Wir bekommen daher einen extrem starken Kunden und haben es mit einem Aufschaukelungsprozess zu tun, der nicht berechenbar ist. Warum nicht? Weil wir nicht mit einer linearen Entwicklung zu tun haben, sondern die exponentielle Kurve die Entwicklung eher beschreibt. Dieser Prozess ist unumkehrbar. KenFM ist Teil und Ausdruck eines digitalen Aufwachzimmers in einer global vernetzten Welt.

Aber machen Sie nicht selbst auch Propaganda – etwa gegen NATO und Krieg?

Ich würde das nicht Propaganda nennen. Ich stelle der NATO-Propaganda nur Fakten entgegen und die sprechen für sich. Wer hat sich denn ausgedehnt? Russland nach Westen oder die NATO nach Osten?
Ich komme gerade aus Moskau, wo ich mich mit Valentin Falin unterhalten habe. Er schüttelte speziell über Deutschland nach der Wiedervereinigung nur den Kopf. Hatte man sich nicht darauf verständigt, dass deutsche Soldaten nie wieder vor den Grenzen Russlands Stellung beziehen würden? Was machen sie dann aktuell im Baltikum?

Deutschlands Verhalten gegenüber Russland ist schäbig und nur als Kotau vor den USA zu verstehen. Wir verspielen alles, was Willy Brandt mühsam aufgebaut hat. Es ist unfassbar…

Weil Sie die Lückenpresse betonen: Die Medien lügen also nicht? Ich sage nur: „Krieg ist Frieden!“ und „Jeder ist an seiner Armut selbst schuld!“…

Die Medien lügen, indem sie bewusst Lücken verheimlichen oder so tun, als gäbe es sie gar nicht. Stattdessen verkaufen sie in einer immer komplexer werdenden Welt die alten Schwarz-Weiß-Narrative.

Nur gibt es eben das Netz und niemand muss sich diese einseitige Information mehr antun. Es gibt XXL-Quellen und Sichtweisen. Das ist eine wunderbare Entwicklung für die Massen, aber sie bereitet den Eliten enorme Schwierigkeiten.

Martin Luther hatte dasselbe Problem mit der Katholischen Kirche, als die seinerzeit die Meinung dominierte. Revolutionen sind nichts anderes als schwindende Weltanschauungen. Wir erleben das aktuell mit digitaler Wucht. KenFM ist nur ein Teil davon. Nicht mehr. Nicht weniger…

Können Sie sagen, was KenFM für die Zuschauer offenbar so attraktiv macht?

Der Erfolg von KenFM hat mit harter Arbeit zu tun. Wir, die KenFM-Crew, sind vor allem ein Team. Das, was wir nach außen publizieren, ist eine Teamleistung. Pfusch kommt bei uns weder inhaltlich, noch technisch in die Tüte. Jeder im Team hat ein absolutes Faible für Perfektion. Es geht schlicht darum, alles aus seinem Leben herauszuholen, indem man auch alles gibt.

Der Beruf des Reporters oder des Dienstleisters und das, was man Presse nennt, ist im Grunde sehr einfach. Zuhören und einen Effekt nur dann zuzulassen, wenn er den Inhalt unterstützt. Keine Effekthascherei. Ich bereite mich auf jedes Interview wie ein Herz-Chirurg vor, und die Produktion ist dann Teil der OP. Das alles ist im Kern nicht neu, sondern wurde so auch bereits in der Vergangenheit von Günter Gaus geleistet.

Man muss hier das Rad also nicht neu erfinden. Da draußen laufen ziemlich interessante Leute herum, die zum Beispiel Bücher schreiben. Ich lese diese Bücher und lade die Autoren dann im Anschluss zum Interview. Die Technik sorgt für den entsprechenden Film-Look und kümmert sich um den Ton. Final scheiden wir nur zwischen den Kameras um, aber nie inhaltlich. Wir fotografieren unsere Gäste solide ab und verzichten auf Kamerafahrten.

Dass der Markt KenFM so annimmt, hat sicher auch damit zu tun, dass die Menschen spüren, dass wir uns für unsere Gäste wirklich interessieren und ihnen den Raum geben, den sie benötigen, um ihre Botschaft mitteilen zu können. Wir haben keine festen Sendezeiten oder Längen. Viel von unserer Arbeit geschieht aus dem Bauch. In einer Zeit, in der der Journalismus in der BRD extrem verkopft und mit Leitplanken versehen ist, sticht KenFM auch deshalb aus der Masse der Formate hervor, weil wir niemanden kopieren. Wir tun, was nötig ist.


Günter Gaus im Gespräch mit Franz Josef Strauß (1964)


Aber wenn KenFM so erfolgreich ist und die Menschen das auch spüren: Warum verändert sich dann nichts in dieser Gesellschaft trotz all der Aufklärung auch und gerade durch KenFM? Ich meine: Wo ist er denn, der „große Erfolg“ der alternativen Formate? Ich sehe ihn bisher nicht.

Ich kann da immer nur an Dutschke erinnern. Es nützt nichts, wenn der Einzelne Antworten gibt, solange die gesellschaftliche Bewusstlosigkeit nicht überwunden ist. Das ist ein Prozess, der erst durch die Digitalisierung richtig Druck bekommen hat.

Dennoch wäre es absurd zu glauben, dass wir übermorgen eine vollkommen faire Welt hätten. Die großen Besitzer der Welt, die Chefs in den Multikonzernen und Eigner hinter diesen, werden alles tun, um ihre Macht zu verteidigen. Sie werden alle Register ziehen, wie sie das über Jahrzehnte zum Beispiel in Mittelamerika gemacht haben. Und auch die CIA ist nicht weniger mächtig als in den 60iger Jahren. Im Gegenteil. Die Massen müssen sich global vernetzen, global solidarisch zeigen, wenn es hart auf hart kommt. Und das wird es.

Was ist Ihrer Einschätzung nach das Hauptproblem des „normalen Journalismus“?

Das Hauptproblem war immer, unbequeme Wahrheiten überhaupt publiziert zu bekommen. Orwell hatte recht, Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, von dem jemand anderes nicht möchte, dass es veröffentlich wird. Alles andere ist PR.

Allein die CIA beschäftigt 27.000 PR-Berater. Was machen diese Leute? Sie manipulieren zum Beispiel über sogenannte Alpha-Journalisten die öffentliche Meinung. Sie steuern die Themen, über die wir uns unterhalten. Sie lassen alles, was gewissen Kreisen nicht in den Kram passt, verschwinden. Sie reißen aus dem Kontext und machen so Informationen unbrauchbar. Sie arbeiten in der Wissenschaft und erstellen Gutachten und Gegengutachten. Das Ausmaß der Manipulation ist immens und allgegenwärtig.

Jeder, der die industriell hergestellte Massenmeinung nicht teilt, Zweifel sät und diesen publiziert, bekommt daher sofort Probleme, wenn er dabei auch noch echte Reichweite erzielt. Dann wird er mit dem Ziel verleumdet, ihn sozial zu isolieren.

KenFM hat das alles hinter sich und gelernt, diese Form des Meinungsterrors an sich abprallen zu lassen. Das Portal versteht sich als Verlag. Wir publizieren Fakten und Meinungen vor allem zu Geopolitik und Themen, die mit Geopolitik zu tun haben. Das Publikum ist mündig genug, um KenFM als eine, nicht aber als einzige Quelle zu erkennen.

Uns geht es vor allem darum, dass der Nutzer Presse nicht nur als Unterhaltung versteht, sondern als Angebot, sich permanent weiterzubilden und wirklich demokratisch handeln zu können. Die Menschen wollen mehr wissen, als den meisten Pressevertretern lieb ist.

Schlaue Bürger aber kann man nicht mit simplen Feindbildern und Narrativen abspeisen. Ein weniger oberflächlicher Journalismus kostet dann aber deutlich mehr Zeit und Geld. Der Mainstream-Online-Journalismus hat hier viel Druck aufgebaut. Schnell geht vor genau und die Werbegelder greifen die großen Suchmaschinen und Sozialen Netzwerke ab.

Erklären Sie so auch die Vertrauenskrise der Medien?

Ja. Die Menschen reißen heute scharenweise ins Internet aus. Hier finden sie binnen Minuten XXL-Informationen aus aller Welt zu jedem Thema. Die Aufgabe des Journalisten heute ist also weniger das Beschaffen von Informationen, denn ihre Interpretation. Plumpe Narrative funktionieren heute nicht mehr, wie auch Videospiele heute komplexer sind als PacMan.

Dass die Mainstreammedien diesen simplen Umstand nicht verstehen wollen, hat meines Erachtens zwei Gründe. Erstens sitzen viele Journalisten etablierter Medien noch immer auf einem verdammt hohen Ross. Und zweitens sind viele der Kollegen extrem faul. Meine Quelle ist vor allem die Straße, nicht nur Google. Und wenn ich ein Buch lese, um einen Gast entsprechend interviewen zu können, lese ich wirklich jede Seite und nicht nur quer. Ob das Zeit kostet? Sicher. Aber ich will diesen Beruf ja ausüben. Das geschieht aus Überzeugung, nicht, weil ich eine Wette verloren habe.

Wie kam es zu den Kampagnen gegen Sie als Person und KenFM als Format? Ist an mancher „Kritik“ nicht zumindest zum Teil etwas dran?

KenFM hatte immer Gegen. Schon als Radiosendung haben unser Programm und ich als Moderator polarisiert. Das geht bei meiner Stakkato-Sprache los und endet bei meiner Meinung, die nur selten mit Mainstream-Positionen kompatibel ist.

Schon zu Zeiten beim RBB legte man mir immer wieder nahe, es weniger provozierend anzugehen. Nur provozierte mich eben die Realität. Angriffskriege zum Beispiel, an denen sich die NATO oder die Bundeswehr beteiligt, sind für mich eine unfassbare Provokation. Menschenrechte mit Füßen zu treten, der Ausverkauf des Sozialstaates, Sonderrechte für Banken und Großkonzerne – das alles konnte ich nicht ertragen und sendete daher entsprechende Kommentare.

Als ich vierstündige Sendungen zu FIAT-Money, Uran-Munition, PTBS und dem 11. September machte, wurde das Menschen außerhalb des ARD-Senders zu viel. Sie brauchten eine Intrige und inszenierten eine Verleumdung. Wer in Deutschland mit dem Vorwurf des Antisemitismus beworfen wird, hat ein ernstes Problem. Dass ich diese bösartige Unterstellung überleben und wieder auf die Beine kommen konnte, ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass ich nicht auf die Massenmedien angewiesen war, um mich zu verteidigen. Diese ließen mich nämlich nie zu Wort kommen, sondern stets nur die Verleumder. Das war eine Art Schauprozess wie bei Kafka. Da ich als Person über 20 Jahre einen Ruf aufgebaut hatte, wussten meine Hörer, dass man mich vorsätzlich mit Dreck bewarf, um mich los zu werden. Die NATO-Presse, wie ich sie nenne, hat in meinem Fall eine digitales Vietnam erlebt und scheiterte beim Versuch der Demontage meiner Person.

Der Fall KenFM wurde dann zur Schweinebucht für den RBB in Berlin. Denn der Beitrag, den ich nach dieser Kampagne ins Netz stellte, trug den Titel „Zionistischer Rassismus“ und beschäftigte sich ausgerechnet mit den rassistischen Seiten des Zionismus, wie wir ihn zum Beispiel in Gaza erleben.

Warum ausgerechnet dieses Thema? Ganz einfach, in der Sendung KenFM gab es eine Rubrik, die über 545 Wochen über den Sender ging: „Rückblicken“. Darin wurde jede Woche gegen latenten Rassismus angesendet. Einen Rassismus, den ich auch aus persönlicher Erfahrung kenne, weswegen ich auch einen Künstlernahmen und nicht meinen eigenen, einen iranischen, verwende. Um das Anliegen, die Folgen des Rassismus, zu verdeutlichen, zu forcieren, wurde jede Woche auf den Holocaust als das brutalste Verbrechen der Menschheit eingegangen.

Dazu wurden O-Töne von Holocaust-Überlebenden eingespielt. Im Anschluss wurde tagesaktuelle Politik diskutiert. Zum Beispiel, wenn mal wieder ein Flüchtlingsheim angesteckt wurde. Dieses Format lief 10 Jahre! Jede verdammte Woche. Ausgerechnet mir Antisemitismus und das Leugnen des Holocaust zu unterstellen, ist daher in etwa so dreist, wie wenn man von Martin Luther King behaupten würde, er wäre Fan des Ku-Klux-Klans.

In 10 Jahren Rückblicken hat sich die jüdische Community in Berlin kein einziges Mal bei mir oder meinem Haussender gemeldet. Ich hatte diverse jüdische Künstler in der Sendung und war Coach eines aufstrebenden jüdischen Komikers. Diese Menschen wussten, dass das, was ein Herr Broder mir anzuhängen versuchte, vollkommen frei erfunden war. Nur standen sie mir bei? Erhoben sie die Stimme? Fielen sie dem Hetzer der Springer-Presse ins Wort? Nein. Sie duckten sich ebenso weg wie die meisten Deutschen zwischen 33 und 45. Das war für mich ein derart schäbiges und feiges Verhalten, das mich kalte Wut packte. Im Beitrag „Zionistischer Rassismus“ ging es daher auch um Doppelstandards der ultra-rechten israelischen Regierung und ihrer Lobby-Vertreter.

Der Text besteht aus kritischen Zitaten der bekanntesten jüdischen Intellektuellen und Journalisten. Die Liste reicht von Noam Chomsky über Shlomo Sand, Stéphane Hessel, Norman Finkelstein, Gideon Levy bis hin zu John Mearsheimer und vielen mehr.

Ich habe ihre zentralen Kritikpunkte gegenüber dem israelischen Besatzungsregime nur zusammengefasst. Also zitiert. Wer damit Probleme hat, der hat mit freier Presse Probleme und aus dem Dritten Reich nichts gelernt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung lässt zu, mich zu verleumden, aber es lässt eben auch zu, den Verleumdern und denen, die wider besseres Wissen untätig zugesehen haben, den Spiegel vorzuhalten.

Okay, heute würde ich einen solchen Text nicht mehr schreiben und einsprechen. Kritik an Israel findet bei KenFM durch Gastautoren statt. Evelyn Hecht-Galinski etwa, deren Vater das Motto hatte: „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen“, veröffentlicht bei uns.

Sie sind damals also über das Ziel hinausgeschossen?

Ich habe das Richtige getan, dabei aber unnötig provoziert – weil ich unglaublich wütend war. Man kann natürlich immer jedes Wort auf die Goldwaage legen, das Haar in der Suppe suchen, nur das ist nichts anderes, als die bewährte Methode, vom eigentlichen Inhalt, der Botschaft abzulenken. Israel wendet hier einen ganz simplen Trick an. Es ist Täter, stilisiert sich aber als Opfer. Nur, wer ist denn die Besatzungsmacht? Die Israelis oder die Palästinenser?

Inzwischen habe ich aber bereits seit Jahren nichts mehr über diesen Zwergstaat in Middle-East publiziert. Warum auch. Ein Land, das über 50 UN-Resolutionen missachtet hat, kann ich als Mahner oder Moralapostel nicht mehr ernst nehmen.

Leid tun mir vor allem die eingeschlossenen Zivilisten in Gaza. Wären dort nicht Palästinenser, sondern Juden eingesperrt, würde die ganze Welt zu Recht von Ghetto sprechen und Attacken gegen die Besatzungsmacht als legitim erachten. Da es aber „nur“ Araber sind, werden die Ureinwohner Palästinas eben wie Menschen zweiter Klasse behandelt: Israel kann sie töten, wann immer es das möchte. Konsequenzen erwachsen hieraus nicht.

Der überzeugte Zionist Benny Morris hat das Handeln seines Landes einmal mit einer verharmlosenden Metapher beschrieben, die da lautet: „Wenn man ein Omelett machen will, kommt man nicht umhin, Eier zu zerschlagen.“ Palästinenser sind also Eier für ihn!

Das ist Rassismus in seiner widerlichsten Form und schadet dem gesamten Judentum, dass der politische Zionismus zu instrumentalisieren versucht. Dieses Problem müssen die Juden der Welt selber lösen. Tun sie das nicht, wird der Staat Israel meiner Einschätzung nach eines Tages untergehen, wie auch die DDR dies tat.

Was die Frage aufwirft, ob es für diesen Stasi-Staat ein „Existenzrecht“ gab. Natürlich nicht. Und gibt es nun für ein rassistisches Besatzungsregime ein Existenzrecht? Natürlich ebenso wenig. Das festzustellen, heißt gleichwohl nicht, Israel als solches abzulehnen oder anderes. Es heißt nur, darauf zu insistieren, dass ein rassistisches Staatswesen nicht aufrechterhalten werden darf.

Sie vergleichen Israel allen Ernstes mit der DDR? Und, damit ich das richtig verstehe: Sie sprechen dem Ihrer Meinung nach rassistischen Staat Israel eine Ewigkeitsgarantie ab, nicht aber einem egalitären israelischen Staat?

Exakt. Israel hat sich, wie die DDR, zu einem extrem dogmatischen Staat entwickelt. Auch die DDR wollte alles tun, um nie wieder zu einem Unterdrückerstaat zu werden und setzte dazu auf die Stasi. Kritik am System hatte ernste Folgen. Andersdenkende wurden sehr schnell zu Staatsfeinden. Dieser Weg erstickte die DDR von innen.

Das erleben wir seit geraumer Zeit in Israel. Sprechen Sie zum Beispiel mit Moshe Zuckermann, der hat diese Entwicklung in diversen Büchern beschrieben. Wer dem Hardcore Zionisten nicht blind folgt, bekommt richtig Probleme. Ein Journalist wie Levy kann nur noch mit Personenschutz aus dem Haus. Auch als Friedensaktivist, der Land gegen Frieden tauschen möchte, oder besser geraubtes Land zurückgeben, muss man sich warm anziehen.

Dieses Israel implodiert. Immer mehr Juden verlassen diesen zionistischen Gottesstaat und ziehen zum Beispiel nach Berlin. Wenn der Staat Israel seinen kranken Nationalismus aufgibt, hat er eine Chance. Hält er daran fest, wird er den Weg von Südafrika gehen. Regime-Change von innen. Was ist daran schlecht?

Ihnen wird aber auch vorgeworfen, dass Sie „mit allen“ und also auch „mit Rechten“ reden und daher „offen“ für auch das Böse wären. Dass sie „Querfront“ betrieben etc. Und einige Ihrer Kritiker weisen zudem darauf hin, dass Ihr Weltbild, letztlich folge noch jeder Krieg einer Art Drehbuch, vielleicht etwas sehr einfach ist und Sie zudem auch bezüglich Judentum und Zionismus ab und an einmal so unsauber argumentiert haben, dass dies Kritik geradezu notwendig macht. Machen Sie immer alles richtig? Oder können Sie nachvollziehen, dass manches, was Sie sagen, anderen auch zu pauschal oder teilweise gefährlich erscheint?

Das Thema ist für mich durch. Israel und seine Lobbyabteilung verwischen bewusst und permanent die Grenzen zwischen Judentum und Zionismus, um jede Kritik an diesem Besatzungsregime mit der Antisemitismuskeule niederzuknüppeln. Ist das mein Problem? Überhaupt nicht.

Dieser Staat ist inzwischen so sexy wie die DDR kurz vor Mauerfall. Seit 1948 ist es diesem Land nicht möglich, ein normales Verhältnis zu seinen Nachbarn aufzubauen, und wer immer das ausspricht, wird extrem billig attackiert. Der Traum vom gelobten Land hat sich zu einem Albtraum entwickelt, der massiv an eine völlig verkorkste Ehe erinnert. Muss nun aber die ganze Welt permanent in diese Ehekrise involviert werden? Nein. Wir alle haben auch Beziehungen, nur, wenn die mal nicht so laufen, wie sie sollen, würden wir nie auf die Idee kommen, die Schuld rund um die Uhr einzig bei unserem Partner zu suchen.

Jetzt haben Sie meine Frage nicht beantwortet. Zum zweiten Mal. Die eine lautete: Ist an mancher „Kritik“ nicht zumindest zum Teil etwas dran? Und die andere nun gerade: Machen Sie immer alles richtig? Oder können Sie nachvollziehen, dass manches, was Sie sagen, anderen auch zu pauschal oder teilweise gefährlich erscheint?

An jeder Kritik ist immer auch etwas dran. Nur lasse ich mir nicht Vorsatz unterstellen. Wir alle machen Fehler oder drücken uns mitunter missverständlich aus. Es macht aber einen erheblichen Unterschied, ob man bewusst mit Unschärfen spielt, um für Radikale anschlussfähig zu sein, oder aber, unfreiwillig eine Fläche bietet.

Wie sagte Gerhard Schröder mal treffend. „Wenn man das Richtige sagt, ist man nie sicher vor falschem Beifall.“ Das können sie doch aktuell bei Sahra Wagenknecht beobachten. Wenn die von Obergrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen spricht, wird ihr Anschlussfähigkeit zur AfD unterstellt. Nur von wem?

Bei ihr wie bei mir geht es ganz bewusst darum, Menschen politisch zu Schmuddelkindern zu machen. Nur bin ich nicht auf die veröffentlichte Meinung angewiesen, um gewählt zu werden. Daher bekomme ich richtig auf die Mütze. Jede Unterstellung passt, wenn sie dazu beiträgt, die Reichweite von KenFM zumindest noch zu bremsen. Klappt aber alles nicht mehr. Das Vertrauen in die Massenmedien ist dahin…

Sehen Sie hinter diesen ganzen Kampagnen, die wirklich virulent zurzeit sind und alles andere als „nur Sie“ betreffen, sehen Sie hinter diesen Kampagnen auch konkrete Akteure und Interessen am Werk? Worum geht es diesen Ihrer Meinung nach – und warum funktioniert diese Methode offenbar so gut? Kommen Menschen autoritätsgläubig zur Welt, ist das Bedürfnis, das Richtige zu tun, und damit verbunden auch die Angst vor „dem Falschen“ so unsagbar groß, dass viele sich lieber abwenden, als sich wirklich eine eigene Meinung zu bilden?

Die Welt war schon immer komplex. Hier die Übersicht zu behalten, war daher immer auch mit Arbeit verbunden. Wer diese Arbeit nicht leisten will, schließt sich gern einer Sekte an. Die attraktivste Sekte ist aktuell die derer, die auf alles einschlagen, was nicht dem persönlichen Weltbild entspricht.

Vor allem die Anti-Deutschen sind hier sehr aktiv.

Ist ihr Bezug zum Mittleren Osten womöglich ein sehr persönlicher, sodass Sie Leid und Elend dort mehr betreffen und betroffen machen als andere?

Nein, ich werde nur ständig mit dem Nahen Osten belästigt, während China, Indien oder Südamerika im Vergleich gar nicht vorkommen. Ändert das und ich höre sofort auf, bockig zu sein. Diese Middle-East-Fixierung nervt. Es geht dort um Öl. Jeder weiß das, also hört auf, uns anzuschmieren.

Und sehen Sie, wie manche Ihrer Aussagen vermuten lassen, in den USA und andernorts wirklich eine „jüdische Verschwörung“ am Werk? Und ob nun ja oder nein: Was um alles in der Welt sollte eine solche Erkenntnis von Wert sein, dass etwa „Katholiken in Irland“ besonders wichtige Posten innehaben; führt derlei zu irgendeinem konkreten, emanzipatorischen Erkenntnisgewinn?

Nein. Ich habe Derartiges nie behauptet, da es absurd ist. Ich habe auch nie gesagt, dass Kawasaki den Plan hat, Ikea zu übernehmen. Natürlich kann man das jetzt auf XXL-Kanälen über 5 Jahre behaupten, nur trifft mich das nicht. Ich sehe diese Kanäle nicht, und die, die ich interviewe, kennen diese Verunsicherungstaktik aus dem FF. Das macht mich für sie noch attraktiver, da wir den Shit-Storm vollkommen unbeschadet überstanden haben. Mehr noch: Er hat uns enorm geholfen.

Aber, ja. Es gibt immens wichtige und gefährliche Lobbygruppen auf diesem Planeten, die oft im Verborgenen agieren. Keine von ihnen ist dabei aber so übermächtig, dass sie alle Geschicke auf diesem Globus vollkommen unter Kontrolle hat. Bis auf die Zugvögel natürlich. Die kontrollieren die Deutsche Bahn.

Auch nicht israelische oder US-Lobbygruppen?

Nun, die mischen mächtig mit im globalen Spiel um Einfluss und Macht – aber nein, noch hat sich die Demokratie nicht vollständig verabschiedet. Sie arbeiten aber daran.

Kann, darf oder muss Journalismus womöglich gelegentlich populistisch und vereinfachend sein, wenn es darum geht, Kriege zu verhindern und der immensen Macht der Eliten, die Massen zu manipulieren, etwas entgegenzusetzen? Was genau macht „guten Journalismus“ dieser Tage für Sie aus?

Was ist denn eigentlich Populismus? Politik an sich ist mehr oder weniger populistisch, um komplexe Inhalte überhaupt auf Wahlplakate oder in Wahlprogramme zu bekommen. Das wir beim größten Niedriglohnsektor Europas nicht die Linkspartei als stärkste Partei sehen, ja, aktuell sogar die AfD richtig abräumt, hat mit mangelndem linken Populismus zu tun.

Populismus kann auch bedeuten, für die eigene politische Überzeugung so zu werben, dass die Botschaft zu einem Impact am Markt führt. Was Marketing angeht, ist die Linke, genau wie die alte Friedensbewegung, leider in den 1970ern hängen geblieben. Man bereitet sich auf die Kugelkopfschreibmaschine vor, während der Rest die Cloud-Technologie nutzt. Tragisch.

Dass die Friedensbewegung im globalen Informationskrieg an der Heimatfront tendenziell eher unterliegt, hat also mit deren eigener Unfähigkeit zu tun, nichts mit den Unsummen, die für Propaganda und Hetze ausgegeben werden, nichts mit dem neoliberalen Umbau seit inzwischen mehreren Jahrzehnten? Man ist in Ihren Augen also … einfach zu blöd?

Beides gehört doch zusammen. Sicher gibt der Neoliberalismus Unsummen für Propaganda aus, nur haben die Intellektuellen der Friedensbewegung den Vorsprung der Neoliberalen bisher offenbar noch nicht mal im Ansatz verstanden. Die Ökonomie ist doch nur das Werkzeug für sie.

Die Ideologie ist, den Menschen bis in die letzte Zelle hinein zu kommerzialisieren. Das soll der dann aber auch noch selber machen. Rainer Mausfeld ist hier ein echter Lichtblick. Er hat unter anderem auf die Methode der Selbstvermarktung hingewiesen. Wir alle sind insofern mehr oder weniger das Opfer von Fehlidentitäten, falschen Vorstellungen von uns und der Welt.

Nun ist soeben bei fifty-fifty das Buch „Der Fall Ken Jebsen oder Wie Journalismus im Netz seine Unabhängigkeit zurückgewinnen kann“ erschienen. Bestsellerautor Mathias Bröckers hat Sie interviewt und präsentiert im Buch sehr persönliche, vor allem aber politische Einblicke in Ihr Denken, Ihr Schaffen und auch in die Verleumdungskampagnen, die man seit Jahren gegen Sie fährt. Wie kam es zu dem Buch? Und wie haben Sie die Arbeit mit Bröckers erlebt?

Bröckers und ich kennen uns seit rund 5 Jahren. Ich interviewte ihn seinerzeit zu seinem dritten 9/11-Buch. Daraus wurde eine 4-Stunden-KenFM-Spezial-Sendung, die maßgeblich dazu beitrug, meine Karriere in der ARD zu beenden.

Als Bröckers mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, ein Buch über die Geschichte von KenFM zu schreiben, erwiderte ich nur: „Wann denn genau?“, denn mein Terminkalender ist ziemlich voll. Also trafen wir uns zwischen zwei Interviewreisen in einem Hotel. Hier setzten wir uns drei Tage in ein Zimmer und ich setzte mich seinen Fragen aus. Das Ergebnis ist dieses Buch. Mal sehen, ob Menschen sich für den „Fall Ken Jebsen“ interessieren. Ich kann das nicht einschätzen.

Gibt es da etwas Persönliches, das Ihnen als Antrieb dient? Ich meine: Die meisten Ihrer Zuschauer dürften nicht einmal wissen, dass Ken Jebsen nur ein Künstlername ist. Und kaum jemandem dürfte bekannt sein, dass Sie aus dem Iran stammen…

Spielt das alles eine Rolle? Ich nehme mein Leben nicht persönlich. Das alles ist ein Spiel, eine Metapher, die sich nur dann dekodieren lässt, wenn man loslässt. Ich habe vor langer Zeit losgelassen und versuche seitdem, nur noch so zu leben, als wäre morgen Feierabend. Ich habe keinen Masterplan. Der Masterplan hat mich.

Was, meinen Sie, können wir der aktuell ständigen Kriegspropaganda entgegensetzen? Wie erobern wir als Bürger und Zivilgesellschaft „unsere“ Medien und Demokratie zurück?

Es geht darum, die Angst vor der Angst zu überwinden. Wir müssen Strategien des Siegens lernen. Das geht besser, wenn man sich zu Teams zusammenschließt und konkrete Projekte angeht.

Seit dem 1. Oktober gibt es bei KenFM das Projekt „Die Macher“. Wir wissen, dass Menschen ab Werk Macher sind. Wenn wir das aktuell etwas verlernt habe, müssen wir es eben wieder lernen.

Wir werden Macher vorstellen, um über diesen Hebel noch Unentschlossenen Mut zu machen. Nichts ist alternativlos. „Check your Head“, würden die Beastie Boys sagen, ich sage: „Die Segel setzt man nicht mit Worten.“

Wie weiter mit KenFM? Wie erobern wir „unsere“ Demokratie und Medien zurück?

KenFM wird jeden Tag größer und entwickelt permanent neue Formate. Da ich die weder alle machen kann noch will, kommen neue Gesichter auf den Kanal. Das alles wird in naher Zukunft in diversen Sprachen angeboten. KenFM entwickelt sich zu einem Think-Tank mit angeschlossener Presseabteilung, die vor allem den Aktivismus fördert. „Mehr Demokratie wagen!“ ist unser Motto dabei.

Vier Jahre nach Gründung haben wir bereits den doppelten Marktanteil von arte. Unsere Klicks wachsen jeden Monat um einen sechsstelligen Betrag. Wir erreichen immer mehr die Mitte der Gesellschaft und haben unser Programm daher auch dahingehend erweitert, dass wir inzwischen immer häufiger auch wissenschaftliche Vorträge filmen und ins Netz stellen. Das kommt extrem gut an. Bildung läuft.

Und es ist für mich auch und vor allem eine Form von demokratischer Presse. Wir stellen ohne Zwangsgebühren ein immer breiteres Angebot an Informationen bereit und tun das, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer sträflicher vernachlässigt. KenFM erfüllt einen Bildungsauftrag und tut dies auf Basis freiwilliger Spenden. Für mich ist dieses Geschäftsmodell ein Ausdruck gelebter Demokratie von unten.

Diese Entwicklung mit anzuschieben, macht das ganze Team stolz. Wir verstehen uns als Vollblutdemokraten, die sich auf ein Credo einigen konnten: Nie wieder Krieg!

Noch ein letztes Wort?

Free your Mind and your Ass will follow.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Ken Jebsen, Jahrgang 1966, ist Radio- und TV-Journalist. Sein Vater stammt aus Teheran, seine Mutter ist gebürtige Hamburgerin. Seit 2011 arbeitet er als freischaffender Reporter. Er betreibt das freifinanzierte Videoportal KenFM – eine der erfolgreichsten Nachrichtenplattformen im Internet.


Weiterlesen:


Weitere Veröffentlichungen von Jens Wernicke finden Sie auf seiner Homepage jenswernicke.de. Dort können Sie auch eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte bestellen.