Martin Schulz als deutscher Macron?

Lutz Hausstein
Ein Artikel von Lutz Hausstein

Die Sozialdemokraten in Deutschland sind in Feierlaune. Ein bisschen zumindest. Wenngleich auch nur aus französischen Gründen, weniger aus hiesigen. Denn aus eigener Perspektive gibt es kaum etwas ernsthaft zu jubeln. Als Emmanuel Macron zuerst die Stichwahl um das französische Präsidentenamt erreichte und diese anschließend auch gegen die Kandidatin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, deutlich gewann, richtete man aus der SPD euphorische Glückwünsche an Macron. Und als nun die von Macron begründete Bewegung „La République en Marche!“ doch etwas überraschend sogar die erste Runde der Parlamentswahlen in Frankreich gewinnen konnte, überschlug sich die SPD samt ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz vor Freude darüber und wähnte mit dem Sieg Macrons auch sofort ihre eigenen Aktien wieder am Steigen. Von Lutz Hausstein[*].

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Der Sieg war von der SPD insbesondere auch deswegen so herbeigesehnt, weil nach dem anfänglichen, medial angeheizten Schulz-Hype nun wieder der Absturz in Richtung der ursprünglichen Umfragewerte vor der Übernahme der Kanzlerkandidatur durch Martin Schulz deutlich an Fahrt gewinnt. Stand die SPD in den Umfragen von ARD Deutschlandtrend im Januar 2017 bei 20 Prozent (zu 37 Prozent für die Union), schnellte sie binnen Kurzem bis Februar auf 32 Prozent (bei 31 Prozent für CDU/CSU) empor, um sich nun im Juni bei beschaulichen 24 Prozent gegenüber 38 Prozent für die Union wiederzufinden. Daher suchen die Sozialdemokraten nun nach einem Strohhalm, der für einen erneuten Aufwind als Begründung taugen könnte.

Dass dabei auf den schnellen Durchmarsch Macrons reflektiert und ihm eine Vorbildfunktion für die SPD und ihren Kandidaten Schulz zugeschrieben wird, erstaunt dann aber doch. Es mag für Martin Schulz sicherlich verführerisch sein, seinen Schulz-Bummelzug an Macrons TGV ankoppeln zu wollen. Denn es ist ja unbestreitbar: Nach dem Rücktritt als französischer Wirtschaftsminister aus dem Kabinett Valls im August 2016 startete der kometenhafte Aufstieg der von Macron höchstpersönlich ein halbes Jahr zuvor gegründeten Bewegung „En Marche“ und endete nur ein reichliches Jahr später mit dem Sieg über alle, teils seit Jahrzehnten etablierten Parteien bei den französischen Parlamentswahlen. Vor den konservativen Republikanern, dem rechtsextremen Front National, der französischen Linken Jean-Luc Mélenchons und weit vor den Sozialisten des Ex-Präsidenten Hollande.

Dass die SPD und Schulz nun Parallelen zu „En Marche“ und Macron projizieren wollen, mag zwar verständlich sein, ist aber nicht nur unrealistisch, sondern schlicht Unfug. Denn Emmanuel Macron und seine Bewegung wird von Teilen der französischen Bevölkerung als politisches Start-up eingeordnet, also als eine Art Anti-Establishment-Bewegung. Dass dabei seine bisherige politische Tätigkeit als Minister samt seinen ebenso undemokratischen wie unpopulären Arbeitsmarktreformgesetzen, in der Form von Notstandsverordnungen unter Ausschluss des Parlaments, vollständig unter den Tisch fällt, mag zwar auf den ersten Blick verwundern, ist aber andererseits bei Betrachtung der politischen Alternativen, die aus lauter Alternativlosigkeit bestehen, bedingt nachvollziehbar.

Beide dominierende Politikströmungen, die seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten ununterbrochen die Staatspräsidenten Frankreichs stellen, die sozialistische/sozialdemokratische (Francois Mitterand 1981-1995, Francois Hollande 2012-2017) wie auch die besonders umformierungsfreudige konservative (Jacques Chirac 1995-2007, Nicolas Sarkozy 2007-2012), werden zunehmend von immer mehr Franzosen als ihre wirtschaftliche und soziale Lage verschlimmernde, ausschließlich dem großen Geld dienende Parteien abgelehnt. Damit ist einerseits der langfristige Aufschwung des Front National unter Jean-Marie Le Pen sowie anschließend seiner Tochter Marine Le Pen erklärbar, umso mehr aber vor allem der rasante Aufstieg des smarten und dynamischen Emmanuel Macron. Vergleiche zum sich ebenfalls als Anti-Establishment inszenierenden Donald Trump und dessen Wahlsieg sind kaum von der Hand zu weisen.

Wenn nun jedoch Martin Schulz glaubt, auf diesen Zug aufspringen zu können, verkennt er die Lage völlig. Denn anstatt auf Macrons ohnehin nur medial behauptete sozialliberale Positionierung abzustellen und damit zu versuchen, eine Verbindung zur deutschen SPD herstellen zu wollen, die ihr eine realistische Siegchance bei den kommenden Bundestagswahlen im September einräumen soll, existieren ohnehin nur zwei rationale Szenarien, solange die SPD ihren aktuellen politischen Kurs beibehält. Entweder gelingt es den etablierten Parteien auch weiterhin, den politischen Widerstand in der Bevölkerung einzuhegen. Dann wird die SPD auch zukünftig bestenfalls den Juniorpartner von CDU/CSU spielen können, da sie einerseits ihr eigenes, linkes Wählerpotential in Stich lässt und im konservativem Milieu stets dem Original, der Union, unterlegen sein wird. Eine weitere Einmauerung im 20-Prozent-Bereich würde folgerichtig sein. Oder der öffentlichen Meinungsbildung gelingt es kein weiteres Mal, die Bevölkerung einzulullen und erneut genau diejenigen Parteien zur Wahl anzupreisen, über deren Regierungspolitik sie enttäuscht und wütend sind. Dann jedoch wäre eine grundlegende Umwälzung der politischen Landschaft die Folge, die auch und gerade vor der SPD nicht haltmachen würde. Für ein solches Szenario müsste Schulz nur einmal einen Blick auf die französische Schwesterpartei, die Parti socialiste, werfen. Deren erdrutschartiger Absturz, unmittelbar nach ihrer eigenen Präsidentschaft mit Francois Hollande, ist geradezu legendär zu nennen. Gleiches würde auch für die deutsche SPD Geltung besitzen. Seit 1998, mit der kurzen Unterbrechung von 2005 bis 2009, ist die SPD Teil jeder deutschen Bundesregierung gewesen und kann von daher für sich wohl kaum den Nimbus des Anti-Establishments in Anspruch nehmen.

So sehr die SPD den neuen französischen Präsidenten Macron nun auch lobt und gemeinsame Reformen für Frankreich, Deutschland und die ganze EU beschwört, um in der öffentlichen Wahrnehmung in dasselbe, schnell emporfließende (Wahl-)Fahrwasser geraten zu wollen: Die Menschen in Deutschland werden ihr das nicht abkaufen. Die SPD ist genauso wenig En Marche, wie Martin Schulz Emmanuel Macron ist. So fährt Martin Schulz´ SPD mit ihrem Ankoppelungsversuch an Macron auch wahlkampfstrategisch, neben ihrer Proklamation des inhaltlichen Stillstands, in Schrittgeschwindigkeit auf das Abstellgleis.


[«*] Lutz Hausstein, Wirtschaftswissenschaftler, ist als Arbeits- und Sozialforscher tätig. In seinen 2010, 2011 und 2015 erschienenen Untersuchungen „Was der Mensch braucht“ ermittelte er einen alternativen Regelsatzbetrag für die soziale Mindestsicherung. Er ist u.a. Ko-Autor des Buches „Wir sind empört“ der Georg-Elser-Initiative Bremen (2012) sowie Verfasser des Buches „Ein Plädoyer für Gerechtigkeit“ (2012).

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