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  1. EU vor Herbstgipfel: Europa ist eine lahme Ente
  2. Zwei Ergebnisse, eine Lehre
  3. Ein Vorstoß zur “Entlastung” der Arbeitgeber beim Mindestlohn – ein Vorgeschmack auf das, was von einer Jamaika-Koalition sozialpolitisch zu erwarten ist?
  4. Experten fordern Abschaffung der Minijobs
  5. Mehr Sozialstaat wagen
  6. Ungleichheit, politisch gewollt
  7. Cum-Ex-Skandal: Steuerräuber verklagen den Staat
  8. Air-Berlin-Pleite: Manager kassieren, Arbeitnehmer verlieren
  9. BDI: Offensiv
  10. Neues Anti-Terrorgesetz in Frankreich: Raus aus dem Ausnahmezustand
  11. Privatsache Visavergabe
  12. Der halbe Schleyer
  13. Wie die SPD sich jetzt erneuern sollte
  14. Thesen zu den politischen Schwerpunkten der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
  15. Wieder mal durchgemogelt
  16. Zu guter Letzt: Ratgeber: Alles, was Sie jetzt über die Jamaika-Sondierungsgespräche wissen müssen

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. EU vor Herbstgipfel: Europa ist eine lahme Ente
    In Brüssel wird viel über neuen Schwung geredet, aber es herrscht Stillstand. Das liegt am Wahlergebnis in Deutschland und Österreich.
    Gerade einmal vier Wochen ist es her, da erklärte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die europäische Dauerkrise für beendet. „Europa hat wieder Wind in den Segeln“, verkündete Juncker Mitte September vor dem Europaparlament in Straßburg. Nach den Zitter-Wahlen in den Niederlanden und Frankreich könne man sich endlich überfälligen Reformen widmen und das Boot wieder flottmachen.
    Doch kurz vor dem EU-Herbstgipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel gibt es Gegenwind – aus mehreren Richtungen. Am heftigsten bläst er aus Großbritannien, mit dem die Verhandlungen über den Austritt (Brexit) in einer Sackgasse gelandet sind. Aber auch die Ergebnisse der Wahlen in Deutschland und in Österreich bereiten den EU-Granden Sorgen. Sie könnten die Reformagenda stören, die EU-Ratspräsident Donald Tusk mit den Staats- und Regierungschefs diskutieren will.
    Solange Deutschland keine neue Regierung hat, seien keine Fortschritte, etwa beim Euro, denkbar, heißt es in Brüssel. Und wenn es in Österreich zu einer Koalition zwischen ÖVP-Konservativen und FPÖ-Rechtspopulisten kommen sollte, könnte dies zu neuen Blockaden in der Flüchtlingspolitik führen.
    Quelle: Eric Bonse in der taz
  2. Zwei Ergebnisse, eine Lehre
    Zwei Wahlergebnisse, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In Österreich siegt die Rechte, in Niedersachsen noch einmal die SPD. Doch die Sozialdemokraten in Deutschland und Europa können aus der Wahl in Österreich viel mehr lernen als aus dem regionalen Spezialfall an der Leine. […]
    Die einzige Lehre, die vernünftige Menschen aus dem kometenhaften Aufstieg der Rechten ziehen können, ist die, dass man noch keine Alternative zu deren Programm bietet, wenn man sich halbherzig und ohne konkrete Aussagen zu „mehr Gerechtigkeit“ bekennt oder die Ungleichheit beklagt. Eine Sozialdemokratie, die zu 90 Prozent neoliberale Glaubenssätze nachbetet, aber vorgibt, die schlimmsten Folgen der „alternativlosen“ Politik „gerechter“ abzufedern als die anderen, macht sich inzwischen nur noch lächerlich. Viele Menschen suchen verzweifelt nach Alternativen, es gibt diese Alternativen auch, aber die Sozialdemokraten auf dem europäischen Kontinent sind zu feige, sich der dreisten Behauptung der Alternativlosigkeit durch den Mainstream entgegenzustellen.
    Ich habe schon vor der Wahl das traurige Beispiel der Lohnnebenkosten im Plan A der SPÖ erwähnt (hier). Die Hochzeit der Diskussion über die Lohnnebenkosten liegt in Deutschland geschlagene zwanzig Jahre zurück. Mit dem Thema Lohnnebenkosten hat man damals von konservativer Seite den Ball „der in den Zeiten der Globalisierung viel zu hohen Löhne“ geschickt ins Feld des Staates bugsiert und damit sogar viele Arbeitnehmer und Gewerkschaftler gewinnen können, weil die froh waren, nicht selbst die Hauptschuld an den „offensichtlich“ zu hohen Lohnkosten zu tragen. Inzwischen – also vor allem im Lichte der Eurokrise – ist das eine vollends absurde Diskussion. Denn niemand kann ernsthaft behaupten, dass Leistungsbilanzüberschussländer wie Deutschland und Österreich ein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit haben, weil selbst die Konservativen ja sagen, es seien die anderen im Süden, die nicht wettbewerbsfähig sind.
    Quelle: Makroskop
  3. Ein Vorstoß zur “Entlastung” der Arbeitgeber beim Mindestlohn – ein Vorgeschmack auf das, was von einer Jamaika-Koalition sozialpolitisch zu erwarten ist?
    In der Not gibt man sich auch mit Brosamen zufrieden und sammelt alles auf, was als Hinweis gewertet werden könnte, wohin die Reise einer “Jamaika”-Koalition gehen wird. Und da erweist es sich als hilfreich, dass es diese Koalitionsformation bereits gibt, in Schleswig-Holstein. Und von dort werden “interessante” Aktivitäten vermeldet. Die vielleicht einen Vorgeschmack liefern können.
    Dabei geht es um den gesetzlichen Mindestlohn. Was war das für eine Schlacht vor und bei seiner Einführung. Mit harten Bandagen wurde gekämpft. Und neben dem Spiel mit den angeblichen, mittlerweile bekanntlich widerlegten Jobkiller-Ängsten wurde auch heftig auf die Tränendrüse des “Bürokratiemonsters” gedrückt. Und eigentlich müsste man im Oktober 2017 zu dem Ergebnis kommen, dass der “Schock” des Mindestlohns und die mit ihm verbundenen Auflagen irgendwie Geschichte ist, hört man doch von “normalen” Unternehmen diesbezüglich keine massive Kritik mehr, außer vielleicht, dass man generell beklagt, dass Löhne immer Kosten sind und stören. Also könnte man sich anderen Themen widmen, aber nein – offensichtlich wird die Kritik an bestimmten Bestandteilen des Mindestlohns bzw. seiner Umsetzung weiter vorangetrieben und sie stößt bei dem einen oder anderen Politiker auf einen entsprechenden Resonanzboden. (…)
    Der ganze Vorgang verweist auf eine hoch konfliktäre Baustelle, die auf uns zukommen wird, wenn es eine “Jamaika”-Koalition geben wird. Denn Union und FDP wollen an das Arbeitszeitgesetz und die dort normierten Schutzvorschriften heran. Das mit dem Mindestlohn ist da nur ein ganz leichtes Lüftchen, das man platziert hat, um den Boden zu bereiten.
    Quelle: Aktuelle Sozialpolitik

    dazu: 12,20 Euro statt nur den Mindestlohn
    Um Mitternacht konnten die Arbeiter auf deutschen Baustellen aufatmen. Nach 14-stündigen Gesprächen einigten sich die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und die beiden Arbeitgeberverbände der Branche in der Nacht zu Mittwoch auf einen neuen Bau-Mindestlohn. „Die Verhandlungen standen mehrfach vor dem Scheitern“, sagte IG-BAU-Verhandlungsführer Dietmar Schäfers. „Das hätte ab 1. Januar einen Mindestlohn von 8,84 Euro bedeutet.“
    Wie in einem guten Dutzend anderer Wirtschaftszweige auch gilt in der Bauwirtschaft ein Branchenmindestlohn. Er wurde schon 1997, kurz nach Inkrafttreten des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, erstmals vereinbart. Die Regelung zielte damals vor allem darauf ab, einheimische Bauarbeiter vor aus dem Ausland entsandten Billigarbeitskräften zu schützen – und deutsche Unternehmen vor ausländischen Konkurrenten, die mit Dumpinglöhnen die Preise kaputt machen. Da der Bau-Mindestlohn von der Bundesregierung für allgemeinverbindlich erklärt wurde, gilt er auch für nicht tarifgebundene Unternehmen und für aus dem Ausland entsandte Arbeiter.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung Christian Reimann: Wäre es nicht sinnvoll, den gesetzlichen Mindestlohn generell auf so ein Niveau anzuheben? Was in der Bauwirtschaft und weiterer Wirtschaftszweige möglich, sollte auch generell möglich sein, oder?

  4. Experten fordern Abschaffung der Minijobs
    In Deutschland gibt es ein geradezu explosionsartiges Wachstum der Nebenjobs. Manche üben ihn aus Freude aus, manche aus finanziellem Druck. Experten wollen aber nun die Anreize abschaffen und begründen das. (…)
    Eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verdeutlicht das geradezu explosionsartige Wachstum der Nebenjobs hierzulande: Im ersten Quartal diesen Jahres hatten demnach 3,07 Millionen Angestellte, Selbstständige oder Beamte einen Nebenjob. Die Zahl der Menschen, die mehr als einer Erwerbstätigkeit nachgehen, hat sich demnach seit dem Jahr 2003 mehr als verdoppelt. (…)
    Zwei Faktoren dürften für diese Entwicklung verantwortlich sein; neben der robusten Entwicklung des Arbeitsmarktes vor allem eine Gesetzesänderung: Am 1. April 2003 wurden die Regeln für Minijobs geändert. Die Verdienstgrenze wurde damals von 325 auf 400 Euro und seitdem sogar auf 450 Euro angehoben; vor allem aber wurden die geringfügigen Beschäftigungen von Steuern und Abgaben freigestellt. (…)
    Grundsätzlich kritisieren die Verfasser allerdings, dass der Staat die sogenannten Minijobs durch Steuer- und Abgabenfreiheit subventioniert. „Diese staatliche Begünstigung von Nebenjobs ist unnötig und sollte gestrichen werden“, sagt Weber, Forschungsdirektor des IAB. Geringverdiener durch die Förderung der Minijobs in die Mehrfachbeschäftigung zu treiben, sei sozialpolitisch kurzsichtig.
    „Momentan sorgt die staatliche Förderung dafür, dass die Menschen Anreize haben, Minijobs im Nebenjob anzunehmen, der außer etwas mehr Geld oft nichts bringt. Nötig ist, die Einkommensmöglichkeiten im Hauptberuf zu verbessern, zum Beispiel auch durch die Besserstellung von Geringverdienern bei Steuern und Abgaben“, sagt Weber.
    „Die Menschen sollten Anreize haben, im Hauptjob zu arbeiten, sich dort zu engagieren, die Arbeitszeit auszuweiten, sich beruflich zu entwickeln und eine Alterssicherung aufzubauen. Die Menschen im Nebenjob zu entlasten, setzt sie nur auf das falsche Gleis.“
    Quelle: Welt Online
  5. Mehr Sozialstaat wagen
    Willy Brandt wird heute wohl kaum zitiert werden, wenn die Jamaika-Partner zu ihren ersten Sondierungsgesprächen zusammenkommen. Was bedauerlich ist, denn der legendäre Satz des ersten SPD- Kanzlers der Bundesrepublik, “wir wollen mehr Demokratie wagen”, wäre auch eine gute Richtschnur für Union, FDP und Grüne. In Abwandlung der legendären Brandt’schen Worte aus dem Jahr 1969 muss die neue Regierung nämlich “mehr Sozialstaat wagen”.
    Denn hinter dem Land liegen gut zwei Jahrzehnte, in denen dieser Sozialstaat teilweise bis zur Unkenntlichkeit deformiert wurde. Und am Ende dieser gut 20 Jahre neoliberaler Reformwut sitzt nun eine rechtspopulistische Partei im Bundestag, die ihren Aufstieg nicht nur den Sorgen vor zu vielen Fremden im Land zu verdanken hat. Viele AfD-Wähler treibt auch die Angst um, in sozialen Notlagen nicht mehr vom Staat aufgefangen zu werden.
    Quelle: Nürnberger Nachrichten
  6. Ungleichheit, politisch gewollt
    Seit der Wiedervereinigung hat die Ungleichheit stark zugenommen. Das ist keine Folge ökonomischer Gesetzmäßigkeiten, sondern das Ergebnis politischer Rahmensetzungen.
    Weil die Arbeit immer anspruchsvoller wird, überbieten die Unternehmen sich gegenseitig, um gut ausgebildete Beschäftigte zu bekommen. Geringqualifizierte haben das Nachsehen und die Einkommensunterschiede nehmen zu. So erklären sich die meisten Wirtschaftswissenschaftler die Zunahme der Ungleichheit. Doch das ist wenig überzeugend, stellen Gerhard Bosch und Thorsten Kalina vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) fest. Nach ihrer Analyse kann der bereits seit den 1970er-Jahren abnehmende Umfang einfacher Arbeit nicht den gut zwei Jahrzehnte später einsetzenden Verfall der Stundenlöhne von Ungelernten erklären. Außerdem hätten die Verdienstunterschiede zwischen gleich Qualifizierten ebenfalls deutlich zugenommen, wie verschiedene Studien zeigen. Vor allem ignoriere die ökonomische Standardtheorie den Einfluss von veränderten Machtverhältnissen und Arbeitsmarktinstitutionen. Bosch und Kalina argumentieren, dass die Zunahme der Ungleichheit in erster Linie auf die Schwächung des Tarifsystems zurückgeht. Sie identifizieren sechs Faktoren, die dessen ausgleichende Funktion geschwächt haben:

    Quelle: Böckler Impuls

    dazu: „Wir verschenken Milliarden!“ – Ergebnisse der deutschen Teilstudie des Forschungsprojekts „Tax Justice & Poverty“
    Die deutsche Teilstudie wurde durchgeführt mit einem Schwerpunkt auf Bayern und Unterstützung der Bayerischen Staatsministerien für Finanzen, Inneres und Justiz. Nach Wissen des Verfassers ist dies die erste qualitativ-sozialwissenschaftliche Studie in Deutschland, deren Schwerpunkt sowohl erlaubte als auch inoffizielle Interviews unter Mitarbeitenden von Steuer- und Strafverfolgungsbehörden sind. Der Buchtitel geht beispielsweise zurück auf ein Gespräch mit einem bayerischen Finanzbeamten: Als dieser einer Umsatzsteuertrickserei in Höhe von etwa 1 Million Euro auf die Spur kam und die Abteilungsleitung bat, nähere Untersuchungen anstellen zu dürfen, wurde dies abgelehnt mit dem Hinweis auf die knappen Ressourcen der Abteilung: Eine Prüfung hätte etwa zur Folge, dass man mit der regulären Bearbeitung von Steuerfällen in Verzug käme. Dies kommentierte der Beamte mit dem Ausruf: „Das Geld liegt auf der Straße und wir dürfen es nicht aufheben. Wir verschenken Milliarden!“ Ein Einzelfall? Laut dem Bayerischen Obersten Rechnungshof entgehen allein Bayern pro Jahr „mindestens eine Milliarde Euro“ durch Umsatzsteuerbetrug (Jahresbericht 2011).
    Die Studie belegt zunächst bereits anderweitig bekannte Sachverhalte mit Daten des bayerischen Hintergrunds: Das Auseinanderdriften von Arm und Reich, das Unwissen der Behörden über das Ausmaß von Vermögen bei den Superreichen, die Überlastung von Steuerverwaltungen mit der Folge, dass die Prüfzyklen von Großbetrieben und Millionären immer länger werden sowie weitere Belege dafür, dass vieles davon politisch gewollt ist:
    Quelle: blog steuergerechtigkeit

  7. Cum-Ex-Skandal: Steuerräuber verklagen den Staat
    Gegen mehrere Beteiligte der Cum-Ex-Geschäfte laufen bereits Verfahren, es geht um Steuerbetrug. Trotzdem hat ein Fonds nun erneut auf Erstattung von Steuern geklagt.
    Ein US-Pensionsfonds, der in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt war, klagt gegen das Bundeszentralamt für Steuern. Das berichtet DIE ZEIT in ihrer aktuellen Ausgabe. Der Fonds namens KK Law Firm Retirement Plan Trust besteht auf einer Auszahlung von 28 Millionen Euro. Die Klage kommt zu einer Zeit, in der mittlerweile mehrere Staatsanwaltschaften wegen der Cum-Ex-Geschäfte ermitteln und gegen einige der Beteiligten bereits Anklage erhoben wurde.
    Bei den Cum-Ex-Geschäften ging es darum, eine Steuer, die man einmal bezahlt hat, doppelt oder noch öfter vom Staat zurückerstattet zu bekommen. KK Law hatte die Rückerstattung 2011 beantragt. Das Bundeszentralamt für Steuern zahlte die Millionen aber nicht mehr aus, weil es bereits den Verdacht hatte, es könnte sich um Betrug handeln. Zum ersten Mal landete der Fall dann in diesem Sommer vor dem Finanzgericht Köln. Die Richter verpflichteten das Bundeszentralamt für Steuern, einen Bescheid über den Antrag zu erlassen. Das tat das Amt. Die Forderung von KK Law wurde abgelehnt. Gegen diese Entscheidung klagt der Fonds nun wieder vor dem Finanzgericht Köln.
    Das Urteil, das frühestens Ende des Jahres erwartet wird, könnte Signalwirkung haben. Denn es gibt noch eine Reihe weiterer US-Pensionsfonds, denen das Bundeszentralamt ebenfalls kein Geld mehr ausgezahlt hat. Insgesamt geht es um mehrere Hundert Millionen Euro.
    Quelle: Zeit Online
  8. Air-Berlin-Pleite: Manager kassieren, Arbeitnehmer verlieren
    Hat Lufthansa die Übernahme großer Teile von Air Berlin mit Hilfe der Bundesregierung von langer Hand eingefädelt – ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze, Verbraucher und Steuerzahler?
    Diese Frage stellen Kritiker des größten deutschen Luftfahrt-Deals, der am vergangenen Donnerstag notariell besiegelt wurde. Frontal 21 hat zahlreiche Gespräche mit Beschäftigten von Air Berlin, Gewerkschaftern, Rechts- und Wirtschaftsexperten geführt. Das Fazit: Auf der Gewinnerseite stehen Aktionäre und erfolgsabhängig bezahlte Manager der Lufthansa. Verlierer sind Tausende Air Berlin-Mitarbeiter ohne Jobaussicht, Tausende Air-Berlin-Kunden mit wertlosen Flugtickets – und auch Steuerzahler, die für die sozialpolitischen Folgen aufkommen werden müssen.
    Quelle: Frontal 21
  9. BDI: Offensiv
    Schon vor einiger Zeit schrieb der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) egal welcher künftigen Koalition seine u.a. sicherheitspolitischen Präferenzen ins Stammbuch. „Handlungsempfehlungen der Deutschen Industrie für die 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages“ nennt sich das Pamphlet. Darin enthalten u.a. die Aufforderung, die Bundesregierung müsse „Cyberverteidigung auch militärisch offensiv führen.“ Auch die Waffenausfuhren müssten angekurbelt werden, schließlich sei der „Erhalt von Schlüsseltechnologien nur durch Export möglich.“
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.

    Anmerkung Christian Reimann: Es könnte der Eindruck entstehen, der BDI wolle “über Leichen gehen”, oder? Offenbar ist diesem Lobbyverband die Profit-Gier wichtiger als das Leben von Menschen. Oder glaubt die BDI-Mitarbeiterschaft, dass die exportierten Waffen nicht eingesetzt werden?

  10. Neues Anti-Terrorgesetz in Frankreich: Raus aus dem Ausnahmezustand
    Seit den Attentaten von 2015 herrscht in Frankreich der Ausnahmezustand. Ein neues Sicherheitsgesetz soll ab November an seine Stelle treten. Menschenrechtsorganisationen und Rechtsexperten warnen, dass die daraus resultierenden Befugnisse eine Gefahr für den Rechtsstaat darstellen könnten. […]
    “Der Gesetzestext über den Kampf gegen den Terrorismus und die innere Sicherheit, zielt darauf ab, Frankreich mit allen heute zur Verfügung stehenden Mitteln auszustatten, angesichts der terroristischen Bedrohung”, verteidigt Emmanuel Macron das neue Gesetz, das in den Augen seiner Fürsprecher eine Balance zwischen Sicherheit und Schutz der persönlichen Freiheiten bietet.
    Der Meinung ist Strafrechtsprofessorin Christine Lezerges, die die Regierung in Menschenrechtsfragen berät, allerdings ganz und gar nicht: “Man kann nicht sagen, dass dieses Gesetz ausgeglichen ist. Das Recht auf Sicherheit wiegt schwerer, als das Recht auf individuelle Freiheit und die Grundrechte. Dabei ist die Wirksamkeit dieser Maßnahmen nie bewiesen worden, seitdem der Ausnahmezustand in Frankreich ausgerufen worden ist.”
    Quelle: Deutschlandfunk
  11. Privatsache Visavergabe
    Deutschland verlagert die Ausgabe von Einreisegenehmigungen an Unternehmen. Die Risiken werden ignoriert. […]
    Los ging die Privatisierung der Visavergabe schon unter FDP-Außenminister Guido Westerwelle. Während seiner Amtszeit strich sein Ministerium erst Stellen in den Konsularabteilungen und lagerte dann die ersten Visaverfahren aus – unter anderem in der Türkei, Russland und China. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ließ das Personal wieder aufstocken; aber weil gleichzeitig auch die Zahl der Visumanträge stieg, ging das Outsourcing weiter – unter anderem in Tunesien, Marokko und Ägypten. Im Februar 2017 hat das Außenministerium dann Konzessionen für über ein Dutzend weiterer Länder ausgeschrieben, darunter Iran und Israel. Insgesamt soll die Zahl der ausgelagerten Konsularabteilungen von 18 auf 32 steigen. Im Moment laufen die Verhandlungen mit den Bietern.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Das ist alles unfassbar. Wie kann man so einen zentralen Bereich staatlichen Handelns privatisieren? Gibt es gar keine Grenzen mehr?

  12. Der halbe Schleyer
    Merkwürdig: Nach dem Mord an Hanns Martin Schleyer war dessen NS-Vergangenheit weitgehend tabu. Und das ist sie auch 40 Jahre danach. Es ist eine deutsche Geschichte, die der Schleyer-Biograph Lutz Hachmeister in seinem Buch aufgreift.
    Hachmeister will nicht dämonisieren. Er macht Schleyer nicht zum “letzten Kampfkommandanten von Prag” wie Bernt Engelmann, der für seinen Roman “Großes Verdienstkreuz” mit Stasi-Unterlagen gearbeitet hat. Er lässt ihn, den Verbandsfunktionär, nicht mit dem Reichsprotektor Reinhard Heydrich, dem “Henker von Prag”, jeden Tag im Auto durch die Stadt fahren. Für Hachmeister sind das “Wandersagen in der Linken”, für ihn gehört Schleyer zur “mittleren Elite des NS-Staates”. Und nach 1945 zu jenen, die bruchlos von einem System ins andere gewandert sind, als entnazifizierte “Mitläufer” und spätere Demokraten. […]
    Die RAF richtete ihn am 18. Oktober 1977 hin, am 43. Tag nach dem Kidnapping in Köln. Seine Hilferufe an Helmut Schmidt und Helmut Kohl waren vergeblich, der Staat war fest entschlossen, sich nicht von Terroristen erpressen zu lassen. Beim Staatsakt sagte Bundespräsident Walter Scheel, “alle deutschen Bürger” befänden sich in der Schuld des getöteten Wirtschaftsführers. Und schlagartig, bilanziert Hachmeister, hörten 1977 “alle ernst zu nehmenden Recherchen über die Biografie des vom Staat Geopferten auf”.
    40 Jahre danach – anlässlich der Ermordung Schleyers – wird auf Symposien, Gedenktagen und bei Preisverleihungen darüber geredet, wie das Vertrauen in den Rechtsstaat und in die soziale Marktwirtschaft gefördert werden kann. Hachmeister sagt, in Deutschland tue man sich immer noch schwer, das Irritierende solcher Biografien zu akzeptieren. In der öffentlichen Erinnerung werde Schleyers Leben “ganz vom Ende bestimmt”. Und deshalb machten solche Verbände eben “weiter wie gehabt”. Es sei denn, es wird wahr, was Südwestmetall-Sprecher Steinmaier gegenüber Kontext ankündigt: Stefan Wolf, sein Präsident, werde bei der Gedenkfeier auch die NS-Vergangenheit Schleyers erwähnen.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung
  13. Wie die SPD sich jetzt erneuern sollte
    Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt liegen bei der SPD meist nur ein paar Wochen, eine Parteitagsrede oder eine Forsa-Umfrage. Doch nach dem Sieg bei der Niedersachsen-Wahl gelang es den Großgenossen im Bund, den Ball erstaunlich flach zu halten, statt schon wieder vom Kanzleramt zu träumen. Einhellig verbreiteten sie, dass man nun das 20,5-Prozent-Ergebnis der Bundestagswahl sowie jene Defizite aufarbeiten werde, die dazu geführt haben.
    Man könnte glatt auf den Gedanken kommen, diesmal hätte die SPD den Schuss gehört – so viel ist von Erneuerung die Rede, personell, inhaltlich, organisatorisch. Tatsächlich aber machen die Genossen genauso weiter wie bisher. Nichts ist gut in der SPD.
    In welche Richtung es inhaltlich gehen soll, ist zwar noch nicht erkennbar, dafür ist das beim Personal umso klarer: Der Vorsitzende und Wahlverlierer Martin Schulz soll im Amt bleiben, obwohl es an der Parteispitze niemanden gibt, der ihm ernsthaft jene Impulse, Ideen und Anstöße zutraut, die es nun bräuchte. Der Kaiser ist, wenn nicht nackt, dann doch äußerst spärlich bekleidet – aber niemand sagt es.
    Quelle: Süddeutsche

    Anmerkung unseres Lesers H.K.: Eine Personalrochade zwischen marktgläubigen Rechtsauslegern als Lösung für die Probleme einer ehemaligen Programm-Partei SPD. Wie ideenlos ist das denn? Die SZ hat sich offensichtlich von jeglicher inhaltlicher Betrachtung von Parteien und Parlamentarismus befreit. Dass diese Abwesenheit von inhaltlichem Profil nicht funktioniert hat die SPD gerade im Wahlkampf erlebt. Erst kein Programm, dann ein spätes und schwaches Programm und am Ende 20 %. Die labour party hat gezeigt wie es anders, richtig und glaubwürdig geht.

    dazu: “Wir müssen wieder Mut zur Kapitalismuskritik fassen”
    Martin Schulz will die SPD neu aufstellen – und nach links rücken. Die Partei müsse “raus aus dem Kleinklein”, sagte er der ZEIT. Die Debatten müssten von ihr ausgehen.
    Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz setzt auf einen deutlichen Linkskurs, um die Krise seiner Partei zu überwinden. “Wir müssen wieder Mut zur Kapitalismuskritik fassen”, sagte Schulz in einem Interview mit der ZEIT.Die Unterwerfung der Sozialdemokratie unter die These, es gehe nicht mehr um das System, sondern nur noch um die Verteilung der Effekte im System, sei falsch gewesen.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung JK: Das fällt Schulz jetzt nach der Bundestagswahl ein. Vor allem Schulz war immer ein Apologet der Agenda 2010. Wer soll ihm das glauben?

    dazu auch: Gerangel um die ersten Posten
    Noch bevor der Bundestag zu seiner ersten Sitzung zusammenkommt, beginnt das Postengeschacher. Ein heftiges Gerangel gibt es um die Posten der Bundestagsvizepräsidenten. Altgediente Parteisoldaten wollen versorgt werden. […]
    Am Montag, so hieß es in der Unionsfraktion, habe die neue SPD-Fraktionsführung um Andrea Nahles bei Volker Kauder angerufen. Dem bisherigen Fraktionschef Thomas Oppermann sei SPD-intern der Posten als stellvertretender Bundestagspräsident versprochen worden, wenn er seinen Chefsessel in der Fraktion räumt. Es geht um Extra-Gehalt, Dienstwagen und Privilegien. Allerdings, so verlautete aus der SPD-Fraktion, gäbe es Widerstand von den Frauen. Schließlich hätte das Bundestagspräsidium zuletzt mit Ulla Schmidt und Edelgard Bulmahn zwei Genossinnen in ihren Reihen gehabt. Bulmahn gehört nicht mehr dem Bundestag an, wohl aber Schmidt. Daher die Frage an Kauder: Ob die SPD nicht weiterhin zwei Präsidiumsmitglieder stellen dürfe?
    „Wir wollen eine Kampfabstimmung vermeiden“, sei Kauder von der SPD erklärt worden. Die CDU könne doch auch dann auch weiter zwei Mitglieder im Präsidium stellen. Kauder habe abgelehnt mit dem Hinweis, dass zum einen die künftigen Koalitionspartner ebenso zu entscheiden hätten. Zum anderen bestehe kein Grund, der SPD einen Gefallen zu tun, da die Genossen sich Gesprächen für eine Koalition verweigert hätten. Dies erhöht bei der Union mangels Alternative den Druck, eine Koalition mit FDP und Grünen zum Erfolg zu führen.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung André Tautenhahn: Die große Erneuerung der SPD beginnt. Man tritt zurück, um den Posten des anderen zu übernehmen. Außerdem scheint man noch nicht ganz in der Opposition angekommen. Das Bundeskabinett, in dem immer noch SPD-Minister sitzen, verabschiedete am Mittwoch die Mandatsverlängerungen von mal eben sieben Bundeswehreinsätzen. Dabei kündigte Andrea Nahles einen Tag vorher noch an, dass es keine „Carte blanche“ bei der Verlängerung von Bundeswehrmandaten geben dürfe.

  14. Thesen zu den politischen Schwerpunkten der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
    14 Thesen zur strategischen Ausrichtung der Fraktion DIE LINKE:
    Die soziale Opposition im Bundestag
    Quelle: Die Linke im Bundestag
  15. Wieder mal durchgemogelt
    Sahra Wagenknecht hat eine ungute Macht über die Partei. Damit sie als Fraktionschefin bleibt, werden überfällige Debatten unterdrückt.[…]
    Wagenknechts Motto „Basisdemokratie finde ich vor allem dann gut, wenn sie meinen Interessen dient“, mag durchaus menschlich sein. Aber für eine Fraktionsführerin im Bundestag, die die parlamentarische Willensbildung mit organisieren soll, ist es fatal. Wie soll die Linkspartei künftig glaubhaft Versuchen von rechts entgegentreten, die Demokratie für nationale Interessen zu kapern, wenn die innerparteiliche Demokratie nach Gusto der Fraktionsführung eingeschränkt wird? Nichts anderes macht doch Wagenknecht, wenn sie mündige Abgeordnete unter Druck setzt und im Falle „falscher“ Entscheidungen mit Rücktritt droht.
    Quelle: taz

    Anmerkung Jens Berger: Dieser Kommentar ist wirklich infam und dreht die Fakten teilweise um 180°. Ein Beispiel unter vielen – taz-Redakteurin Lehmann beklagt wortreich, dass der jetzige Kompromiss die die „innerparteiliche Demokratie nach Gusto der Fraktionsführung einschränken“ wird. Dabei war es doch der umstrittene Antrag der Parteiführung, der vorsah Abgeordneten, die nicht die Mehrheitsmeinung der Partei vertreten, kein Rederecht im Bundestag einzuräumen. Dies exakt umzudrehen, um gegen die Fraktionsspitzen Wagenknecht und Bartsch zu stänkern, ist schon ein dreistes Stück.

  16. Zu guter Letzt: Ratgeber: Alles, was Sie jetzt über die Jamaika-Sondierungsgespräche wissen müssen
    Union, FDP und Grüne beginnen heute rund dreieinhalb Wochen nach der Wahl mit ihren Sondierungsgesprächen zur Bildung der nächsten Regierung. Da wir wissen, dass es um die Bildung unserer Leser oftmals eher schlecht bestellt ist, beantworten wir hier die wichtigsten Fragen zu den Verhandlungen: […]
    Wo finden die Sondierungsgespräche statt?
    Zum Auftakt der Verhandlungen traf man sich in der Küche von Angela Merkels Wohnung in Berlin-Mitte. Da die Grünen allerdings aus Platzmangel im Flur stehen mussten und die einzige Knabberbox schon nach zwanzig Minuten leer war, sollen die Gespräche künftig an einem anderen Ort stattfinden, über den erst noch in Sondierungsgesprächsortsfindungsgesprächen verhandelt werden muss. […]
    Und nach einer gelungenen Sondierung haben wir eine neue Regierung?
    Wo denken Sie hin! Nach der Sondierung kommen die Postsondierungsgespräche, dann die Koalitionsverhandlungen, dann die Erstellung des Koalitionsvertrags, dann ein gemeinsamer Zoobesuch mit Besichtigung des Koala-Geheges, dann die Erstellung des Regierungsprogrammes und erst dann endlich die Bundestagswahl 2021.
    Quelle: Der Postillon