Poltergeist(er) in Pyeongchang

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Kurz vor und während der Olympischen Winterspiele befinden sich beide Korea wieder auf der Suche nach neuen Freundbildern – sehr zum Verdruss Washingtons und Tokios, deren martialische Töne als arrogant und Spielverderberei wahrgenommen werden. Rainer Werning zieht für die NachDenkSeiten eine kritische Halbzeitbilanz der Olympischen Winterspiele.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wie sich die Zeiten ändern! Als Ausrichter der 24. Olympischen Sommerspiele 1988 in Südkoreas Hauptstadt Seoul führten noch knallharte Militärs um den damaligen Präsidenten Roh Tae-Woo (1988-1993) das Zepter und sorgten in politisch turbulenten Zeiten mit ihrer Choreographie immerhin für reibungslose Spiele. Genau drei Jahrzehnte später hatte es den Anschein, als ob die 23. Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang aufgrund der prekären Sicherheitslage auf der koreanischen Halbinsel gefährdet seien, wenngleich mit Moon Jae-In seit Sommer vergangenen Jahres ein gesitteter Zivilist in Seouls Blauem Haus (dem südkoreanischen Pendant zum Weißen Haus in Washington) residiert, der eine „Sonnenscheinpolitik“ vis-à-vis Nordkorea befürwortet.

Ungeachtet wiederholter Drohungen von US-Präsident Donald Trump, dem Regime in Pjöngjang mit nie dagewesenem „Feuer und Zorn“ den Garaus zu machen und den „Raketenmann“ Kim Jong-Un in den politischen Orkus zu befördern, hielt die Regierung der Volksrepublik an ihrem ambitionierten Nuklearprogramm fest und ließ bis Anfang Dezember mehrere (darunter auch Langstrecken-)Raketen ins All feuern. Auf diese Weise unterstrich sie, dass man trotz internationaler Sanktionen und Drohgebärden aus Washington den Status einer neunten Atommacht als „effektive Selbstverteidigung“ anstrebt. Nur so sei gemäß dem Kalkül der Machthaber in Pjöngjang gewährleistet, sich angemessen gegen einen von Washington angestrebten gewaltsamen „Regimewechsel“ à la Irak 2003 und Libyen 2011 und nukleare Erpressung zu wappnen.

Neuerliche Nord-Süd-Annäherung

Aller schrillen Kriegsrhetorik zum Trotz läutete der Jahreswechsel dann eine bemerkenswerte Ära der Entspannung ein, die das Potenzial hat, nach 1972, 1991/92 und 2000 den vierten Anlauf einer innerkoreanischen Annäherung zu markieren. Möglich wurde das nicht zuletzt durch den international viel geschmähten nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-Un. Der nämlich hatte – diesmal in hellem Anzug mit passender Krawatte gekleidet – mit seiner Neujahrsansprache die Tür für einen erneuten Nord-Süd-Dialog unerwartet weit aufgestoßen, als er u.a. verkündete, mit eigenen Sportlern an den Olympischen Winterspielen teilzunehmen und als Goodwill-Geste zudem Musiker und Künstler sowie eine politisch hochrangige Delegation in den Süden zu entsenden.

Und siehe da – als das geschah denn auch! Trotz bestehender harscher Sanktionsmaßnahmen entsandte Pjöngjang annähernd 500 eigene Sportler, Cheerleader, Orchestermusiker, Beobachter und Medienvertreter nach Südkorea – darunter auch erstmalig ein Familienmitglied der Kim-Dynastie. So war es denn Kim Yo-Jong, eine Schwester des Machthabers in Pjöngjang, die immense mediale Aufmerksamkeit erheischte und zusammen mit ihrem Gastgeber, Südkoreas Präsident Moon Jae-In, auf der Ehrentribune während der offiziellen Eröffnungsfeierlichkeiten in Pyeongchang Platz nahm und weitaus mehr beachtet wurde als die unweit platzierten Vertreter aus den USA und Japan, Vizepräsident Mike Pence und Ministerpräsident Shinzo Abe.

Begleitet wurde Frau Kim überdies von Nordkoreas nominellem Staatsoberhaupt Kim Yong-Nam, der dem Großvater ihres Bruders, dem Staatsgründer und Staatschef Kim Il-Sung, lange Zeit treu gedient hatte. Als Kim Il-Sung im Sommer 1994 verstarb, blieb der Posten des Präsidenten, des Staatsoberhauptes also, unbesetzt. Im Jahre 1998 entschied sodann das nordkoreanische Parlament, die Oberste Volksversammlung (OVV), im Zuge einer Verfassungsänderung, dass der Posten des Staatsoberhaupts auch künftig vakant bleiben und Kim Il-Sung als „ewiger Präsident“ Nordkoreas gelten soll. Faktisch wurde somit dieses vormals höchste Staatsamt abgeschafft, während es fortan zu den Pflichten des Vorsitzenden des Präsidiums der OVV zählt, bei repräsentativen Verpflichtungen und öffentlichen Empfängen als Staatsoberhaupt zu fungieren. Eben diesen Posten bekleidet Kim Yong-Nam, der nach langjähriger Mitarbeit in der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der herrschenden Partei der Arbeit Koreas (PdAK) auch Außenminister seines Landes war.

Nach der Rückkehr des Kim-Tandems in Pjöngjang zeigte sich Kim Jong-Un hocherfreut über das Ergebnis dieser Stippvisite im Süden. Nach Angaben der amtlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA lobte Kim Jong-Un ausdrücklich das „warmherzige Klima der Versöhnung und des Dialogs“ und betonte, dieser müsse unbedingt fortgesetzt werden. Entsprechend hatte er seiner Schwester ein Einladungsschreiben zu einem Pjöngjang- Besuch für Südkoreas Präsidenten mitgegeben. Für Moon Jae-In war dies eine Steilvorlage, um innenpolitisch zu punkten und sich größeren Manövrierspielraum vis-à-vis Washington zu verschaffen. Zwischenzeitlich hat Moon u.a. seinen 51-jährigen Stabschef Im Jong-Seok damit betraut, für die Fortsetzung des jetzigen innerkoreanischen Dialogs zu sorgen und entsprechend das Momentum zu wahren. Eine außergewöhnliche Geste des Präsidenten; Im war in den 1980er Jahren ein exponierter Studentenführer, der südkoreanischen Sicherheitsbehörden als „pro-nordkoreanisch“ galt und wegen seiner linken Gesinnung eine mehrjährige Haftstrafe verbüßen musste.

Vormaliger Interessenabgleich zwischen Washington und Pjöngjang – ein notwendiger Rückblick

All das waren und sind bislang hervorragende Entwicklungen, die es doch eigentlich im Sinne der Konfliktdeeskalation auf der Halbinsel allseitig zu unterstützen gilt. Sie stehen auch in der Tradition einer Entspannungspolitik, die vielverheißend hätte verlaufen können, wären da nicht so häufig und emsig in der Vergangenheit verlogene Apologeten in Erscheinung getreten, um einzig und allein den Interessen eines militärisch-industriellen sowie nationalen Sicherheitskomplexes zu dienen. Zumindest lohnt hier ein kurzer Rückblick auf die Jahrtausendwende. Um zu demonstrieren, wie man schon damals all jene Probleme auf der koreanischen Halbinsel hätte politisch-diplomatisch lösen können, mit denen man – leider – heute noch immer konfrontiert ist.

William J. Perry, von 1994 bis 1997 US-Verteidigungsminister, war als Sonderemissär von US-Präsident Bill Clinton im Rahmen einer intensiven Ostasien-Shuttle-Diplomatie damit betraut worden, gegen Ende der Clinton-Ära Richtlinien künftiger US-amerikanischer Nordkoreapolitik zu entwerfen. In seinem am 12. Oktober 1999 veröffentlichten Report gelangte Perry zu dem Ergebnis, dass entgegen früheren Annahmen in den USA nicht davon auszugehen sei, Nordkorea drohe kurz- bis mittelfristig der Zusammenbruch. Ausdrücklich befürwortete Perry die „Sonnenschein-“beziehungsweise Nordpolitik Kim Dae-Jungs und erreichte immerhin Nordkoreas Verzicht auf weitere Raketentests, woraufhin Washington im Gegenzug Wirtschaftssanktionen lockerte und sich für die Aufstockung von Hilfslieferungen an die Volksrepublik einsetzte. [1]

Der an der Universität Chicago lehrende Historiker und Koreaexperte Bruce Cumings merkte dazu an:

„Die sechsmonatige Arbeit (Perrys und seiner Kollegen – RW) schloss mit der Empfehlung, die Verhandlungen mit Pjöngjang zu intensivieren. Der Neuansatz mündete in ein vorläufiges Abkommen über die nordkoreanischen Raketen, das den Vereinigten Staaten wie der gesamten asiatisch-pazifischen Region große Vorteile brachte. Damals schien Nordkorea bereit, die Produktion, Stationierung und Ausfuhr aller Raketen mit einer Reichweite von über 500 Kilometern einzustellen. In beiden strategischen Fragen – in der Atompolitik und bei den ballistischen Raketen – schien man einer Vereinbarung näher zu kommen.“ [2]

Architekt der erwähnten „Sonnenscheinpolitik“ war Südkoreas früherer Staatschef Kim Dae-Jung (1998-2003), der dafür im Dezember 2000 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Am 13. Juni 2000 war eben dieser Kim Dae-Jung zum ersten innerkoreanischen Gipfel seit der Gründung beider Länder im Jahre 1948 von Kim Jong-Il (dem Vater des jetzigen Machthabers Kim Jong-Un) in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang per Handschlag freundschaftlich empfangen worden. Beide Staatschefs unterzeichneten zwei Tage später eine historische „Nord-Süd-Erklärung“, wodurch u.a. Familienzusammenführungen, der Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen sowie regelmäßige Treffen der Verteidigungsminister und schließlich die gemeinsame Teilnahme ihrer Sportteams an den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen in Sydney vereinbart wurden. Ein veritabler Durchbruch, der seinerzeit auch seitens der EU und Washingtons ausdrücklich begrüßt wurde. [3]

Die Früchte dieser weitgehenden Avancen und Arrangements schienen im Folgejahr voll aufzugehen. Für Pjöngjang war es zweifellos ein Höhepunkt seiner Außenpolitik und Diplomatie, als Vizemarschall Jo Myong-Rok (damals die Nummer 2 der nordkoreanischen Nomenklatur) am Morgen des 11. Oktober 2000 im Oval Office des Weißen Hauses von einem gutgelaunten US-Präsidenten Bill Clinton per Handschlag als Gast willkommen geheißen wurde. [4] Kurz darauf, am 23./24. Oktober 2000, weilte im Gegenzug US-Außenministerin Madeleine Albright in Pjöngjang. Es waren dies wahrlich historisch zu nennende Begegnungen; niemals zuvor hatten sich solch hochrangige Vertreter beider Regierungen getroffen! Ja, unmittelbar nach Albrights Stippvisite in Pjöngjang liefen dort die protokollarischen Vorbereitungen auf Hochtouren, um zum Jahreswechsel 2000/2001 Präsident Clinton höchstpersönlich in der Volksrepublik zu empfangen.

Backlash unter Bush

Was also zu Beginn des Jahres 2001 vielversprechend auf einen behutsamen, kontinuierlichen Entspannungsprozess auf der koreanischen Halbinsel hindeutete, wurde mit dem Amtsantritt George W. Bushs abrupt beiseite geschoben. Selten ist ein Staatsgast, dazu noch ein gerade erst mit dem Friedensnobelpreis geehrtes Staatsoberhaupt, dermaßen brüskiert worden, wie das Anfang März 2001 Kim Dae-Jung widerfuhr. Anlässlich dieses ersten Staatsbesuchs eines asiatischen Regierungschefs beim neuen republikanischen Chef im Weißen Haus nannte Präsident Bush Nordkorea am 7. März 2001 ohne Umschweife einen „Bedrohungsfaktor in Ostasien“, mit dem weitere Gespräche ausgesetzt und erst nach einer kompletten Neubestimmung der US-amerikanischen Asienpolitik wieder aufgenommen würden. [5]

Als Bush überdies den innerkoreanischen Dialog in Zweifel zog und signalisierte, die USA würden dessen Unterstützung einstellen, ließ das den südkoreanischen Staatsgast als naiven Eiferer und seine Entourage wie begossene Pudel dastehen. Noch einen Tag zuvor (am 6. März) hatte der neue Außenminister Colin Powell den noch zuversichtlichen Gästen aus Seoul versichert, sein Land werde die „vielversprechenden Elemente“ der Nordkorea-Politik seines Vorgängers weiterführen und da anknüpfen, wo die Clinton-Administration aufgehört habe. Stattdessen schlug die US-Regierung mit Blick auf Nordkorea eine Tür zu, für deren Öffnung es eines sensiblen und stetigen politisch-diplomatischen Engagements bedurft hatte. Schlimmer noch: Gerade ein Jahr im Amt, brandmarkte der US-Präsident die Volksrepublik nebst Irak und Iran international als Teil (s)einer ominösen „Achse des Bösen“, die es zu zertrümmern galt.

Alles nur „Propagandabluff“ und „Charmeoffensive“?

Kurz bevor sich US-Vizepräsident Mike Pence und Japans Ministerpräsident Shinzo Abe auf den Weg gen Pyeongchang machten, um dort auch an der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele teilzunehmen, hatte Pence während einer Pressekonferenz am 7. Februar in Tokio erklärt, dass die Trump-Regierung bald „die härteste und aggressivste Runde wirtschaftlicher Sanktionen gegen Nordkorea” einläuten würde, um die Volksrepublik dazu zu zwingen, „total abzurüsten, ihre Nuklearwaffen zu verschrotten sowie ihr ballistisches Raketenprogramm einzufrieren.” Um dann noch hinzuzufügen, er werde der nordkoreanischen Propaganda nicht erlauben, die Botschaft und Bilder der Olympischen Spiele zu kapern. Ins selbe Horn stieß auch Abe, der Pjöngjang seinerseits vorwarf, die Spiele lediglich als „Charmeoffensive” zu missbrauchen.

In der koreanischen Öffentlichkeit kamen diese Attacken überwiegend gar nicht gut an. Vor allem Vizepräsident Pence habe sich, so zahlreiche südkoreanische Kommentatoren, als „Spielverderber“ erwiesen und wenig staatsmännische Größe demonstriert, als er anlässlich von Festbanketts vorzeitig aufbrach und es tunlichst vermied, die nordkoreanischen Staatsgäste wenigstens mit einem kurzen Handschlag zu begrüßen. Ein schlechter Stil eines so hochrangigen Vertreters der selbsterklärten „Schutzmacht“ Südkoreas, hieß es denn auch in einem Kommentar in einer der beiden großen englischsprachigen Tageszeitungen des Landes. [6]

Was den Gründer und Präsidenten der US-amerikanischen Future of Freedom Foundation, Jacob G. Hornberger, dazu verleitete, zwei Tage vor Beginn der offiziellen Eröffnung der Olympischen Winterspiele in seinem Blog sec anzumerken:

„Das Beste, was dem amerikanischen Volk und der Bevölkerung in Korea, sowohl im Norden als auch im Süden, passieren könnte, bestünde darin, dass hochrangige US-Politiker, einschließlich (Vizepräsident Mike – RW) Pence, während der Winterspiele zuhause blieben, die in Südkorea stationierten (annähernd 30.000 GIs zählenden – RW) US-Truppen nach Hause holten und sie ausmusterten. Es ist der US-Interventionismus in Korea, der die eigentliche Ursache der Probleme im dortigen Teil der Welt bildet.” [7]


Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist mit den Schwerpunkten Ost- und Südostasien, befasst sich seit Ende der 1960er Jahre intensiv mit den Regionen. Er ist u.a. Koautor des in diesen Tagen in der Edition Berolina (Berlin) erscheinenden Buches „Brennpunkt Nordkorea“.


[«1] „Review of United States Policy Toward North Korea: Findings and Recommendations”. Unclassified Report by Dr. William J. Perry, U.S. North Korea Policy Coordinator and Special Advisor to the President and the Secretary of State, Washington, DC, October 12, 1999, 11 S.

[«2] Bruce Cumings: „Kehrtwende in den USA: Washingtons Spannungspolitik in Ostasien“, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausg.), Berlin/Zürich: Mai 2001, S. 5.

[«3] „Unterstützung von allen Seiten für Kim Dae-jung“ in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21. Oktober 2000. – Siehe auch: Hanns W. Maull & Dirk Nabers (Hg.): „Multilateralismus in Ostasien-Pazifik: Probleme und Herausforderungen im neuen Jahrhundert“, Hamburg: Institut für Asienkunde, 2001

[«4] Mike Chinoy: „Meltdown: The Inside Story of the North Korean Nuclear Crisis”, New York: St. Martin’s Press, 2009

[«5] Brian Knowlton: „Bush Tells Korean He Distrusts North“ in: International Herald Tribune (Washington/Paris) v. 8. März 2001

[«6] Lyman McLallen: „Pence could have done better”, in: The Korea Times (Seoul) v. 10. Februar 2018

[«7] Jacob G. Hornberger: „Hating the North Korean Reds”, 7. Februar 2018