Norman Paech: Die Militarisierung der EU

Norman Paech
Ein Artikel von Norman Paech

Der Autor schreibt an die NachDenkSeiten: „Etwas abseits der gegenwärtigen Aufgeregtheiten biete ich den Nachdenkseiten einen Beitrag an, den ich in kürzerer Form auf einem Symposium in Erinnerung meines Kollegen Herbert Schui an der HWP in Hamburg im Dezember vergangenen Jahres über ‚Die Militarisierung der EU‘ gehalten habe. Das ist ein Thema, welches in der ganzen Diskussion um die EU in der vergangenen Zeit keine Rolle gespielt hat. Es gibt einige Spezialstudien von IMI und der Linksfraktion, doch ohne Resonanz. Auch jetzt stößt es zumeist auf Unkenntnis und ungläubiges Erstaunen.“ – Soweit der Autor Norman Paech. Hier ist sein empörender Text. Albrecht Müller.

Norman Paech zur Militarisierung der EU

Europa wird in den politischen Reden immer noch als Sehnsuchtsort einer besseren Zukunft gehandelt, als historisch notwendiger und letztlich geglückter Fort-Schritt auf eine höhere Stufe gesellschaftlicher Entwicklung. Dabei spielen die durchaus nachweisbaren Erfolge der europäischen Integration auf ökonomischer und politischer sowie kultureller Ebene eine wichtige Rolle. Die Europäische Union wird als Wirtschafts- und politische Union wahrgenommen, nicht aber als „Verteidigungsunion“, wie sie Ministerin Ursula von der Leyen jüngst nannte. Und wer von der „Militarisierung“ der EU spricht, stößt zumeist auf Unverständnis oder wird der Provokation bezichtigt. Wer aber von der Krise der EU spricht, darf diese nicht nur an dem unbestreitbaren demokratischen Defizit, dem bürokratischen Aufwuchs der Exekutive, dem neoliberalen Grundkonsens der Kommission und der Bürgerferne der Institutionen festmachen. Er muss auch von der zunehmenden Militarisierung der EU trotz und neben der NATO sprechen.

  1. Von den unbemerkten Anfängen…

    Dies begann praktisch schon 1999, als auf den Ratsgipfeln in Köln und Helsinki im Rahmen der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) die Aufstellung einer EU-Interventionstruppe, die European Rapid Reaction Force, beschlossen wurde. Das machte für die Einsatz- und Kriegsplanung die Einrichtung u.a. eines Militärausschusses notwendig, die 2000 erfolgte, und den Entwurf einer „Europäischen Sicherheitsstrategie“, die 2003 verabschiedet wurde. 2004 wurden die sog. Battlegroups beschlossen und die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) eingerichtet. Sie soll sog. Fähigkeitslücken identifizieren, die eine effektive Kriegsführung behindern, und Rüstungsprojekte EU-weit anregen und entwerfen.

    Parallel zu diesem Aufbau militärischer Fähigkeiten erfolgte die Expansion der EU vor allem nach Osten, welche die Anzahl der Mitgliedstaaten von 15 auf jetzt 28 ansteigen ließ. Seit 2004 wurde mit der „Europäischen Nachbarschaftspolitik“ der Einfluss der EU auf 15 Länder von Nordafrika bis zum Kaukasus ausgedehnt. Mittels sog. Assoziationsabkommen werden die Staaten einer neoliberalen Renovierung unterzogen und der europäischen Wirtschaftszone ohne Beitrittsangebot angegliedert. Nachbarschaftspolitik bedeutet allerdings weitaus mehr als nur ökonomische Beteiligung. Mit ihr ist der Anspruch der EU als Ordnungsmacht mit militärischen Befugnissen verbunden. Was der damalige Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen auf der Sicherheitskonferenz in München 2017 mit der gestiegenen Verantwortung der Bundesrepublik in den Konflikten der Welt meinten, hatte die ehemalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bereits 2013 deutlicher formuliert, nämlich „dass Europa mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die seiner Nachbarschaft übernehmen muss…Die Union muss in der Lage sein, als Sicherheitsgarant – mit Partnern so möglich, autonom wenn nötig – in ihrer Nachbarschaft entschieden zu handeln, dies schließt direkte Interventionen ein. Strategische Autonomie muss sich zuerst in der Nachbarschaft der Europäischen Union materialisieren.“[1]

    Obwohl das ganze Projekt etwas ins Stocken geriet, als Franzosen und Niederländer den 2003 verabschiedeten EU-Verfassungsvertrag in ihren Referenden 2005 scheitern ließen, hat die Bundeswehr ihre Soldaten in 12 Militäreinsätze von Mazedonien bis in die Zentralafrikanische Republik entsandt. Hinzu kommen sog. Ertüchtigungsinitiativen der Ausbildung und des Trainings in Irak, Jordanien, Tunesien, Mali und Nigeria. Sie werden überwiegend als Maßnahmen der Entwicklungshilfe aus dem Entwicklungshilfe-Haushalt finanziert. Das Finanzierungsverbot des Art. 41 II EU-Vertrag wird so umgangen unter Berufung auf die „Armutsbekämpfung“, die gem. Art. 208 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV), „ein Hauptziel in diesem Bereich (Entwicklungszusammenarbeit)„ sein soll. Militärausbildung als Armutsbekämpfung – für Juristen kein Argumentationsproblem. Um den Rüstungshaushalt zu entlasten, werden auch andere Maßnahmen mit militärischer Bedeutung aus dem EU-Budget finanziert. So etwa aus dem Stabilitätsinstrument (bis 2020 2,33 Mrd. Euro) oder aus dem Forschungsetat (bis 2020 ca. 2 Mrd. Euro). Aus ihm wird z.B. die Entwicklung von Drohnen mitfinanziert, und aus dem Agrarhaushalt sollen bis 2020 rund 11,3 Mrd. Euro zur Finanzierung der Satellitensysteme Galileo/Kopernikus, die auch militärisch genutzt werden sollen, fließen. Die „African Peace Facility“ erhält so seit 2004 1,9 Mrd. Euro aus dem „Europäischen Entwicklungsfonds“ nicht etwa für zivile Entwicklungs- und Friedensprojekte, sondern für den Aufbau afrikanischer Interventionstruppen und die Militäreinsätze der AU. Im September 2016 hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker seinen Vorschlag für einen „Europäischen Verteidigungsfonds“ mit den Worten angekündigt: „Europa muss Härte zeigen. Dies gilt vor allem in unserer Verteidigungspolitik. Eine starke europäische Verteidigung braucht eine innovative europäische Rüstungspolitik. Deshalb werden wir noch vor Jahresende einen Europäischen Verteidigungsfonds vorschlagen, der unserer Forschung und Innovation einen kräftigen Schub verleiht.“

  2. … zu den Verpflichtungen des Lissabon-Vertrages.

    Was 2003 mit der EU-Verfassung nicht gelang, wurde 2009 mit dem Lissabon-Vertrag nachgeholt. Hier sind jetzt im Abschnitt 2 „Bestimmungen über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ in weitgehend identischem Wortlaut mit dem gescheiterten Vertrag jene Ziele und Vorhaben festgeschrieben, die den weiteren Ausbau der militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten garantieren. So heißt es in Art. 42 EUV: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Im Protokoll 10 des Vertrages wird präzisiert, was das bedeutet: die Verteidigungsfähigkeit ausbauen und sich an den wichtigsten europäischen Rüstungsprogrammen zu beteiligen, die sog. Battlegroups aufstellen und gegebenenfalls Truppen in Kriegseinsätze der EU entsenden.

    Zwei sehr unterschiedliche Ereignisse in den Folgejahren gaben dem Militärprojekt neuen Schub. Der Krieg gegen Libyen 2011, in dem die USA den Europäern die Führung überließen, offenbarte, dass Großbritannien und Frankreich als Repräsentanten der NATO allein nicht in der Lage waren, die komplexen Aufgaben und Anforderungen einer solchen Militärintervention, die weit über den vom Sicherheitsrat in seiner Resolution 1973 gesetzten Rahmen hinausging, zu bewältigen. Sodann wurde mit der Austrittsentscheidung Großbritanniens aus der EU auch offen ausgesprochen, dass die Engländer über viele Jahre hinweg die Militarisierung der EU blockiert hatten – ganz offensichtlich im Interesse der USA, die auf die NATO setzten. Verteidigungsministerin von der Leyen fiel ein Stein vom Herz: „Wir haben lange Rücksicht nehmen müssen auf Großbritannien, weil Großbritannien konsequent diese Themen nicht wollte.“[2]

    Unmittelbar danach im Juni 2016 nahm der EU-Rat eine neue EU-Globalstrategie an, die die bisherige Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 ersetzte. Ihr Rahmen ist in der Tat jetzt global definiert und hat mit der klassischen Verteidigung, wie sie noch im Grundgesetz und NATO-Vertrag verankert ist, nichts mehr zu tun: „Die EU wird zur weltweiten maritimen Sicherheit beitragen und dabei auf ihre Erfahrungen im Indischen Ocean und im Mittelmeer zurückgreifen und die Möglichkeiten für den Golf von Guinea, das Südchinesische Meer und die Straße von Malakka prüfen.“[3] Mit seinem „Implementierungsplan zur Sicherheit und Verteidigung“ konkretisierte der Rat seine Vorstellungen davon, wie diese Globalstrategie umgesetzt werden sollte: durch eine generelle Erhöhung der Militärkapazitäten. Dazu war es notwendig, die Rüstungsforschung mit 500 Mio. € zu forcieren und die Beschaffung von Rüstungsgütern mit 5 Mrd. € anzukurbeln. Notwendig waren diese Maßnahmen deswegen, weil der EU-Vertrag die Verwendung von EU-Geldern für Militärausgaben untersagt.

  3. Die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ – PESCO

    Eine der Strukturentscheidungen, die Großbritannien immer blockiert hatte, ist die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ). Sie war schon im Lissabon-Vertrag von 2009 vorgesehen und Jean-Claude Juncker hatte auf ihre Realisierung gedrängt. Denn mit ihr hätte das Konsensprinzip durchbrochen werden können. Wichtige Teile der Militärpolitik, wie die Beteiligung an Militäreinsätzen und an den relevanten Rüstungsprojekten, würden dann durch eine kleine Gruppe mit Mehrheitsentscheidung schneller und effizienter erledigt werden. Diesem immer umstrittenen „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ ist man nun im November 2017 zumindest im Bereich „Sicherheit und Verteidigung“ mit der Unterschrift (Notifizierung) von 23 der 28 EU-Staaten unter ein Dokument zur engeren militärischen Kooperation mit dem Kürzel PESCO (Permanent Structured Cooperation)[4] näher gekommen. Damit möchte man der Union mehr „strategische Autonomie“ verschaffen, was vor allem militärische Unabhängigkeit von und Selbständigkeit gegenüber den USA heißt. Das Dokument formuliert 20 konkrete Teilnahmebedingungen wie die regelmäßige Erhöhung der Verteidigungsausgaben, die Beteiligung an gemeinsamen Rüstungsprojekten, die Bereitstellung von Soldaten für die Krisenreaktionskräfte etc. Alle Mitglieder haben über die Realisierung dieser Bedingungen und ihren genauen Beitrag zur engeren Kooperation einen Plan vorzulegen. Er soll regelmäßig überprüft werden. Das ist zwar noch nicht die von Ursula von der Leyen anvisierte „Sicherheits- und Verteidigungsunion“ mit einer eigenen Europa-Armee, aber der Weg ist vorgezeichnet.

    Auch dieses Dokument ist wiederum ohne Mitwirkung der jeweiligen Parlamente von den Exekutiven erarbeitet und verabschiedet worden – ein weiteres Beispiel des bedenklichen Demokratiedefizits in der EU. Aber ebenso wie seinerzeit die Klage gegen die Entscheidung der NATO-Staatschefs im April 1999, die NATO von einem Verteidigungs- in ein Interventionsbündnis umzuwandeln, vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 22. November 2001 verworfen worden ist, würde auch eine Klage gegen PESCO dort keine Chance haben. Denn das Bundesverfassungsgericht hielt die Umwandlung der NATO, für die die Beteiligung des Bundestages mit der Klage eingefordert wurde, lediglich für eine Erweiterung des Aufgabengebietes im Rahmen des NATO-Vertrages. Im Wortlaut: „Zwar enthält das Konzept 1999 die im Ursprungsvertrag nicht implizierte Erweiterung auf Krisenreaktionseinsätze außerhalb des Bündnisgebiets. Hier ist das Konzept 1999 gegenüber dem NATO-Konzept von 1991 wesentlich verändert worden… Dennoch ist eine objektive Vertragsänderung nicht festzustellen, es handelt sich um eine Fortentwicklung und Konkretisierung der offen formulierten Bestimmungen des NATO-Vertrages: Der Nordatlantikrat erklärt ausdrücklich, Zweck und Wesen des Bündnisses blieben unverändert.“[5] Nicht nur dem Laien mag es nicht recht einleuchten, dass die Umwandlung der NATO von einem Verteidigungs- in ein Interventionsbündnis zwar eine „wesentliche Veränderung“ bedeutet, nicht aber eine „objektive Vertragsänderung“, die die Zustimmung des Parlaments erfordert hätte. Die Wege auch des obersten Gerichts sind oft unerforschlich, doch so viel lässt sich feststellen, dass seine Rechtsprechung „exekutivlastig“ ist und erkennen lässt, wie es einer Klage auf Parlamentsbeteiligung gegen PESCO ergehen würde. Denn PESCO baut die Interventionsfähigkeit der EU nur aus, versucht das militärische Potential zu stärken und den effektiveren Einsatz zu organisieren. Das ist in den Augen des Bundesverfassungsgerichts allein Aufgabe der Exekutive, bei der die Legislative keine Mitwirkung beanspruchen kann. Im Rahmen der EU ist die Stellung der Parlamente zudem noch schlechter als in der Bundesrepublik. Wie Artikel 42 AEUV bestimmt, kann das Parlament zwar Fragen stellen und Empfehlungen geben, jedoch nicht mitentscheiden.

    Im Koalitionsvertrag von Union und SPD hieß es 2013 noch: „Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann.“ Auf dem Weg zu einer europäischen Streitmacht hat die Koalition schon entscheidende Schritte gemacht. Die lückenhafte parlamentarische Kontrolle hat sie jedoch offensichtlich für ausreichend erachtet und deshalb auch im neuen Koalitionsvertrag nicht mehr erwähnt.

    Wichtiger als die demokratische Kontrolle ist ihr zweifellos die Stärkung der militärischen Fähigkeiten für die zukünftigen Einsätze im neokolonialen Bogen ihrer Interessen vom Mittleren Osten bis nach Westafrika und gegenüber der neuen „Bedrohung“ aus dem Osten. Bei der Verlegung US-amerikanischer Truppen nach Polen und in die Baltischen Staaten hatte sich gezeigt, dass der Transit derartiger Einheiten mit schwerem Militärgerät nicht nur durch unzureichende Infrastruktur (Brücken, Straßen, Unterführungen), sondern auch durch bürokratische Genehmigungs- und Zollverfahren behindert und verzögert wird. Deshalb hat die EU einen Aktionsplan zur Verbesserung der militärischen Mobilität erarbeitet. Ziel ist der Ausbau der Transportinfrastruktur, um die NATO-Truppen schnell und ungehindert an die „Ostfront“ bringen zu können. Dabei soll das „Transeuropäische Transportnetzwerk“ (Trans-European Network for Transport, TEN-T) mit seinem Netz von Verkehrskorridoren, welches sich durch alle Staaten der EU zieht und Straßen, Schienen, Wasserwege, Häfen und Flughäfen umfasst, auch militärisch genutzt werden. Die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc will der militärischen Nutzung sogar Vorrang einräumen: „Wir brauchen eine Priorität für den militärischen Bedarf, schon bei der Planung neuer Verbindungen.“[6] Dazu gehört dann auch der Aufbau eines neuen Hauptquartiers, das die bessere Mobilität organisieren und garantieren soll, und um das sich Deutschland bewirbt.

  4. Was treibt die EU an?

    Kommen wir zum Schluss und zu der Frage, was die europäische Politik dazu treibt, neben der NATO eine weitere Streitmacht mit eigenen Institutionen, eigenem Budget und eigenem Personal aufzubauen. Sie soll im Ernstfall mit der NATO kooperieren, beide Streitmächte sollen sich ergänzen und unterstützen, aber gleichzeitig strebt die EU nach strategischer Autonomie. Die Unabhängigkeit von den USA, die Großbritannien immer verhindern wollte, ist zweifellos einer der Hauptgründe, die insbesondere die „Beinfreiheit“ der beiden dominierenden Militärmächte in der EU, Frankreich und Deutschland, erweitern würde. Dazu mag auch zählen, dass eine Neugründung unter der Marke EU seine Einsätze relativ unbelastet vom negativen Image einer Interventionsarmee (NATO in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen etc.) planen kann. Die herrschende Wahrnehmung der EU als zivile politische und ökonomische Organisation und die angestrebte Verknüpfung militärischer Aktionen mit der Entwicklungshilfe mögen als Schafspelz über der Wolfsgestalt die wahren strategischen Interessen verdecken. Entscheidend ist aber auch die Konstruktion eines äußeren Feindbildes mit einem Bedrohungsszenarium, welches aus einer Kombination von realen Entwicklungen und imaginierten Projektionen neue unmittelbare Gefahren heraufbeschwört. Beispielhaft zitiert Andreas Wehr eine Studie des Pariser Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der es heißt: „Der strategische Kontext, in dem sich die Europäische Union befindet, ist in den letzten zehn Jahren deutlich angespannter geworden. Im Osten hat die wiedererstarkende Macht Russlands zu zwei Konflikten mit seinen Nachbarn geführt: erst 2008 in Georgien, dann 2014 in der Ukraine. Im Süden folgten auf die Hoffnungen des ‚arabischen Frühlings’ von 2010 Konflikte in Libyen und Syrien, deren Folgen sich nun auch in der Flüchtlingskrise niederschlagen, mit der Europa konfrontiert ist. Der islamistische Terrorismus (…) hat sich auf die Sahelzone und anschließend auf den Irak und Syrien ausgeweitet. Zu diesen Bedrohungen in der unmittelbaren Nachbarschaft kommen noch weitere beunruhigende geopolitische Entwicklungen hinzu, wie die Spannungen im Chinesischen Meer oder das Risiko einer Destabilisierung durch die Verbreitung von Kernwaffen in Nordkorea und im Iran.“[7] Es ist schon seltsam, mit welcher Chuzpe die Autoren die EU in der Rolle des Opfers sehen, ohne die aktive Verantwortung der EU-Staaten z.B. bei der Einkreisung Russlands durch die NATO oder die Verantwortung für die Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens in den Blick zu bekommen. Die permanente Zuspitzung der militärischen und diplomatischen Situation gehört offensichtlich zum Konzept, um die EU in eine „Sicherheits- und Verteidigungsunion“ (von der Leyen) zu verwandeln. Es ist relativ gleichgültig, ob die Triebfeder in der Überwindung innenpolitischer Schwierigkeiten liegt, wie Theresa Mays Probleme mit der Umsetzung des Brexit, in der Sicherung der alten kolonialen Claims, wie für Frankreich in Westafrika oder in der Angst, bei der Verteilung der Beute nach Beendigung der Kriege leer auszugehen, wie im Mittleren Osten von Afghanistan über Irak bis Syrien. Die europäische Beteiligung an diesen Kriegen oder ihre Inszenierung erfordert nicht nur verbale europäische Solidarität, sondern aktiven militärischen Beistand. Darin waren sich der damalige Außenminister Gabriel und die Verteidigungsministerin von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2018 einig. „Europa braucht … eine gemeinsame Machtprojektion in die Welt“, meinte Gabriel, bei der man „“auf das Militärische … nicht … verzichten“ dürfe. Und von der Leyen bekräftigte, dass zu den militärischen „Fähigkeiten und Strukturen“, die man aufgebaut habe, nun nur noch „der gemeinsame Wille“ hinzukommen müsse, „das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen“.[8] Das ist das Gebot für eine eigene Streitmacht auch der EU, wie sie immer deutlicher entsteht. Sie wird aber wohl kaum zur Überwindung der Krise der EU durch die „Einheit von Frieden und Sozialem“ beitragen.


[«1] Catherine Ashton, Preparing the December 2013 European Council on Security and Defence, Brussels, 15. October 2013, S. 2.

[«2] Pany, Th., Nach Brexit: Von der Leyen für mehr militärische EU-Zusammenarbeit, Telepolis, 14. Juli 2016.

[«3] Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa, Brüssel 28. Juni 2016.

[«4] Permanent Sructured Cooperation – PESCO. Deepening Defence Cooperation among EU Member States. Eeas.europa.eu, 19. Oktober 2017; Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen zu Sicherheit und Verteidigung im Kontext der Globalen Strategie der EU, 14190/17, v. 13. November 2017.

[«5] BVerfg Urteil v. 22. November 2001, 2BvE 6/99, Pressemitteilung Nr. 105/2001 v. 22. November 2001.

[«6] Detlev Drewes, Panzerstraßen für Europa, sz-online.de 11. November 2017.

[«7] Erneuerung der GSVP – hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU

[«8] Zitate aus den Reden der beiden Ministern am 1. Feburar Und 17. Februar 2018. Vgl. german-foreign-policy.com – Die Machtprojektion der EU & german-foreign-policy.com – Der Start der Militärunion.