Präsident mit Barspende?
Er forderte die Regierung Schröder auf, mit George Bush in den Krieg zu ziehen, er kassierte eine dubiose 100.000-Mark-Spende. In der CDU/CSU scheint alles möglich. Bis vor Kurzem heftig in die CDU-Parteispendenaffäre verwickelt, bringt sich Wolfgang Schäuble als Nachfolger von Johannes Rau im Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch. Von Albrecht Müller, vorwärts 11/2003, Kolumne Gegen den Strom.
Stellen wir uns vor: Der Parteivorsitzende der SPD erhält 100.000 D-Mark, heute 50.000 Euro, in bar. Er wundert sich nicht darüber, dass die Spende von einem Waffenhändler und in bar überreicht wird und gibt das Geld weiter an seine Partei. Neun Jahre nach dieser auffälligen Bar-Geldübergabe in Zeiten des bargeldlosen Verkehrs wird der – inzwischen demontierte – Partei-Vorsitzende zum Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten ausgerufen.
Die Hölle wäre los, wenn dieser Vorgang sich in den Reihen der SPD abspielen würde. Die Journalisten würden sich das Maul zerreißen. Und mit Recht würden sie das tun. Denn Bargeld fließt nur, wenn es entweder schwarz verdient ist oder eine Gegenleistung des beschenkten Politikers bezahlt wird, die nicht bekannt werden soll. In den meisten Fällen dieser Art wird gegen geltendes Recht verstoßen, ein Zeichen des Verfalls politischer Sitten.
Das Bargeld wurde aber nicht an einen Sozi gezahlt. Und zum Bundespräsidenten kandidieren auch nicht die ehemaligen SPD-Vorsitzenden Vogel oder Engholm, Scharping oder Lafontaine. Es schickt sich an zu kandidieren: Wolfgang Schäuble von der CDU. Da regt sich nichts bei der Journaille. Was da an miesen Geschichten war, ist in ihren Augen wohl durchgehend ehrenwert, weil ihre Meinungsführer Teil dieser ehrenwerten konservativen Gesellschaft sind, die Sonntags die Moral und die Werte hochhält und es Montags als Delikt unter Kavalieren erachtet, wenn 100.000 in bar bezahlt werden, oder wenn Altkanzler Kohl nach getaner Arbeit 600.000 per annum von Kirch erhält, usw. mit Koch und Kiep und Strauß, Gott hab ihn selig.
Zu Schäuble regt sich auch sonst nichts im deutschen Blätterwald und in den abendlichen Talkshows, obwohl sich’s viel aufzuregen gäbe. Aber dazu braucht man ein Gedächtnis und ein bisschen Aufmerksamkeit. Und dies ist den angepassten deutschen Medienmachern inzwischen so fremd wie der eigene Gedanke. Ein Blick zurück ins Jahr 1958. Das war 13 Jahre nach Kriegsende, nach Schutt und Asche. Das Land (im Westen) blühte, die Leute hatten Arbeit, die Renten wurden dynamisiert, die Deutschen entdeckten das Reisen. Genauso weit sind wir heute von der deutschen Vereinigung weg. Und wo 1945 ff die Trümmerfrauen standen, gab’s 1990 ff Milliarden, inzwischen schon über eine Billion, und Maschinen und Autobahnen, ausgebildete Fachkräfte und Berater, Professoren und Beamte aus dem Westen. Nach 13 Jahren deutscher Einheit sind wir mit dem gemeinsamen Aufbau und dem Wegräumen der “Trümmer” auch nicht annähernd so weit wie 13 Jahre nach 1945, also 1958. Das muss etwas damit zu tun haben, dass diese deutsche Vereinigung falsch eingefädelt worden ist. Mit diesem Teil seiner Kritik hat Helmut Schmidt Recht, nicht mit der Beschimpfung der Ostdeutschen. Er hätte sich besser Wolfgang Schäuble vorgenommen, der 1990 für Helmut Kohl und die Bundesregierung federführend die Einigungsverträge ausgehandelt hat. Das war konzeptionell – mit dem Ruch des Anschlusses an den Westen – und im Einzelnen – wie z.B. der Währungsumstellung, die die Betriebe in der ehemaligen DDR in Schieflage brachte, und mit dem Ausverkauf des Vermögens – eine Abfolge von Fehlleistungen.
Wolfgang Schäuble lebt mit diesem miserablen Gesellenstück exzellent. Weil kein Journalist und kein Wissenschaftler und ernsthaft auch kein Politiker Bilanz zieht. Auch die SPD hat nie wirklich kritisch analysiert, was damals falsch gemacht worden ist. Da ist sie wie meist viel zu staatstragend.
Man kann es auch auf eine noch grundsätzlichere Ebene heben. Unsere Demokratie leidet unter Gedächtnisschwund der Demokraten. Fehlleistungen bis hin zur Gesetzesverletzung und zum schmierigen Geschäft – siehe Bargeldübernahme – werden nicht mehr sanktioniert und bestraft. Gute Taten werden nicht gutgeschrieben. Das Gedächtnis der Medien wie der Bürger ist wie ein Sieb. Darin besteht das politische Glück des Wolfgang Schäuble und seiner Partei. Andernfalls läge sie bei Umfragen nicht bei nahe 50 Prozent.
Das gilt auch für sehr aktuelle Vorgänge und damit sind wir wieder bei Wolfgang Schäuble: Er hat in diesem Jahr mit einer Kette von Äußerungen Bushs Irakpolitik gestützt und die Regierung Schröder kritisiert und sie aufgefordert, mit Bush in den Krieg zu ziehen. Immer wieder und verbunden mit beleidigenden Angriffen auf den Bundeskanzler, dem er wahrheitswidrig vorwarf, er sei mit schuld am Irak-Krieg. Schäuble hat die amerikanische Version der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen nachgesprochen und er hat seine Stimme nicht gegen die Fälschungen der britischen und US-Regierung erhoben.
Das scheint alles vergessen. Wolfgang Schäuble gilt als satisfaktionsfähig, als ins höchste Staatsamt wählbar. Und wenn er dann dank Merkel, Stoiber und Westerwelle Bundespräsident werden sollte, dann kann die US-Regierung bei ihrer Botschaft in Berlin Personal sparen. Sie hat ihren Mann im Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten, platziert. Armes Deutschland.
Wir Wähler sollten uns aber nicht beklagen. Wir sind so blöd, die Kritiklosigkeit der Medien gegenüber den Konservativen klaglos hinzunehmen.
© Vorwärts / 20. November 2003