Credit-Suisse-Turbulenzen – die Bankenkrise erreicht Europa

Credit-Suisse-Turbulenzen – die Bankenkrise erreicht Europa

Credit-Suisse-Turbulenzen – die Bankenkrise erreicht Europa

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Nach den Pleiten und der bedrohlichen Schieflage einiger US-Banken ist nun mit der Credit Suisse eine der größten europäischen Banken in bedrohliche Schieflage geraten und musste heute Nacht durch einen 50-Milliarden-Franken-Kredit der Schweizer Nationalbank gerettet werden. Das kommt keinesfalls überraschend. Die Credit Suisse gehört seit mehr als einem Jahrzehnt zu den Großbanken mit höchsten Risikoprofil und dem schlechtesten Management und gilt neben der Deutschen Bank als größte „Skandalnudel“ in der Branche. Der Abstieg der Bank ist ein Abstieg in Raten, doch die Credit Suisse gehört immer noch zu den zehn europäischen Banken mit dem größten systemischen Risiko. Ein unkontrollierter Bankrott würde nicht nur eine neue Finanzkrise auslösen, sondern auch die Schweiz in eine elementare Krise stürzen. So weit werden es die Eidgenossen nicht kommen lassen. Wie hoch die Rechnung für die Schweizer Steuerzahler ausfallen wird, ist ungewiss. Vielleicht sind die goldenen Zeiten der reichen Alpenrepublik bald vorbei. Von Jens Berger.

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Wer an die Schweiz denkt, denkt nicht nur an Alpen und Heidi, sondern auch an bestimmte Wirtschaftszweige, für die die Schweiz weltweit bekannt ist – ihr Käse, ihre Schokolade, ihre Luxusuhren, aber auch ihre als besonders seriös geltenden Banken. Letzteres ist jedoch ein Trugbild, das längst nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Im Vergleich zu jeder deutschen Volksbank oder Sparkasse ist die Credit Suisse, die neben der etwas größeren UBS den Kern des Schweizer Bankensystems bildet, eine unseriöse Zockerbude, die nicht nur mit zahlreichen Drogenbaronen, Menschenhändlern und Autokraten Geschäfte macht, sondern zudem auch eine Zockerbude ist, wie sie das Finanzcasino selten gesehen hat. Letzteres gibt es zwar in Frankfurt, London und New York auch, doch die Credit Suisse hat ein besonderes Alleinstellungsmerkmal – der Begriff „Risikomanagement“ scheint dort unbekannt zu sein.

Doch der Reihe nach. Bis zur Jahrtausendwende war die 1856 als Schweizer Kreditanstalt gegründete heutige Credit Suisse in der Tat eine normale Schweizer Bank. Man führte diskrete Nummernkonten und gewährte Anonymität – dies wussten beispielsweise während des Dritten Reichs nicht nur von den Nazis verfolgte Juden, sondern auch ihre Mörder sehr zu schätzen. Erst 1997 entschädigte man auf internationalen Druck hin die Opfer des Holocausts, deren geraubtes Vermögen im Wert von mehreren hundert Millionen Euro von Nationalsozialisten in der Schweiz gebunkert wurde. Später fokussierte man sein „Privatkundengeschäft“ dann auf Steuerhinterzieher und die dubiose Kundschaft aus aller Herren Länder, die samt ihrer finanziellen Rücklagen lieber im Dunkeln bleibt. Woher das „gute“ Image „seriöser“ Schweizer Banken kommt, ist vor diesem Hintergrund ein Rätsel. Verschwiegen waren sie ja, die Schweizer Banker, aber seriös?

Ende der 1990er begann jedoch – angefangen mit dem Druck der USA – das berühmt-berüchtigte Schweizer Bankgeheimnis zu bröckeln und zumindest die meisten westlichen Staaten machen es ihren Steuerhinterziehern durch zahlreiche der Schweiz aufgezwungene Abkommen immer schwerer, sich über Schweizer Banken ihren Steuerpflichten zu entziehen. Dafür sprangen dann andere Akteure ein, aber das ist ein anderes Thema. Wollten die Schweizer Banken weiterhin den Wohlstand der Alpenrepublik sichern, brauchten sie neue Betätigungsfelder. Bei der Credit Suisse begann diese Neuorientierung in den frühen Nullerjahren und wurde ab 2007 durch den US-Amerikaner Brady Dougan konsequent umgesetzt. Man ließ das Privatkundengeschäft, also die Betreuung mehr oder weniger seriöser, sehr reicher Kunden, und das langweilige Universalbankgeschäft auf dem Schweizer Heimatmarkt nebenher weiterlaufen, baute jedoch mit frischem Kapital die Investmentbanksparte massiv aus. Fünf Jahre später war die Credit Suisse einer der größten Investmentbanken. Parallelen zur Deutschen Bank sind durchaus zu erkennen.

Wer sich in der Finanzwelt nicht so gut auskennt, mag mit dem Begriff „Investmentbank“ ja was Positives verbinden – was ist so schlecht daran, wenn eine Bank sich um Investitionen kümmert? Doch weit gefehlt. Um traditionelle Investitionen kümmern sich Universal- und Geschäftsbanken; Investmentbanken spielen vielmehr mit allen erlaubten und vielen nicht erlaubten Finanzinstrumenten im globalen Finanzcasino mit. So auch die Credit Suisse. Man drehte nun am ganz großen Rad und zockte, was das Zeug hält. Nach acht Jahren an der Firmenspitze zog sich Brady Dougan zurück. Er hatte etwa 160 Millionen Franken als Vergütung erhalten, der Börsenkurs der Credit Suisse verlor in diesem Zeitraum stolze 70 Prozent. Sein Nachfolger Tidjane Thiam setzte ebenfalls voll aufs Investmentbanking, war vier Jahre an der Firmenspitze, bekam dafür 64 Millionen Franken und die Credit-Suisse-Aktie verlor weitere 40 Prozent. Nun übernahm ein gewisser Thomas Gottstein, der nur ein Jahr bleiben durfte, dafür aber immerhin auch 3,8 Millionen Franken absahnte und der Bank die größten Verluste in ihrer Geschichte beibrachte.

Im März 2021 musste die Bank zähneknirschend eingestehen, dass ihre Risikokontrolle bei den Geschäften mit dem Partnerunternehmen Greensill Capital, einer als „Lieferketten-Finanzierer“ getarnten Zockerbude, komplett versagt hatte. Man hatte dem Fonds von Greensill stolze 10 Mrd. US-Dollar Anlegergelder meist vermögender Credit-Suisse-Kunden vermittelt und davon haben sich rund drei Mrd. US-Dollar bei der Pleite von Greensill in Luft aufgelöst – obgleich das Geld ja nie weg ist, sondern nach der Pleite ganz einfach anderen Personen gehörte. Das sahen die Privatkunden der Credit Suisse natürlich nicht so gerne. Da hätten sie ja auch gleich Steuern in ihren Heimatländern bezahlen können. Eine vermeintlich seriöse Schweizer Bank, für die Risikokontrolle ein Fremdwort ist und die ihren Premium-Kunden halbseidene Zockerpapiere vermittelt? In der Folge setzte eine Kapitalflucht ein. Die Eigenkapitaldecke der Credit Suisse schmolz genau so schnell wie ihre Einlagen.

Einen Monat später musste man dann noch die Hiobsbotschaft verkünden, dass man sich mit einem Hedgefonds namens Archegos Capital ziemlich verspekuliert hatte. Die Credit Suisse gab diesem Fonds offenbar schier unglaubliche Kreditlinien, die das Fremdkapital für grotesk gehebelte Spekulationen mit Optionen und Derivaten darstellten. Archegos ging bankrott, 4,7 Mrd. US-Dollar der Credit Suisse waren weg und so langsam fragte sich auch der Verwaltungsrat, was das Risikomanagement der Credit Suisse eigentlich den lieben langen Tag so macht. Die Verantwortlichen für Risikomanagement und Compliance wurden entlassen, die Probleme setzten sich jedoch fort und das Eigenkapital schmolz weiter und weiter.

Dass in den Folgemonaten zahlreiche Leaks, eine Verurteilung wegen Zusammenarbeit mit einem bulgarischen Drogenhändlerring und jüngst Probleme mit sanktionierten russischen Oligarchen, deren Yachten man finanziert hatte, den Ruf weiter ramponierten, ist eher anekdotisch. Ein echtes Problem für die Credit Suisse war vor allem ab dem Herbst 2022 eher, dass kaum jemand mehr den Beteuerungen des Managements glaubte, die auch heute noch das Märchen einer grundsoliden, gut finanzierten Bank erzählen. Als dann vor wenigen Wochen auch noch der größte Aktionär, eine saudische Geschäftsbank, die Reißleine zog und verkündete, sie wolle kein Geld mehr nachschießen, setzte der Bank Run auf Raten ein, der wohl für jede Bank ein Albtraum ist. Einlagen wurden abgezogen, Aktien verkauft. Spätestens jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Kartenhaus zusammenbricht.

Gestern war es dann soweit. Spekulationen machten die Runde, die Aktie der Credit Suisse brach noch einmal zweistellig ein. Nun war die einstige Großbank, die mal über 100 Mrd. Franken wert war und eine irrwitzige Summe von 1,4 Billionen Schweizer Franken in ihrer Bilanz hatte, nur noch weniger als neun Mrd. Franken wert. Um dies ins Verhältnis zu setzen: Das heute Nacht vereinbarte Kreditfenster der Schweizer Nationalbank hat somit ein mehr als fünfmal so hohes Volumen, wie die Credit Suisse überhaupt wert ist. Wie man angesichts dieser Zahlen auch nur im Ansatz denken kann, die Credit Suisse würde irgendwelche Eigenkapital- und Bilanzrichtlinien einhalten, ist ein absolutes Rätsel.

Nach den – nicht tagesaktuellen – Zahlen des Center for Risk Management Lausanne weist die Credit Suisse derzeit einen „Hebel“, also ein – nicht risikogewichtetes – Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital, von einem zu fünfzig Franken auf. Verluste werden immer mit dem Eigenkapitalanteil verrechnet. Die Credit Suisse müsste also technisch in Konkurs gehen, wenn sie die von ihr gehaltenen Papiere und vergebenen Kredite nur um durchschnittlich zwei Prozent abschreiben müsste. Wenn die Bank ihre Papiere also beispielsweise um 3 Prozent abschreiben würde, müsste sie einen Verlust ausweisen, der größer ist als ihr gesamtes Eigenkapital – dann hätte sie ein „negatives Eigenkapital“, die Schulden wären also größer als das Vermögen. Umgangssprachlich heißt dies „Pleite“. Bei den Risikopositionen der Schweizer Banker erscheint ein solches Szenario keinesfalls ausgeschlossen. Wir haben es also nicht – wie unisono die Credit Suisse und die Schweizer Nationalbank verkünden – mit einem Liquiditätsproblem, sondern mit einer dramatischen Schieflage zu tun, die nur mit sehr viel Fantasie nicht in einem Bankrott endet … sofern die Bank nicht mit Steuermitteln refinanziert und dann wohl zerschlagen wird.

Wie hoch die damit verbundenen Kosten für die Schweiz sein werden, ist ohne näheren Einblick in die Bilanzen der Credit Suisse unmöglich zu sagen. 2022 hatte die Bank noch eine Bilanzsumme von 531 Milliarden Franken. Das sind natürlich nicht nur Schrottpapiere und ein möglicher Verkauf der Investmentbank-Sparte dürfte auch einiges an Geld in die Kassen spülen. Aber eine höhere zweistellige Milliardensumme könnte schon fällig werden. Und das sind nur die direkten Kosten. Es ist fraglich, ob der Finanzplatz Zürich mit dem Verschwinden der Großbank Credit Suisse seine Rolle wird behalten können und was es für die Schweiz bedeutet, wenn die stetigen Finanzströme zum Stillstand kommen. Nur mit Emmentaler, Schoggi und Rolex wird die Schweiz ihren extrem hohen Lebensstandard jedenfalls nicht halten können.

Dass die Credit-Suisse-Krise Auswirkungen auf andere europäische Banken haben wird, ist wahrscheinlich. Schließlich ist die Credit Suisse als eine der größten europäischen Banken mit ihrem Geschäft weit vernetzt. Sowohl die EZB als auch die Bank of England und die FED in den USA haben bereits die Finanzinstitute in ihrem Einflussgebiet diskret aufgefordert, sämtliche Positionen mit der Credit Suisse zu melden. Man darf gespannt sein, wen es als nächstes erwischt. Ein heißer Tipp wäre ja die zweite Skandalnudel im europäischen Finanzwesen – die Deutsche Bank. Auch hier haben sich über Jahrzehnte Zockermentalität, mangelndes Risikomanagement und fehlende Kontrolle durch die Politik zu einer gefährlichen Melange vereint. Christian Lindner sollte sich schon mal anschnallen.

Titelbild: rarrarorro/shutterstock.com

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