Des Volkes Bundespräsident weilt an der Ostflanke

Des Volkes Bundespräsident weilt an der Ostflanke

Des Volkes Bundespräsident weilt an der Ostflanke

Ein Artikel von Frank Blenz

Frank-Walter Steinmeier, unser Bundespräsident, gehört zu der gerade angesagten Spezies von Persönlichkeiten, die in der gegenwärtig heftig tobenden politischen Krise Europas dafür sorgt, dass die politische Anspannung ansteigt, anstatt eine längst überlebensnotwendige Entspannungspolitik zu beginnen und zu forcieren. Gerade weilte der Bundespräsident im Osten des europäischen Kontinents und besuchte die Truppe, was bei der Tagesschau Jubel auslöste. Man reibt sich die Augen angesichts der Schlagzeilen und Worte, die wie Phrasen aus Werbekampagnen klingen. Getrommelt wird für eine Ostflanke, für die Akzeptanz des Militärischen bis hinein in die Gesellschaft, konkret bis hinein in das ganze Volk. Von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Doch es stellen sich Fragen, ob das Volk das alles will: Hat der deutsche Bundespräsident sich in den vergangenen Wochen und Monaten einmal umgehört, umgesehen, eingelesen? Hat er das Volk gefragt, ehrliche Experten, Umfragen gelesen und danach notwendige Schlussfolgerungen gezogen? Seinen Worten, seinen Terminen und den Widerspiegelungen der staatsfernen Medien nach – nicht, denn dann hätte Steinmeier ganz andere Schlussfolgerungen zu ziehen.

Ein Foto, das irritiert

Die Lesevariante auf der Internetseite der ARD-Tagesschau-Reportage „Steinmeiers klares Zeichen zur Ostflanke“ zu des Präsidenten Reise nach Litauen schmückt zum Auftakt ein Foto. Präsident Steinmeier schaut einem Militärangehörigen, ganz in seiner jovialen Art, warmherzig leger in die Augen, tatsächlich ebenso guckt auch des Soldaten sorgenvolle, mitfühlende Frau ihren Ehemann an, einem wird ganz warm in der Bauchgegend bei dem Anblick und dem Das-wird-schon-alles-gut-Getue. Der Leser erfährt vom Alltag der Familie des Bundeswehrangehörigen, der in Litauen bei der NATO stationiert ist. Das Ganze ist nicht leicht. Früher wurde die Freiheit am Hindukusch verteidigt, nun also in den baltischen Staaten. Steinmeier findet das klasse, man sieht es ihm an, der Präsident zollt mit seinem Besuch den Soldaten Respekt, betont er, und Steinmeier bekennt sich „klar zur Ostflanke“, jubeln die Autorinnen. Aufgeschrieben haben die Story gleich zwei Frauen, die vor lauter Zackigkeit und Hingabe tatsächlich keinen Millimeter von ihrem Gleichschritt ihrer Faszination für Steinmeier, für die NATO, für deren fortwährende Erweiterung (wohin final eigentlich?) und für den Plan, unser Land endlich fit für die neuen Zeiten zu machen, weichen. Im Untertext hört es sich an wie: „Wir können jetzt wieder Stärke und Führung zeigen.“ Meint wohl vor allem militärische, nicht wahr? Bei der Pressekonferenz redet folgerichtig Steinmeier im Ton des neuen „Wir-sind-wieder-wer-Machtgefühls“:

„Gemeinsam werden wir jeden Quadratzentimeter des NATO-Bündnisgebietes verteidigen“, so der Bundespräsident bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem litauischen Präsident Gitanas Nauseda.

Die Presse erfährt von Steinmeier weiter, dass die NATO, also unser gemeinsames militärisches Wertewesten-Bündnis, im Osten nicht eine, sondern mehrere schnelle Eingreiftruppen plant. Bis 2026. Bis zu 5.000 Mann pro Einheit. Und wenn der Bundespräsident schon mal vor Ort ist, obwohl der Feind zwar ziemlich nah scheint, aber was soll‘s, geht es zackig ins Feldlager.

Gemeinsam reisen der litauische und der deutsche Präsident ins Feldlager Pabrade zu einem Gefechtstraining. 50 Kilometer sind es bis zur Grenze von Belarus, dem Verbündeten Russlands. Die Soldatinnen und Soldaten üben für den Ernstfall – sind aber auch zur Abschreckung da, damit der gar nicht erst eintritt.

Friedliche Zeiten sind anders

Wir schreiben 2023, es ist inzwischen Sommer. Manöver rollen, bald fliegen uns die Jets über die Köpfe, Ostflanken werden ausgebaut, es wird klare Kante gezeigt, Grenzzäune im Norden Europas aufgestellt, Raketen stationiert, Truppen, Waffen und Gerät nach ostwärts verlegt. Im Osten, in der Ukraine, in Russland tobt der Krieg. Von Waffenstillstand ist keine Rede.

Daheim schreien den deutschen Passanten in vielen Straßen, auf Plätzen, an Haltestellen Bundeswehr-Plakate mit kernigen Slogans entgegen. Neben dem aktuellen Präsidenten überschlägt sich Altrepräsentant, Pfarrer und Buchautor Joachim Gauck mit seinen Wortmeldungen für die Truppe, gegen Kriegsmüdigkeit und zivile Trägheit. Wer das nicht mag, dem entgegnet Gauck schon mal, er möge aus seiner Komfortzone heraustreten. Gauck klingt, aber es klingt nur so, als würde er gleich selbst zur Waffe greifen, allein er ist halt schon zu alt.

Es stimmt schon, für all die ambitionierten militärischen Vorhaben braucht es die passende Begeisterung, viel Personal und kantige Maßnahmen. Schon ist die vor langer Zeit sinnvollerweise abgeschaffte Wehrpflicht wieder im Gespräch, die Bundeswehrbeauftragte Eva Högl will die Musterung der jungen Bürger wieder einführen, zur Prüfung der Tauglichkeit potenzieller Soldaten, die dann ja auch in schnellen Eingreiftruppen zum Einsatz kommen könnten. Und weil das alles noch nicht reicht, will Högl gleich noch das Sondervermögen für die Bundeswehr immer wieder auffüllen, wenn sich diese Extra-Kasse von 300 Milliarden Euro leerte. Dem Oppositionsführer Merz, womöglich der Kanzlerkandidat der CDU, fällt dann noch eine harsche Kritik zum Thema ein. Im Bundestag beklagt der, dass die Regierung bisher ja noch nicht mal einen Euro des neuen Budgets abgerufen habe. Das ist dem Volk nicht zu vermitteln. Es ist eben auch so: All das Beschriebene, Zitierte, dieses Starkmachen unseres Landes braucht den Rückhalt im Fußvolk, der dann wächst, wenn die Politik kraftvoll handelt. Meinen Merz und Högl wirklich, mit ihren Vorschlägen des Bürgers Herz und Verstand zu erreichen?

Rückhalt für Soldaten bisher bei den Angehörigen – der Präsident wünscht sich mehr

Bundespräsident Steinmeier fordert unbeeindruckt der Bedürfnisse und Wünsche der Deutschen nach Frieden, nach Entspannung an der Ostflanke:

Nach dem Gespräch mit den Soldatinnen und Soldaten und ihren Angehörigen sagt Bundespräsident Steinmeier: „Den Rückhalt, den die Angehörigen den Streitkräften, den Soldatinnen und Soldaten zeigen, diesen Rückhalt braucht die Bundeswehr in der ganzen Gesellschaft.“
Quelle: Tagesschau.de

Wer fragt das Volk? Umfragen verraten anderes, als Steinmeier und Co handeln

Wofür soll die ganze Gesellschaft der derzeitigen Bundeswehr Rückhalt geben? Diese Armee verschlingt Unsummen, die Ausgaben werden Jahr für Jahr erhöht, die Einnahmen der Rüstungsindustrie, der Institutionen für das Militär und der Lobbyisten steigen und steigen.

Fragen, die zu besprechen wären, werden nicht gestellt:

Wie halten es die Verantwortlichen für unser Gemeinwohl mit der Abrüstung, der Deeskalation, mit einem echten Frieden und Zusammenarbeit?

Wie denken die Menschen über die Themen Manöver, Krieg, Aufrüstung, NATO, Bundeswehr, Wehrpflicht, Diplomatie, Entspannungspolitik?

In den Familien, unter Verwandten, Freunden, Kollegen scheint die „klare Kante“ keine Hochkonjunktur zu haben. Umfragen belegen, dass die Menschen in Deutschland friedliche Lösungen verlangen. Eine Umfrage von YouGov ergab vor Kurzem:

Fast 15 Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen, dass die Ukraine mit Russland über eine Friedenslösung verhandelt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov plädierten im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur 55 Prozent für Gespräche mit dem Ziel der Beendigung des Krieges. Nur 28 Prozent sind dagegen.
Quelle: Zeit.de

Schlimmer noch müsste es sich für Steinmeier und seine politische Klasse anfühlen, dass viele Bürger eine große Politikverdrossenheit entwickelt haben und das Vertrauen in die Parteien unserer Bundesrepublik schwindet. So meldet die ARD-Tagesschau, dass „nur noch jeder Fünfte“ mit der Arbeit der Regierung zufrieden ist.

Titelbild: © Guido Bergmann/Bundespräsident.de